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Wieder einmal schüttele ich den Kopf ob der Kommunikationspolitik deutscher Verlage und ich tue das so heftig, als würde ich Headbanging zu Speed Metal betreiben.

Denn etliche Branchenverbände beteiligen sich an einer Initiative mit dem Titel „Bitte zu Ende denken“. Sie wendet sich gegen die angedachten Werbe-Restriktionen für Lebensmittel, die Kindern gesundheitliche Probleme bereiten könnten.

Auch ich bin gegen Werbeeinschränkungen – weil sie nicht wirken (dazu hatte ich hier länger geschrieben). Sie sind der Glaube der Politik, mit einem Pflästerchen eine Wunde heilen zu können, die mit einem sauberen Samurei-Schnitt, schön einmal quer über die Brust geführt, entstanden ist.

Das aber ist nicht die Argumentation der Medienhäuser. Sie demonstrieren mit „Bitte zu Ende denken“, wie sehr sie außer Stande sind, Dinge zu Ende zu denken – wie sehr sie aber bereit sind, die Intelligenz ihres Publikums zu beleidigen.

Ich zitiere mal die Pressemitteilung, bei der jeder beteiligte Berufskommunikator bitte kündigen und die Branche wechseln sollte:

„Besonders private Medienunternehmen sind von dieser Regelung betroffen. Sie benötigen Werbeumsätze, um unabhängigen Journalismus zu finanzieren, erhebliche Teile ihres Gesamtbudgets stammen aus der Lebensmittelwerbung.“ 

Nun, das mag vielleicht für den BVDA, den Bundesverband kostenloser Wochenzeitungen gelten. Aber beteiligt sind eben auch:

  • BDZV (Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger)
  • MVFP (Medienverband der freien Presse)
  • VAUNET (Verband Privater Medien)
  • VDL (Verband Deutscher Lokalzeitungen und Lokalmedien)

Und das sind die Verbände, die allen seit Jahren einreden wollen, dass nur Paid Content die Rettung für Medien ist und Onlinewerbung Journalismus eben nicht refinanziere. Erst in dieser Woche hat ja der Münchener Boulevard-Verlag Burda anscheinend seine Haltung geändert. Ging sein „Focus“ noch im August mit einer Anti-Paywall-Kampagne an die Öffentlichkeit, will er nun seine Paid Content-Aktivitäten verstärken – ein Fähnchen im Wind ist eine betonstabile Angelegenheit dagegen.

Natürlich kann man auch hinter einer Paywall Werbung offerieren – nur werden die Reichweiten dann so unattraktiv, dass die Einnahmen einbrechen.

Damit endet die Absurdität der Presseerklärung aber noch nicht. Denn das Thema enthält ein moralisches Dilemma. Niemand würde bestreiten, dass zu viel Süßigkeiten Kindern Probleme bereiten kann (Erwachsenen natürlich ebenso).

Wer also für weniger Zucker kämpft, kämpft für das Gute. Der Fürsgutekämpfer verwendet dann auch gern den Zusatz „Industrie-“ vor „Zucker“, gerade so, als ob eine im Schrebergarten gezogene Zuckerrübe eine Alternative wäre, Honig nur beim Imker und nicht beim Lebensmittelkonzern gekauft würde, und Stevia eine superduper Idee wäre.

Dem müsste man wissenschaftliche Stimmen entgegensetzen – und wer könnte das besser als Journalisten? Doch stattdessen kommen nur schwammige Formulierungen:

„Die Gesundheit unserer Kinder liegt uns am Herzen. Deshalb wünschen wir uns wirksame Maßnahmen, die Kinder vor Fehlernährung schützen. Werbeverbote sind unwirksam im Kampf gegen kindliches Übergewicht. Wir wollen, dass unsere Kinder in einer Welt mit Informations-, Meinungs- und Medienvielfalt aufwachsen können. Denn durch pauschale Werbeverbote wie das Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz verlieren Medien nicht nur eine der wichtigsten Einnahmequellen, sondern unsere Gesellschaft auch die zuverlässige Versorgung mit Informationen als Gegengewicht zu Desinformation und Fake News.“

Da behauptet die Verbands-Sippschaft, es gehe um Werbeverbote. Es geht aber um Einschränkungen und das ist nicht hohe Rhetorik. Die Behauptung eines Verbotes ist also das, was die Verbände behaupten, zu bekämpfen: Desinformation und Fake News.

Aber mehr noch: Aus der Formulierung wäre die die Behauptung, dass Kinder zu viele Süßigkeiten konsumieren und sich damit schädigen, ebenso eine Falschinformation. Damit aber bringt man sich kommunikativ in eine ganz üble Position, auch wenn das nicht mal zu 100% falsch ist, denn keineswegs erlebt beispielsweise Adipositas bei Kindern in Deutschland ein rasantes Wachstum.

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hat die jüngst herumgereichten Behauptungen eines starken Anstiegs adipöser Kinder und Jugendlicher jüngst scharf angegriffen: „Aus einem kleinen absoluten Anstieg wird durch die Darstellung in relativen Wachstumsraten und absoluten Zahlen eine große Sache.“

Doch durch die Absolutheit der Formulierung nehmen sich die an „Bis zum Ende denken“ beteiligten Verbände Raum zur Kommunikation, sie verankern einfach eine Extremposition und wirken dadurch unsympathisch.

Diese wackelige Ausgangslage wird nicht durch die Inkompetenz gestärkt, mit der diese Kampagne aufgesetzt wurde.

Ausgangspunkt scheint die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. (BVE) zu sein, nicht nur die Verlagsverbände mobiliserte, sondern auch:

  • ZAW (Zentralausschuss der deutschen Werbewirtschaft)
  • BVDW (Bundesverband Digitale Wirtschaft)
  • FAW (Fachverband Außenwerbung)
  • Markenverband
  • sowie die Vermarkter Media Impact, AdAlliance, BCN, VISOON, Bonial, RMS und Framen

Sprich: Da sind auch Verbände dabei die behaupten, sie würden für qualitativ gute Kommunikationskampagnen stehen. Sieht man sich aber einige Details von „Bitte bis zum Ende denken“ an, müssten beispielsweise die Mitglieder des ZAW empört kündigen, angesichts dieser Rufschädigung.

Denn zunächst gibt es ein Motiv der Initiative. Es ist dieses hier:

Produktion der Textanwüste, die gerne „Bild“ genannt werden möchte: Bundesvereinigung Ernährungsindustrie (BVE)

Kommt Ihnen das Motiv auch etwas unscharf vor? Das liegt daran, dass der Pressemitteilung keine hoch aufgelöste Version beigefügt wurde.

Die Visualisierung zeugt vom aufgeblasenen Ego der Beteiligten. Denn würde man die Interessen der Leser*innen nach vorn stellen, müssten die beiden Seiten ja genau andersherum stehen: „Hier hätte ein Artikel gestanden… den diese Werbung finanziert würde.“

Wer sich selbst aber für das Wichtigste hält und sich exakt gar nicht für die Interessen der Kundinnen und Kunden interessiert – so wie beispielsweise Verlage –, der dreht das eben um.

Wer nun versucht, sich kundiger zu machen über die Initiative „Bitte bis zum Ende denken“, der scheitert. Nicht einmal für einen Hashtag hat es gereicht, das hätte die Medienhäuser in Sachen Digitalisierung natürlich auch überfordert. Eine Microsite mit der Argumentation? Nope.

Stattdessen gibt es einen QR-Code. Wo führt der hin?

Zu „Lieber mündig“, einer anderen Kampagne der BVE. Bestimmt haben ein paar alte, weiße Männer über die Benamung gelacht, weil mündig, Mund, Ernährung, Sie verstehen.

Wobei der Absender erstmal ein wenig versteckt wird, was ja eher zu den demokratiefeindlichen Methoden der Public Relations gehört – genauso wie das Verwenden von Fake News und Desinformation. Denn genau damit arbeitet auch „Lieber mündig“.

Die billig zusammegeklöppelte Seite – für deren Programmierung hoffentlich kein Geld der BVE-Mitgleider ausgegeben wurde – behauptet nämlich ebenfalls das Märchen vom Verbot:

Käme all dies von einem kleinen Schlossermeister aus Kattenvenne-West – OK. Aber hier haben sich nicht nur einige der wichtigsten Branchenverbände des Landes zusammengetan. Nein, es sind Verbände, die für sich behaupten, Kommunikation zu beherrschen und wichtig zu sein, für die Gesellschaft.

„Bitte bis zum Ende denken“, möchte man BVE, BDZV, ZAW und all den anderen Kürzeln sagen. Aber das wäre natürlich sachlich falsch. Denn sie müssten erstmal anfangen, zu denken.


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