Vielleicht müssen wir uns zurückhalten. Wir, die wir die technische Rückständigkeit deutscher Politiker anprangern. Denn ausgerechnet Barack Obama, der Volksvertreter, der es maßgeblich dem Web zu verdanken hat, dass er die US-Wahl gewann, muss sich vielleicht aus dem Netz verabschieden.
Was die „New York Times“ da über die technische Isolation des US-Präsidenten berichtet, ist so aberwitzig, als stamme die Geschichte aus Deutschland. Wenn jemand ins Gefängnis geht, dann macht er – so zumindest vermittelt es uns Hollywood – noch einmal die Runde. Verabschiedet sich von Freunden, Bekannten, Kollegen. Umarmt. Herzt. Bittet um Post.
Solch ein Gefangener ist derzeit wohl Barack Obama. Mit einem Unterschied: Er möchte keine Post. Also, keine elektronische. Die „New York Times“ erzählt in einem hübschen Stück, was ein US-Präsident erdulden muss in Sachen technische Ausstattung. 1981 nämlich wurde der Presidential Records Act eingeführt. Und bei dem wird jede Korrespondenz eines Präsidenten 12 Jahre nach Ende seiner Amtszeit veröffentlicht – auch die private.
Ergebnis: Bisher gab es noch keine e-mailenden US-Präsidenten. Es gab nicht mal ein Laptop auf dem Schreibtisch eines Präsidenten. Offiziell, zumindest. George W. Bush, berichtet die „NYT“ schrieb kurz vor der Abfahrt ins Gefäng… äh, Weiße Haus an seine Freunde:
„Since I do not want my private conversations looked at by those out to embarrass, the only course of action is not to correspond in cyberspace.“
Nun ist ja die Frage, ob ein Präsident mailen sollte angesichts der Gefahr, gehackt zu werden, die eine Sache. Aber das Abschneiden eines Entscheiders von den Informationsquellen des Internet – das ist weder zeitgemäß noch begrüßenswert.
Ob Obama sich daran machen wird, diese unzeitgemäßen Regelungen zu kippen? Und wie hätte sich Al Gore wohl verhalten, hätte er die Wahl gegen Bush gewonnen? Kürzlich konnte ich zumindest beobachten, dass Gore ein Blackberry-Heftigstnutzer ist: Selbst beim 3-Sterne-Essen und im Gespräch mit Freunden verfolgte er ständig unter dem Tisch seinen E-Mail-Eingang.
Kommentare
Avantgarde 17. November 2008 um 19:31
\“Aber das Abschneiden eines Entscheiders von den Informationsquellen des Internet – das ist weder zeitgemäß noch begrüßenswert.\“
Na aber surfen darf er schon noch, oder? Und den Blackberry kriegt eben Michelle.
Konrad Fischer 17. November 2008 um 20:08
Was ist, wenn der Obama einfach irgendein beliebiges Pseudonym bei googlemail oder yahoo oder sonstwo als Mailadresse nutzt? Bei den Untiefen des www\’s doch kein Problem, oder?
Konard Fischer
Politskeptiker
strappato 17. November 2008 um 20:08
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein US-Präsident viel Zeit zum Surfen, Chatten oder E-Mailen hat.
Konrad Fischer 17. November 2008 um 20:11
Ob er überhaupt ißt und trinkt? So ein höchstverehrter Politheiliger braucht vielleicht nicht einmal das …
Und bei passender Gelegenheit setzt dann die Stigmatisierung ein 😉
strappato 17. November 2008 um 20:17
Für die Nahrungaufnahme gibt es ja Arbeitsessen und Empfänge.
Matthias 18. November 2008 um 4:03
Herr Knüwer bringt mal wieder echt wichtige Weltprobleme und fasst diese gekonnt in BILDliche Worte.
\“Aber das Abschneiden eines Entscheiders von den Informationsquellen des Internet – das ist weder zeitgemäß noch begrüßenswert.\“
Klaro, der us-amerikanische Präsident ist personell ja recht schlecht gestellt und muss selber surfen, mailen, chatten … Wie konnten seine Vorgänger nur das Land regieren!?
derherold 18. November 2008 um 8:58
Vllt. hat Gore nur deshalb seine E-Mails verfolgt, weil ihn die täglich dreißig \“Nackte Nonnen mit Penisvergrößerung\“-Spams nervös machten. 😉
E-Mails sind toll; sich abhängig machen, ist dumm.
Sen. Consultant Lars 18. November 2008 um 9:42
Vielleicht wäre das ja ein Auftrag für die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt. Nachdem sie ja schon einige Poliker-Blogs schreibt, könnte Obama auch so seine Gemeinde erreichen…..;)
Stefan Dörr 18. November 2008 um 12:41
Na, eigentlich kann es ja nicht sein, dass der große Web-Präsident nicht mehr das Netz nutzen darf, oder? Es würde seiner gesamten bisherigen Strategie widersprechen, siehe unter anderem das hier: http://prodialog.org/content/publikationen/buecher/obama
Jörg Friedrich 18. November 2008 um 15:10
Ich frage mich vor allem, wie ein vernünftiger Mensch sich um ein Amt bewerben kann, bei dem noch zu seinen Lebzeiten seine ganze Korrespondenz incl. privater Nachrichten veröffentlicht wird. Was ist mit SMSen? Da hat Frau Merkel ja extrem Glück, dass wir nicht so ein Gesetz haben.
Sicherlich wird jeder Präsident das Problem für sich persönlich zu lösen wissen. Aber merkwürdig ist es schon, dass das freieste Land der Welt so tief in die Privatsphäre seines höchsten Repräsentanten eingreift. Und wie kann es um die Achtung der Privatsphäre anderer bei einem Menschen bestellt sein, der solche Regelungen für sich akzeptiert?
Pena 19. November 2008 um 10:20
Das freie Land ist nur frei innerhalb seiner recht streng gehandhabten Gesetze. Jeder, der die USA schon mal besucht hat, fühlt bereits schon bei der Einreise, wie unmissverständlich Gesetz und Ordnung gehandhabt werden. Menschen brauchen nun mal Grenzen, in denen sie ihre Freiheit ausleben können. Je klarer die Grenzen sind, umso klarer und undiskutierbarer der Raum, in dem Freiheit gelebt werden kann.
Clearance 21. November 2008 um 9:50
@ Jörg Friedrich:
Wieso sind die USA das freieste Land der Welt? Ein sehr freies sicher, aber nicht das freieste. Ich lebe in Hong Kong und diese Stadt ist um einiges freier als die USA. Es gibt kaum Orte auf der welt, die noch weniger Einschraenkungen machen, persoenlich wie oekonomisch. Herrlich!! Wenn sich Europa hier auch nur eine Scheibe abschneiden wuerde, waeren viele Probleme geloest.
Jörg Friedrich 21. November 2008 um 10:58
Ich bitte, die Floskel \“das freieste Land der Welt\“ in Anführungsstrichen zu lesen.