An diesem Tag nach der US-Wahl hat eine Diskussion begonnen, die uns noch lange beschäftigen wird: Wie soll Journalismus in diesen Zeiten aussehen?
In dieser Woche gab es eine Story, an der sich ein grundlegendes Problem schildern lässt: die Toblerone-Affaire.
Passiert ist folgendes:
„Die Entscheidung, den Zwischenraum zwischen den unverwechselbaren Dreiecken bei zwei Toblerone-Schokoriegeln, die in Großbritannien verkauft werden, zu vergrößern, hat Fans verärgert, die auf Abstand bedacht sind.
Der Hersteller, die US-amerikanische Mondelez International, sagte, sie hätten den Abstand verändert um das Gewicht der Riegel zu senken, das zuvor 400 und 170 Gramm betrug.
Einige Verbraucher beschrieben das Vorgehen als „die falsche Entscheidung“ und sagten, die größeren Abstände wirkten „dumm“.
Mondele sagte, das Vorgehen beruhe auf steigenden Kosten der Zutaten.“
Dieser Text ist der Einstieg für die Berichterstattung der BBC. Weiterhin schildert sie verschiedene Verbrauchermeinungen, die auf der Facebook-Page zu finden sind. Und sie erwähnt, dass Mondelez Lob dafür bekommt, diese Veränderung so offen zu kommunizieren. Außerdem wird der Konzern auch mit seiner Behauptung zitiert, dies habe nichts mit dem Brexit zu tun – was stimmt und nicht stimmt, schließlich ist das schwache Pfund mit dem Brexit erklärbar und das schwache Pfund ist der Grund für die gestiegenen Rohstoffpreise ausländischer Güter. Schließlich ordnet die BBC die Lage noch ein, indem sie die Preiserhöhungen anderer Lebensmittelhersteller erwähnt.
Dabei werden die nötigen Quellen, zum Beispiel die Facebook-Seite von Toblerone UK, verlinkt und die Geschichte wird ergänzt um eine Straßenumfrage, die man sich dann auch hätte sparen können, die aber vermutlich im Rahmen der TV-Berichterstattung abgefallen ist.
Sprich: Die Story der BBC ist guter Onlinejournalismus ohne Schnickschnack.
Tatsächlich ist bemerkenswert, wie Mondelez agiert hat. Auf Facebook hat man nicht nur die Information veröffentlicht, sondern hinterher auch alle Fragen beantwortet, die nicht beleidigend waren oder eine politisch gefärbt waren. Mehr noch: Man hat dies schon am 15. Oktober angekündigt:
Drei Wochen wies Toblerone nochmal darauf hin, dass sich die Entscheidung nur auf zwei der Riegel bezieht:
Sprich: Natürlich gibt es Ärger, doch auch Zuspruch. Und alles in allem hat Mondelez so agiert, wie eine Unternehmenskommunikation nur agieren kann – und das findet sich in der BBC-Berichterstattung auch wieder.
Was aber machen deutsche Medien daraus?
Hat da jemand LÜGENTOBLERONE gerufen? Raffinierte Trickser, diese verdammten Großkonzerne. Stern.de ist allerdings nur halbschuld. Das ganze ist eine schludrig hingepinnte Meldung von Reuters, die einfach ohne zu denken übernommen wurde. Immerhin wurde einmal korrigiert: Die ursprüngliche Schlagzeile – festgehalten in der URL – lautete: „So raffiniert trickst Toblerone Schokolade“.
Aber so eine wichtige Geschichte muss noch länger aufgeschrieben werden und deshalb gibt es einen weiteren Artikel:
Ach, endlich macht Stern.de ernst. Peinlich – Shitstorm – schlechte Fälschung. Empörung, Deine Heimat ist Stern.de
OK, oder Focus Online. Die Chef-Hysterisierer in München versehen die Story mit einem ihrer Billigvideos und pinnen dann munter aus dem Social Web ab. Vor allem aber lügt sich Focus Online eine neue Reihenfolge zurecht, die ja gerade bei einem so linksextremen und eher marxistisch orientierten Angebot gar nicht anders sein darf: Erst die Produktveränderung, dann der Ärger, dann erst gibt der böse Großkonzern zu, was er getan hat. Und er erntet natürlich – des deutschen Journalisten liebstes Wort – einen Shitstorm:
„Es ist kein Einzelfall. Immer mehr Kunden fühlen sich in Großbritannien von Toblerone betrogen. „Was soll diese neue größere Lücke?“, fragt sich etwa William Kennedy über Twitter. Toplerone-Kunde Andrew Kerr schreibt: „Ich werde an Weihnachten mein Geld anderweitig ausgeben als für meine geliebte Schokolade, die ich so sehr liebe.“
Nach Ausbruch eines regelrechten Shitstorms meldete sich nun Hersteller Mondelez nun zu Wort. Man habe sich entscheiden müssen: Entweder den Preis anheben oder die Packung verkleinern. Die Entscheidung fiel auf die Packungsgröße, um weiterhin einen lukrativen Verkaufspreis anbieten zu können.“
Verlinkt wird natürlich gar nichts – solche Internetunsitten sind auf Deutschlands mit Abstand nutzerunfreundlichsten Nachrichtenseite nicht gefragt.
Für die „Kieler Nachrichten“ dagegen kommt die Toblerone-Veränderung „plötzlich“. Klar, drei Wochen sind in Schleswig-Holstein ja wie in anderen Teilen der Republik drei Sekunden.
Natürlich gibt es einige wenige Angebote, die jene Geschichte ein klein wenig runterdrehen. Doch letztlich spielen alle mit den Methoden der Empörung und deren Begrifflichkeiten: Aus Ärger wird in der Berichterstattung Wut und Entsetzen – denn das sind die stärkeren, emotionaleren Begriffe. Die müssen zumindest in den Suchmaschinen- und Social Web-Text, wie Bento demonstriert, das „Jugendangebot“ von Spiegel Online. Der Artikel zur Story ist nicht groß zu beanstanden doch auf Google heißt es:
Diese Wortwahl „überhitzter Gemüter“ (auch so eine Wut-Journalisten-Floskel) ist dabei nicht beschränkt auf den Onlinejournalismus. Sie findet sich genauso in Print, TV oder Hörfunk.
Doch Wut und Panik – das können andere eben besser. Es sind jene pseudojournalistischen Seiten, die in den USA einen maßgeblichen Einfluss auf die Wahl hatten, Angebote wie Breitbart oder Drudge Report. Seriöse Medienmarken, die versuchen mit den gleichen Instrumenten zu arbeiten, machen dies nicht nur schlechter und begeben sich so auf ein Feld, auf dem sie nur verlieren können – sie befeuern gleichzeitig diese diffuse Stimmung, dass da ein System existiert, das den Mächtigen dient und die kleinen Bürger ausnimmt.
Wer ein Qualitätsjournalist sein will, muss davon weg. Wir brauchen mehr BBC und weniger Stern.de.
Journalisten müssen Geschichten wieder unvoreingenommener und weniger klischeehaft erzählen. Und das nicht nur im Großen: In den Zeiten von Google und Social Media muss dies für jeden einzelnen Artikel und für jedes Video gelten. Das bedeutet im Umkehrschluss (da Redaktionen nicht aufgestockt werden) eine deutlich niedrigere Anzahl von Artikeln, was in der aktuellen Konstruktion der Werbefinanzierung sinkende Einnahmen bedeutet.
Also muss auch diese Werbefinanzierung verändert werden: Statt Billigserver einzubauen müssen die Anzeigenvetriebler das Argumentieren neu lernen. Eine Anzeige auf einem Qualitätsangebot muss mehr wert sein, als auf Focus Online. Und vielleicht sollten Qualitätsseiten auch das Targeting abschalten und allein aus ihrer Qualität heraus argumentieren. Bei Mediaagenturen werden sie damit vielleicht scheitern – aber auch bei den Anzeigenkunden selbst? Vielleicht ist dies eine der wenigen Situationen, in denen Gattungsmarketing sinnvoll sein könnte.
Und bevor jemand schreibt, ich würde es mir leicht machen: Nein, diese Veränderungen sind nicht leicht. Sie sind sauschwer. Und sie hätten bereits vor Jahren erfolgen müssen. Doch angesichts eine Trump-Wahlsiegs, der steigenden Popularität von Le Pen in Frankreich und den Entwicklungen in Deutschland wird es Zeit für die hiesigen Medien, endlich wegzukommen von ihrer Grundhysterie.
Kommentare
Tim_Ebner 10. November 2016 um 15:55
Ich bin zwar kein Schokoladenesser, aber mehr Sinn für Qualität hätte auch Mondelēz gut getan. Die Vermutung, dass eine Preiserhöhung statt einer luftigen Version von Toblerone weniger Aufregung produziert hätte, will mir nicht aus dem Kopf. Aber wer weiß, es ist auch ein geschickter Schachzug mit einer so ausgelösten Empörung Stimmung gegen den Brexit zu machen. Ist aber alles Spekulation.
Thomas Knüwer 10. November 2016 um 16:19
@Tim Ebner: Preiserhöhungen sind im Geflecht zwischen Lebensmittelindustrie und Handelsketten praktisch nicht durchsetzbar.
Tim_Ebner 10. November 2016 um 19:56
Ah, danke für den Denkanstoß.
Eine Idee, die mir für die Verlage noch einfiel: Mondelēz Mitteilung vor drei Wochen wäre ein idealer Anlass für Stern und Co gewesen, Native Advertising für die Ankündigung anzubieten. Auch das hätte man stattdessen machen können.
da]v[ax 12. November 2016 um 11:56
Hm… also ich finde ja, der eigentliche Skandal hier ist, dass die „Berichterstattung“ über eine solche Lappalie wie der Abstand zwischen Schokodreiecken überhaupt als Journalismus bezeichnet wird.
Angesichts der Probleme, die derzeit auf dieser Welt herrschen, halte ich solchen „Journalismus“ für kreuzgefährlich, weil er völlig von den wirklich wichtigen Themen ablenkt. Und dass tausende Leute bereit sind, sich tagelang über so eine Pillepalle aufzuregen, zeugt von einer offensichtlichen Ignoranz bezüglich… HEY! LOOK! A SQUIRREL!!
Thomas Knüwer 12. November 2016 um 20:29
@davax: Diese Argumentation halte ich auch für wenig zielführend. Wenn nur über „das Wichtige“ berichtet wird, können wir die Sportberichterstattung einstellen, Wettervorhersagen, Wirtschaftsnachrichten, Tech-Journalismus oder auch das Feuilleton.
Es handelt sich hier um Verbraucherjournalismus und der ist nicht wichtiger als Politberichte, aber nötig.
daMax 17. November 2016 um 14:51
Jo, hm, naja. Ich finde halt dass sich viel zu wenige Menschen generell für die eher wichtigen Dinge interessieren und viel zu viele für total unwichtige Sachen. Ich gucke mir gerade etappenweise „Hypernormalization“ von Adam Curtis an (etappenweise weil der sehr lang und ziemlich anstrengend ist), und ich denke, das sollten viel mehr Menschen tun. Da gibt’s (zumindest für mich) einiges zu lernen und drüber nachzudenken.
Ich habe ein bisschen Angst vor der nächsten Bundestagswahl, aber das würde hier wahrscheinlich zu weit offtopic führen.