„Es ist der Fluch der Zeit, dass Irre Blinde führen.“
König Lear (Shakespeare)
Peinlichkeit ist keine Gefühlswallung, die man als Bundestagsabgeordneter der aktuellen Regierung verspüren darf. Denn in diesen Momenten kursiert eine neue Fassung des Leistungsschutzrechtes – jener staatlich verordneten Subventionierung der innovationsunwilligen Verlagsindustrie -, die mit „geistesgestört“ nur unzureichend beschrieben werden kann.
Laut Netzpolitik.org soll am kommenden Freitag folgendes Gesetz werden:
„Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte. Ist das Presseerzeugnis in einem Unternehmen hergestellt worden, so gilt der Inhaber des Unternehmens als Hersteller.“
Dabei ist die gefettete Passage neu ergänzt worden.
So. Und nun versuchen Sie dieses Gesetz mal zu verstehen.
Vor allem, versuchen Sie zu verstehen, warum neben dem wunderbar funktionierenden Urheberrecht dieses Gesetz nötig sein soll. Denn niemand klaut in Deutschland gewerbsmäßig längere Textpassagen aus Verlagserzeugnissen. Noch in der vergangenen Woche war Axel-Springer-Lobbyist Christoph Keese zum wiederholten Mal nicht in der Lage, auch nur ein einziges, solches Angebot namentlich zu benennen:
Es scheint, die Regierungsparteien sind ob des Versuchs, das Drängen der Verlagslobby in Einklang zu bringen mit der schlichten Realität, wahnsinnig geworden. Und nun könnten sie etwas beschließen, was allerhöchstens der Abmahnindustrie gefallen wird. Die wird definitiv versuchen, bei Betreibern kleiner Seiten und Blogs Kasse zu machen.
Und natürlich tauchen auch wieder jene „Volksvertreter“ auf, die besonders gern Bürger belügen. Allen voran Ansgar Heveling, jener Bundestagsabgeordnete und Lobbyist der Musikindustrie in Personalunion, der seine Wähler aufs Widerlichste beschimpfte. Schamlos beschreibt er die jüngste Anhörung in einem Bundestagsausschuss diametral falsch. Und der Mönchengladbacher Günter Krings, der Bürger, die für ihre Freiheit eintreten verunglimpft. Die Bürger am Niederrhein hätten besseres im Parlament verdient als diese Figuren.
Möglicherweise haben sich die Verlage aber sogar selbst ins Knie geschossen. Denn wer zitiert denn weiträumig aus dem Internet? Ständig erleben wir Beispiele wie das der „Mitteldeutschen Zeitung“, die sich einen Artikel über Vornamen ergoogelte. Oder nehmen wir jene Massenzitierungen aus Foren (so diese nicht erfunden waren) bei der „Handelsblatt“-Story über das Urheberrecht – sie wären künftig ein rechtlicher Graubereich. Auch bei der „Badischen Zeitung“ pflegte eine Redakteurin sich bei anderen Quellen zu bedienen.
Schon macht sich Jeff Jarvis lustig über die sich nun ergebenden Möglichkeiten:
I can’t wait to sue a German publisher for quoting me. I’ll be very quotable to tempt them. #lsr heise.de/newsticker/mel…
— Jeff Jarvis (@jeffjarvis) February 26, 2013
Ja, es sind Irre, die in dieser Regierung netzpolitisch die Blinden führen. Oder umgekehrt. Aber das macht wirklich keinen Unterschied mehr.
Kommentare
FKTVTwipsy 26. Februar 2013 um 16:20
Und was wird nun damit errreicht? Mehr als „kleinste Textausschnitte“ sind eh schon vom Urhebergesetz erfasst. Das ganze ist noch nicht mal ein stumpfes Schwert. Das ist eins von diesen Plastk-Laserschwertern, mit denen Kinder beim Fasching als Starwars-Charakter rumrennen. Oh, Moment… LaSeRschwert? Zufall?
Daniel Schultz 26. Februar 2013 um 16:27
Neben der Rechtsunsicherheit bleibt noch die Schwächung der Verhandlungsposition der Journalisten. Wenn die Verlage nun ein eigenes Recht haben, um praktisch gegen Urheberrechtsverletzungen vorgehen zu könnnen, dann brauchen sie kein Total-Buy-Out und keinen Tarifvertrag, der das regeln würde. Zum Kostendrücken bei Journalisten taugt der Entwurf alle mal noch.
Leistungsschutzrecht verschlechtert (!) Situation der Verlage | 26. Februar 2013 um 18:15
[…] das Leistungsschutzrecht in der neu formulierten Version am Freitag durchgehen, verschlechtert sich die Lage der Verlage (also quasi die Ver-Lage *giggle*) […]
Neues aus der Anstalt | Sashs Blog 26. Februar 2013 um 18:51
[…] regiert – aber DAS jetzt, da fehlen nicht nur mir die Worte. Der Journalist Thomas Knüwer findet in seinem Blog Indiskretion Ehrensache z.B., dass das Wort geistesgestört schon nur unzureichend fürs LSR als solches […]
Klaus Minhardt 26. Februar 2013 um 19:19
Am Ende bleibt, dass das Gesetz den Verlegern nicht viel bringt, es Google nicht schadet und die Urheber teilenteignet werden.
„Die Verleger erhalten das ausschließliche Recht …“ und von wem nehmen sie das weg? Genau! Die bereits geknechteten und ausgebeuteten Urheber verlieren ihre Rechte bei der Weiterverwertung.
Das passt zu dieser Regierung. Statt den Schwachen bei der Durchsetzung ihrer Rechte zur Seite zu stehen, wird Lobbypolitik zur Freude der Starken betrieben.
Frau Merkel hat Herrn Kerry beruhigt und ihm erklärt, dass Google, Yahoo und Microsoft keine Ungemach fürchten müssen. Der Koalitionsvertrag wird eingehalten und man hat ein – unnützes und unbrauchbare – Gesetz gemacht. „Pacta sunt servanda“ Klar!
Hallo Regierung? Wie wäre es mit einer brauchbaren Regelung zur Honorierung von Urhebern? Wir könnten ja helfen, aber man gibt den Verbänden ja kein Verbandsklagerecht und als Alternative gibt es auch keine Zwangsschlichtung.
So muss jeder Urheber einzeln durch alle Instanzen für eine angemessene Honorierung klagen. Zwischenzeitlich bekommt er keine Aufträge mehr und wird wirtschaftlich an die Wand gedrückt.
Aufwachen! Die Probleme liegen im Urhebervertragsrecht und nicht beim Leistungsschutzrecht!
Hinweis an die FDP: Gerade Journalisten wählen überproportional häufig die FDP. Denkt einmal auch daran
Moki 26. Februar 2013 um 21:22
Um mal das Zitat aus dem Gesetzentwurf aufzugreifen: Gibt es eine klare Definition des Begriffs „Presseerzeugnis“? Der einzelne Artikel kann ja damit nicht gemeint sein. Denn der unterliegt ja bereits dem Urheberrecht. Aber wenn das Presseerzeugnis nicht der einzelne Artikel ist, sondern das Gesamtprodukt Zeitung bzw. der Artikel + Bilder + Layout + digitale Infrastruktur, dann ist doch folgende Interpretation des Entwurfs nicht ganz von der Hand zu weisen: Der eigentliche Text eines Presseerzeugnisses, der Artikel an sich, ist „Teil eines Presseerzeugnisses“ im Sinne des Gesetzesentwurfes. Wenn es heißt, dass der Presseverleger das ausschließliche Recht besitzt, Teile des Presseerzeugnisses öffentlich zugänglich zu machen, dann verliert doch der Urheber des Artikels das Recht, seinen eigenen Artikel öffentlich zugänglich zu machen. Die Rechte am Artikel gingen also komplett an den Verlag über.
Das wäre natürlich eine total blödsinnige Interpretation des Entwurfstextes und wider jedes Urheberrecht. Doch es wird im Zweifel Sache der Gerichte sein, darüber zu entscheiden. Und auf See und vor Gericht ist man bekanntlich in Gottes Hand…
Leistungssschutzrecht + Google-Updates + Marissa Mayer » myBasti 27. Februar 2013 um 12:43
[…] King Lear und das Leistungsschutzrecht – Indiskretion Ehrensache […]
Dirk 27. Februar 2013 um 13:31
Danke!
(nicht mehr und nicht weniger)
Leistungsschutzrecht? Hahahahahahahaha! | Christian Buggischs Blog 27. Februar 2013 um 14:01
[…] zu diesem Thema gibt es zum Beispiel bei Thomas Knüwer und Thomas Stadler zu lesen. Worum es genau beim Leistungsschutzrecht geht, habe ich vor einer […]
vera 27. Februar 2013 um 14:46
Hab mal gefragt, was da passiert:
https://twitter.com/carta_/status/306761932612988928
vera 27. Februar 2013 um 14:47
Upps, Entschuldigung, dachte, es übernimnt den Tweet:
.@TabeaRoessner @Altpapier zitiert #WELT, J. Montag wolle weitere #LSR -Anhörung beantragen, was ist daraus geworden? http://bit.ly/WTqP5R
Was für ein Coup der Merkel-Bande im Wahljahr: es … | sb'log 27. Februar 2013 um 19:49
[…] Starker Artikel bei Indiskretion Ehrensache: King Lear und das Leistungsschutzrecht. Schon das einleitende Shakespeare-Zitat ist so schön, das muss ich mir hier unbedingt auch […]
Berlin Valley 28. Februar 2013 um 15:48
Die Debatte rund ums Leistungsschutzrecht offenbart einen desolaten Zustand unserer Republik. Nicht nur, dass gierige Suchmaschinen und mächtige Lobbyisten dem Bundestag diktieren, was in den Gesetzen zu stehen hat. Auch müssen wir erkennen, dass es unter den führenden Politikern nicht den Hauch einer Ahnung vom Internet gibt.
Ausführlicher Frustbericht unter:
http://whats-up-in.berlinvalley.com/zur-fragwuerdigen-debatte-ums-leistungsschutzrecht-bitte-alle-beteiligten-uebers-knie-legen/