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Weil Stefan Raab den Grand Prix d’Eurovision nicht gewann, zimmerte er sich etwas eigenes. Ernstzunehmen war der Bundesvision Song Contest nicht – aber auch kein Grund solch eine skurile Berichterstattung abzuliefern wie es der "Stern" tat.

Ich gebe es zu: Ich lese gern den "Stern". Als Journalist muss man das "zugeben", weil es reichlich Kollegen gibt, die das Blatt eher in der Nähe von "Frau im Spiegel" sehen, denn in Richtung "Spiegel". Gern übersehen sie dabei, dass immer wieder richtig schöne Geschichten im "Stern" zu finden sind und die Kolumne von Hans-Ulrich Jörges – wie immer man ihn politisch finden mag – in ihrer Direktheit und Tiefe fast eine Alleinstellung in Deutschland hat.

Am vergangenen Donnerstag jedoch fand ich im Stern eine, sagen wir mal: merkwürdige Konstruktion. Da wurden die Ministerpräsidenten der Bundesländer gefragt, was sie von den Kandidaten halten, die für ihr Land beim Bundesvision Song Contest antreten.

Es sei angemerkt, dass es sich bei jener Veranstaltung um die neueste Marketing-Idee aus dem Hause Stefan Raab handelt: Eine Art Grand Prix d’Eurovision, der am Samstag Abend ausgetrahlt wurde. Es traten ein paar bekannt Namen an, Fettes Brot und Juli zum Beispiel, ein paar weniger Bekannte und einige, von denen man auch nie wieder etwas hören möchte. Und De Randfichten waren dabei, denen man in ihrer sympathischen Bodenständigkeit Erfolg wünscht, auch wenn man ihre Musik nicht abkann.
Ein Großteil der Show bestand dann darin, dass die überforderte Annette Frier und Stefan S. dem Publikum in irgendeiner Weise zu erklären versuchten, wie denn das "Voting", wie der am Puls der Zeit horchende Jungkölner zu einer Abstimmung sagt, funktioniert. Eigentlich war das gar nicht schwer zu begreifen, aber da es auch um kostenpflichtige SMS-Dienste ging, vermutete man wohl von Jamba-Werbespots debilisierte Viva-Zuschauer als Zielgruppe. Dass die dem Teenager-Alter längst entwachsenen Moderatoren immer wieder darauf hinwiesen, dass "das echt nicht so einfach ist", beweist für mich nur, dass die Pisa-Krise schon viel früher begann, als bisher angenommen.

Doch zurück zum "Stern", der, wir erinnern uns, die Landesväter zu den Kandidaten befragt hatte.
Die Redaktion kann nicht ernsthaft erwartet haben, dass einer der Ministerpräsidenten sich in deutschem Hiphop oder Pop so gut auskennt, als dass er eine feuilletonistische Besprechung abliefert. Politiker sind nur selten der aktuellen Jugendkultur nahe, meist ist das eine Altersfrage, oft ist sie gepaart mit Desinteresse. 
Natürlich werden solche Statements, in modernen Zeiten per E-Mail angefragt, vom Pressesprecher verfasst und vielleicht noch vom Politiker abgenickt. Und weil das so ist, klingen sie in der Regel entweder gezwungen locker oder wie Kandidaten für die Hitliste der "Langweiligsten Lexikon-Einträge des Jahrhunderts".

Und weil das so ist, würzte der "Stern" nach – und machte sich über die abgefragten Statements lustig. Sogar über die Landesväter, die nichts schrieben (schreiben ließen). Das klingt dann ungefähr so:

Roland Koch, Hessen, über Juli: "Die Band Juli steht für jung, frisch, selbstbewusst und das mit einem ganz eigenen Stil. Das passt prima zu einem modernen Land wie Hessen. Die Qualität der Gießener haben wir übrigens bereits im Jahr 2000 festgestellt und ihnen den Hessischen Rockpreis verliehen."
WIR SAGEN: Angeber!

Oder:

Peter Müller, Saarland, über Klee: Keine Stellungnahme.
WIR SAGEN: Herr Müller, Klee sind doch nett! Die tun doch keinem was. Ein, zwei Worte von Ihnen, und wieder hätten ein paar mehr Menschen gewusst,wo eigentlich das Saarland liegt. Chance vertan.

Nein, lieber "Stern": Chance genutzt. Zu solch einer merkwürdigen Berichterstattung muss man auch nichts sagen. Vielleicht hat die Redaktion ja versucht auf eine Harald-Schmidt-artige Meta-Ebene zu gelangen, auf der Raab mit seinen eigenen Mitteln des Mokierens über selbst Produziertes geschlagen werden soll.
Oder es ist ironisch gemeint und die beste Ironie ist ja nach dem dänischen Philosophen Kierkegaard die, die der Adressat nicht versteht.

Allein: Die Hoffnung ist gering. Es steht zu befürchten, dass es sich hier einfach nur um eines der Stücke handelt, wegen derer man sich als Journlist gegenüber Kollegen rechtfertigen muss, wenn man zugibt, den "Stern" zu lesen. 


Kommentare


Matthias Neugebauer 14. Februar 2005 um 12:58

Heisst die „Moderatorin“ nicht Annette Frier?

MfG

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Thomas Knüwer 14. Februar 2005 um 12:59

Ups, mein Fehler! Wird korrigiert!

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Frederic Bollhorst 17. Februar 2005 um 15:29

Mehr Mut, Thomas! Nicht rechtfertigen oder verstecken. Nimm die Doppelseite und geh damit hausieren. Was für ein pfiffiger und höchst amüsant zu lesender Ansatz, Phrasendrescherei und das Produzieren leerer Worthülsen zu karrikieren. Thematisch keine Ahnung (was man den MP nicht einmal vorwerfen kann) aber Hauptsache, keine Zeile verpassen. Nein, dem Stern ist kein Vorwurf zu machen. Im Gegenteil: großartiger Titanic-Ansatz

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Thomas Knüwer 21. Februar 2005 um 14:57

Da würde ich Dir vielleicht noch Recht geben – wenn nicht die, die sich an dem dämlichen Spiel nicht beteiligen wollen genauso runter gemacht werden. Der „Stern“ wusste von vorne herein, was rauskommen würde. Und das ist reichlich billig.

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