In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.
Camgaroo gibt es noch immer. Erstaunlich. Im Mai 2001 schrieb der Joachim Hofer, der München-Korrespondent des „Handelsblatts“ über die Gründerin der Video-Community, Gabriele Lechner. Und auch das zugehörige Magazin existiert noch.
Lechner war damals eine kleine Besonderheit in den Reihen der Internet-Gründer. Nicht, weil sie eine Frau war – die gab es damals häufiger als heute in der Web-Branche. Nein, zum einen war sie mit damals 39 Jahren vergleichsweise alt. Zum anderen hatte sie geschafft, was wenigen gelingen sollte: Sie hatte erst einen Print- und Online-Verlag gegründet, der dann untergegangen war – um danach wieder zu gründen. Das war in jenem Jahr 2001 noch ungewöhnlich.
Kann man scheitern und wieder auferstehen? Das war so eine Frage, die 2001 viele in der digitalen Szene bewegte. Schließlich war irgendwie absehbar, dass ein Großteil der Branche gewaltig vor die Wand fahren würde. Selbst Riesen waren davon betroffen. Wer hätte geglaubt, dass die Softbank, einer der größten japanischen Startup-Finanzierer so dermaßen abrutschen würde? Fünf Sechstel seines Börsenwertes hatte das Unternehmen verloren. Und ihr introvertierter Gründer Masayoshi Son geriet unter Feuer.
Doch er war einer, der überlebte. Softbank existiert heute noch, Son ist noch immer der Lenker.
Das waren die Geschichten aus der Welt der Startups. Währenddessen aber gab es eine ganz andere, digitale Welt – über die weniger Medien berichteten: Online-Zugänge wurden von der Neuerung zum Alltag. Die Vernetzung verschiedenster Unternehmensteile über das Netz sorgte für eine erhebliche Beschleunigung interner Vorgänge.
Netzwert berichtete in der Ausgabe vom 7.5. zum Beispiel über Knorr Bremse:
„,Ich brauche nur zu pfeifen und schon habe ich die Zahlen, die ich benötige‘, freut sich Peter Riedlinger, Vorstandsmitglied des Münchener Bremsenbauers. Doch die gewünschten Daten trägt ihm nicht eine Schar fleißiger Controller zu, sondern das EDV-System seines Unternehmens. Per Mausklick kann Riedlinger beispielsweise die Rentabilität der Geschäftssegmente abrufen, auf Wunsch aufgeschlüsselt nach Kriterien wie Kunde, Land oder Produkt.“
Was heute selbstverständlich scheint, ließ damals Controller staunen. Aber es war eben nicht sexy und schillern, sondern dröge Technik. Und deshalb übersahen viele Medien, wie diese Seite der Digitalisierung die Wirtschaft auf immer veränderte. Das galt sogar für die Bahn: 60.000 Konstruktionspläne benötigte sie für den Neubau der Strecke Nürnberg – Ingolstadt. Nun sollte der Konzern papierärmer werden. Ein auf Lotus Notes basierendes Datenbanksystemt gepaart mit Grafik-Instrumenten sollte Kosten bei Großprojekten um fünf bis zehn Prozent senken. Irgendwann aber hörte der Fortschritt auf. Und 10 Jahre später werden noch immer Sitzplatzreservierungen mit Disketten eingebucht.
Und dann gab es in jener Netzwert-Ausgabe noch eine interessante „E-Mail aus Berlin“, geschrieben von Burkhard Ewert. Er war zu Gast bei einem Vortrag des Stockholmer Handelsprofessors Jonas Riddestrale. Er vertrat eine höchst spannende These: Das Internet werde das Mittelalter zurückbringen. Denn so wie damals sorge Telearbeit dafür, dass die Bedeutung des Heimes zunehme – von dort könnten wir eben jetzt auch arbeiten. Das bedeute jene Verschmelzung von Privatem und Dienstlichem, die heute viele beklagen.
Nur: Die ist nicht neu, behauptete der Schwede. Sie habe es schon in der vorindustriellen Zeit gegeben, gab Ewert den Vortrag wider:
„Als der Bauer noch in den Stall guckte, bevor er zu Bett ging. Als der Handwerksmeister am Abend die Türe der Werkstatt verschloss und sich in der oberen Etage samt Familie zur Ruhe begab. Erst die Industrialisierung brachte die Trennung von Privatleben und Beruf auf breiter Front. Was vorher die Ausnahme war, wurde zur Regel. Insofern hätten wir einen weiteren Grund, den Begriff ,New Economy‘ in Frage zu stellen…“
Lesen Sie kommende Woche: Der Vizepräsident von cool.
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