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Vielleicht ist Deutschland bipolar gestört.

Denn einerseits ist es digitales Drittweltland. Das beginn bei handwerklich schlechten Social Media Accounts und endet bei dem angesehen Forscher im Bereich Medizin, den ich heute sprach, der gerade dabei ist, Deutschland zu verlassen, weil an seiner Klinik zwar teuerste Apparate stehen, aber nichts digital miteinander verbunden ist – was auf Forschung wie auf Heilung durchschlägt.

Andererseits wollen jetzt alle Künstliche Intelligenz machen – und ignorieren dabei auf dem Tisch liegende Fakten genauso, wie simplen Menschenverstand.

Die Bundesagentur für Arbeit, zum Beispiel. Gestern berichtete das „Handelsblatt“, dass die Behörde 19 Millionen Euro ausgeben wird, um die KI-Technologie von Aleph Alpha zu integrieren. Ob die Verantwortlichen wissen, dass bei Aleph Alpha kein einziger Entwickler/Researcher mehr beschäftigt wird? Behaupte nicht ich, sondern schrieb das „Handelsblatt“ bereits in November. Das könnte man jetzt mal hinterfragen, aber die Zeitung ist seit Monaten in einem eher unkritischen Verhältnis zu diesem, sagen wir bemerkenswerten Unternehmen. 

Oder die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT).

Die präsentierte gestern die „virtuelle Influencerin“ Emma. Die ist nicht nur virtuell, sondern auch KI-generiert, also noch zig mal teurer bei schlechterer Qualität. Das Ausmaß dieses Niedrig-Niveaus hat das Volumen eines „Stromberg“-Kinofilm.

Fangen mir mal mit dem eigenen Auftritt an. Emma präsentiert sich in einem Film:

Es wird die DZT sicher überraschen: Aber solche Filme lassen sich heute auch in scharf produzieren und *schock* die Lippenbewegungen könnten synchron zum Ton sein.

Die Kommentare unter dem Posting sind zu praktisch 100% negativ. Mein Favorit:

Das gesamte Video schreit KI!. Interessant wäre auch die Frage, warum Emma britisches Englisch spricht, statt Englisch mit einem Hauch deutschen Akzents? Das gesamte Video wirkt billig und es gibt exakt keinen Grund, es anzusehen.

Aber vielleicht ist Emma ein großartiger Chatbot? Auf der Homepage der DZT kann man sich mit ihr unterhalten. Also, „unterhalten“ ist in dem Zusammenhang natürlich ein starkes Wort. Faktisch werden beliebige Listen erstellt. Wer zum Beispiel nach den schönsten Städten Deutschlands fragt, bekommt als Option Nummer 1…

Bielefeld. Ja, also… Wie soll ich sagen…

Dann frage ich lieber nach meinem Lieblingsthema: Essen.

Sauber an der Frage vorbei, aber gut. Bemerkenswert ist jedoch die Erwähnung des „Zur Linde“. Dies ist ein respektables Restaurant, sicher. Aber es hat keinen Stern und das wirft die Frage auf, warum gerade dieses Haus herausgehoben erwähnt wird.

Erst recht, weil Emma jeder, aber auch wirklich jeder konkreten Beantwortung einer Frage ausweicht:

Nun verhält es sich mit Generativer KI ja so (und man muss das leider immer wieder erwähnen), dass sie nie falsch liegt, aber auch nie richtig. GenAI kennen das Konzept der Richtigkeit nicht, sie werfen aus, was am wahrscheinlichsten ist.

Selbst in dieser Disziplin scheitert Emma aber laut krachend. Würde ein finnische Reiseaspirant zum Beispiel nach de bequemsten Art fragen, Deutschland zu bereisen…

… so würde die Antwort als zweite Option dies enthalten:

„Wenn Sie gerne in der Natur unterwegs sind, bietet Deutschland tolle Wandermöglichkeiten. Sie können Ihre Wanderung ganz einfach mit öffentlichen Verkehrsmitteln beginnen und gut markierte Wanderwege genießen. Für weitere Informationen klicken Sie bitte hier.“

Wandern. So wahnsinnig bequem.

Der Link führt übrigens zu den „Qualitätsregionen Wanderbares Deutschland“ und wer immer sich diese Vokabel ausgedacht hat, ist hoffentlich verbeamtet – denn nie zuvor in der Geschichte des Beamtentums hätte jemand diese Anstellungsart so sehr verdient. Das aber wird unser finnische Besucher nie erfahren – denn die verlinkte Seite ist keiner anderen Sprache erhältlich als in Germanisch.

Erstellt wurde dieser Unfug nicht mit Aleph Alpha, sondern mit Onlim aus Österreich, das seine „virtuellen Assistenten“ tatsächlich „intelligent“ nennt – aber in Österreich heißen Tomaten ja auch Paradeiser.

Zwischenfazit:

  • Emma ist ein den Tourismusstandort schädigend schlechter Chatbot.
  • Emma ist kein Influencer: Denn wer neu auftaucht, influenct natürlich exakt niemanden.

Gern wüsste ich, ob wirklich in diesem gesamten Prozess überhaupt niemand eingeworfen hat: „Also, so richtig dolle ist das ja jetzt nicht, oder?“

Stattdessen behauptet die DZT der Babbo im Tech-Bereich zu sein:

„So beantwortet bereits seit 2020 ein KI-gestützter Chatbot rund um die Uhr Kundenanfragen auf der DZT-Website, und auch im Bereich der immersiven Technologien, wie Virtual Reality, Augmented Reality oder Smart Speaker-Anwendungen, setzt die DZT schon seit längerem auf KI zur Inspiration von Endkunden.“

Ich übersetze mal: „Wir haben so viel Geld, dass wir ohne den Einsatz von Hirn jedem Trend hinterherlaufen im verzweifelten Ansinnen, selbst als cool zu wirken. Was das der Zielgruppe bringt, ist dabei egal.“

Immerhin: In einigen Bereichen beherrscht die DZT ja Generative KI. Denn diese Passage kann ja nicht wirklich von einem Menschen verfasst worden sein:

„In der Customer Journey kann Emma bereits in der Inspirationsphase als innovative Brückenbauerin zwischen potenziellen Reisenden und echten, unvergesslichen Erlebnissen in Deutschland werben.“

Die DZT hat dabei auch keine Probleme, verbrannte Erde zu hinterlassen::

„Emma wird parallel zu den erfolgreich etablierten Strukturen unseres Influencer-Marketings agieren. Durch die Zusammenarbeit mit ‚klassischen‘ Influencern konnten wir im vergangenen Jahr bereits 148 Millionen Impressionen auf deren Social-Media-Kanälen generieren.“

Äh, bitte was?

Die DZT arbeitet mit Creatorn. Diese Medienschaffenden verdienen ihren Lebensunterhalt mit solche Kooperationen – und nun fließt das Geld halt in eine bizarr schlecht gemachte KI, die behauptet das gleiche Berufsfeld abzudecken? Partnerschaft, made by DZT. Ich könnte verstehen, wenn einzelne Creator zur Beschimpfung greifen.

Was die DZT hätte tun können?  Zum Beispiel eigene Creator und Influencer aufbauen. Die könnten aus der Organisation kommen, man könnte auch über Exklusivverträge nachdenken. Und man könnte auch eine richtige Service-Chatline mit Menschen betreiben.

So aber ist Emma eine Hilfe für – niemanden. Sie ist Geldverschwendung.

Leider ist sie andererseits ein gutes Sinnbild dafür, was derzeit im deutschen Markt passiert. Sehr viele wollen zu den coolen Kids gehören und geben sehr viel Geld für sehr sinnlose KI-Anwendungen und, sagen wir, problematische Dienstleister aus.

Das ist erstmal ärgerlich, liefert aber schöne Pointen.

Doch leider wird es auch dem Standort schaden. Denn wenn all die PR-Luftnummern geplatzt sind, werden viele das tun, was sie in der ersten Hälfte der Nuller-Jahre taten: Digitalisierung zum Unfug erklären.

Weil das passierte, hat Deutschland nie die Effizienzgewinne der Digitalisierung jener Jahre mitgenommen – und daran leiden wir noch heute. Die Gefahr ist groß, dass sich dies nun wiederholt.


Kommentare


Torsten Schwarz 18. Oktober 2024 um 14:20

So deprimierend auch manche Dinge sind, die in diesem unserem Lande passieren, so erfrischend wiederum ist es, aus deiner Feder von den Erfahrungen mit diesen zivilisatorischen Errungenschaften zu lesen.

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