Ich rätsele. Über den „Focus“. Und einen Blog-Eintrag. Zu finden ist er im Blog „Augen geradeaus“, in dem sich „Focus“-Redakteur Thomas Wiegold mit Themen rund um Verteidigungspolitik beschäftigt. Dieser Blog-Eintrag lautet:
„Dieses Blog ruht bis auf Weiteres. Danke für Ihr Verständnis.“
(Foto: Shutterstock)
Nun ist es normal, wenn ein Blog mal ruht oder ganz eingestellt werden. Alltag. Auch für die „Focus“-Presseabteilung, die auf meine Anfrage mitteilte:
„Das on- oder offline-Schalten von Autoren-Beiträgen auf FOCUS Online ist als fließender Prozess zu verstehen und ein ganz normales Procedere. Das Schreiben derselben hängt von den Kapazitäten in den Redaktionen und den Themen ab. Wir starten immer mal wieder neue Blogs und andere werden abgeschaltet.“
Das könnte man so hinnehmen. Nur: Es ist traurig und ein Weg in die komplett falsche Richtung. Denn „Augen Geradeaus“ war absolut beispielhaft für die Arbeit von Journalisten im digitalen Zeitalter.
Wollen Print-Objekte überleben, ist aus meiner Sicht eine der nötigen Maßnahmen, Redakteure so aufzubauen, wie Wiegold das selbst getan hat. Sie müssen sich zu Marken machen. Das klingt vielleicht furchtbar kalt und business-mäßig, aber die Medien selbst haben eben daran gearbeitet, dass dies nötig ist. Denn seit den 90ern haben sie den alten, journalistischen Leitspruch „Nichts interessiert den Menschen mehr, als Menschen“ auf Speed gesetzt. Erst war es eine Verstärkung der Promi-Berichterstattung. Dann, als nicht mehr genug Promis da, beziehungsweise die vorhandenen in extenso abgefrühstückt waren, ging es ran an den normalen Menschen.
Heute vermitteln die Medien das Gefühl, jeder kann alles. Jeder kann Model werden, Pop-Star oder Koch. Und natürlich: Jeder ist Experte. Weshalb sonst würden selbst öffentlich-rechtlich bezahlte Kameras schon bei Morgengrauen an den Bahnhöfen stehen, um rotaugige Pendler nach ihrer Einschätzung der Weltnachrichten zu befragen? Wenn diese Menschen keine Ahnung hätten, würde sie doch niemand befragen.
Überall tauchen Menschen auf. Nur nicht in Redaktionen. Die sind merwürdig unmenschlich, vor allem im Print-Bereich. Sicher, unter Artikeln stehen Namen. Doch die Gesichter dazu erkennt höchstens, wer auf Politik fixiert ist und den „Presse-Club“ schaut. Oder „Doppelpass“. Print-Journalisten bleiben als Person dem Leser entfremdet. Warum sollte er ihnen dann vertrauen?
Print-Häuser sollten sich jene Redakteure schnappen, die in einem besonderen Bereich besonderes Wissen und besondere Leidenschaft entwickelt haben. Denn sie sind es, die ihre Redaktion von anderen unterscheidet. Sie sind es, die motivierter sind. Und diesen Redakteuren sollte man alle Freiheiten geben, um sich multimedial in diesem Gebiet auszutoben. So entstehen Inhalte, die das Medienhaus von der Konkurrenz absetzen.
Thomas Wiegold hat als Print-Redakteur sein spezifisches Themengebiet genommen und im Netz für jene geschrieben, die sich intensiv dafür interessieren. Ob er das gut gemacht hat, mögen andere beurteilen – Verteidigungspolitik ist nicht mein Fachgebiet. Offensichtlich aber hat er im Web eine gewisse Menge Freunde gefunden. Das Bendler-Blog bedauert Wiegolds Moratorium und berichtet von einem Brief des Ilmenauer Professort Martin Löffelholz an „Focus“, in dem es heißt: „Als Spezialist für Fragen sicherheitspolitischer Kommunikation habe ich den Blog von Herrn Wiegold als enorme Bereicherung schätzen gelernt.“ Unter seinem Abschiedsartikel finden sich 65 fast ausschließlich positive Kommentare. Einige wurden anscheinend redigiert, denn Wiegold selbst hat die Kommentarfunktion abgeschaltet: „Die Diskussion läuft ein wenig aus dem Ruder, zumal ich nicht mehr sagen kann.“
Er selbst sagte mir: „Wir wollen uns mit aller Kraft auf den gedruckten FOCUS konzentrieren, deshalb wird das Blog bis auf weiteres nicht bedient.“
Das klingt politisch und vorformuliert. Somit bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder die Chefredaktion hat, aus welchen Gründen auch immer, den Stecker gezogen. Dann möchte ich ihr aus vollem Herzen entgegenrufen: „IHR TROTTEL!“ Oder Wiegold selbst mochte, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr. Dann möge sein Arbeitgeber ihn zurück ins Blog treiben. Mein Gefühl, allerdings, lässt mich auf die erste Möglichkeit tippen.
Kommentare
Torsten Herrmann 15. März 2010 um 16:51
Bei Facebook schreibt er aber weiterhin, wenn auch kürzer. http://www.facebook.com/AugenGeradeaus
Thomas Knüwer 15. März 2010 um 17:33
Schön wär’s. Auf Facebook gibt’s nur eingereichte Links mit Kommentarfunktion. Längere Beiträge sehe ich dort nicht.
Sascha Stoltenow 15. März 2010 um 18:04
Als einer der „Überlebenden“ des sicherheitspolitisch interessierten Teils der Blogosphäre könnte ich ja nach Marines-Manier verkünden „If you die (or get killed bei an IED=Imbecile Editorial Director – im militärischen Original Improvised Explosive Device), we´ll split your gear.“ Allerdings macht der Verlust des Blogs von Wiegold ein weiteres Element der schönen neuen Medienwelt sichtbar: Erst aus der Kombination der unterschiedlichen Persepktiven entsteht ein umfassender Eindruck von der Wirklichkeit. Die Frage ist also nicht ob Bürgerjournalisten Journalisten ersetzen, sondern wie es möglich ist, beides zu verbinden. Und hier hat Wiegold inhaltlich viel Wertvolles geleistet. Es scheint sich aber für seinen Verlag nicht materiell gelohnt haben.
tjark 15. März 2010 um 20:30
Lieber Thomas Knüwer,
ich habe jetzt nicht die Kommentare der letzten Beiträge durforstet, ob es noch jemanden stört ….
Aber mein ästhetischens Empfinden leidet mit jedem Bild und jedem eingebetteteten Video, das rechts über die Begrenzung der Mittelspalte herausragt.
Das wäre doch sehr leicht zu ändern oder?
// t.
schaumalda 16. März 2010 um 13:09
@tjark leicht zu ändern:
Probieren Sie einen aktuellen Webbrowser, dann ist alles wieder im Lot. 🙂
Klaus Jarchow 16. März 2010 um 13:33
“ … Your sons and your daughters are beyond your command
Your old road is rapidly aging
Please get out of the new one if you can’t lend your hand
For the times they are a-changin‘ …“ (Bob Dylan)
chehggy 16. März 2010 um 14:29
Generell muss ich ja zustimmen: qualitativ hochwertiger Journalismus kann tatsaechlich nur entstehen, wenn der Redakteur an irgendeinem Punkt anfaengt sich fuer das Thema zu interessieren (und natuerlich Kompetenz zu entwickeln ,)
Dennoch stoesst mir die Anaylse, die Medien haetten den den Fokus auf die „rotaeugige[n] Pendler“ gerichtet, um Menschen in den Mittelpunkt zu ruecken, irgendwie uebel auf. Sicherlich ist die Emotionalisierung von Nachrichten, gerade im (Bewegt-)Bildjournalismus ein wichtiges Stilelement, und eines das in neuerer Zeit verstaerkt instrumentalisiert wird. Aber ich finde die Anschuldigung, das waere nur ein Resultat der zunehmenden Kommerzialisierung der Nachrichten, greift zu kurz.
Was ist denn mit der alten Idee, den „einfachen Mann“ nach seiner Meinung zu fragen? Bis zu einem gewissen Grade ist dieser Rueckgriff auf die fiktive „Meinung der Bevoelkerung“ auch ein Schritt weg vom Elitenjournalismus, in dem die Journalie ohne Ruecksicht auf den Rest der Menschheit ihre Meinung in die Oeffentlichkeit rausposaunt.
Ob das natuerlich zu hochwertiger Berichterstattung fuehrt, ist eine andere Frage.
Don Alphonso 16. März 2010 um 21:28
Das Problem bei einigen „sicherheitspolitischen“ Blogs ist das Publikum, das sie nicht nur anziehen, sondern das auch gezielt angesprochen wird, indem dort Leute schreiben, die eine erstaunliche Neigung zur Kriegstreiberei und Distanzlosigkeit zum organisierten Morden haben. Oder dann eben feige den Mund halten, wenn es mal weniger gut ausging, siehe Kundus, wo sich einige der Herrschaften massiv verrannt haben. Ich finde es, offen gesagt, journalistisch brandgefährlich, wenn über Blogs sich Leute dann selbst embedden, und dann auch noch Kommentare von noch erheblich durchgeknallteren Typen freischalten. Man würde sich Blogs aus Krisengebieten wünschen, die gerade nicht interessierten Seiten überlassen blieben, und solange es das noch nicht gibt, bin ich gar nicht so entsetzlich traurig, wenn sie sich „sicherheitspolitisch“ nennende PR-Blogger-Truppe kleiner wird. Das besagte Blog war nicht das Schlechteste in dieser Reihe, keine Frage.
Horst 16. März 2010 um 22:16
@Don Alphonso
Sie schreiben „Sicherheitspolitik“ und meinen Friedenspolitik. Worte wie „Kriegstreiberei“ und „Distanzlosigkeit zum organisierten Morden“ zeigen doch ganz offensichtlich wie wichtig ein Blog ist, in dem eben nicht gleich jede militärische Operation zum organisierten Babyschlachtfest hochstilisiert wird.
Nutzen Sie doch die Indymedia oder ähnliches. Da finden Sie seitenweise Einträge die von zwar interessierten aber nicht informierten „Seiten“ erstellt werden.
Don Alphonso 17. März 2010 um 5:12
Sowas in der Art meinte ich. Leute, die ums Verrecken der anderen lieber von Sicherheit und Operation sprechen. Blogs, die immer die Klappe halten, wenn es um die Opfer geht. Von solchen Leuten will ich jetzt nicht unbedingt über Werte oder Wahrheit aufgeklärt werden.
BolleHB 18. März 2010 um 8:34
Schönes Bild, danke dafür.
„Horst“ schreibt im Endeffekt nichts anderes als „Es sollte für jede Betrachtungsweise die Möglichkeit der Publikation bestehen, so dass man sich aus vielen Quellen mit unterschiedlichen Sichtweisen und Weltanschauungen informieren kann“. Richtig so, denn nur so wird ein Schuh (komplettes Bild) draus
„Don Alphonso“ begrüßt mit seinem Kommentar, dass ein Blog, der nicht so geschrieben wurde wie er es gerne hätte, vom Netz genommen wurde.
Ein „rechter“ würde es begrüßen, wenn Indimedia aus dem WWW genommen werden würde und ein „linker“ wenn dies mit Altermedia geschehen würde. Aber alle diese Seiten haben ihr Existenzberechtigung. Jeder sollte selbst entscheiden was er lesen möchte und was nicht.
Obwohl auch dies in Deutschland nicht ohne weiteres möglich ist. Gemäß Grundgesetz gibt es keine Zensur, sowas nennt man heute „Indizierung“. Das dürfte „Don Alphonso“ aber gut gefallen, vor allem bei Angeboten, die nicht seiner Weltanschauung entsprechen (War zwar ein gut gemachter Blog, aber diese Kriegstreiber müssen weg).
Sascha Stoltenow 18. März 2010 um 13:37
Wie hält es Don Alphonso bloß aus, dass seine Beiträge zwar viele Lesen, aber nur Wenige auch verstehen? Er schreibt doch explizit, dass Wiegolds Blog eines der besseren aus dieser Szene war. Und das Defizit, dass er anspricht, nämlich dass sich kaum eine unabhängige Stimme aus Krisen und Kriegen bloggend meldet, ist wohl kaum strittig, oder? Es interessiert aber auch keine Sau.
Ich sehe zumindest meinen nun bereits zweiten Versuch, das Thema „Krieg im Netz“ auf die Agenda der re:publica zu bringen, als gescheitert an. Trotz meiner inhaltlichen und biographischen Nähe zur Bundeswehr, finde ich es essentiell, die Interessen und Mechanismen zu entschlüsseln, die unser Bild und Verständnis von Krisen und Kriegen prägen.
tjark 19. März 2010 um 23:44
@schaumalda
Win: Ja
Mac: Nein (FF 3.6)
Klemmt immer noch 🙁
Kahlschlag bei Jahreszeiten-Verlag 24. März 2010 um 17:53
[…] Kreativität – und die ist eine der wichtigsten Ingredienzen für Journalismus – potenziert sich in der Gemeinschaft. Wenn die Redaktion nur noch aus überarbeiteten Ressortleitern besteht, entfallen jene Gespräche am Kaffeeautomaten oder beim Büronachbarn, die Humus sind für ungewöhnliche, bereichsübergreifende Stücke. Und natürlich wechseln die Autoren häufiger, steigt der Anteil der externen Dienstleister unter ihnen. Sie werden auch nicht in den Vordergrund geschoben – was aber nötig wäre zur Leserbindung. […]