Wenn es darum geht, zu bekommen, was man will, ist manchem jedes Mittel recht. Sogar in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt.
Der leichte Sommerregen und die grauen Wolken, die sich vor den Fenstern der kleinen PR-Agentur vorbeischieben, legen eine Decke der Melancholie über die Mitarbeiter. Es gibt Tage, an denen sollte man früher den Arbeitstag beenden – und dies ist einer davon.
Erst recht für Senior Consultant Lars und Praktikantin Julia. Heute abend ist ein romantisches Abendessen geplant, im „Riva Gauche“, dem angesagtesten Lokal der Stadt, das von einem, dem Französischen unmächtigen Italiener geführt wird. Darf natürlich niemand wissen, in der kleinen PR-Agentur, ihre Beziehung soll geheim bleiben.
Trotzdem weiß natürlich jeder, was los ist. Erst recht die Neue, Senior Consultant Alexandra.
Die huscht gerade nochmal schnell zum Chef rein, bevor der geht. Fünf Minuten später zitiert er Lars zu sich.
„Lars: Geht um die IP-Telefonie-Firma, die wir schon seit Jahren betreuen. Sind ein Wackelkandidat, hat Alexandra gehört. Müssen was machen. Alexandra hat vorgeschlagen, das Angebot von Pressebox anzunehmen. 15 Pressemitteilungen für 99 Euro im Monat. Damit können wir unserem Kunden zeigen, was wir können.“ Er zeigt Lars die E-Mail-Werbung:
„Sehr geehrter Herr Chef,
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„Ich hab da ganz, ganz tolle Erfahrungen gemacht mit Pressebox“, zwitschert Alexandra mit ihrem leicht nasalen Unterton.
„Ähm… Wie war das noch mit Masse und Klasse?“, meldet Lars seine Bedenken an. „Sollten wir die Journalisten wirklich derartig zuhauen mit Pressemitteilungen?“
„Papperlapapp“, blafft der Chef. „Die ersten fünf müssen heute raus. Alle für unseren Wackelkandidaten.“
„HEUTE NOCH? Es ist schon vier!“, ruft Lars.
„Haben Sie sich nicht so. Alexandra hilft ihnen. Dann geht das ratzfatz.“
„Du wirst sehen, das geht ganz schnell“, schmeichelt Alexandra und ihre linke Hand streicht ganz Sanft über Lars Rücken.
16.05 Uhr: „Wo ist Julia?“, fragt Lars, als er aus dem Zimmer des Chefs kommt. Doch seine Angebetete ist schon gegangen. Sich fertig machen. Vielleicht sogar zum Friseur – denn auf ihrem Handy meldet sie sich nicht. „Frauen…“, murmelt Lars.
17.12 Uhr: Fünf Pressemitteilungen auf einen Schlag. Keine leichte Sache. Erst recht nicht, wenn es eigentlich nichts neues gibt. Die erste ist in Grundzügen fertig, noch immer ist Julia nicht erreichbar. Als kostenbewusste Studentin verzichtet sie auf eine Mailbox. Der Chef verabschiedet sich, „Hab noch nen Essen mit nem potenziellen Kunden.“
18.23 Uhr: Senior Consultant Sabine verabschiedet sich als letzte der anderen Kollegen. Die ständigen Pinkelpausen von Lars werden auffällig, aber natürlich soll auch Alexandra nichts erfahren von ihm und Julia. Die aber geht einfach nicht an ihr Handy. Pressemitteilung Nummer zwei ist aktuell zwei Zeilen lang.
19.15 Uhr: Lars ist sauer auf sich selbst, im Affekt hat er Julia schon „blöde Kuh“ genannt, weil ihr Handy noch immer nicht abgehoben wird.
19.30 Uhr: Die zweite Pressemitteilung ist fertig. Lars hinterlässt eine Nachricht im „Riva Gauche“.
20.30 Uhr: Julia sitzt weinend wieder zu Hause. Sauer auf sich selbst, weil sie ihr Handy verloren hat, sauer auf Lars, weil er angeblich noch arbeiten muss. Sie wählt seine Nummer in der kleinen PR-Agentur. „Hallo?“, haucht eine weibliche Stimme mit dem verhassten Nasalcharakter. Julia knallt den Hörer auf.
21.00 Uhr: Während Lars wieder mal eine Pause macht, schaltet Alexandra ein blaues Motorola-Handy aus und schiebt es unter Julias Tisch. Wäre nicht fair, einer armen Studentin und Ex-Praktikantin-in-spe ihr Mobiltelefon auch noch zu stehlen.
21.00 Uhr: Alexandra lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und bringt ihre Figur in Position. Ihre Beine legt sie langgestreckt auf den Schreibtisch, so dass der Rock ein wenig hochrutscht. Langsam legt sie ihren Kopf schief, blickt Lars an und haucht: „Was hältst Du von einer kleinen Pause? Ich könnte jetzt ein wenig Entspannung gebrauchen.“
Am nächsten Tag wird sie dem Chef erzählen, dass die Idee mit den fünf Pressemitteilungen auf einen Schlag doch nicht so gut war.
Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:
Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Kommentare
lhe 22. Juli 2005 um 20:38
Gestern fragte ich mich schon wie lange ich wohl auf die nächste Folge meiner Lieblings-Soap warten muss. Heute die schöne Überraschung zum Wochenende, toll. Danke 😉
Und auch noch über meinen Liebling, das Denver-Biest Alexandra. Herrlich.
Arnold 23. Juli 2005 um 14:49
Hat sich schon jemand gemeldet, der sich die Filmrechte sichern will? Das könnte eine prima Serie ergeben.
Lichtwesen 24. Juli 2005 um 22:14
Mich erinnert das Ganze irgendwie an die alte WDR-Reihe „Büro Büro“, eine böööse gemachte Persiflage auf den allgemeinen Bürobetrieb…
Bitte weiter so!
Erwin 24. Juli 2005 um 22:24
Wieso Persiflage? Das kann man heute noch in echten deutschen Firmen finden.
Lichtwesen 25. Juli 2005 um 12:27
Das habe ich auch nicht abgestritten… 😉 Einiges von dem, was hier im Blog über die kleine Agentur am Rande der Stadt berichtet wird, kann 1:1 in der Realität wiedergefunden werden. Nur – hier bei „Indiskretion“ wird es herrlich auf den Punkt gebracht.
marcc 25. Juli 2005 um 13:12
Seien wir froh, dass die Produktivität nicht noch viel höher ist. Denn ohne diesen Leerlauf känen unsere Unternehmen mit noch viel weniger Personal aus. 😉