15 Jahre. So lange schon veröffentliche ich rund um den Jahreswechsel die Glaskugeligen Kaffeesatzlesereien, meine persönliche Einschätzung von Trends, die uns nicht in ferner Zukunft bewegen werden, sondern in den kommenden 12 Monaten.
Bei der ersten Ausgabe 2010 hatte ich Treffer dabei wie den Wandel der Homepage zu mehr Inhalt oder keinen Facebook-Börsengang 2010, genauso aber Fehlschläge wie das Aus für Hulu.
Mit der Beschränkung auf das kommende Jahr wollte ich mich damals bewusst limitieren. Mir gehen jene Trendvorschauen auf den Keks, die nur eine Wunschliste des Trendprognostizierenden sind. Gern werden dann Dinge behauptet, die noch lange Jahre entfernt sind, nun aber ganz schnell passieren sollen.
Obwohl ich hier langsamer sein will, war ich in den 15 Jahren häufig noch zu schnell. Es ist die größte Lehre aus den Glaskugeligen Kaffeesatzlesereien, dass progressive Menschen (und zu denen zähle ich mich) Entwicklungen zu nah sehen und ausblenden, dass andere, Menschen wie Institutionen, diese klar erkennbaren Entwicklungsstränge bremsen. Zum Beispiel sah ich 2013 und 2014 neue Nachrichtenangebote kommen – doch es brauchte noch 5 Jahre, damit zum Beispiel die Lage der Nation zu einem der wichtigsten Politikinformationsverteiler und Table Media zum Herausforderer der Hauptstadtpresse werden würden.
Was kommt: ein Trendreport
Nun hat auch kpunktnull jüngst ein Jubliäum gefeiert: Es gibt uns ebenfalls seit 15 Jahren. Und deshalb haben wir beschlossen, dass wir uns zum Geburtstag ein Experiment schenken: Wir werden in diesem Jahr, Zielkorridor ist das Frühjahr, einen Trendreport veröffentlichen, der auf die nächsten 10 Jahre blickt. Arbeitstitel: „25 Trends für 2035“.
Entstanden ist die Idee in unserer SXSW-Wohngemeinschaft mit einem Parter: Richard Gutjahr, einer der angesehensten Mulitmedia-Journalisten des Landes und ein echter Vordenker ist mit an Bord. Damit wir angegrauten, weißen Dudes aber nicht im eigenen Saft schmoren, holen wir uns Rat von den unterschiedlichsten Menschen aus der ganzen Welt in Gestalt eines Sounding Boards. Zu dem werden CEO und CMO zählen, genauso aber Professor*innen oder der Leiter eines international renommierten Museums.
Wenn Sie, liebe Lesenden zu diesem Trendreport auf dem Laufenden bleiben möchte, dann abonnieren Sie hier unsere Info-Mails. Wir versprechen: Wir werden Sie erst mit einer Mail belästigen, wenn wir Konkreteres verraten können.
Wie gut waren die Prognosen 2024?
Zur Tradition der Glaskugeligen Kaffeesatzlesereien gehört auch, dass ich nachhalte wie gut oder schlecht die Vorhersagen des Vorjahres waren. Hier sind die Wertungen der Jury aka mir:
1. Instant Reality Social Media
Ausgehend von den Turbulenzen der 9-Month-World-Cruise glaubte ich, dass auch anderswo ad-hoc Promis entstehen, die über sich entwickelnde Ereignisse berichten. Tja, passierte nicht – aber es wird eine Neuauflage der World Cruise geben.
0:1 nach Punkten
2. Messenger Marketing Boom
Ja, absolut. Allerdings wurde es auch in den Fachmedien wenig beachtet, wieviele Menschen sich via Whatsapp Informationen zukommen lassen. So zählt die Gruppe der Bundesregierung über eine halbe Million Abonnenten, DM kommt auf 1 Million, die Polizei Berlin kommt auf fast 140.000.
1:1
3. Apple Vision Pro
Heißer Scheiß sollte sie werden. Wurde sie nicht.
1:2
4. Pre-Internet-Traditionsmarken
Alte Marken erlebten auch über die bekannten Beispiele Stanley und B. Schwan ein Comeback. Zum Beispiel bei Elektroautos mit dem R5 oder der Ankündigung des Ford Capri. Im Kreuzfahrtbereich kehrte Deilmann zurück und Barbour-Jacken hatten ein sehr gutes Jahr. Nur der elektrische Opel Manta ist noch immer nicht da und ich prangere das an.
2:2
5. Threads wird Alltag, Twitter stirbt noch nicht
Totgesagte leben länger und keiner davon so lang wie Twitter. Gerade wieder mussten einige eingestehen, dass bei Krisensituationen sich nirgends Informationen so schnell verbreiten wie bei dem Dienst mit X. Auch ich bin dort noch aktiv, weil dort Menschen unterwegs sind, die ich sonst nirgends finde, zum Beispiel aus der nordamerikanischen Wissenschaft.
Threads wächst ebenfalls. Über 100 Millionen aktive Nutzer täglich zählt die Meta-Tochter. Sicher wären es noch mehr, wenn sich Meta nicht suppenkasperig weigern würde, den zentralen Nutzen eines Kurznachrichtendienstes zu negieren: die Auflistung der Tweets nach Zeit. Gibt es zwar, bleibt aber schwierig. Derweil wächst auch Bluesky, ist aber mit 3,5 Millionen täglichen Nutzern ein Winzling.
Punkt für mich: 3:2
6. Distanzierte Gesellschaft
Wir verlieren die Orte, an denen wir zusammenkommen und driften so auseinander, prognostizierte ich. Das Kinosterben ist zwar ausgeblieben, das in der Gastronomie grassierte. Zahlreichen Konferenzen geht es nicht gut, manche strichen die Segel. Und in Büros herrscht ein Kulturkampf zwischen Home Office und Office. Der Servicebereich berichtet auch von einer steigenden Zahl Unhöflichkeiten gegenüber Mitarbeitern. Und die Übergriffe gegen Rettungs- und Ordnungskräften sind nicht erst seit der jüngsten Silvesternacht unbestreitbar.
Zwischenstand: 4:2
7. Peak Onlineabos von Medienhäusern
Tja, gute Frage. Erstmal wissen wir ja erst dieses Jahr der Höhepunkt erreicht wurde. Andererseits: Wie sollten wir es erfahren? Vernünftige Zahlen gibt es kaum noch, jüngst verließen etliche große Häuser die IVW. Was wir aber sehen: Wer noch den vollen Zahl eines Onlineabos zahlt, ist selbst schuld. Lockangebote gibt es überall, wer nach Ablauf des rabattierten Zeitraums kündigt, bekommt eine neue Billigangebote. .
Einen halben Punkt würde ich mir zugestehen: 4,5:2,5
8. CRISPR wird Schwurblers Liebling
Nope.
4,5:3,5
9. GenAI tritt auf die Bremse
Ich zitiere mich mal: „2024 werden wir deshalb hektische Finanzierungsrunden und ein erstes Aussieben der Anbieter sehen. Ein GenAI-Startup zu sein, muss man sich ab einer gewissen Größe leisten können. Das neue Jahr wird die KI-Euphorie signifikant abbremsen.“
Ja, diese massive Verlangsamung bei Generativer KI war absehbar und Luftnummern wie Aleph Alpha sind ihr Ausdruck. Und wer glaubt, dass es nun wieder aufwärts geht, hat sich nicht damit beschäftigt, wie diese Technologie funktioniert.
5,5:3,5
10. Branchenvokabel des Jahres: Augmentation
Nach Erwähnung in den Glaskugeligen Kaffeesatzlesereien hat man von diesem Begriff nie wieder gehört.
5,5:4,5
11. Überhastete KI-Investitionen
Vollmundige Ankündigungen von KI-Projekten gab es reichlich: SAP, das Finanzamt Kassel, die Hamburger Hochbahn, die Deutsche Telekom und viele mehr verkündeten den Einsatz Künstlicher Intelligenz.
Von wie vielen dieser Projekte wir nichts mehr hören werden, lässt sich aber erst in einigen Jahren sagen.
Halber Punkt, finde ich: 6:5
12. AI Engine Optimization
Eines dieser Themen wegen der ich auch mal in längeren Zeitläuften denken möchte. Denn ich lag daneben. Ich bin aber absolut davon überzeugt, dass die Optimierung von Unternehmenscontent für Large Language Models kommen wird. Es wird hart, anstrengend und teuer – aber es wird sichtbare Ergebnisse erzeugen. Und wer zuerst damit anfängt, wir am meisten profitieren. Weshalb wir bei kpunktnull auch ein entsprechendes Angebot für unsere Kunden vorbereiten.
6:6
13. Renaissance des Surrealismus
Den Punkt würde ich mir geben. Weltweit gab es Ausstellungen und Auktionen, GenAI-Optiken lieferten reichlich surrealistische Schmuckbilder.
7:6 – das war schon mal besser, ist aber als Ergebnis noch irgendwie hinnehmbar.
Womit wir zum frisch angebrochenen Jahr kommen – Vorhang auf für…
Die Glaskugeligen Kaffeesatzlesereien 2025
Es wird ein graues Jahr. Ein dunkelgraues. Die westliche Welt steckt in einer Wirtschaftskrise und ihre überalterte Gesellschaft klammert sich an Lösungen, die nicht hilfreich sind, wenn technologischer Wandel im Gange ist – und noch dazu mehr Veränderung nötig wäre. Die Menschen sind wie Schiffbrüchige, die sich an eine Planke klammern und eine rettende Insel vor sich sehen. Doch sie wagen nicht rüberzuschwimmen aus Angst, vor Anstrengung und dem Scheitern an der Strecke. Stattdessen hoffen sie, dass irgendwoher ein Schiff oder ein Hubschrauber kommt und sie rausfischt, auch wenn keiner in Sicht ist.
Das Einknicken von Mark Zuckerberg vor Donald Trump in Sachen Content-Moderation ist der Vorbote einer Zeit, in der Oligarchen (nicht, nicht die russischen) einen Klassenkampf von oben führen. Die Masse der Menschen soll gegeneinander aufgehetzt werden und sich deshalb nach den Vätern sehnen, die angeblich Ruhe bringen – in Gestalt einer Quasi-Diktatur.
Erst Ansätze sehen wir: Viele in vielen Ländern glauben, dass neue Regierungen einen psychologischen Schub bringen. Ich habe Zweifel, zumindest wenn es um Deutschland geht.
Hinrarmer Wahlkampf ohne schnelle Regierungsbildung
Der Wahlkampf droht zur intellektuellen Beleidigung der politisch interessierten Minderheit zu werden. Nicht finanzierbare Versprechen kreisen jetzt schon in Rudeln durch Mediendeutschland, genauso eine Wortwahl, die auf Schulhöfen zu nasenblutenden Keilereien führen würden.
Klar ist aber schon jetzt, dass es eine irgendwie geartete Koalition geben muss, mutmaßlich unter Führung eines Kanzlers Merz. Die persönlichen Anfeindungen einzelner Spitzenpolitiker werden aber eine schnelle Einigung in Verbindung mit dem Kampf um knappe Mittel verhindern. Rache ist eine Speise, die auch in der Politik kalt serviert wird, weshalb der persönliche Angriff auf Person X bei Anne Will zwei Monate später dazu führt, dass X keine Lust hat, dem Beleidiger seine Forderung im Koalitionsvertrag zuzugestehen.
Am Ende könnte Merz vor einem Scherbenhaufen stehen, der sich so wie in Österreich nur mit einer Koalition mit der AFD zumindest temporär kitten lässt. Eine Minderheitenregierung unter Duldung der AFD könnte auch ein Thema werden, genauso aber Neuwahlen.
Selbst das würde den Stillstand nicht auflösen. Denn die wichtigsten Vorhaben müssten durch den Bundesrat und dessen Konstruktion führt dazu, dass bei einem derart angespannten Klima nur eine Koalition aus CDU/CSU, SPD UND Grünen eine Chance hat, Dinge zu bewegen.
Fazit: Die Hoffnung auf eine schnelle Neuordnung der politischen Verhältnisse wird sich nicht erfüllen.
Das Patriarchat schlägt zurück
Dieses dickärschige Rumgetue, dass wir bei vielen männlichen Politikern sehen ist Ausdruck eines größeren Trends: der Rückkehr patriarchalen Verhaltens.
Wenn Christian Lindner auf dem FDP-Parteitag von sich behauptet, er sei das größte Feindbild rot-grüner Wähler, hat das natürlich was von dem überdurchschnittlich Angetrunkenen, der als nächstes brüllt „Und die sollen mal kommen, dann gibs was auffe Fresse!“ Er müsste sich ja nicht so positionieren, aber er weiß, dass dieses Gorillabrustgetrommele in die Zeit passt.
Eigentlich war dieses männliche Gehabe auf dem absteigenden Ast, doch dieser Abstieg ist vorbei.
So akzeptiert die Gesellschaft Unternehmen, in denen die sexuelle Übergriffe halt passieren, wie bei Axel Springer oder SAP. )SAP? Ja, die Bloomberg-Story ist noch nicht mal groß aufgegriffen worden.) Folgerichtig erscheint bei Axel Springer der Gastkommentar von einem rechtsradikalen Verschwörungstheoretiker, dessen Wortwahl Ausdruck seiner psychischen Krankheit ist – Elon Musk. Und zahlreiche Konservative tun so, als sei dies ein Meinungsäußerer wie jeder andere. Auch Donald Trump wird im medialen Raum weniger aggressiv angegangen als bei seiner ersten Präsidentschaft.
Das paart sich mit dem, was in der Gesellschaft passiert:
- Getunte Autos als männliches Statussymbol führen zu massiven Polizeieinsätzen.
- Sicherheitskräfte werden nicht mehr respektiert, sondern körperlich attackiert, teilweise sogar in Fallen gelockt.
- Extremsportarten werden noch extremer.
- Im Social Web machen sich „Coaches“ breit, die explizit frauenfeindliches Verhalten trainieren wollen.
- Dienstleister berichten von Kunden mit hohem Anspruchsdenken und unflätiger Wortwahl.
All dies sind klassisch männliche Verhaltensweisen, die in den vergangenen Jahren häufig auf Widerstand stießen. Doch wenn Musk oder Trump als hinnehmbar gelten, erleben wir das Overton-Window in der Sozialnorm-Version.
Diese aus dem konservativen Umfeld kommende Kommunikationstheorie besagt, dass man Veränderungen nicht erreicht, wenn man sie Babyschritt für Babyschritt angeht. Man muss etwas völlig Absurdes in den Raum werfen, dann erscheint eine radikale Forderung dagegen normaler (mehr dazu habe ich mal hier aufgeschrieben). Das dürfte auch hinter dem Ansinnen Trumps in Richtung Social Media stehen: Wenn auf Instagram, X oder Facebook der Mob wütet, wirkt sogar Donald Trump wie ein Ruhepol.
Unterstützend wirkt, dass auch anderswo männliche Klischees gefeiert werden – zum Beispiel beim Revival des Country, auch wenn dieses maßgeblich durch Beyoncé ausgelöst wurde. Genauso bei einem Körperkult, der mit Pülverchen aufgeplusterte Muskeln feiert. Die Kraftmeierei sorgt dann für ein Unangreifbarkeitsgefühl bei den Proteingestärkten.
Das wird Folgen für die Marketingkommunikation haben. Man kann diese Entwicklung unschön oder toll finden – aber Unternehmen werden sie ausnutzen, wenn sie zur Marke passen.
Ein erstes Beispiel ist der neue Spot für Dollar Shave Club. Der Rasierer-Abo-Anbieter war von Unilever übernommen worden, die aber nichts damit anzufangen wussten. Nun sind sie danke Private Equity-Geld wieder selbständig und feiern in einem Spot pure Männlichkeit in einem von Fragen befreiten Ambiente, die sich für nichts schämen muss:
2024 werden wir eine zunehmend aggressive Verhaltensweise gerade bei Männern in allen Schichten sehen. Diese Verhaltensweise wird aber nicht genügend zurückgedrängt, sondern hingenommen werden. Und auch die Marketingkommunikation wird härter und männlicher werden.
Kryptobros in high places
Kryptowährungen sind Schneeballsysteme. Weshalb jene profitieren, die zuerst drin und zuerst wieder raus sind. Keinesfalls aber sollte man sie als ansatzweise seriöse Anlage betrachten und keinesfalls als Staatsanlage.
Leider aber hat die Szene der Crypto Bros nun zwei Kumpel an gehobener Stelle: Elon Musk und Donald Trump. Und mit Christian Lindner robbte sich jüngst der erste deusche Volksvertreter an das Thema heran.
2025 werden wir mehr über das Ernstnehmen von Kryptowährung diskutieren, als es dem Thema zusteht. Und natürlich: Ein Staatsreserve in Bitcoin wäre eine Katastrophe.
Erstes E-Auto unter 30.000 Euro
E-Autos sind die Individualfortbewegung der Zukunft. Keine Innovation aber beginnt in der Breite, um sie zu finanzieren beginnt man mit niedrigen Stückzahlen und hohen Margen.
Das ist bei E-Autos nicht anders gewesen. Erst recht, weil das physische Volumen der Batterien Kleinwagen mit akzeptabler Reichweite schwierig machte.
Stück für Stück ändert sich das. Auch durch politischen Druck aber gibt es nun eine Latte, die es zu unterfahren gilt: 30.000 Euro.
2025 wird es in Deutschland das erste massenmarkttaugliche E-Auto für unter 30.000 Euro geben. Massenmarkttauglich für Europa heißt aber auch: Es wird eher keine chinesische Marke sein, sondern eine europäische – aber keine deutsche.
Kleine Fluchten
Wir Menschen wollen dem Negativen entfliehen. Das zeigt sich auch daran, dass Aktienbesitzer seltener auf die Kurse schauen, wenn die Börse auf dem absteigenden Ast ist.
Negatives gibt es derzeit genug und so steigt die Sehnsucht, dem zu entkommen. Nur: Die verfügbaren finanziellen Mittel sind in einer Wirtschaftskrise halt begrenzt. Erste Folgen sehen wir derzeit bei steigenden Urlaubsbuchungen für touristische Ziele im mittleren und niedrigen Segment – Griechenland ist das neue Thailand.
Deshalb werden kleine Fluchten aus dem Alltag in diesem Jahr florieren. Dazu gehört zum Beispiel der Besuch von Live-Sport. Bei Fußballfans sind die „Eventies“, also Besucher, die nur zu großen Spielen kommen, ein Feindbild. Sie werden damit leben müssen: Menschen brauchen solche Momente, selbst wenn sie nicht jede Woche stattfinden. Deshalb werden Spiele im Frauenfußball in großen Stadien weiter ein Erfolg bleiben, die DEL sollte am besten jedes Jahr ein Wintergame im Stadion ausrichten (derzeit findet es nur alle zwei Jahre statt) und American Football wird weiter florieren. Doch auch neue Ligen werden entstehen. In Deutschland gibt es Versionen mit fragwürdigem Hallenfußball, gespielt von Ex-Stars, Halbamateuren und Influencern, in den USA wird sogar Rodeo zur Liga.
Andere Branchen verändern sich ebenfalls in Richtung kleine Fluchten: Die Gastronomie wird noch mehr Events ausrichten, sei es Four-Hands-Dinner mit Gastköchen, Küchenpartys oder temporäre Veranstaltungen mit imersiven Inszenierungen. Museen werden ungewöhnliche Events inszenieren wie das Palastblühen im Düsseldorfer Kunstpalast, für das Floristen die Ausstellung beschmücken.
Endverbrauchermarken sollten deshalb ebenfalls physische Events planen, vom Popup-Store über die Veranstaltungsserie bis zu Sport- und Festivalbeteiligungen mit individuellem Anstrich – einfach nur Karten verlosen kann jeder.
In der grauen Grundstimmung des Jahres 2025 hat alles eine Chance, was Ablenkung verspricht: Die Gastronomie wird eventiger, Sport wird in seiner Bedeutung noch steigen und Marken werden auf Popup-Veranstaltungen in der phyischen Welt setzen.
TikTok-Marketing-Cringe
TikTok bleibt das boomende Social Network. Die Wahrscheinlichkeit eines Verbots dürfte unter Trump eher gesunken sein.
Die Bedeutung von TIkTok bemerken auch marketingtreibende Unternehmen, viele wagen derzeit erste Schritte. Leider aber finden diese ersten Schritte in einem gewissen Clusterfuck statt.
- TikTok erfordert mehr Kreativität, mehr Einsatz, mehr Zeit, mehr Ressourcen. Die aber sind knapp in einer Wirtschaftskrise.
- Durch eine Überbetonung von Werbeschaltungen glauben viele Marken, Kreation sei zweitrangig – bei TikTok aber ist sie die Bedingung, ohne die nichts geht.
- Aus einer gewissen Ignoranz gegenüber Kreativität haben viele Marken ihre Agenturen abgeschaltet und arbeiten mit inhäusigen Teams. Die bekommen nun TikTok dazu und sind ideenlos
Wir werden deshalb in diesem Jahr verstärkte Markenaktivitäten auf TikTok sehen – sehr viele davon aber werden ignoriert oder als Fremdschämmaterial geteilt werden. Denn sehr häufig werden Praktikanten, Junioren oder Auszubildende vor der Kamera stehen und vor sich hindilettieren.
Techmedien-Liebling: Humanoide Roboter
Seit sicher 25 Jahren schafft er es auf jeder Ifa und jeder CES in den Presseberichte: der Kühlschrank mit Internetanschluss, der automatisch Produkte nachbestellt, wenn sie ausgehen. Hat er den Massenmarkt? Natürlich nicht.
Doch seine Tage sind gezählt, es gibt eine neue PR-Maßnahme für Techunternehmen: den humanoiden Roboter – allerdings hat er mehr Potential als der Netz-Kühlschrank.
Hinter seiner Idee stecken zwei gute Gedanken:
In Fabriken gibt es niedere Arbeiten, die noch von Menschen erledigt werden, wie das Transportieren eines Zwischenproduktes von einer Maschine zur nächsten Fertigungsstufe – hier wären Roboter ein effizienter Ersatz. Und im Privaten haben sich kleinere Roboter wie jene, die saugen erstaunlich schnell verbreitet. Warum also nicht mehr anbieten?
Beide Versionen gehen von einer unbestreitbaren Grundlage aus: Unsere Umwelt ist für Menschen optimiert. Möchte ich also unsere bestehende Welt weiter automatisieren, müssten Roboter Menschen ähneln, sollen sie mehr sein als Spezialisten. Ob das auf Dauer so bleibt? Mehr dazu in einem gewissen Trendreport *Zwinkersmiley*.
Und weil Roboter immer so toll nach Zukunft aussehen, werden zahlreiche Elektrounternehmen Prototypen präsentieren. Die werden allerdings deftig teuer. Auf der Fachmesse CES präsentierte OpenDroids zum Beispiel gerade einen Haushaltsroboter zum Preis von 55.000 Dollar.
Das Bild des R2D3, der heißt wirklich so, zeigt aber schon ein Problem: Die Dinger werden nicht nur teuer, man braucht auch irgendwo einen Raum, um sie bei Nichtbenutzung zu parken. Freunde von Design werden sich also vielleicht einen weißen Riesensarg irgendwo hinstellen.
2025 werden wir zahlreiche Humanoide Roboter kennenlernen, keiner von ihnen wird aber bei uns einziehen oder zum Kollegen werden. Irgendwann könnte sich das ändern.
GenAI-Stagnation
Das wird kein schönes Jahr für Generative KI. All die Limitationen, die schon vor einem Jahr offensichtlich waren, haben sich nicht erledigt. Deshalb haben sich die Anbieter schon im vergangenen Jahr auf kleinere Modelle konzentriert und das schöngeredet.
2025 werden wir keine spektakulären GenAI-Neuerungen erleben. Es wird auch kein ChatGPT 5 geben, das den Namen verdient hätte. Vielmehr rudert Sam Altman gerade in die Richtung einer neuen Benamung, damit nicht alle auf die nächste, große Zahl schielen und OpenAI verstecken kann, dass auch ihre Innovationsgeschwindigkeit signifikant langsamer geworden ist.
Kommendes Jahr wird ein weiteres Jahr der Stagnation für GenAI werden. Je länger diese andauert, desto lauter werden die Fragen nach der Wirtschaftlichkeit der Modelle durch die Medien schallen. Dies wird dann Investoren dazu verleiten, Druck auf die KI-Unternehmen auszuüben. Am Ende könnten schon Ende 2025 die ersten Zusammenschlüsse oder Unternehmensaufgaben stehen.
KI-Agenten: Vide Sciurus
Hätte die Generative KI-Branche ein Wappen, so wäre der Leitspruch unter einem surreal wirkenden Wappen: „Vide Sciurus“, übersetzt: „Guck mal, ein Eichhörnchen!“
Denn GenAI braucht Geld. Viel, viel Geld. Nachrichten über Rückschläge oder eine verlangsamte Entwicklungsgeschwindigkeit sind aber nicht gut für die Investorensuche. Weshalb die Branche ständig neue Ablenkungen erfindet, damit nicht so viele Menschen merken, dass derzeit keine großen Sprünge im Bereich LLM möglich sind und Bildgenerierung ebenfalls spektakulär teuer ist.
Erst wurde das G-Hörnchen zur Hilfe gerufen: Eine Generelle Künstliche Intelligenz sollte Krebs heilen, Familien an Weihnachten zusammenführen, Bielefeld zur einer real existierenden Stadt machen und danach die Welt zerstören. Wie das gehen soll, wenn LLM nicht mal verstehen, was korrekt ist? Bitte nicht so viele Details.
Dann durfte das K-Hörnchen in die Arena: „Kleinen“ Modelle sollten angeblich besser argumentieren können – was sich eher als PR-Nummer erwies.
Neues Jahr, neues Hörnchen: 2025 ist das Jahr des A-Hörnchens, wobei sein erster Buchstabe für „Agentisch“ steht. Neu verklappt wird hier ein ohne Frage spannendes und wichtiges Denkkonstrukt, das der Large Action Models, die nicht Inhalte generieren, sondern Handlungen ausführen. Sie sind im Grunde das, was Siri oder Alexa gerne sein würden: über Sprache oder Gesten steuerbare Assistenten.
Klingt ja toll, wird in der Praxis aber noch lang auf sich warten lassen. Denn nötig wären ja nicht nur Schnittstellen, die derzeit nicht existieren, sondern sogar standardisierte Schnittstellen. Und dann müssten im Unternehmensumfeld IT-Admins es schnafte finden, dass die Computer ihres Aufgabengebietes von Bots angesteuert werden. Sie werden dieser Idee so offen gegenüberstehen wie Veganer einem Steak. Bis dahin darf man streiten, ob ein solcher Agent, der nur in der Microsoft Office-Welt agiert, wirklich die Bezeichnung Agent verdient, oder ob er nicht einfach eine Feature der Software ist.
Medien: Konzentration, Preiskampf und ein sinkendes Schiff
Für klassische Medien wird das kein schönes Jahr. Eigentlich müsste das anders sein, denn Wahljahre sind Zeiten, in denen die Menschen ein gehobenes Informationbedürfnis verspüren und deshalb Abos abschließen.
Allerdings wird die schlechte Wirtschaftslage die Anzeigenbuchungen nach unten bringen. Das wird zur Folge haben, dass man die Vertriebsmaßnahmen im Abo-Bereich verstärkt. Weil das aber alle tun, werden wir einen noch härteren Preiskampf erleben, als jetzt schon. Um die Absurdität nur mal aufzuzeigen: Ich lese gerade zum zweiten Mal hintereinander die Onlineausgabe der „Rheinischen Post“ für 1 Euro – nicht pro Monat, sondern insgesamt für das halbe Jahr. Da kann man es auch irgendwie ganz sein lassen.
Die miese Lage wird sich in Konzentrationsprozessen niederschlagen, vor allem im Lokalmedienbereich wird die Zahl der Verlage sinken.
Aber auch anderswo wird es spannend: Bei Gabor Steingarts Media Pioneer. Seit Anfang 2024, berichtete einst Medieninsider, läuft eine Option des Axel Springer-Verlags, die Mehrheit beim schiffsbasierten Medienhaus zu übernehmen, das genauso viel über Korrektheit weiß, wie ChatGPT. Bis Ende 2025 könnten die aktuellen Gesellschafter noch einer solchen Übernahme widersprechen – ab Ende 25 könnte Springer einfach zuschlagen.
Aber würde Springer das noch wollen? Der Konzern selbst fährt Sparrunden und entlässt Leute. Media Pioneer hat noch keinen Gewinn vorzeigen können (die 2023er Bilanz wurde bislang nicht veröffentlicht) und fuhr zwischen 2019 und 2022 18,8 Millionen Euro Verlust ein. In der 22er Bilanz besteht die Passivseite vor allem aus Verbindlichkeiten von über 9 Millionen.
Das Medienjahr 2025 wird geprägt durch Übernahmen, einen Preiskampf bei Digitalabos – und eine Bettelaktion von Gabor Steingart, weil Axel Springer nicht weiter investieren will. Bleibt diese Aktion erfolglos, wird Media Pioneer im Laufe des Jahres 2026 zur Medien-Titanic.
Das also sind sie die Glaskugeligen Kaffeesatzlesereien. Wie in jedem Jahr freue ich mich über Lob, Kritik und kreative Beschimpfungen in den Kommentaren.
Kommentare
Alexander Labinsky 8. Januar 2025 um 12:50
"Die Menschen sind wie Schiffbrüchige, die sich an eine Planke klammern und eine rettende Insel vor sich sehen. Doch sie wagen nicht rüberzuschwimmen aus Angst, vor Anstrengung und dem Scheitern an der Strecke. Stattdessen hoffen sie, dass irgendwoher ein Schiff oder ein Hubschrauber kommt und sie rausfischt, auch wenn keiner in Sicht ist."
Präziser habe ich die aktuelle Situation in Deutschland noch nicht zusammengefasst gesehen. Chapeau! Was mir allerdings zu denken gibt: In den letzten Jahren haben sich Ihre eigentlich eher optimistische und meine eher pessimistische Weltsicht immer mehr angeglichen. Da ich Sie für einen durchaus reflektierten und verständigen Denker halte, den man ernstnehmen muss*, wäre es mir in der Tat lieber, der Pessismus bliebe mir vorbehalten. Auf Alpha-Männlichkeit und eine neue in gegenseitiger Verachtung gegründete Koalition inklusive Crypto Bros könnte ich dann durchaus verzichten.
* Ich erinnere mich an mindestens einen Fall (Ihre Argumente gegen das Home Office), wo ich Ihre Argumentation als hanebüchenes Geseiere abgetan habe, um mir zwei Jahre später eingestehen zu müssen, dass sie wohl einfach etwas weitsichtiger als ich waren…
Gilbert Schwartmann 8. Januar 2025 um 14:50
Spannend – nächstes Jahr wissen wir mehr 🙂 Gerade jetzt zu Anfang des Jahres hätte ich auch Fragen an die Glaskugel:
1. Werden soziale Medien ohne Hemmungen mehr denn je zu Orten des Hasses und der Ausgrenzung – und was macht das mit der (angenommenen) Mehrheit der Nutzer, die das nicht will?
2. Angesichts weiterhin knapper Kassen kommt es zu einer Neuordnung der Unternehmen. Jede Branche. Wer zu lange bei Effizienz, Profitabilität, Kundenbindung und vor allem Digitalisierung geschlampert hat, wird nicht nur Probleme bekommen (die sind schon da), sondern endgültig in Richtung Überlebenskampf abbiegen. Doch wird es eine große Mehrheit der Unternehmen schaffen, auf moderne und digital getriebene Stile und Methoden umzuschwenken?
3. Der Klimawandel wird auch 2025 nicht aufhören und uns wahrscheinlich wieder mit eigentlich vorhersehbaren, aber im Detail dann doch überraschenden Ereignissen auf Trab halten. Wie wird die Reaktion sein?
Thomas Knüwer 9. Januar 2025 um 9:26
Ich versuche mal Antworten:
1. Die Frage impliziert die Antwort. Aus meiner Sicht wird das Thema Meta-Fact-Checking überhyped und wieder mal denken selbst wirklich intelligente Menschen zu wenig darüber nach. Denn die Prämisse ihrer Äußerungen ist ja, dass dieses Fact Checking funktioniert haben. Nur: Hat es nicht. Deshalb wird sich ziemlich wenig ändern, was auch bedeutet, es gibt rechte Idioten, linke Idioten und jede Menge einigermaße normaler Menschen. Und auch weiterhin gilt, was schon immer galt: Die überwältigende Menge der Äußerungen im Social Web sind positiv oder neutral.
2. Ich schaue ja nur auf das nächste Jahr. Und da sehe ich solch starke Rückschläge nicht. Ich sehe auch Unternehmen, die längst digital sind, über die aber niemand berichtet, weil weder Blog noch Pressesprecher haben. Gerade haben wir für einen Maschinenbauer begonnen zu arbeiten, bei dem die Fernkontrolle seiner Maschinen, die auf dem gesamten Globus verkauft werden, Alltag ist. Dass man dies als positive Story verkaufen könnte, darauf ist die Geschäftsführung gar nicht gekommen.
3. Ich finde, gerade in Deutschland sind wir überpessemistisch. Weltweit tun sich spannende, positive Dinge. Während aber der von mir sehr vereehrte "Economist" einen ganzen Extrateil zum Siegeszug der Solarenergie in China und Afrika macht, verbunden mit einer Debatte, ob diese zu einer globalpolitischen Verschiebung der Machtverhältnisse führt, ergehen sich deutsche Medien halt in fein ziselierten Ergüssen über die Gefahren von Wärmepumpen.