Größere Weinhändler leisten sich Hausmessen. Zu denen reisen dann Winzer ein und schenken aus, das interessierte Volk trinkt und speist, letzteres aber nicht zu viel, der Alkohol soll wirken. Und ab einem gewissen Pegel wird der Klammergriff um die Geldbörse lockerer und die heimischen Bestände werden über das rationale Maß hinaus aufgestockt.
So ähnlich funktionierte früher der DLD, die Hausmesse des Burda-Konzerns. Nur dass die Einkäufe nicht aus Chardonnays und Spätburgunder bestanden, sondern aus Anteilen an Startups.
Kommen durfte man einst nur auf Einladung, entsprechend bestand das Publikum aus Freunden, Familie und Mitarbeitern. Gespart wurde aber nicht, allein schon die DLD-Party war legendär, irgendwann landete wer halt im Swimming Pool. Klar, man konnte auch zahlen, aber das war teuer. Zu teuer für Gruner + Jahr, weshalb der spätere OMR-Gründer Philipp Westermeyer 2007 nicht anreisen durfte um über eine Beteiligung an einem US-Startup names Facebook zu reden.
Dreimal durfte ich noch für das „Handelsblatt“ kommen, dann blieben die Einladungen aus, ein paar Jahre später erfuhr ich den Grund: Majestätsbeleidigung.
Denn im Jahr 2009 kam es zu einem heute in der Medienbranche legendären Moment. In einem Panel wurde über die Zukunft der Medienfinanzierung diskutiert, das Podium war exzellent zusammengesetzt.
Carolyn McCall, Chefredakteurin des „Guardian“ wirkte ein wenig ratlos ob der künftigen Finanzierung. Jeff Jarvis, Professor an der City University in New York, rechnete vor, dass US-Verlage im Jahr 600 Millionen Dollar ausgeben für Abo-Geschenke und glaubte, das Geld ließe sich sinnvoller investieren. Einen merkwürdigen und unhöflichen Auftritt lieferte dagegen Michael Arrington, der Gründer des damals bedeutenden Blogs Techcrunch. Er lümmelte sich auf dem Sessel und rantete aufs Platteste: „Print has to go away“, zum Beispiel, oder „Journalists are lazy primadonnas with bad work ethics compared to bloggers.“ Später wurde Arrington angespuckt, von wem wissen wir bis heute nicht.
Es war eine gereizte Zeit, die Immobilienkrise wütete, die Medienbranche mochte sich nicht verändern, die Ad-Plattform von Facebook war zwei Jahre alt und wuchs rasant, Mark Zuckerberg war beim DLD als Redner eingeladen. „Wendekreis der Krise“ habe ich den Blog-Artikel hier damals übertitelt.
Aus dieser Stimmung heraus ergriff bei der Fragerunde im Anschluss an das Panel Hubert Burda höchstelbst das Mikro und sprach zur Werbefinanzierung im Netz einen Satz, der zum geflügelten Wort der Medienbranche werden sollte: „You get only lousy pennies on the web“.
Die Aussage war weder von Fachwissen durchdrungen noch durch Fakten getrübt. Auch damals galt, dass die allermeisten großen Nachrichtenangebote rein werbefinanziert profitabel arbeiteten – nur eben nicht mit den fast unethisch hohen Margen der Print-Bereiche.
Dieser Satz mit den lausigen Pennys zementierte das Verhalten der deutschen Verlagsbranche: Denn wenn sich im Internet nichts verdienen lässt, dann sollte man die Finger davon lassen und bloß nicht investieren. Burda bestimmte, wahrscheinlich unwissentlich, zu einem gewichtigen Teil mit, was in den Folgejahren passierte und führte damit seine Industrie weiter in das Loch, in dem sie heute noch steckt.
Wie wichtig dieser Satz war, realisierte ich damals nicht, weil er mich so ärgerte. So sehr, dass ich auch um das Mikro bat, in der eigenen Erinnerung war ich der nächste der eine Frage stellte, aber mit solchen Erinnerungen muss man vorsichtig sein. Auf jeden Fall fragte ich in Richtung Hubert Burda sinngemäß: „Viele Pennies sind viel Geld. Warum fangen die Verlage nicht mal damit an, diese zu verdienen?“
Damit hatte ich Gott Hubert Burda kritisiert. Und das tut man nicht auf dessen Haus-Messe.
So wenig war mir die Wichtigkeit des Momentes bewusst, dass ich ihn nicht mal in meinem DLD-Blogpost erwähnte, obwohl ich ganz viele Zitate eingesammelt hatte.
14 Jahre später nun gibt es dies aus dem Hause Hubert Burda:
Äh, bitte?
Der Verleger, der im Internet nur „lausige Pennys“ verdient haben will, startet nun eine Kampagne gegen Paywalls?
Nein, ich denk mir das nicht aus.
Hier die Presseverlautbarung:
„Mit dem Claim „News ohne Ende“ zeigt die BurdaForward-Marke, warum Non-Paid-Portale in der deutschen Nachrichtenlandschaft so wichtig sind. Ausgerollt wird die Kampagne auf den hauseigenen BurdaForward-Marken wie FOCUS online, BUNTE.de, CHIP oder TVSpielfilm, aber auch im FOCUS Magazin und auf externen Kanälen wie im Rahmen von TV-Spots (ProSiebenSat.1) und Out-of-Home Werbung.“
Mit dieser 14 Jahre alten Vorgeschichte ist es von gehobener Komik wenn „Focus“-Chefredakteur Florian Ferstl so tut, als ob sein Haus das immer schon gewusst habe, das mit der Werbefinanzierung:
„Sicher haben auch andere Geschäftsmodelle ihre Berechtigung. Gleichzeitig leitet uns die Überzeugung, dass hochwertige Non-Paid-Portale in der deutschen Nachrichtenlandschaft systemrelevant sind.“
Es ist also systemrelevant, was laut Hubert Burda nicht existieren kann (lausige Cent werden wohl kaum als Geschäftsmodell durchgehen).
Nur für weitere Blog-Postings merken wir uns die weiteren Aussagen Ferstls:
„Wir wollen allen Menschen in Deutschland professionell geprüfte und damit zuverlässige Inhalte entlang der Tagesaktualität zur Verfügung stellen. So geben wir ihnen Hintergrundinfos und News to use, damit sie in ihrem Alltag bessere Entscheidungen treffen können.“
Also, dass „Focus“ für „professionell geprüfte und damit zuverlässige Inhalte“ stehen soll – das ist von genauso viel Wahrheitswert wie das mit den lousy pennies.
Es heißt, Konservative wehren sich so lange gegen Fortschritt, bis er da ist – und dann behaupten sie, sie hätten ihn erfunden.
Ich weiß nicht, von wem dieser Satz stammt und Google hilft mir da auch nicht (Hinweise auf den/die UrheberIn in den Kommentaren erbeten).
Aber eines können wir absolut festhalten: Hubert Burda Media ist ein sehr konservatives Haus. Ein sehr, sehr, SEHR konservatives.
Foto: Eirik Solheim, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons
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