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Kürzlich diskutierte ich mit einer Person, die in den Bereich Generative KI mehr Hoffnungen setzt, als ich. Meine Bedenken, dass sich diese Technologie nur noch langsam fortentwickeln werden – denn die nächste Stufe bräuchte immense Mengen Daten, absurde Mengen Energie und deshalb bizarre Investitionen – wischte sie weg mit der Bemerkung: „Wir befinden uns im halt gerade im Tal der Tränen des Gartner Hype Cycle.“

Solch ein Verweis auf dieses Denkkonstrukt begegnet mir immer häufiger, teilweise auch als lapidar hingeworfene Seitenbemerkung à la „Ist halt gerade auf dem Gipfel des Hype Cycle“. Und dabei schwingt das Gefühl mit, die Aussprechenden hielten diesen Zyklus für ein Naturgesetz, als durchlaufe ohne Ausnahme jede Technologie das wellige Auf und Ab, das die Marktanalysten von Gartner schon Mitte der 90er Jahre für sich als Marketinginstrument gepachtet haben.

Also fragte ich mich: Wie gut ist der Gartner Hype Cycle denn nun eigentlich darin, den Lebenszyklus einer Technologie zu erahnen?

Die Antwort hat mich erschreckt.

Was ist der Gartner Hype Cycle?

Die Marktforscher von Gartner veröffentlichen jedes Jahr eine Grafik, auf der sie – aufgesplittet nach Bereichen – 25 Technologien platzieren. Die Position auf dem Graphen wird bestimmt aus einer nicht transparent dargestellten Mischung aus Expertenmeinungen (welche Experten bleibt offen), irgendwie gemessenem Medienrummel und anderen Daten. Der bekannteste Cycle ist der für „Emerging Tech“ und um den soll es hier auch gehen.

Die Grundthese ist, dass Technologien einen Zyklus durchlaufen, bei dem sie zunächst rasant nach oben getrieben werden, dann in ein Tal fallen, sich daraus rausarbeiten, um dann ihre eigentliche Wirkung zu entfachen. Die Achsen der Grafik sind beschriftet mit Zeit und Erwartung.

Außerdem macht Gartner Prognosen, wann die Technologien ein Plateau erreichen. Die Kategorien sind hier:

  • Weniger als 2 Jahre
  • 2 bis 5 Jahre
  • 5 bis 10 Jahre
  • Mehr als 10 Jahre
  • Obsolet vor dem Plateau (eine Kategorie, die nicht immer genannt wird)

Der aktuelle Hype Cycle aus dem August dieses Jahres sieht so aus:

Wann das angefangen hat mit diesen Grafiken, konnte ich nicht herausfinden (Hinweise sind gern in den Kommentaren gesehen). Ich meine mich aber zu erinnern, dass wir schon bei Netzwert, der E-Business-Beilage des Handelsblatts, in den Tagen der New Economy die Kurven immer mal wieder erwähnten.

Der Anspruch Gartners ist hoch, wie auch dieses Video dokumentiert:

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Entscheider sollen ihre Entscheidungen über Investitionen in Technologien auf dem Hype Cycle basieren. Das ist eine breitbeinige Ansage, denn hier geht es ja nicht um das Taschengeld für das Eis am Nachmittag.

Weshalb ist der Gartner Hype Cycle so populär?

Der Zyklus ist verlockend selbsterklärend – zumindest, wenn man nicht genauer hinschaut. Eigentlich ist er so eine Art Heldenreise für Technologien: Erst scheint alles rosig, aber die Heldin muss durch eine bedrohliche Krise um am Ende strahlen zu können.

Gartner suggeriert eine Allgemeingültigkeit, im Video oben ist die Rede von einer „Vorhersagbarkeit“ der Entwicklung. Wenn dem so wäre, müssten jene Punkte über die Jahre hinweg in unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf der Kurve entlang gleiten. Immerhin gesteht Gartner ein, dass eine Technologie durchaus auch verschwinden kann. Aber die Ansage ist eigentlich ganz klar: Die meisten Technologien durchlaufen diese Entwicklung.

Somit ist der Hype Cycle auch ein Beruhigungsmittel für Startupgründer und ihre Investoren: Wenn es gerade mal nicht so läuft, wird es auch wieder besser – genau das Denken, dass jener GenAI-Freund an den Tag legte, mit dem dieser Artikel begann.

Wenn dem so wäre, müssten die meisten Trends einige Jahre auf der Kurve zu finden sein. Wir leben zwar in einer hektischen Welt, aber so hektisch, dass eine gewichtige Technologie heute da und morgen weg ist, dann doch nicht (auch wenn es manchmal so scheint). Und selbst wenn es so hektisch wäre: Wo wäre dann der Sinn eines solchen Instrumentes?

Wie gut ist der Gartner Hype Cycle?

Ich habe mir mal die drei jüngsten Ausgaben des Hype Cycle angeschaut, also die Jahre 2022 bis 2024. Und die Zahlen sind, also, sagen wir… bemerkenswert:

Von den 25 Technologien des Jahres 2022 sind 18 (72%) ein Jahr später nicht mehr zu finden, 2 tauchen 2024 wieder auf. Von den 25 des Jahres 2023 verschwinden 15, also 60%.

Überhaupt durchlaufen nur zwei der Techniken einen erkennbaren Verlauf: GitOps klettert von 2023 auf 2024 in die Nähe des Gipfels, Internal Developer Portals von Gipfelnähe auf Gipfel.

GitOps steht für eine weitere Auffälligkeit. Ein signifikanter Anteil der genannten Technologien besteht gar nicht aus Technologien im eigentlichen Sinne, sondern aus Herangehensweisen an Technologien oder Programmierverfahren wie „Observability-driven Development“. GitOps ist ein Prozess zur Automatisierung der IT-Infrastruktur. Feinschmecker der Harcore-IT werden das vielleicht anders sehen, aber für mich sind dies Felder, die anders wirken als „Autonomes Fahren“ oder „GenAI“.

Auch sind einige der Platzierungen zumindest für mich schwer nachvollziehbar. So stolpert alle fünf Minuten ein menschlich wirkender Roboter durch meine Timeline – aber „Humanoid Working Robots“ sollen erst am Anfang ihres Hype-Zyklus stehen.

Nicht weniger erstaunlich: Drei Jahre lang gibt es keine Technologie, de in der Nähe jenes Tals zu finden wäre. Am nächsten dran sind noch Cloud Data Ecosystems im Jahr 22 und aktuell Generative KI.

Und darauf sollen Entscheidungen getroffen werden? Ich habe Zweifel.

Und ich frage mich: War das früher anders? Schauen wir auf den Hype Cycle des Jahres 2015:

Ja, das sieht anders aus.

Da sind Technologien, die schon ihren Alltag erreicht haben. Auch ist das Spektrum viel breiter, Biotechnologie taucht auf, große Ideen wie Autonomes Fahren. Auffällig: Machine Learning hat 2015 den Gipfel überschritten – taucht 2022 aber wieder ganz am Anfang auf. Bemerkenswert für eine Technologie, die nur dann „emerging“ ist, wenn man die vergangenen 50 Jahre unter einem Stein verbracht hat.

Im Jahr 2016 hat sich der Investor und Berater Michael Mullany die Hype Cycle seit 2000 angesehen und  seine Analyse zeigt, dass die Wurschtigkeit der Trends tatsächlich zunimmt. Denn in jener Zeit tauchten von 200 Trends nur 50 einmal auf – das sind gerade mal 25%, in den vergangenen zwei Jahren lag die Quote bei 60% und 72%. Er hat außerdem ausgezählt, dass rund 20% der Technologien, die häufiger auftauchten, niemals eine Massenmarktrelevanz entwickelten.

In diesem Sommer analysierte der „Economist“ die Hype Cycle-Historie und kam zu einem noch schlechteren Ergebnis (was auch die These stützt, dass die Qualität der Gartner-Arbeit sinkt:

„We find, in short, that the cycle is a rarity. Tracing breakthrough technologies over time, only a small share—maybe a fifth—move from innovation to excitement to despondency to widespread adoption. Lots of tech becomes widely used without such a rollercoaster ride. Others go from boom to bust, but do not come back. We estimate that of all the forms of tech which fall into the trough of disillusionment, six in ten do not rise again.“

The cycle is a rarity

Niemand kann die Zukunft vorhersagen. Aber es ist möglich, Einschätzungen über zukünftige Entwicklungen zu treffen, indem man Daten und Signale zu Mustern formt und diese Muster dann zu Trends arrangiert.

Der Hype Cycle macht dies ansatzweise auch. Aber er beschränkt sich auch selbst, weil er einen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und Bedeutung aufmacht und selbst in diesen Feldern nicht konsequent agiert. Denn es kann nicht funktionieren absolute Nischenfachetechnologien auf der gleichen Kurve zu platzieren, wie Technologien, die beim Bäcker an der Theke diskutiert werden. Vielleicht scheitert hier auch der Ansatz am eigenen Marketing und an der Realität des Jahres 2024: KI ist so dominant, dass es schwerfallen könnte, 25 Trends zusammen zu bekommen.

Diese Selbstbeschränkung geht weiter mit einem Kurvenverlauf, der manchmal gegeben ist – bei den meisten Technologien aber eben nicht. Egal ob Cloud Computing oder Handy: „The cycle is a rarity“.

Das bedeutet nicht, dass der Hype Cycle kein interessantes Denkmodell ist. Aber ein Hilfsmittel zur Investitionsentscheidung? Ich habe Zweifel. Und wer sich in einer schwierigen Situation an ihn bindet, läuft Gefahr, dass der Zyklus für ihn kein Beruhigungsmittel ist – sondern Palliativmedizin.


Kommentare


Sven Hansel 25. November 2024 um 14:06

Der Hype-Cycle wird in unseren Kreisen nur noch durch den "Magic Quadrant" von Gartner getoppt, ein ähnlich schwer nachvollziehbares Modell, in dem es um Führungspositionen von Technologieanbietern in ihrem jeweiligen Marktsegment geht. Unabhängig davon, dass beispielsweise schon eine ERP-Einführung selbst bei Unternehmen derselben Branche maximal individuell ist und so grundsätzliche Positionen einem Technologieliefernaten ggü. imho eher schwierig sind, lässt mich die grundsätzliche sehr ausgeprägte Akzeptanz des Quadranten selbst bei CIOs und CTOs (sic!) oft mit einem Achselzucken zurück: "Wir haben XY gekauft, weil die sind ja auch im Magic Quadrant oben rechts gwesen." Kommt weiterhin regelmäßig vor.

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