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Seit rund einem Jahr fahre ich jetzt elektrisch – und mein Mercedes EQE hat mein Leben verändert. Klingt boulevardesk überzogen, ist aber so.

Denn lange Autofahrten habe ich nie gemocht, besser: Ich habe sie gehasst. Das liegt an meinem eher großen Körperbau mit der Neigung zur Verspannung. Trotz Fahrerwechsel alle zwei bis drei Stunden passierte es mal, dass ich nach der Ankunft in einem Ferienziel für zwei Tage mit Migräne raus war.

All das ist heute anders. Ich habe keine Probleme, selbst weite Strecken allein zu bewältigen. Und überhaupt hat mir kein Auto mehr so viel Spaß gemacht, seit ich mir vor über 20 Jahren einen SLK (also ein Zweisitzer-Cabro) gegönnt habe. Und dabei spare ich im Jahr ungefähr 2.000 Euro gegenüber dem Vorgänger, einem C-Klasse-Cabrio.

Sprich: Ich möchte nie wieder ein Auto mit Verbrennungsmotor.

Nun sind Elektroautos ein derzeit hoch aufgeladenes Thema, das auch im privaten Umfeld ungefragt diskutiert wird. Selten wurde ich in meinem Leben so oft auf mein Auto angesprochen wie in den vergangenen 15 Monaten. Die Fragen sind fast immer gleich: Wie kommst Du denn mit dem Laden klar, was machst Du im Ausland oder auf dem deutschen Land? Meine Antwort ist sehr simpel: Ich lass mir eine Ladestation anzeigen, fahre hin und lade.

Diese lapidare Antwort Antwort sorgt beim Zuhörenden oft für Verwunderung, was mich wiederum verwundert. Meist stellt sich heraus: Die Fragenden haben sich noch nie ernsthaft mit dem Thema beschäftigt – aber ganz viel in Medien oder im Social Web gelesen.

Weshalb ich seit geraumer Zeit über die Frage grübele: Wie schaffen wir als Gesellschaft und wie schaffen die Autohersteller es, dass mehr Menschen Elektroautos kaufen?

Elektroautos: in jedem Punkt überlegen

Argumente für E-Autos gibt es genug. Mehr noch: Es gibt kaum Argumente gegen sie im direkten Vergleich mit Verbrennern.

  • E-Autos beschleunigen schneller.
  • E-Autos haben vergleichbare Höchstgeschwindigkeiten.
  • E-Autos sparen Geld (Strom günstiger als Brennstoff, derzeit Wegfall der KfZ-Steuer, signifikant seltenere Werkstattbesuche, weniger Verschleiß, Parken mit Laden oft kostenlos, in fortschrittlichen Städten wie Hamburg ist sogar das Parken auf der Straße frei).
  • E-Autos sind unanstrengender aufgrund von weniger Lärm und tendenziell mehr Assistenzsystemen.
  • E-Auto-Fahrer sind netter. Wer das nicht glaubt, leiht sich einen Stromer aus und stellt sich an der Autobahn an einen Schnelllader – man ist überrascht, wie entspannt und leutselig Deutsche sein können, die sich auf E-Autos geeinigt haben.

Und die Reichweite?

Liegt bei meinem Fahrzeug zwischen 310 und 550 Kilometern. Dazu muss ich ergänzen, dass ich Freund eines optimistischen Fahrstils bin, sprich: Ich liebe es, schnell zu fahren, dort wo es möglich ist – zu diesem Thema später mehr. In Deutschland ist eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 100 bis 120km/h realistisch, somit könnte ich rund vier Stunden ohne Pause fahren.

Wie oft fahren wie viele Menschen signifikant mehr als vier Stunden ohne Pause? Wer allein unterwegs ist, sollte das aus Ermüdungsgründen erstmal nicht tun. Natürlich gibt es Berufsgruppen, bei denen lange Strecken Alltag sind: Außendienstmitarbeiter, Politiker, Sportjournalisten, ich kenne auch einen Architekten, der immense Touren abreißt, weil er für die Betreiber von Tankstellen und Parkhäusern tätig ist. Insgesamt jedoch sind dies Berufsbilder, die sich nicht im Wachstum befinden.

Bleibt noch der Urlaub. Wer Kinder hat, wird es kaum schaffen, fünf Stunden ohne Pause durchzufahren. Somit bleiben noch alleinstehende Paare mit exzellent funktionierender Blase.

Das verleitet mich zu der gar nicht steilen These, dass für den weitesten Teil der Menschen in Deutschland Tankreichweite kein relevanter Faktor ist. Er wird dadurch bestärkt, dass anekdotisch gefragt viele Autobesitzer gar nicht sagen können, wie hoch die Reichweite ihres Verbrenners ist.

All dies zusammengenommen sind E-Autos unausweichlich, oder auf Englisch formuliert: „Inevitable“. So heißt auch das Buch von Mike Collias, dem Auto-Branchenreporters des „Wall Street Journal“, einer Publikation, der links-grüne Tendenzen einigermaßen fremd sind.

Das Versagen der Autohersteller

Hier beginnt meine Verärgerung über die Autoindustrie und ihre Marketing-Dienstleister. Es ist ja originäre Aufgabe der Marketingkommunikation, Kaufhindernisse in den Köpfen der Menschen zu beseitigen.

Im Fall von Elektroautos versagt das Marketing aber sogar noch früher: Die Hersteller liefern nicht mal Gründe dafür, auf Stromantrieb umzusteigen.

Überhaupt: Wann ist es passiert, dass Automarketing sich vollkommen verabschiedet hat von irgendeiner anderen Form der Aussage, als Ausstattung, Verbrauch und Preis? Wer über die Homepages der Hersteller surft, ist erschüttert: kalt fotografierte Modelle, versehen mit nicht erklärten Leistungsmerkmalen und austauschbarem Text. Egal ob VW, BMW, Audi, Mercedes oder Opel: Niemand täuscht auch nur einen Hauch von Motivation vor, den Kunden von seiner Marke und seinen Produkten überzeugen zu wollen.

Nehmen wir den VW T-Cross (kein Elektroauto aber ein schönes Beispiel für das Versagen des Auto-Marketings). Die Produktseite enthält kein einziges Verkaufsargument, sondern listet nur in einem egalig formulierten Text Produktmerkmale auf – und selbst für diese Worthülsen muss man klicken.

Die Seite is so schlecht konzipiert, dass VW sich die Top-Position bei Google mit Werbung erkaufen muss, weil die Site organisch nur auf Suchplatz 4 landet – ein Armutszeugnis.

Und können wir mal über den Text reden? Dieses Auto „erfüllt“ die Anforderungen? Früher wollte VW solche „Anforderungen“ (was ja eigentlich Wünsche, Träume oder das, was man will ist) übertreffen.

Noch schlimmer textet nur Opel:

Wer hat das verfasst? Ein Drittklässler?

Durch die Bank benehmen sich die Autohersteller wie ein Kellner, der auf die Frage, ob man eher die Kohlroulade oder die Königsberger Klopse wählen sollte, antwortet: „Das müssen sie schon wissen.“

Womit wir bei der Kommunikation für E-Autos wären – die unterscheidet sich nicht mal minimalst vom Marketing für die Verbrennungsbrüder und -schwestern.

Der E-Antrieb ist kein Argument, er ist ein Kollateralschaden, über den die Kommunikation schamhaft hinweggleitet wie die Familie zu Weihnachten über den peinlichen Onkel.

Das Problem: Disruption

Natürlich verstehe ich das Grundproblem der Autoindustrie: Sie befindet sich in einer Disruptionssituation. Disruption ist nicht irgendwas Neues, sondern eine vom Management-Professor Clayton Christensen formulierte, empirische Beobachtung. Sie besagt, dass in einem fest gefügten Markt disruptive Innovationen auftauchen können, die zunächst von den großen Marktteilnehmern unterschätzt werden. Denn diese Innovationen und ihre Produzenten sind klein. Doch aus Sicht der Verbraucher haben sie mindestens einen Punkt – und sei es die Kommunikation – der sie aus Sicht der Käufer besser macht als die Angebote der Platzhirsche.

Letztere erkennen das aber zu spät. Dann nämlich, da die wenigen Prozente Marktanteil der Neulinge wachsen und sie wenige Prozente Umsatz kosten. Wenige Prozente Umsatz bedeuten bei einem unflexiblen Großunternehmen Kürzungsmaßnahmen, was das Angebot noch unattraktiver macht und zu einem weiteren Abschwung führt. Irgendwann ist der dann nicht mehr aufhaltbar.

Die Autohersteller erleben durch E-Mobilität eine externe wie interne Disruption. Einerseits gibt es neue Konkurrenten in allen Preissegmenten wie Nio, Ora oder Lucid. Andererseits würde eine E-Empfehlung das bisherige Kerngeschäft „Verbrenner“, das noch immer den weitaus größeren Teil des Umsatzes ausmacht, schädigen.

Das ist so ähnlich wie bei Verlagen. Auch sie glaubten zu langen (manche sogar noch immer), dass man sich nur an das Gedruckte klammern und das Digitale negieren muss, um durchzukommen. Jetzt merken sie, was sie in den vergangenen 20 Jahren, in denen klar war, dass Print ein sterbendes Geschäft ist, nachholen müssen.

Was fehlt: Category Marketing

Schon seit Jahren kursieren Verschwörungstheorien rund um das E-Auto. Zum Beispiel, dass Stromer weniger umweltfreundlich seien, als Verbrenner – stimmt nicht. Oder dass E-Autos schneller Feuer fangen – das Gegenteil ist richtig. Auch, dass es auf dem Land zu wenig Ladesäulen gebe, ist für den weitesten Teil Deutschlands nicht korrekt.

All diese Informationen muss man sich zusammensuchen. Man findet sie nach aktivem Googlen beim ADAC oder auch bei Elektromobilität.NRW, einer lieblos hingeschluderten Seite des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums.

VW selbst hat auch so etwas. „E-Auto Mythen und Fakten“ findet sich recht versteckt auf der Marken-Seite. Die Frage, ob man solche Informationen noch leserunfreundlicher, kälter und freudebefreiter aufbereiten kann, möchte ich mit „Nein“ beantworten.

In dem Moment, da ich dies schrieb, postete Werbe-Vor- und Nachdenker Rory Sutherland ein TikTok zum Thema E-Autos. Darin kritisiert er, dass es ja den Begriff Reichweitenangst gebe. Der setze sich aber aus zwei Worten zusammen. Und während Autohersteller Millionen über Millionen ausgeben, um die Reichweite von E-Autos zu erhöhen, geben sie nichts aus, um den Kunden jene Angst zu nehmen.

Es bräuchte hochwertig gestaltetes und kommunikatives Category Marketing. Dafür müssten Autohersteller E-Autos als neue Produktkategorie begreifen. Neue Produkte lösen bei den Fortschrittsfreundlichen immer Begeisterung und bei den Konservativen Skepsis bis Angst aus. Deshalb ist es die beste Herangehensweise, die Begeisterten zu Botschaftern zu machen. Das sind die nämlich schon selbst, erfahren aber keine Unterstützen: Wer derzeit bei LinkedIn Reichweite haben möchte, muss nur etwas über E-Autos schreiben und schon finden sich Verbrennungsfetischisten und E-Jünger in den Kommentaren ein zum hitzigen Gefecht.

Die Branche müsste sich zusammenschließen und sich an ihre einstige Kreativität erinnern. Dann wären probate Instrumente:

  • Kampagnensite inklusive mitnehmendem Hashtag
  • Inhalte, die für die Verbreitung im Social Web optimiert sind, zum Beispiel Infografiken und Faktentafeln
  • Social Media-Profile mit aktivem Commmunity Management
  • Proaktives Community Management: Die Profile könnten in Debatten im digitalen Raum mit Fakten weiterhelfen
  • Zusammenarbeit mit der gesamten Bandbreite der Influencerschaft
  • Media-Buchungen

Hinzu könnten kreative Kampagnen kommen. Warum nicht mal „Klatschen für E-Autofahrer“? Dann würde eine bunte Gruppe von Menschen zwecks der Erzeugung eines Webvideos mit Viral-Potential angeheuert, die in deutschen Städten E-Autos bejubelt, Plakate hochhält oder sich bei den Fahrern für ihre Fahrzeugwahl bedankt. Wette: Das wäre so skurril, dass es Aufmerksamkeit bringen würde.

Was fehlt: Priorität

Wer ein Auto kauft, informiert sich auch auf den digitalen Präsenzen der Hersteller und ebenso in den Autohäusern. Im vergangenen Jahr habe ich alles probegefahren, was bei drei nicht auf dem Parkplatz war. Und dabei war eines sehr offensichtlich: Während bei neuen Herstellern wie Polestar die E-Mobilität natürlich alleinig im Fokus steht, hat sich bei klassischen Herstellern eine niedrige Priorität.

Das beginnt auf den Homepages. Wer sich in dem Moment, da ich dies schreibe, über die elektrischen Möglichkeiten bei Mercedes erkundigen möchte, findet auf der Homepage keine einzige Bildkachel, die sich mit diesem Thema beschäftigt.

Bei Audi bilden bei den letzten 20 Instagram-Postings nur 30 Prozent E-Modelle ab. Immerhin: Hier sehen Opel und auch BMW besser aus. Insgesamt aber sieht eine E-Offensive anders aus.

Was fehlt: Emotion

In der Markenkommunikation kann es natürlich nicht darum gehen, Verbrennungsmotoren zu dissen. Wer das erwartet, der hat nie in einem Unternehmen gearbeitet.

Die Emotionsbefreitheit des aktuellen Automarketings könnte da aber hilfreich sein: E-Autos könnten so vermarktet werden, wie man es sich eigentlich von der Branche wünschen würde, die so viele ikonische Werbekampagnen erdacht hat.

Denn die Hersteller wissen eigentlich, wie wichtig Emotionen für Käufer sind. Es ist eine der Weisheiten der Branche, dass ein satter Sound beim Schließen der Tür mehr Kaufbereitschaft weckt, als eine nackte Verbrauchszahl.

Genau darauf könnten E-Autos setzen, denn sie sind hoch emotional. Hier zitiere ich einen Freund, der mal sagte: „In Deinem Auto fahren ist wie fliegen“ – schnell, still, ruhig. Natürlich sollte niemand zum Rasen animiert werden. Doch schon immer hat Autowerbung ja mit Sportlichkeit und Schnelligkeit gespielt – ein Feld, in dem E-Autos hoch überlegen sind.

Stattdessen sind sie umgeben von vollständig austauschbaren Anpreisungen (wenn überhaupt). Beispiel: Welches Auto könnte das sein. Oder besser: Welches Auto würde nicht mit diesen Worten beworben?

„Bringt den Spaß am Fahren zurück!

Der XXXX verbindet ausdrucksstarkes Design, fortschrittliche Technik und einen zukunftsweisenden Elektroantrieb – für ein Fahrerlebnis, das dir jeden Tag aufs Neue ein Lächeln ins Gesicht zaubern wird!“

(Auflösung: Es ist der Opel Corsa Electric).

Was ist das für ein Unterschied zu den brilliant getexteten VW-Anzeigen der 60er und 70er, zum kleinen Darth Vader, der einen Passat aufhielt oder den Audi Quattro auf der Skisprungschanze. Früher hatten Modelle klare Positionierungen, mit eigenen Tonalitäten, eigenen Bildwelten. Denn so verkauft man Produkte, egal ob es Autos oder Schokoriegel sind.

Konsum ist Selbstvergewisserung

Wir vergessen oft, dass Konsum nicht nur die nötige Befriedigung der simpelsten Bedürfnisse ist, sondern meist auch eine psychische Komponente hat. Unterbewusst treffen wir ständig Kaufentscheidungen, die uns dabei unterstützen, unsere Identität zu manifestieren oder nach außen zu vermitteln. Das gilt im Autobereich nochmal mehr – denn ein Auto kostet viel Geld.

Bei dieser Komponente des Konsums gilt die alte Regel, dass man nicht nicht kommunizieren kann. In die popkulturelle Ewigkeit gegossen ist dieser Zusammenhang im legendären Monolog von Merry Streep in „Der Teufel trägt Prada“. Darin spielt Streep die Chefin einer Modezeitschrift, deren neue Assistentin mit Mode nichts anfangen kann und sich auch so kleidet. Als diese Assistentin sagt, dass zwei unterschiedliche Gürtel für sie gleich aussehen und sie noch was über dieses „Zeug“ lernen müsse, antwortet die Chefin:

„“This… “stuff”? Oh, okay. I see. You think this has nothing to do with you.

You… go to your closet, and you select… I don’t know, that lumpy blue sweater, for instance, because you’re trying to tell the world that you take yourself too seriously to care about what you put on your back, but what you don’t know is that that sweater is not just blue, it’s not turquoise, it’s not lapis, it’s actually cerulean.

You’re also blithely unaware of the fact that, in 2002, Oscar de la Renta did a collection of cerulean gowns, and then I think it was Yves Saint Laurent, wasn’t it?… who showed cerulean military jackets. I think we need a jacket here.

And then cerulean quickly showed up in the collections of eight different designers. Then it filtered down through the department stores and then trickled on down into some tragic casual corner where you, no doubt, fished it out of some clearance bin.

However, that blue represents millions of dollars of countless jobs, and it’s sort of comical how you think that you’ve made a choice that exempts you from the fashion industry when, in fact, you’re wearing a sweater that was selected for you by the people in this room… from a pile of “stuff.”“

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Je höher das Konsuminvestment, desto größer wird dieser psychologische Faktor. Konsum ist für uns Ankerpunkt, etwas, das uns Sicherheit gibt. Wenn Teenager einen DM-Haul veranstalten oder mit etlichen Tüten bepackt aus Primark herausfallen, so haben sie in diesem Moment das Gefühl, mehr zu sein, als sie sind. Junge Millennials und GenZs, schreibt die Trendforscherin Eve Turow Paul in ihrem Buch „Hungry“, schrauben sie deshalb so sehr in die Details ihrer Ernährung, weil sie verunsichert seien und das Wissen, was sie essen, ihnen das Gefühl gibt, für einen Moment Kontrolle über ihr Leben zu haben.

Für meine Generation ist das Auto eine solche Selbstvergewisserung. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, ohne Auto wären Disco, Kino, Kneipe praktisch unmöglich gewesen – Führerschein und Auto bedeuteten aktives Leben, denn der ÖPNV sah damals eben ganz anders aus als heute. Und als ich meinen ersten Führungsjob übernahm, kaufte ich mir jenen SLK – auch dies war Selbstvergewisserung, eben das Gefühl, etwas Großes erreicht zu haben.

Das gibt es auch heute noch und auch bei Jüngeren. Jene aufgemotzten AMG & Co, die bei Tunertreffen auch gern mal von den Ordnungsbehörden genauer unter die Lupe genommen werden, sind nichts anderes. Sie signalisieren Individualität und ein altes Männlichkeitsbild, das überkommen wirkt. Doch bei Menschen mit migrantischem Hintergrund ist ein auffälliges Auto sehr oft die Selbstvergewisserung, etwas erreicht zu haben.

Aber wo sollen Identitätsmanifestation und Selbstvergewisserung herkommen, wenn Autos vollkommen emotionslos auf langweilige Fotos und Zahlenkolonnen reduziert werden?

Was fehlt: Status

Daraus sollte man nicht den Schluss ziehen, dass jene jungen Tunerfreunde und alte Säcke wie ich, die alleinige Zielgruppe sind. Menschen fahren Autos aus den unterschiedlichsten Gründen, manche sogar aus ganz rationalen.

Doch hat eines in der Geschichte der Wirtschaft noch nie geschadet: Wenn ein Mensch sich beim und nach dem Kauf eines wie auch immer gearteten Produktes gut gefühlt hat.

Die neuen E-Marken beherzigen dies teilweise schon. Wer ihre Flagship-Stores in den Innenstädten betritt, manchmal auch, weil sie gleichzeitig Concept Store oder Event Location sind, ist in einer klar definierten Markenwelt. Was für ein Unterschied zur emotionslosen Halle des Ford-Händlers, die ich vergangenes Jahr betrat und die im krassen Gegensatz zur Idee eines elektrifizierten Mustang steht.

Oder Nachkaufmarketing. Das war einst eine eigene Disziplin, die gerade im Automarkt gelebt wurde. Geboren wurde sie aus der Erkenntnis, dass Menschen nach dem Kauf eines Produktes besonders empfänglich sind für Informationen zu diesem Produkt – wir möchten bestätigt bekommen, dass unsere Kaufentscheidung richtig war. In diesem Moment lässt sich dann Markenbindung aufbauen.

Heute ist dieses Marketing-Handwerk verdorrt. Doch was würde es für einen Wirbel auslösen, drehte ein Hersteller ein Webvideo mit dem Käufer eines E-Autos, der bei der Ausfahrt vom Hof eines Händlers gefeiert würde mit Artisten, Bands, Feuerwerk und sich aufbäumenden Elefanten (ja, ich weiß, Tierschutz und so)?

Was fehlt: Geschäftsmodell weiterdenken

E-Autos verändern das Business Modell der Hersteller und ihres Ökosystems. Zum Beispiel haben sie weniger Verschleißteile, was eine Todesankündigung für Autowerkstätten und viele Zulieferer ist.

Ihre geringeren Innengeräusche machen die Investition in eine teure Soundanlage zum ersten Mal in der Geschichte wirklich sinnvoll. Ich sehe keinen Hersteller, der kommunikativ darauf aufsattelt, dass dieses Extra mehr Sinn ergibt als früher.

Zunächst einmal wäre es sinnvoller, langsamer zu fahren, denn gefühlt verläuft die exponentielle Steigerung des Energieverbrauchs durch zunehmende Geschwindigkeit bei E-Autos steiler als bei Verbrennern. Das ließe sich ja durchaus triggern: Kein mir bekannter Hersteller lockt mit entspannterer Fahrt durch eine Navigationsfunktion, die besonders schöne Strecken einbaut.

Und dann ist da das Laden. Werbe-Star Sutherland sagt auch, dass die Reichweitenangst in Wirklichkeit eine Infrastrukturangst sei. Die Menschen fürchteten eben, dass sie im entscheidenden Moment keine Säule auf dem Weg haben oder diese defekt ist. Diese Sorgen ließen sich kommunikativ nehmen.

Doch vor allem hat Laden auch Chancen für Umsatzgewinnung. Klar, einige Hersteller haben eigene Ladekarten und das Mercedes Me Charging-System ist wirklich empfehlenswert. Doch gibt es bei den Säulen tatsächlich einen Haken: die physische Auffindbarkeit. Manche sind so niedrig, dass sie durch parkende Autos verdeckt werden, andere befinden sich in abgeschlossenen Gebieten. So wie Google Streetview sollten sich die Hersteller zusammentun und Säulen inklusive Foto und Zugänglichkeit kartographieren. Täte das ein einzelner Hersteller (was natürlich teuer wäre) und böte dies nur seinen Kunden an, wäre das ein immenses Verkaufsargument.

Hinzu kommt der Ladevorgang selber. Während in den Niederlanden oder Frankreich viele Schnelllader überdacht sind und Supermärkte Säulen als Anziehungspunkt für Kunden sehen, ist dies in Deutschland noch immer unterentwickelt – viele Säulen werden von örtlichen Energieversorgern betrieben und deren Branche glänzte nicht gerade durch Kundenfreundlichkeit.

Warum sollten Autohersteller nicht Säulen mit ihrer Marke verbinden? Und warum dann nicht Deals mit Händlern, Kinoketten oder anderen Institutionen abschließen, auf deren Gelände die Landeeinheiten platziert werden? Beispiel: Die cool gestaltete VW-Säule am örtlichen McDonald’s ist für alle Marken offen. Wer aber mit der VW-Ladekarte lädt, bekommt 5% auf das Big Mac-Menü.

Größere Investitionen aber auch größere Einnahmen verspräche eine Weiterentwicklung von Tankstellen für das E-Zeitalter: Dann gäbe es BMW-Ladestationen mit Cafés von gehobener Qualität am Rande von Autobahnen oder Bundesstraßen. Es entstünden Charging Locations (wir brauchen diese angelsächsische Vokabel für die Coolness), die viel schöner, auffälliger und spektakulärer wären als Tankstellen. Und wer sie anfahren darf, der fühlt sich als etwas Besseres.

Man könnte ja auch mit Kampagnen anfangen: Warum nicht allen E-Autos, die an einer Autobahn-Ladesäule während der Sommerferien Energie holen, die Fenster putzen? Bei Tankstellen gehörte das einst zum Alltagsservice. Auch verrücktere Ideen ließen sich temporär umsetzen: Gymnastik mit Coach während der Ladezeit oder die Kinder bei einer Pädagogikraft abgeben, während die Eltern sich im bereitgestellten Liegestuhl erholen – Viralvideos, ick hör‘ euch trappsen.

Was fehlt: verständliche Erklärungen

Wer sich das allererste Mal mit E-Autos beschäftigt ist überfordert oder Mensa-Mitglied. Er muss nicht nur neue Abkürzungen wie WLTP lernen, sondern auch ein Gefühl dafür erarbeiten, wie die zugehörigen Zahlen einzuschätzen sind, die gern so lesbar präsentiert werden wie die AGB bei Facebook:

Einzelne Hersteller haben zwar Erklärsektionen – aber die sind nicht wirklich didaktisch sinnvoll aufgebaut. All dies ließe sich auch so machen, dass man Spaß am Thema entwickelt und nicht das Gefühl, gerade die Grundlagen eines Ingenieursstudiums zu belegen.

Doch Infografiken, verständliche Videobeiträge, leserfreundlich aufbereitete Texte sind ehe eine Seltenheit.

Was fehlt: ein verständliches Vertriebssystem

Selbst Autoverkäufer sind überfordert von der aktuellen Art, wie man Autos kauft. Das konnte ich vergangenes Jahr merken, als ich alles probegefahren bin, was bei drei nicht in der Garage war.

Wer ein im Verkaufsraum stehendes Modell oder einen klar definierten Gebrauchten erwerben möchte, hat es noch relativ leicht. Kommt aber Leasing ins Spiel, Finanzierung oder das Konfigurieren eines Modells gepaart mit der Frage, wann der wohl kommt, dann kollidiert das System des Herstellers mit dem des in der Regel unabhängigen Händlers. Der Kunde gewinnt dabei den Eindruck, dass diese beiden Partner Teil einer zutiefst zerrütteten Ehe sind, bei der nur das Nötigste miteinander gesprochen wird, um die Kinderbeaufsichtigung am Wochenende zu organisieren.

Händler waren schon immer ganz oder teilweise selbständig unterwegs. Und noch nie war das aus Sicht der Herstellermarken eine gute Idee. Denn für die meisten Menschen ist ein Auto eine Form von Luxus: Man kauft halt nicht jede Woche einen PKW. Weshalb sich Autokonzerne so verhalten sollten wie die Hermès, Diors oder Guccis dieser Welt: Die physischen Präsenzen brauchen einen einheitlich hohen Standard, nicht nur in Sachen Optik und Service.

Genauso muss klar sein, wie ein Autokauf- oder -leasingprozess überhaupt funktioniert. Absurd oder wahr: Erklärt wird das nirgends. Überall aber gibt es interne Tricks und Kniffe um dieses günstiger oder jenes schneller zu bekommen. So etwas kann einen Mythos verstärken, so wie die Frage, wie man bei Hermès an einen Birkin Bag kommt. Doch wenn dieser Mythos nicht aufgebaut wird, wirkt er eher abschreckend.

Was fehlt: Nachdenken

Autokonzerne sind Konzerne und das Hobby von Konzernen ist das Kürzen von Kosten. Mercedes ist ein gutes Beispiel dafür, was dann aus der Kundenkommunikation wird: automatisierter Müll.

So erhielt ich rund ein Jahr nach meinem Kauf eine Mail, die so begann:

Umfallende Reissäcke in China sind überraschender als diese Informationen. Was soll das? Wer ist die Zielgruppe? Jemand, der noch nie von Mercedes gehört hat?

Genauso undurchdacht ist das Thema Service. Es ist eine sinnvolle Funktion, Warnmeldungen des Autos oder auch Servicetermine via E-Mail zu verkünden und die Möglichkeit einzubetten, direkt einen Termin zu buchen.

Aber: Für den Austausch der Batterie des Autoschlüssels? Da fühlt man sich als Kunde doch eher veralbert, vor allem, weil Termine für dieses hochkomplexe Verfahren einen Vorlauf von zwei Wochen oder mehr haben.

Aber natürlich kann man sich vorstellen, wie das passiert: Alle Warnmeldungen verwandeln sich automatisch in Buchungsmails – niemand aber prüft die Liste der Warnmeldungen.

Fazit: Ein weiter Weg, der kaum beschritten wird

Elektroautos böten so viele Chancen, nicht nur für die Umwelt, sondern auch für das Glücksgefühl ihrer Fahrerinnen und Fahrer sowie für die Bilanzen der Hersteller. Doch ich habe nicht das Gefühl, dass sich so viel tut.

Vielleicht muss man die Hoffnung auf die eher kleinen Hersteller setzen. Jüngst durfte ich einen Digital-Talk im Rahmen der Onlinekonferenz der Marketingbörse moderieren. Gäste waren Henrik Luijendijk, als Marketing Manager des Importeurs Emil Frey zuständig für Mitsubishi die chinesische Marke GWM, sowie Niels Klamme, der CMO von Lexus Deutschland.

Es ging um Fragen des Sales Funnels, um Social Media als Marketing-Tool Nummer 1 und darum, dass Umweltfreundlichkeit kein Verkaufsargument ist.

Nachgucken kann man unser Gespräch hier:

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Kommentare


Christine 6. März 2025 um 7:27

Die Automobil-Ingenieure haben gar kein Interesse daran, E-Autos zu fördern. Wie im Text erwähnt, sind E-Autos technisch viel viel simpler aufgebaut. Deshalb werden die hochqualifizierten Ingenieuere nicht mehr benötigt: Der Schwerpunkt im E-Auto ist wegen der Batterie schön tief im Fahrzeug und macht eine tolle Straßenlage. Es gibt viel weniger bewegliche Bauteile. Es gibt kaum Flüssigkeiten und Schmierstoffe – das ist alles sehr schlicht. Man würde also an seiner eigenen Abschaffung arbeiten.
~
LIDL hat schon seit Jahren an fast allen Supermärkten eine Ladesäule stehen.
Hier in Mönchengladbach (Nähe Borussia) hat neulich ein Ladepark von Aral eröffnet, an dem ein kleiner REWE-Supermarkt angeschlossen ist, in dem man auch "Loungen" kann. Da entwickelt sich etwas.
~
Diese Mär von den E-Autos, die wie Zunder brennen sollen, ärger mich auch kolossal. Zwar sind Akkus schwerer zu löschen, wenn sie denn einmal brennen, aber wesentlich schwerer zu entzünden als Benzin/Diesel.

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