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Heute morgen habe ich einen Karton geöffnet, in den ich vor genau 10 Jahren das letzte Mal geblickt habe. Sein Produzent nennt ihn lachsfarben, ich nenne es rosa. „FTD“ steht in edlen Lettern drauf.

Er enthält die Erstausgabe der „Financial Times Deutschland“.

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Vor genau zehn Jahren erschien sie, es war eine wilde und spannende Zeit. Beim „Handelsblatt“, für das ich damals arbeitete, ging ein Zittern um. Im alten, damals recht modrigen Top-Hotel „Breidenbacher Hof“ trafen sich die Headhunter mit Kollegen, die abgeworben werden sollten –  das war das am schlechtesten gehütete Geheimnis von Düsseldorf. Wer wissen wollte, welches Redaktionsmitglied für die „FTD“ interessant war, musste nur einen Kaffee im Foyer einnehmen.

Überhaupt: Headhunter. Zum ersten Mal wurden sie weiträumig eingesetzt um in der deutschen Journalistenlandschaft Personal zu akquirieren. Die Angebote, die sie in der Tasche hatten, waren üppig. Nicht umsonst spricht man noch heute bei Gruner + Jahr von jenen „Altverträgen“ die richtig teuer kommen. Es war das Jahr 2000 – und die Krise noch nicht da. Alles war schön und bunt und reich und bullig. Eine naturbekokste Ära.

Eine ganze Reihe Kollegen namen die Offerte aus Hamburg an.Traf man sie, berichteten sie von der kreativen Atmosphäre und von der Diskussionsfreude, die sie so nie zuvor erlebt hätten. Sie strahten Corpsgeist aus. „In zwei Jahren sind wir an Euch vorbei“, raunzte mir ein Ex-Handelsblättler aus dem „FTD“-Berlin-Büro mal bei einem Ehemaligen-Treffen der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten zu.

Doch beim „Handelsblatt“ schlug recht schnell die Stimmung um. Aus Furcht wurde Kampfeslust. Ein Relaunch kam. Er nahm vieles vorweg, was die „FTD“ später auch bot. Mit einem Mal war die Aufbruchstimmung auch in Düsseldorf da.

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Als dann die „FTD“ startete, landete sie gleich den ersten Fehlschlag.

Die Siemens-Titelgeschichte wurde zur Ente, sie war überdreht worden. „Überdreht“, das war ein Wort, das in den ersten beiden Jahren häufig fiel, ging es um das rosa Blatt. Bei mancher Exklusivgeschichte wurden kleinste Details so prominent verkauft, dass sie auf den ersten Blick wie eine Sensation erschienen. Kenner der jeweiligen Branche aber fanden das unterdurchschnittlich seriös – schnell bekam das Blatt ein leicht boulevardeskes Image. Ein wenig unter ging dabei der oft originelle Ansatz bei Kommentaren – sie waren für mich das spannendste in jener ersten Zeit.

Blättern durch die erste Ausgabe. Nostalgie. Ron Sommer. Ulrich Schumacher. Liegt es am Zahn der Zeit oder war die Druckqualität der Fotos damals wirklich so schlecht?

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In einigen Branchen, den kreativen, medialen vor allem sammelte die „FTD“  konsequent Leser ein. Schnell war sie das Blatt der Branchen mit Sex-Appeal – und das Handelsblatt die Zeitung für Stahl, Schrott und Schrauben und Autos.

Inzwischen ist die „FTD“ ruhiger geworden. Auch wenn die Exklusivnachricht noch immer ihr wichtigstes Anliegen ist. Sie ist eine inhaltlich gut gemachte Zeitung.

Allein: Das scheint nicht zu reichen.

Keinen einzigen Cent schwarze Zahlen hat sie bislang geschrieben. Dabei sollte es einst fünf Jahre dauern bis zum Break-even. Seitdem wird Jahr für Jahr behauptet, im folgenden Jahr werde es so weit sein. Da ist es schon eine Neuerung, wenn Geschäftsführerin Ingrid Haas nun verkündet: „2011 haben wir diese wichtige Marke in Sichtweite.“ Sichtweite ist ja immer eine Frage der Fernglas-Qualität.

Nicht mal eine eigene Redaktion hat das Blatt mehr. Zusammengelegt wurde die Redakteursmasse mit der aus „Capital“ und „Impulse“, „Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien“ steht jetzt auf den Visitenkarten. Die Amorphisierung entlastet vor allem das Management: Nun lassen sich Verluste einfach über die Blätter verteilen. Wahrscheinlich wird die „FTD“ tatsächlich 2011 behaupten, sie habe Gewinne gemacht – nachprüfen kann das niemand.

Überhaupt. Nachprüfen. Das Tagesgeschäft haben bei der „FTD“ die Vizes Sven Oliver Clausen und Stefan Weigel übernommen. Die wurden für die aktuelle Ausgabe des „Wirtschaftsjournalist“ interviewt (der übrigens seit seinem Relaunch immer besser wird). Und dort sagen sie eine ganze Reihe Dinge, die bemerkenswert unüberprüft daher kommen. Zum Beispiel, dass die „FTD“ sich stärker um die griechische Schuldenkrise gekümmert habe als das Handelsblatt – das darf bestritten werden. Oder, dass der Verlust der „FTD“ 2009 „nach allem was man hört“ kleiner sein soll als der des „Handelsblatts“. Natürlich ist er das – denn er Umsatz ist auch deutlich geringer.

Besonders schön aber ist die Behauptung, man sei mit der Auflage zufrieden. 52.271 hart verkaufte Exemplare – damit kann niemand zufrieden sein, so lange er nicht mal eine schwarze Null erreicht. Denn die Auflage wird nicht mehr steigen, vielmehr sinkt sie seit 2005 kontinuierlich.

In de Jubiläumsausgabe heißt es zur „FTD“ in zehn Jahren, es werde sie gedruckt „als wöchentliche Sonderausgabe mit Reportagen, Hintergründen und Gastbeiträgen zum Genießen“ geben.

Ja, und sonst? Das Erscheckendste, denke ich an die Zukunft dieser Zeitung, ist die Tatsache, dass sie am wenigsten von allen überregionalen Blättern im digitalen Zeitalter angekommen ist. Ihre Homepage ist wenig zukunftsweisend, ihre Iphone-App nicht mal Durchschnitt, Social Media scheint ein Fremdwort zu sein. In den täglichen Diskurs der digitalen Öffentlichkeit mischt sie sich so wenig ein wie „Capital“ und „Impulse“.

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Deshalb habe ich heute morgen traurig jenen Papkarton geschlossen, in dem die Erstausgabe liegt wie in einem Sarg. Dann habe ich das Andenken wieder oben verstaut, auf dem Schrank im Arbeitszimmer. Mit dem mulmigen Gefühl, dass die Schachtel im Jahr 2020 eine Erinnerung sein wird an ein qualitativ gutes Produkt, das den Sprung in die digitale Zeit verschlafen hat.


Kommentare


pyrrhussieg 22. Februar 2010 um 20:04

Tja, ein gutes Beispiel dafür, dass ein traditionsreiches und vielleicht sogar gutes englisches Blatt nicht zwangsweise auch ein gutes traditionsreiches und gutes deutsches Blatt werden muss. Mitunter hatte es der damals angreifende Lachs ohnehin nicht leicht, schließlich sind die deutschen ein eingefahrenes Publikum…

>> Liegt es am Zahn der Zeit oder war die Druckqualität der Fotos damals wirklich so schlecht?

Ich glaube es war eine beschissene Zeit für Fotos. Die Technik wurde billiger, die Laien fingen an zu fotografieren – und selbst Profis fotografierten auf einmal wie Laien.

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Jochen 23. Februar 2010 um 12:52

Das mit dem digitalen Zeitalter sehe ich anders (bin allerdings auch Leser seit der ersten Ausgabe). Kaum eine andere Zeitung bietet konsequent ein Archiv an, in dem man jeden Artikel als Abonnent kostenlos nachlesen kann und auch die komplette Seite als pdf downloadbar ist. Bei den meisten Zeitungen scheitert man meist daran, daß ein Archiv selbst für Abonnenten mehr kostet oder ein umständliches Bezahlsystem notwendig ist (z.B. FAZ mit Abomodellen, bei dem z.B. 5 Artikel/Monat frei sind). Zudem haben auch einige erst in den letzten Jahren ihre Archive ordentlich aufgerüstet, damit man sie auch nutzen kann. Die FTD hat zudem vom ersten Tag an ein epaper (für Abonnenten ebenfalls kostenlos) und haben nicht erst in den letzten Jahren ein solches eingeführt. Man kann sich sicherlich darüber streiten, daß ein pdf mit über 10MB teilweise schwer zu händeln ist. Für meinen Tablet-PC (es gab ja bereits vor 5 Jahren Tablets, auch recht leichte slate-Versionen) war das damals (da ich diesen Tablet nicht mehr in vollem Umfang nutzen kann) wunderbar.

Daher würde ich die Kritik auf Social Media und noch neuere Technologien (wie Handy-Anwendungen) begrenzen. Da scheint die FTD in der Tat hinten dran zu sein. Allerdings könnte das auch ein „allgemeines“ Problem der Wirtschaftspresse und v.a. der Leser sein, daß man von diesen Möglichkeiten immer noch nicht überzeugt sind bzw. glaubt, diese nur dann in Betracht zu ziehen, wenn es um Endkundengeschäfte geht.

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Schee Recher 23. Februar 2010 um 16:16

„Überhaupt: Headhunter. Zum ersten Mal wurden sie weiträumig eingesetzt um in der deutschen Journalistenlandschaft Personal zu akquirieren“

Ja, klar, Herr K.: Recherche heisst bei Ihnen mal wieder: Ich, ich, ich. Aber nur weil Sie bis dahin noch kein Headhunter angerufen hatte, heisst das nicht, dass diese nicht vorher weiträumig tätig gewesen wären.

Davon abgesehen: Ja, die FTD war immer ein bisschen wie das Papier, dass sie verwendete.

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Thomas Knüwer 24. Februar 2010 um 17:35

@Schee Recher: Damit meinte ich explizit den Einsatz von Headhuntern um mehr als einen REDAKTEUR zu ködern. Das hat es meines Wissens nach in Deutschland zuvor nicht gegeben. Selbst die Ansprach von Chefredakteuren via Personalberatung war vorher eher unüblich.

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Herzlichen Glückwunsch FTD zum 10-jährigen und einer faszinierenden Ausgabe « Blick Log 24. Februar 2010 um 21:49

[…] Ich jedenfalls würde mich freuen, wenn die FTD nicht erst wieder 10 Jahre bis zum nächsten “Experiment” wartet, sondern zwischendurch gern wieder eine gesellschaftliche Gruppe an das Heiligtum der Blattgestaltung ließe. Nachahmung auch für die Blattmacher der Konkurrenz in Düsseldorf unbedingt zu empfehlen. Aprops Konkurrenz aus Düsseldorf. Ex-Handelsblättler Thomas Knüwer erinnert sich an die Gründung der FTD aus Sicht der Konkurrenz in diesem Beitrag. […]

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“Financial Times Deutschland” – Chronik eines absehbaren Ablebens 23. November 2012 um 12:34

[…] 10-jährigen Geburtstag des Blattes, habe ich schon einmal darüber geschrieben. Doch wie wirkt die erste “FTD” […]

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