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Für die Freunde knackiger Zitate – und für mich als Gedächtnisstütze – hier noch ein paar Wortfetzen des Picnic-Kongresses aus Amsterdam. Auch nach einem Wochenende Erholung bin ich noch schwer angetan von der Picnic, auf der ich vergangene Woche weilte. Angetan von der Atmosphäre, der Offenheit, dem Gelände, den meisten Diskussionen. Leider machte mir mein Magen einen Strich durch den dritten Tag – und zum ersten Mal nach langer Zeit war ich traurig, einen Kongress zu versäumen.

Ein Fazit zu ziehen fällt schwer. Dazu waren die Themen zu vielfältig. Was jedoch alle erhitzte war eine Diskussion zwischen Publizist David Weinberger, „Wall Street Journal“-Techniktester-Ikone Walt Mossberg und Andrew Keene, dem Autor des Buchs „Cult of the Amateurs“, einer Abrechnung mit dem Internet.

Dieses Podium blieb deshalb so im Gedächtnis, weil Keenes Auftritt so unterirdisch schlecht war, dass nicht nur ich mich gefragt habe, wie solch ein Mensch an einen Buchvertrag kommt. Keinerlei Argumente und die intellektuelle Tiefe einer Pfütze nach fünf Minuten Kurzschauer. Man kann ja durchaus kategorisch gegen all das sein, was sich unter dem 2.0-Mantel so herumtreibt. Aber dann doch bitte mit durchschlagenderen Sätzen wie „Wikipedia ist mir zu kompliziert.“

Lustigerweise bloggt Keene auch und berichtet von der Picnic:
„Weinberger gave a classically „humanist“ speech about the liberating possibilities of information technology. He ended in a climax of vulgar optimism, promising the Dutch audience that Web 2.0 technology could bring all of us „out of alienation“ (what are we alienated from, I wonder). Weinberger wants today’s Internet to reflect what he calls the „complexity“ of human existence. I responsed that the purpose of media is both simple and simplifying — to inform and entertain. Media isn’t philosophy, I argued, it isn’t supposed to liberate us from anything (except ignorance, of course). But instead of getting all philosophical, I should have simply read Weinberger a couple of sentences from Straw Dogs:
Technical progress leaves one problem unsolved: the frailty of human nature. Unfortunately that problem is insoluble.

Gray nails Web 2.0 humanists like Weinberger. Technology, these utopians believe, allows us to realize our „humanity“. Oh dear. When will they learn that technical progress only compounds the frailty of human nature? When will they learn that — to quote Gray again — „free will is a trick of perspective“?“

Leider erwies sich Mossberg als nicht-neutraler Moderator. Nach zehn Minuten hatte er schlicht die Schnauze voll von Keen. Und so lieferte das Podium ein Musterbeispiel für die Macht der Körpersprache:

Sicher dürfte auch sein: Keiner der Anwesenden wird Keenes Buch kaufen. Nicht, weil er eine andere Meinung vertritt – sondern weil er nicht den Eindruck vermittelte irgendeine Meinung glaubhaft vertreten zu können.

Aber es gab ja auch interessantere Stimmen. Und hier noch ein paar Dinge aus meinem Notizbuch:

David Weinberger:
„Blogger nehmen etwas einfaches und machen es kompliziert. Oder sie nehmen etwas kompliziertes und machen es einfach. Das tun Menschen nun mal, wenn sie miteinander reden.“

„Was die Massen ins Internet treibt, ist die Möglichkeit, sich zu vernetzen. Das Internet ist ein Kommunikations- und nicht primär ein Publikationsinstrument.“

Pablos Holman, Hacker:
„Normale Nutzer sehen ein Gerät und fragen sich: Was kann ich damit anfangen?
Hacker sehen ein Gerät und denken: In was kann ich das verwandeln?“

„Autos sind heutzutage Computer. Deshalb haben sie die gleichen Probleme, die wir von Computern kennen. Nur: Wie update ich ein Auto?“

„Es gibt eine Automarke, die einen Override Code hat. Wenn man diesen hat, kann man alle Autos dieser Marke mit einer Fernbedienung öffnen. Der Hersteller weiß nicht, was er tun sollte, wenn jemand diesen Code hätte.“

Nachtrag: Christoph Dernbach – vielen Dank dafür – hat in den Kommentaren schon hingewiesen auf einen entlarvenden Auftritt Keenes bei Steven Colbert. Hier das Video:

Nachtrag: Und hier noch ein paar Impressionen von Maks Giordano:


Kommentare


Christoph Dernbach 1. Oktober 2007 um 17:28

Wer sich einen \“Live\“-Eindruck von Mr. Keen machen möchte, kann hier seinen 5-Minuten-Auftritt bei Steven Colbert sehen:

http://www.mr-gadget.de/medien/2007-09-13/cult-of-the-amateur/

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Harald 2. Oktober 2007 um 11:24

In der Encyclopedia Britannica sollte man neben den Eintrag \“Blasiert\“ (Smug) ein Bild von Herrn Keen während dieses Interviews als Illustration setzen. Neben der bescheuerten Behauptung zum Verhältnis von Nazis und Künstlern und vielen Gegenfragen statt Aussagen wehrt er sich zwei Mal mit dem Einwand \“You are supporting my argument\“, obwohl er eigentlich noch gar kein stichhaltiges gemacht hat.

Colbert mag nichts von den technischen Hintergründen des Internet verstehen, aber er versteht wie es als Fundgrube und Promotionsinstrument zu nutzen, indem z.B. solche kleinen von \“Amateuren\“ verbreitete Clips im Internet seine Show und ihn selbst weit über die Bevölkerung die ihn regelmäßig im TV sehen kann bekannter machen und damit wesentlich zu seinem Erfolg beitragen, was wieder mehr Einnahmen durch zahlende Anzeigenkunden bedeutet.

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Sebas 2. Oktober 2007 um 14:40

Argumente, Argumente. Ich höre immer nur Argumente. Braucht man sowas heute, um mitreden zu können?

Ich liebe Steven Colbert. Warum muss man so weiß gucken, um richtig gute Interviews zu sehen? Schlimm.

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