Das Internet ist für die klassischen Medienhäuser wie der Phantomschmerz eines Beinamputierten: Es juckt saumäßig – aber wie man das abstellen soll, weiß auch keiner. Und deshalb rennt man immer neuen Wunderheilmethoden hinterher – so wie nun Hubert Burda. Ich muss mal wieder den Altvorderen geben. Sorry, aber muss nun mal sein. Und irgendwie ist mir heute nach dem Bruch mit einer von mir selbst gestellten Vorgabe: Niemals maritime Wortbilder zu verwenden. Aber draußen ist Nordsee-Wetter, es geht nicht anders.
Also: Es gab mal eine Zeit, so um 1999, also im letzten Jahrtausend, was diese Ära zumindest sprachlich weit in die Vergangenheit wirft. Damals kam jeden Monat ein neues Internet-Geschäftsmodell um die Ecke, bei dem jedes Unternehmen, vor allem die Medienkonzerne, das Gefühl hatten, unbedingt dabei sein zu müssen. „Die anderen machen das auch“ wurde zum ultimativen Befeuerungsmittel der Geldverbrennung.
So schnell wendeten sich die Strategien, die keine mehr waren, dass sie sich am Ende in Hurrikan-Geschwindigkeit drehten, mit ebensolcher zerstörerischer Wirkung über ihre Arbeitgeber hinwegzogen und dann über dem großen Meer verpufften.
Diese wirtschaftsmeteorologische Besonderheit schien ein Einzelfall zu sein. „So was passiert uns nie wieder“, wurde das ultimative Argument, jedwedes Internet-Engagement auf ein Minimum zurückzufahren.
Nun aber sehe ich im Süden schon wieder einen Sturm herannahen. Sicher, nur eine leichte Windhose, doch die Lüfte beginnen zu rotieren über dem Hause Burda.
Alles begann mit Weblogs. Da wollte Hubert Burda unbedingt dabei sein. Doch mit ein wenig mußevollem Nachdenken gepaart mit intensivem absurfen der Netz-Winde hätten die Wellen ihm und seinen Leuten verraten können, dass Ideen wie eine Blog-Polizei ihre Schaluppe in zu unbestimmte Gewässer führen würden.
Zur praktischen Umsetzung wurden das Dickschiff (übrigens: Wie viele Journalisten, die jenes hübsche Wortbild verwenden, wissen eigentlich, was ein Dickschiff ist?) „MS Focus“ vorgeschickt. Dessen Crew blamierte sich wenigstens nicht so wie die des Helgoland-Shuttles „Funny Freundin“.
Nein, das mit den Blogs war nichts. Und deshalb ändert Kaptain Burda flux den Kurs. Nun sollen es Communities werden und bewegte Bilder. Internet-Fernsehen. Ebenso authentisch und Werbefrei wie die Blogs. Anpreisungen wie
„Watchin‘ Over You“ das neue Video von Patrick Nuo. Gerade im Web gefunden… super Song!“
aber vermitteln selbst dem geistig minderbemittelten Hilfsmatrosen, dass er hier mit der Keule werbemäßig schanhait werden soll. Man erlaube mir die berechtigte Frage: Für wie dumm hält Burda seine Community. OK, eine rhetorische Frage…
Podcasts hat man bei Burde entweder übersprungen oder sie werden noch kommen. Anschließend wird getagt und lokal gesucht.
Die Pirouetten nehmen langsam aber sicher an Geschwindigkeit zu. Schon ist aus dem Hause Burda zu hören, dass manchem Mitarbeiter der Wind wieder zu steif wird. So wie 1999 eben.
Und dreht sich der Wirbelsturm erst einmal, dann heißt es nur noch festklammern am Schreibtisch. Zum Nachdenken, ob das plumpe Kopieren fremder Ideen wirklich die Zukunft eines Verlagshauses ist, bleibt dann keine Zeit mehr.
Nachtrag vom 7.6.: Die schlimmsten Befürchtungen wurden noch übertroffen. Focus live ist die Manifestation der Ideenlosigkeit.
Kommentare
Don Alphonso 31. Mai 2006 um 11:22
Es muss heissen: \“Shanghait\“. Wenn ich mal den 99er Begriff für Coderanwerbung korrigieren darf.
blog.50hz.de 31. Mai 2006 um 11:29
War es ausbleibender Erfolg – wie auch immer der hätte aussehen sollen in diesem frühen Stadium – oder der Gegenwind aus der Szene?
Burda hat keinen Bock mehr auf’s Bloggen.
So versteht zumindest Peter Turi das, was er während eine…
marcel w 31. Mai 2006 um 12:34
Man dankt für diesen Beitrag.
Thomas Knüwer 31. Mai 2006 um 13:43
Oh, Podcasts – aber ohne vorherigen Ausruf des großen Verlegers. OK, wer entdeckt das erste Tagging-Projekt von Burda?
Mia 31. Mai 2006 um 13:49
Männer absolvieren nicht wirklich solche Tutorien, oder?
Wobei \“Mit drei Klicks in die Kiste\“ orientiert sich ja zumindest an der alten Regel kein Sex vor dem 3. Date…
50hz 31. Mai 2006 um 13:51
Das hat doch soooo einen Bart. Und ein Podcast ist das nicht, oder? Zumindest kein gutes Beispiel, um mit Weinberger zu sprechen.
Peter Turi 31. Mai 2006 um 18:28
Ich kann nix zum Inhalt sagen, mache um den \“Playboy\“ immer einen großen Bogen. 😉
Don Alphonso 31. Mai 2006 um 22:59
Nochmal zu Turi und seiner \“Blog-News\“ bzw. seinem heutigen devoten Angekrochen Kommen gegenüber Burda: Uch habe bei mehreren Leuten nachgefragt, die bei Burda arbeiten und auch mit teilweise noch nicht online verfügbaren Blogs zu tun haben, und sie alle bestätigen unabhängig voneinander das, was Heiko Hebig sagt. Sprich: Der Gschaftlhuber Turi hat eine Ente fabriziert, vermutlich um sich mal wieder ins Spiel zu bringen. Was nichts an der Richtigkeit der Analyse ändert, dass viele Projekte von Burda nicht zwangsweise Erfolg haben werden und manches im untersten 99er-Stil daherkommt. Aber Turis Behauptungen von der nebenbei gesteckten Sonderinformation – ausgerechnet für die szenebekannte Ratschn Turi – ist sehr wahrscheinlich zusammen\“interpretiert\“.
Erik 1. Juni 2006 um 0:39
immer feste druff. auf den burda, den turi, die verlage, die däpperten kollegen. die anderswo erwähnten 500 mio invest sind allerdings mächtig 2000-steil.
ich habe uebrigens, wie der herr mayer, vom letzten shanghaien noch einen maechtigen kater. uebrigens aber kein grund, nie wieder in die kneipe zu gehen und ein bierchen zu trinken.
Thomas Knüwer 2. Juni 2006 um 10:12
Hier stand einst ein Kommentar von Georg, in dem er mich fragte, welche Web-Projekte ich überhaupt ansprechend fände. Sowohl dieser Kommentar als auch meine Antwort sind mutmaßlich einem Problem zum Opfer gefallen: Derzeit leidet unser Dienstleister Blogg.de leider unter heftigen Spam-Attacken. Dies Spam-Kommentare müssen von Hand gelöscht werden und da kann es leider schon mal passieren, dass ein echter Kommentar rausfällt. Dafür bitte ich um Entschuldigung.
Also: Ich finde, es gibt durch aus erfolgversprechende und -reiche Web-Projekte. Open BC zum Beispiel hat anscheinend eine Bedürfnislücke entdeckt. Was aber nicht klappen wird, ist das platte Kopieren amerikanischer Vorbilder, zum dem Unternehmensberater mit der intellektuellen Tiefe eines Überraschungseis raten. Die meisten dieser Ideen könnten nach einer schlichten Stunde der Muße und Nachdenken verworfen werden. Solche geistigen Vorgänge aber erfordern Zeit und Zeit glaubt mancher Entscheider nicht zu haben.
georg 2. Juni 2006 um 10:57
Danke. Wäre doch nicht nötig gewesen 😉
CIO-Blogger 7. Juni 2006 um 12:01
Peter Turi hat auf der Website von \“Focus Online\“ die Alpha-Version der Foto-/Video-Community live.focus.msn.de entdeckt: \“Dort können Fotos und Videos gebloggt, bewertet, versendet und auf eigenen Seiten eingebunden werden\“. Ein erster Test der flashbasierten Anwendung (Turi hat sie \“BurdaTube\“ getauft)zeigt: Das Ganze ist recht benutzerfreundlich und funktioniert sehr schnell. Bleibt – wie immer – die Frage, welches Business-Modell dahinter steckt und ob es für noch einen You-Tube-Clone tatsächlich Bedarf gibt? Denn wer hat die Zeit, diese Tonnen von Fotos und Videos tatsächlich anzuschauen?
Andreas Skowronek 7. Juni 2006 um 12:42
Aber das Geschäftsmodell von Focus ist schon verdammt clever: Visueller Content von Dritten für lau, WOW.
By the way: Im Jonet läuft gerade die Debatte über die Readers Edition der Netzeitung.
Ich bin gespannt, wann das \“Handelsblatt\“ den Content generierenden Leser entdeckt ?