Skip to main content

Wann erging eigentlich die Order, dass öffentlich-rechtliche Journalisten zu scheuklappigen Boulevardjournalisten werden müssen. Gestern Abend, als sich das, was derzeit möglich ist an nächtlicher Kühle, herabsenkte, griff ich doch noch zur Fernbedienung und landete in einer Dokumentation der ARD. „Wer hat meine Daten“ hieß sie und lief schon ein wenig.

Thema des Werkes: Datenschutz. Ein durchaus spannendes Thema. Und ein wichtiges. Und somit eigentlich wieder mal ein Grund sich zu ärgern, weil die von TV-Gebühren gefütterten Sender solche Sujets ins Nachtprogramm schieben und zur besten Sendezeit verfilmte Groschenromane bevorzugen:

„Claudias Hilferuf lässt Eric vom Mittelmeer an die Nordsee eilen. Doch er kommt zu spät. Er kann die tote Geliebte nur noch voller Trauer in seinen Armen halten. Neben ihr verglühen Reste ihrer Aufzeichnungen. Enthüllungen, deren Veröffentlichung er gerade noch verhindern konnte, wie der aus seinem Versteck tretende Mörder stolz gegenüber Eric verkündet.“
(Übrigens würde mich interessieren, welche Menschen solche Ankündigungstexte verbrechen müssen…)

Jene Dokumentation andererseits hat mich mehr geärgert als gefreut. Weil das Thema Datenschutz auf einer so platten Ebene angegangen wurde. Über Minuten wurde beispielsweise diskutiert, was Kundenbindungsprogramme wie Happy Digits mit den Daten anstellen könnten, woraufhin Happy Digits sagte, dass sie nichts damit anstellen würden – und die Autoren auch keinen Beweis fanden, dass bisher irgendwas ungesetzliches damit angestellt wurde. Das ist eine Methode, mit der man auch Messerhersteller an den Pranger stellen könnte, weil man mit ihren Produkten Menschen umbringen könnte – und das sogar tut.

Nun möchte ich hier auch keine Diskussion über den Datenschutz losbrechen, die wird es anderenorts ja vielleicht bald ausführlicher geben.

Bemerkenswert aber finde ich die Art und Weise, wie ein ARD-Team an ein Thema herangeht. Die gesamte Zeit über gab es nur Schwarz und Weiß, kein Grau. Die Wirtschaft ist das Böse, sie will den Menschen unterjochen – diese These quoll aus jeder Sekunde von „Wo sind meine Daten“.

Beispiel Supermarkt: Die ferne Möglichkeit des intelligenten Kühlschranks (die ja nun auch munter seit mindestens sieben Jahren diskutiert wird), der erkennt, welche Waren aus sind und so einen Einkaufszettel erstellt, wird als Untergang des Abendlandes dargestellt. Weil ja der Supermarkt dann wisse, was der Kunde kaufe. Ob der Kunde das vielleicht nicht so schlecht findet, auf diesem Weg gegen seine Vergesslichkeit anzukämpfen, wird nicht in Erwägung gezogen. Mit süffisantem Unterton erläutert der Sprecher, dass es dann vielleicht nie wieder beim Frühstück heißen würde, es gebe keine Eier. (Werden übrigens bei einem frühstücksaffinen Thema Eier erwähnt, kann davon ausgegangen werden, dass der Autor des Stücks deutlich über 40 ist – aber das ist nur so eine Beobachtung).

Ich bin groß geworden mit öffentlich-rechtlichen Dokus. Sie waren bemüht, alle Seiten eines Themas zu beleuchten. Dafür hatten sie Zeit und Muße. Gibt es einen Zeitpunkt, an dem sich das geändert hat? Als ZDF-Reporter zu Wildsäuen mutierten? Ab dem es zum guten Ton gehörte, sich ständig ins Bild zu drängen, wie es gestern Erich Schütz, gemeinsam mit Detlev Koßmann Autor des ganzen, tat? Gut, dies war eine Produktion des SWR – und vielleicht gehört das dort zum Style, wie der Badenser sagt.

Irgendwann im Laufe von „Wer hat meine Daten“, sagt der Autor: „Ich habe den Überblick verloren.“ Spätestens in diesem Moment, hätte er recherchieren müssen, bis er ihn wiederfindet. Oder das Projekt aufgeben. Als ich diesen Satz hörte, schaltete ich ab.


Kommentare


Alphager 20. Juli 2006 um 12:57

Es hat doch angefangen mit den ganzen \“Report aus X\“ (X = Mainz, München, etc) und Frontal 21. Fast jedes Thema komplett schlecht vorbereitet, mit offensichtlichen Falschaussagen (besonders schön zu sehen bei dem Halbjährlich wiederkehrendem Thema \“Killerspiele\“, wenn 12-Jährige mit Zitaten aus dem Jugendschutzgesetz Aussagen der \“Reporter\“ wiederlegen).

Aber auch in anderen Medien schleicht sich ein schlechter, einseitiger Stil ein.
Mein Spiegel-Abo habe ich deswegen gekündigt.

Antworten

Chat Atkins 20. Juli 2006 um 13:12

Tscha – der \“idiotae\“-Vorwurf, den der Norbert Bolz im neuen Spiegel erhebt, scheint da doch falsch adressiert.

Trotzdem glaube ich, dass es diesen ARD-\“Gesinnungsjournalismus\“, in den ich gestern ebenfalls hineingeriet, schon etwas länger gibt. Diese verschwörungstheoretische (damals: ideologiekritische) Sicht der Dinge reicht zurück bis in gute alte Panorama-Zeiten.

Antworten

björn 20. Juli 2006 um 17:21

durch die wiederholte einblendung dieser seltsamen binärcode-animation (mit der vermutlich aus dem jenseits stammenden und echo-verstärkten stimme des autoren) verlor der beitrag für mich jede seriösität.

da kann ich mir auch (unter schmerzen) GZSZ anschauen, die moralischen aussagen sind vergleichbar 😉

Antworten

RiFID 20. Juli 2006 um 19:39

Niveaulose Dokumentation? Da bin ich anderer Meinung. Selten sah ich dieses Thema so spannend und allgemein verständlich aufbereitet. Und das vermeintliche Inkompetenz-Geständnis ist im Zusammenhang mit speziellen Firmen gefallen:

\“Adresshändler verschleiern, wie sie Daten weitergeben. Ich habe die Übersicht über meine Daten verloren. Sie haben: Meinen Namen. Meine Anschrift. Alter. Wohngegend. Automarke. Freizeitverhalten. Sport. Hobby. Geschätztes Einkommen. Girokonten. Kreditverträge …\“Das war übrigens in der dreizehnten Minute, Herr Knüwer, und Happy Digits bzw. Kundenkarten kam erst ab der fünfzehnten zur Sprache. Dass dieser Aspekt zu Ihnen durchgedrungen ist, obwohl sie bereits innerlich abgeschaltet hatten – auch das spricht meiner Meinung nach für die Qualität der Doku. 🙂

(weitere Sendetermine)

Antworten

Martin H. 21. Juli 2006 um 12:34

Im Groben fand ich den Film in Ordnung. Aber es klang immer so, als könnte der Einzelne nichts dagegen unternehmen. Interessant wäre gewesen, wenn der Autor versucht hätte seinen Auskunftsanspruch gegenüber den Werbeversendern durchzusetzen, und dies auch dokumentiert hätte.

Antworten

Andi 23. Juli 2006 um 20:29

Hab die Doku leider nicht gesehen, saß dafür mal ne Zeitlang im Happy Digits Callcenter. Und was da an Profilen zusammengestellt wird, ist nicht mehr feierlich. Wer gerne die Handy-Nr. und Stamm-Shopping Adressen (und gekaufeten Artikel) von Dirk Nowitzki haben möchte oder die Telefonrechnung von Verona Pooth aufschlüsseln, der setze sich mal dort an die Rechner…. Das sind Datenkraken.

\“Die Wirtschaft ist das Böse, sie will den Menschen unterjochen\“
Vielleicht noch nicht heute, aber mit diesen und weiteren Daten, kein Problem in den nächsten 15 Jahren….

Antworten

minimalist 3. August 2006 um 12:40

Ich fand den Bericht ebenfalls erschreckend. Zumal man sich im Fall der Kundenkarten ganz einfach schützen kann. Man beantragt keine. Man kann auch ohne Punktebelohnung tanken, erst gestern ist mir dies wiederum geglückt.
Über die SCHUFA sollte man sich ernsthaft Gedanken machen, jedoch war der Beitrag in diesem Zusammenhang ebenfalls sehr vage.
Zum Thema Badener oder Badenser… ist doch egal, Gelbfüßler bleibt Gelbfüßler 🙂

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*