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Ein kanadischer Investor hat 500.000 Dollar in den SC Preußen Münster investiert, den Verein meines Herzens. Und er ist nicht allein: 12 Nordamerikaner halten 30% der Anteile des Fußball-Zweitligisten.

Ich kann mir gut vorstellen, dass im Kopf so manches Lesenden bei diesen zwei Sätzen tausende Fragen im Kopf kreisen und die dominierende lautet: HÄ?

Denn sicher: Die Preußen sind als Fußball-Wunder zweimal hintereinander aufgestiegen und messen sich nun mit Schalke, HSV oder Köln. Doch sie sind eben auch der vielleicht krasseste Außenseiter in der Geschichte der Liga und spielen in einer Antikarena, die sich erst in den kommenden Jahren Stück für Stück in ein wirtschaftlich brauchbares Stadion verwandeln wird. Außerdem ist Münster weit davon entfernt, in Kanada überhaupt nur flächendeckend bekannt zu sein.

Doch das Ganze ist kein Scherz, sondern ein Frühindikator. Die Meldung – recherchiert durch das kanadische Medium Financial Post – zeigt, dass die Kommerzialisierung des Sports voranschreitet, es aber in eine andere Richtung geht, als die meisten glauben.

Wende im Sportinvestorenmarkt

Allgemein wird die These vertreten, dass sich alles auf die großen Clubs konzentriere, die Bayern und BvBs in Deutschland, die Citys und Reals im Ausland. Halt jene, die Champions League spielen und sich dadurch in finanziellen Dimensionen bewegen, die Preußen Münster – seien wir ehrlich – niemals in seiner Geschichte erreichen wird.

Dadurch, sagen viele, werde es auf Dauer eine klare Polarisierung zwischen den Top-Clubs geben, die sich in immer neuen Goldene-Ananas-Wettbewerben (wie im kommenden Sommer der Club-WM in den USA) messen, und den Kleinen, die dann niemand mehr interessiert.

Die meisten dieser Clubs gehören Investoren, derzeit dominierend aus dem arabischen Raum. Sie betreiben offensichtlich Sportwashing, auch wenn ich ihnen eine generelle Liebe zum Fußball gar nicht absprechen möchte. Da ich dies tippe, poppt auf meinem Handy gerade die Eilmeldung auf, dass die Fußball-WM 2034 in Saudi-Arabien gespielt werden wird.

In Deutschland ist das – zur Erklärung für die Nicht-Fußballfans – anders. Hier müssen Stammvereine immer die Mehrheit in der Firma haben, die aus Absicherungsgründen in der Regel die Hoheit über die Profiabteilungen hat (denn wenn die Profis pleite gingen, wären ansonsten die anderen Abteilungen eines Vereins auch bedroht).

Das Verschieben der Profis in ein eigenes Unternehmen wird Ausgliederung genannt. Über die wird gern gestritten zwischen unkommerziell orientierten Anhängern und den Vereins-Geschäftsführern. Am liebsten wäre es jenen Fans, ihr Verein bliebe Verein, hätte aber trotzdem genug Geld, um einen europäischen Pokal zu holen – aber das Leben ist halt kein satanarchäolügenialkohöllischer Wunschpunsch. Und der Großteil der Anhänger erkennt die Notwendigkeit, Sponsoren Möglichkeiten zu eröffnen, um weiter Profifußball zu sehen.

2018 gliederte auch Preußen Münster seine Profis aus, allerdings in einer (so weit ich weiß) weiterhin einmalig komplizierten Struktur in Gestalt einer GmbH & Co. KGaA. Grund: So wird verhindert, dass Investoren maßgeblichen Einfluss auf die Profiabteilung übernehmen können. Dies mache die Akquise von Geldgebern sehr schwer, kündigte das damalige Präsidium an.

Mag stimmen. Allerdings hat sich das Thema Sport und Geld verändert. Die einstige Ansage führte aber dazu, dass der Großteil der Fans und jedes Lokalmedium sich gar nicht mehr groß kümmerte um die Veröffentlichung von Investments. Nur einmal gab es Ärger, denn ein Geldgeber handelte auch mit Waffen und wurde flott aus dem Investorenkreis entfernt.

Eher beiläufig tauchten angelsächsische Namen auf. Einmal hieß es, dies sei eine Person mit Beziehungen ins Münsterland, ein anderer sei einfach Fußballfan. In der Polit-PR-Sprache würde man sagen: Das Thema wurde runtermoderiert.

Das wird sich mit der Meldung der „Financial Post“ ändern. Mehr noch: Diese Meldung wird die Sportmedien in Deutschland noch lange beschäftigen.

Die „Post“ beschreibt ein neues Segment der Sportinvestoren. Es sind wohlhabende Menschen, aber eben nicht so wohlhabend, dass sie sich in den großen US-Ligen einkaufen könnten. Also blieben ihnen noch die „Minor Leagues“. Doch das nordamerikanische Sportsystem kennt ja keinen Auf- und Abstieg (was es so langweilig und unterkühlt macht). Jahr für Jahr ginge es um die gleiche Liga, gegen die gleichen Gegner und das mit überschaubarer medialer Wahrnehmung. Und die Stimmung im Stadion? Eher geht so.

Ein Sportinvestment in Europas niederen Ligen dagegen verspricht vielleicht keine große finanzielle Rendite, ganz stark aber eine emotionale. Das sagt auch Bob Malandro, Gründer der Whitecap Sports Group, die solche Deals vermittelt gegenüber der „Financial Post“:

“In many cases, there’s a little more risk involved with these types of investments, but there’s certainly more reward — potentially… The ideal scenario is the investor has some fun with the asset. You know, they feel like they are involved in the club, even if they’re a small minority stakeholder, and they get to enjoy it on different levels, and not just financially.”

Und der Autor ergänzt:

„Shelling out several hundred thousand dollars for Amazon.com Inc. stock may be a fairly safe bet to make, but tracking the ebbs and flows of the stock market doesn’t quite hold the same appeal as having a few beers while watching your investment drub a hated opponent.“

Noch dazu ist es: Europa. Der Kontinent wird für viele Amerikaner – vor allem für jene, die es nicht mit Donald Trump halten – zu einer Art Sehnsuchtsregion. Sie wandern aus oder halten sich zumindest Ferienhäuser, sie treffen sich in Metropolen wie Paris oder London, es gibt jetzt einen Direktflug New York – Palma.

So geht es anscheinend auch einem der Preußen-Investoren:

„What Saxberg does know is that a few years down the road, once the kids are a bit older, he wants to move the family to Münster, not full time, but for just enough time for them to gain an enriching experience and for the minority owner to catch a bunch of Münster games in the club’s new stadium, which is preferable to getting up at 5:30 a.m. in Calgary to watch them online as he does now.

“I’m learning German; it might take me five years to be able to speak a sentence, but I’m trying,” he said. “I view the investment as a long-term commitment, and the biggest thing for me is meeting and experiencing new people, and, at the end of the day, it is Europe, so what’s not to love?”“

Gamechanger Wrexham

Ich glaube, dass die „Post“ noch einen Faktor übersieht: den AFC Wrexham und die TV-Serie „Welcome to Wrexham“ auf Disney+.

Mitten in der Pandemie kauften die Schauspieler Ryan Reynold und Rob McElhenny den heruntergekommenen Fünftligisten Wrexham im ehemaligen Kohlegebiet von Wales. Die Idee: Sie bringen den Verein wieder hoch und verfolgen das in einer Dokumentation, erzählt mit der explodierenden Kreativität der beiden. Und weil die Serie läuft, sind Werbeplätze auf den Trikots und Banden des Clubs ein spanenderes Investment – TikTok und United Airlines waren/sind Werbepartner in Wrexham.

Herausgekommen ist eine Serie, die alle Fußballfans mit ihren fußballskeptischen Lebenspartner*innen und Freunden sehen sollten: warmherzig, witzig, überraschend und manchmal wahnwitzig. „Welcome to Wrexham“ zeigt, warum Fußball so besonders ist.

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Die Serie, inzwischen in der 3. Staffel, ist ein überbordender Erfolg. So überbordend, dass es in den USA eine ernsthaft große Fangemeinde Wrexhams gibt und der Club im Sommer gerne Freundschaftsspiele dort austrägt.

Reynolds und McElhenny konterkarieren dabei das typische Bild der vom Volk abgewandten „Owner“ im Anzug mit Krawatte: Sie erzählen Geschichten von Fans, leiden öffentlich mit, spielen sich Streiche und herzen in fünft- und viertligaadäquaten Schrammelkabinen oberkörperkleidungsbefreite Kicker: Zwei Kumpel haben Spaß.

Ich glaube, dass diese Bilder bei jedem, der sich für Sport begeistert einen Gedanken pflanzen: Was wäre, wenn ich das jetzt wäre?

Und wenn man nicht mehr Milliarden investieren muss, so viel kosten die großen Clubs ja längst, sondern mit einer halben Million Teil von etwas werden kann, dass größer ist, als ich – dann wird das zu einem verlockenden Gedanken für das, was wir in Deutschland vielleicht „gehobenen Mittelstand“ nennen würden.

Denn der Mitbesitz an einem Sportclub spielt mit menschlichen Urbedürfnissen:

Status: Besitze ich etwas, was für andere Begehrenswert ist, steigt mein Status. Einst waren das Konsumgegenstände oder Immobilien. Nicht, dass nun jede eine Birkin Bag und jeder ein Haus auf Sylt hat, aber eben in einer gewissen Eliteschicht dann irgendwie schon. Einen Fußballclub in einem fernen Land, bei dem gerade stimmungsmäßig die Post abgeht, so dass man wunderbar Handyvideos von Choreographien vorzeigen kann – that’s a whole new status, baby! Wie sehr dieser Wunsch da ist, zeigt sich ja auch am Clubbesitz des kleinen Mannes, der Vereinsmitgliedschaft. Die war früher ein exotisches Ding, heute zählt Borussia Dortmund 218.000 Mitglieder.

Nostalgie: Am Ende des großen Epos „Citizen Kane“ stellt sich heraus, dass der sterbende Milliardär sich in seinen letzten Momenten an den Schlitten seiner Kindheit erinnerte. Je älter wir werden, desto mehr verklären wir unsere Vergangenheit, niemals kann die Zukunft so schön werden, wie die Historie nie war. Aktuell ist es sogar noch schlimmer: Wir wollen gar nicht mehr erwachsen werden, kritisiert der Kriminologe Keith J. Hayward in seinem Buch „Infantilised: How our culture killed adulthood“. Da ist es nur logisch, sich den ultimativen Teenagertraum zu erfüllen – einen eigenen Fußballclub. Also nicht komplett, aber wenigstens ein bisschen.

Respekt: Natürlich wird die neue Klasse von Investoren nicht umjubelt wie Reynolds und McElhenny. Im VIP-Raum aber, und dort werden sie sich trotz aller vordergründigen Bodenständigkeit aufhalten, ernten sie Respekt – und nach diesem Gefühl streben wir alle.

Mehr Investoren, weniger Einfluss

Meine Prognose ist deshalb, dass wir Investoren sehen werden, die sich an europäischen Clubs in unteren Ligen mit vergleichsweise kleineren Beträgen beteiligen werden.

Werden sie auch Einfluss nehmen? Das bleibt die spannende Frage. Das Münsteraner Konstrukt dürfte direkten Einfluss verhindern. Aber natürlich wird in den entsprechenden Gremien gesprochen. In der „Financial Post“ wird dies verglichen mit Business Angels, die beratend zur Seite stehen, aber nicht Vorstandschef werden wollen und ihn auch nicht stellen. Ob sich das ändert, wenn es mal nicht läuft, ist eine Frage, die derzeit niemand seriös beantworten kann.

Sicher bin ich mir aber, dass der Einfluss in dieser Konstruktion massiv unter dem der Mäzene von einst liegt. Denn so sah ja der Fußball aus, mit dem ich aufgewachsen bin: Da wurden Vereine von Männern mit viel Geld hochgebracht und stürzten nach deren Rente, Ableben oder Firmenpleite in untere Ligen ab – Braunschweig, Offenbach, Schöppingen, Wuppertal, Fortuna Köln, um nur einige zu nennen.

Und Genossenschaften?

Viele Clubs in Deutschland brauchen derzeit Geld. Die einen wegen langjähriger Misswirtschaft, gepaart mit sportlichem Misserfolg (Schalke04), andere weil sie ihr Stadion sanieren müssen (St. Pauli). Mehrfach gab es in der Vergangenheit Beteiligungsmöglichkeiten für jedermann in einer demokratischen Struktur. Der FC St. Pauli gründete jüngst eine Genossenschaft um 30 Millionen Euro reinzuholen, Schalke bietet die Beteiligung am ausgegliederten Stadionkomplex.

Was mich ein wenig daran stört ist, dass nicht jedermann Geld übrig hat. Fußball aber ist nicht rational und so könnten sich Menschen zum Investment verleiten lassen, die diese Summe eigentlich nicht übrig haben. So wie bei den Aktien von Borussia Dortmund aber gilt: Auch solche Investments sind Sportwetten und bei Sportwetten gewinnt am Ende vor allem einer – der Buchmacher.

Außerdem glaube ich, dass dieses Modell endlich ist. St. Pauli wird einmal solch eine Summe aufnehmen können und dann mindestens ein Jahrzehnt warten oder mit signifikant kleineren Investitionsrunden arbeiten müssen. Außerdem bringen diese Konstrukte auch Verpflichtungen wie zum Beispiel Hauptversammlungen mit sich. Je größer die Zahl der Anteilseigner, desto teuer werden die Versammlungen.

Welcome to Everywhere

Wir stehen noch ganz am Anfang dieser neuen Art der Sportclubmitbesitzer. Einerseits suchen wir Menschen eben nach Möglichkeiten, Teil von etwas Besonderem zu sein. Andererseits gibt es noch genügend Orte, an denen das möglich ist. Gut vorstellbar, dass sich Kanadier, Amerikaner oder Südafrikaner genauso für Rot-Weiß Oberhausen begeistern, den 1. FC Bocholt, die Spvgg Unterhaching oder auch Teams in anderen Sportarten.

Vielen wird das nicht schmecken. Aber Sportfans müssen sich da auch eine gewissen Schizophrenie vorwerfen lassen. Denn ist es so viel besser, wenn ein knorriger Mittelständler ohne Sportverstand als Präsident darüber waltet, wer Trainer ist und welche Spieler geholt werden?

Wer „Welcome to Wrexham“ sieht, bekommt eine natürlich 100% subjektive Version dessen präsentiert, was eine optimistische Zukunft sein kann: Traditionsclubs, in die sich die Welt verliebt, weshalb ihre Stammfans einen neuen Stolz empfinden und so auch eine Form von Selbstvergewisserung in manchmal grausam schlechten Zeiten.


Kommentare


Christian Bode 7. Dezember 2024 um 13:05

Ganz toller Artikel. Vielen Dank dafür!

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Frank Biermann 7. Dezember 2024 um 13:38

Hat der SCP bestätigt, dass Ihre Informationen zutreffend sind?=

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Thomas Knüwer 9. Dezember 2024 um 17:14

@Frank Biermann: Ich zitiere seriöse Quellen, weshalb ich von der Richtigkeit ausgehe. Da ich aber kein Journalist mehr bin, stelle ich nicht zu jeder Info eine Anfrage. Gleichzeitig korrigiere ich offen falsche Informationen.

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/Andreas K. Bittner 10. Dezember 2024 um 21:39

Schöner Beitrag, Thomas, wenn auch mit Adler-Augen gesehen. Kleiner Ergänzung: Die SpVgg Unterhaching ist seit Sommer 2019 börsennotiert (WKN A2TR91

Der Pokerspieler Tony Bloom (Brighton & Hove) hat den belgischen Traditionsverein Royale Union Saint-Gilloise wieder aus der Versenkung geholt (Projekt von Multimillionär Jürgen Baatzsch übernommen). Auch Brentford ist aktuell so eine Geschichte und dann war da noch – wie erinnern uns – Watford FC (Reginald Dwight)

TSV 1860, KFC Uerdingen oder aktuell SV Eintracht Hohkeppel sind eher unschöne Beispiele aus diesem Universum, von den es sicher noch mehr gibt.

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Thomas Knüwer 11. Dezember 2024 um 12:11

@Andreas: Danke für Beispiele. Großbritannien ist natürlich immer eine Sondersituation, weil Clubs dort traditionell Eigentümer haben.

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