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Nachtrag vom 30.11. vorweg: Die bewusste Merck-Seite ist aktuell offline geschaltet – was die Geschichte noch interessanter macht.

Zu den besonderen Absurditäten der globalen Wirtschaft zählen die beiden Pharmahersteller mit Namen Merck. Der eine sitzt in Darmstadt, der andere in Whitehouse, New Jersey – und beide sind unabhängig voneinander. Tatsächlich war die US-Merck einst die Nordamerika-Tochter der Hessen. Während des ersten Weltkriegs jedoch kam es zu einer Enteignung, deren Hintergründe Wikipedia so erklärt:

„Die Ermittler kamen zu dem Ergebnis, das Merck & Co. sehr „deutsch“ organisiert war. Finanzierung, Organisation und Hierarchie seien sehr konservativ. Diese „deutschen“ Charakterzüge verleiteten die von der zuständigen Behörde betrauten Wirtschaftsprüfer zu dem Schluss, dass „die Entwicklung einer derart vertrauenswürdigen Organisation konnte nicht Schritt halten mit dem Wachstum des Geschäfts.“ Des Weiteren wurde festgestellt, dass sämtliche Gewinne nach Deutschland abgeführt wurden, was im Widerspruch zu den nach außen dargestellten Besitzverhältnissen stand.“

Folge: Enteignung wegen zu viel Deutschsein. Also das Gegenteil von dem, was sich mancher für Griechenland vorstellt.

Wollte man große Worte schwingen, so könnte man nun von einer neuen Enteignung sprechen, passend zum Zeitalter von einer digitalen Enteignung um genau zu sein.

Denn die BBC berichtet von einem Prozess, den die deutsche Merck gegen Facebook anstrengt. Streitgrund: die Facebook-Seite www.facebook.com/merck.

Die deutsche Merck behauptet, sie habe mit Facebook im März 2010 bereits ein Abkommen über die Nutzung geschlossen. Möglicherweise hat sie aber auch schlicht die Seite eröffnet und ihre Anwälte formulieren dies nun großzügig (Merck war bisher nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.). Doch dann waren mit einem Mal die Administratoren-Rechte weg – an die US-Merck:

„Welcome to Merck’s official Facebook page! We would like for you to use this page to learn more about us and what we’re all about. We look forward to hearing from you, learning from you and using this as a launch pad for greater dialogue within the community.“

In den Kommentaren dann wird es interessant. Denn offensichtlich haben die Amerikaner Nachfragen über den plötzlichen Wandel gelöscht. Nun wagen sie dies vielleicht nicht mehr:

So langsam braut sich ein Sturm zusammen. Ob die Winde dafür stark genug werden, ist offen – denn es handelt sich nicht um ein so massenwirksames Thema wie sterbende Orang-Utans, gequälte Hunde oder Sackbahnhöfe. Da es Nutzern nicht möglich ist, direkt auf die Merck-Pinnwand zu schreiben, machen sie ihrem Ärger unter den Artikel des Pharma-Konzerns Luft:

Interessant ist dabei, wie oft der Bericht der BBC verlinkt wird. Möglicherweise emotionalisiert der Bericht über den Missbrauch des Facebook-Ökosystems heutzutage schon ausreichend, um sich auf einer Seite zu tummeln, die ansonsten nicht interessant wäre?

Dabei muss natürlich eines mit Vorsicht genossen werden. Die Pharma-Industrie ist geübt darin, mit gefälschten Digital-Identitäten und Verbraucherstimmen zu arbeiten wie keine andere Branche. Damit behaupte ich nicht, dass Merck Deutschland dies tut, doch gehört das Unternehmen eben so einem Wirtschaftsbereich, in dem solches Vorgehen Alltag ist.

Interessant sind die Schilderungen von Mercks Anwalt beim Versuch, Kontakt mit Facebook aufzunehmen:

„Merck KGaA’s lawyer, Robert Horowitz said he had sent a letter and a series of emails to various Facebook staff asking to discuss what had happened to the webpage.

However, he said the respondents „either did not understand the problem… [or were] intentionally giving unresponsive answers“.

Mr Horowitz said that when he had requested a telephone conversation, one of Facebook’s staff „incredibly replied that ’no-one is available for a call at this time'“.“

Nun behaupte ich ja immer, der Kontakt mit Facebook ist nicht so schwer. Und vielleicht war es Mercks Fehler, die Zentrale ansprechen zu wollen statt dem deutschen Büro in Hamburg.

Doch immer klarer wird, dass sich bei Facebook etwas ändern muss. Keine Technologie in der Geschichte der Menschheit hat sich schneller verbreitet als das Social Network. Deshalb ist es verständlich, dass die nötigen Strukturen nicht immer aufgebaut sind. Doch hat Facebook in unserer Gesellschaft eine so wichtige Stellung erhalten, dass die Startup-Mentalität als Entschuldigung nicht mehr lange durchgehen wird. Bekommt die deutsche Merck vor Gericht Recht, könnte sie ein Schadenersatzklage anstreben – sowohl gegen Facebook wie gegen die US-Merck. Und wir alle wissen, wie teuer so etwas im Paradies der Anwälte werden kann.

Spätestens dann wird Facebook sich schnell wandeln müssen. Das Unternehmen braucht eine klare Ansprechstelle, eine Art Ombuds-Abteilung für genau solche Streitfälle. Es braucht klare Kommunikations- und Entscheidungswege. Und die so gefällten Entscheidungen werden dokumentiert werden müssen. Da kommt eine verdammte Menge Bürokratie auf das Network zu. Es wäre in seinem eigenen Interesse, es setzte diese Prozesse schnell auf. Denn nach dem Börsengang werden solche Rechtsstreitigkeiten wie jetzt im Fall Merck noch erheblich teurer werden.


Kommentare


DAMerrick [Mobile] 29. November 2011 um 16:02

Mich wundert das Facebook immer noch als Startup angesehen wird. (Andererseits haftet selbst heute noch Apple in weiten Teilen der Bevölkerung das Image an liebevolle von Hand gebaute Computer mit tollem Support in Cupertinos Garagen zu bauen. Von daher….)

Aber Ihren Optimismus kann ich nicht teilen. Und zwar deshalb weil Facebook ein Internetkonzern ist. Und auch wenn in Europa gerne ein anderer Eindruck entsteht, das Internet wird in der realen Politik nicht ernster genommen als hier.

Wäre Facebook ein „Traditioneller“ Konzern hätten die schon mehrmals Strafe wegen Wettbewerbsverzerrung und Zensur zählen müssen. Auch und insbesondere nach US recht. Und besonders für einen nicht vorhandenen Support mehrmals eine geklatscht bekommen.

Aber das wird mal wieder die EU Kommission übernehmen müssen. Und was Facebook angeht, warum sollten die sich ändern? Facebook ist die Platform die dafür gesorgt hat das Kunden gegenüber unternehmen eine Stimme haben die nicht mehr überhört werden kann. Des Images wegen.

Diese Firmen sind jetzt die Kunden facebooks. Und Facebook hat die selbe Haltung wie die unternehmen damals und noch heute „Dann geht doch woanders hin. Aber im Bereich Social Network habe ich das Monopol und wer nicht nach meinen regeln spielt wird rausgeschmissen. Eure Entscheidung.“

Facebook hat keinen Grund sich zu ändern.
Firmen und Privatnutzrr sind Kunden und ein Facebook um sich über Facebook zu beschweren gibt es noch nicht.

Antworten

DAMerrick [Mobile] 29. November 2011 um 16:02

Mich wundert das Facebook immer noch als Startup angesehen wird. (Andererseits haftet selbst heute noch Apple in weiten Teilen der Bevölkerung das Image an liebevolle von Hand gebaute Computer mit tollem Support in Cupertinos Garagen zu bauen. Von daher….)

Aber Ihren Optimismus kann ich nicht teilen. Und zwar deshalb weil Facebook ein Internetkonzern ist. Und auch wenn in Europa gerne ein anderer Eindruck entsteht, das Internet wird in der realen Politik nicht ernster genommen als hier.

Wäre Facebook ein „Traditioneller“ Konzern hätten die schon mehrmals Strafe wegen Wettbewerbsverzerrung und Zensur zählen müssen. Auch und insbesondere nach US recht. Und besonders für einen nicht vorhandenen Support mehrmals eine geklatscht bekommen.

Aber das wird mal wieder die EU Kommission übernehmen müssen. Und was Facebook angeht, warum sollten die sich ändern? Facebook ist die Platform die dafür gesorgt hat das Kunden gegenüber unternehmen eine Stimme haben die nicht mehr überhört werden kann. Des Images wegen.

Diese Firmen sind jetzt die Kunden facebooks. Und Facebook hat die selbe Haltung wie die unternehmen damals und noch heute „Dann geht doch woanders hin. Aber im Bereich Social Network habe ich das Monopol und wer nicht nach meinen regeln spielt wird rausgeschmissen. Eure Entscheidung.“

Facebook hat keinen Grund sich zu ändern.
Firmen und Privatnutzrr sind Kunden und ein Facebook um sich über Facebook zu beschweren gibt es noch nicht.

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Alex Wunschel 29. November 2011 um 16:06

Opps, nu isse gar nicht mehr zu erreichen…

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Hannes Schleeh 29. November 2011 um 16:52

Die Merck Seite ist jetzt anscheinend so eingestellt, das man sich die Kommentare gar nicht mehr ansehen kann! Ich habe auf alle verfügbaren Kommentare geklickt und sie dadurch zum Verschwinden gebracht! Sowas habe ich noch nie in Facebook gesehen!

Probiert es aus!

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Markus 30. November 2011 um 6:59

Sehr geehrter Herr Knüwer!

Bin gestern auch auf die Geschichte Merck vs Merck aufmerksam geworden und hab verschiedene Berichte dazu gelesen.

Zu ihrem Zitat:
„Nun behaupte ich ja immer, der Kontakt mit Facebook ist nicht so schwer. Und vielleicht war es Mercks Fehler, die Zentrale ansprechen zu wollen statt dem deutschen Büro in Hamburg.“

Da kann ich nur ungläubig staunen. Entweder Sie betreuen Firmen mit hohen Etat für Facebook-Ads oder ich konnte den Stein der Weisen bislang noch nicht finden. Das Kommunikationsverhalten von Facebook halte ich schlichtweg für bescheiden. Der „Hilfe“-Kosmos im System führt nur zu Formular-Boxen, die man ausfüllen darf ohne je wieder etwas von Facebook zu hören.

Kontakt mit dem deutschen Facebook-Büro aufzunehmen, erscheint mir komplett unmöglich. Alles auf Prädikat „Start-Up“ zu wälzen, darauf kann sich Facebook nicht mehr ausruhen.

Zum Vergleich Twitter: Der Nutzername eines Kunden war durch einen anderen inaktiven Nutzer belegt. Mail mit entsptechenden Quellenangaben an Twitter, innerhalb ein paar Stunden war der Fall erledigt. Von so etwas kann man bei Facebook nur träumen.

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Thomas Knüwer 30. November 2011 um 8:38

@Markus: Was die Betreuung betrifft, ist dem nicht so. Sonst hätte ich ein besseres Gefühl dafür, was bei Facebook Ads funktioniert und was nicht – dieses Gefühl fehlt mir und vielen anderen, die in diesem Bereich arbeiten.

Aber: Die primären Ansprechpartner in Deutschland, Tina Kulow und Scott Woods, sind keine Unbekannten. Und sie sind erreichbar. Jedoch befinden sich Unternehmen, die sich erst um einen solchen Kontakt bemühen, wenn sie ein Problem haben, natürlich im Hintertreffen. Das ist überall in der Wirtschaft so: Wer den Chef des Autohauses kennt wird beim Kauf eines neuen Wagens halt anders behandelt, als wenn er einfach in die Filiale reinspaziert. Gerade Großunternehmen müssen sich deshalb frühzeitig um die Kontaktaufnahme mit wichtigen Digital-Unternehmen kümmern.

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spaetburgunder 2. Dezember 2011 um 6:13

Der pauschale Vorwurf an die Pharmaindustrie bezüglich gefälschter Digital-Identitäten ist ziemlich frech. Wo sind denn die Vergleichsdaten? Belege?

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Linkdump vom Mo, 28. November 2011 bis Sa, 03. Dezember 2011 Links synapsenschnappsen 3. Dezember 2011 um 10:01

[…] Shitstorm Warnung: Merck vs. Facebook (und was Facebook lernen muss) […]

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