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Die wahre Elite der Kreativen läuft zur Hochform auf, wenn es eng wird, nur wenig Zeit ist, rasante Lösungen gefragt sind. Auch in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt.

„Ump“ macht der Körper von Senior Consultant Lars, als er vom Konferenztisch rollt und auf dem Boden landet. Dann tastet sich sein Bewusstsein durch den dichten Nebel aus Schmerz, Alkohol und Schlaf. „ALARM!“ ruft es, Adrenalin pumpt Lars Körper in die Höhe.

Nackt steht er im gläsernen Konfi, vor ihm, auf dem Tisch, die ihrer Kleidung entledigte Senior Consultant Alexandra, eine unverständliche Mischung aus Gurgeln, Stöhnen und Ächzen krabbelt über ihre Lippen.

„Alex, wach auf!“, ruft Lars. „Ump“, macht auch Alexandras Körper. Kurz vor sechs am Morgen, noch ist es dunkel in diesem grauen Sommer.

„Wan lo?“ murmelt Alex.

„Scheiße, wach auf. Wir sind eingeschlafen!“ Langsam schnitzt Lars Gehirn Erinnerungen aus dem Grau in seinem Kopf. Eigentlich sollten sie an einem neuen Projekt arbeiten. Wahlkampf für die CDU, in der der Chef Mitglied ist. Natürlich wissen nur wenige, dass er auch Mitglied bei der SPD, der FDP und den Grünen ist – „für alle Fälle“, wie er immer sagt.

Und weil die CDU in diesem Wahlkampf munter von Peinlichkeit zu Peinlichkeit hüpft, soll die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt mal einen Vorschlag machen, was sich ändern könnte. Unentgeltlich zwar – „aber nach den Wahlen kommt Kohle durch Folgeaufträge“, ist sich der Chef sicher.

Bis in den Abend saßen also Alex und Lars zusammen. Als alle weg waren. Eine gefährliche Kombination, das wissen beide. Denn seit dem ersten Mal kann Lars nicht mehr die Finger lassen von der Neuen. Noch hat das Gott sei Dank niemand gemerkt in der kleinen PR-Agentur. Und das mit Julia blieb ja auch unter der Decke.

Na, auf jeden Fall hatte Alex noch eine Flasche Champagner von der Tanke geholt, „als Kreativitätskatalysator“. Eingefallen war ihnen nämlich wenig. Auf den Champagner folgte Sex, auf den Sex ein Glas Single Malt aus Lars Beständen, darauf… Sex? Lars kann sich nicht mehr erinnern. Aber irgendwas war da noch mit einem Taschenspiegel, einer Rasierklinge und einem 50-Euro-Schein.

Der Konferenzraum hat sich verwandelt in ein Feld aus Flaschen, Kleidung und umgestürzten Stühlen. Und einem auf dem Boden zersplitterten Laptop. Selbst wenn gestern etwas Brauchbares entstanden war – es ist verloren. Lars wird blass.

Zwei Stunden später sitzt die CDU-Abordnung im hektisch geordneten Konfi. Angesprochen auf weiße Wangen und Lärmempfindlichkeit antworten Lars und Alexandra synchron, sie hätten durchgearbeitet.
„Durchgekokst“, murmelt Senior Consultant Sabine.
„Was?“, fragt Alex schnippisch.
„Großes Lob, hab ich gesagt.“

Gerade mal eine Stunde war Zeit geblieben, um irgendwas zu zaubern. „Ich hab schon größeren Mist verkauft. Überlass die Präsentation mir“, flüstert Alex zu Beginn Lars zu. Dann gibt es Bilder begeisterter junger Menschen. Vom Weltjugendtag. Vom Papstbesuch. Und schließlich das T-Shirt: „Mach et Ratze!“ 

Alex läuft zur Hochform auf. Spricht von der respektbefreiten Jugend, von Politik mit Augenzwinkern, vom Anpassen an den Zeitgeist. Und deshalb dürfe es nicht Bundeskanzlerkandidaten Angela Merkel heißen, sondern „Angie“. Und immer wenn diese das Podium betrete oder verlasse, „muss der Rolling Stones-Song aus den Boxen pumpen“.

„Pumpen?“, denkt der Chef für sich und erinnert sich eher an Knutsch- und Schmusestunden seiner Jugend statt an begeisterndes Abhotten zu „Angie“. Aber Alexandra wird schon wissen, was sie tut.

Die CDU-Delegation schweigt einen Moment. Dann schauen sie sich an. „Perfekt“, sagt einer. Das Konzept ist gekauft. Folgeaufträge aber gibt es doch nicht. Weil das gelassene Tempo des Liedes nicht jeden mitreißt. Und irgendjemand den Text übersetzt hat:

Angie, Angie
Wann werden all diese Wolken verschwinden?
Angie, Angie
Wohin werden wir von hier aus geleitet werden?

Ohne Liebe in unseren Seelen
und ohne Geld in unseren Mänteln
Oh, du kannst nicht sagen, wir wären zufrieden…

Angie, Angie
Oh, du kannst nicht sagen, wir hätten es nie versucht
Oh, Angie. Du bist wunderschön,ja…
aber ist es nicht Zeit, dass wir uns jetzt verabschieden?

All diese Träume, die wir so nahe bei uns hielten, scheinen sich in Rauch aufgelöst zu haben 

[…]
Oh Angie, weinst du?
Deine Küsse schmecken immer noch süß…
Ich hasse diese Trauer in deinen Augen…
aber Angie, Angie
ist es nicht Zeit, uns verabschieden?…Ja…

[…]
Es gibt keine Frau, die an dich heran kommt.

[…]
Angie, Angie
Wäre es nicht schön zu leben?
Angie, Angie
Sie können nicht behaupten, wir hätten es nicht versucht…

(Gefunden bei Wirres.net)

Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:

Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca


Kommentare


Pöbler.de 31. August 2005 um 11:41

Ich habe ja an anderer Stelle schon mal Werbung für Angie gemacht. Aus aktuellem Anlass, gibt es heute mehr. (Gefunden auf girl.twoday via Don Alphonso.) Auch lesenswert: Indiskretion Ehrensache.

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