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Vor wichtigen Fußballspielen entsteht eine ganz besondere Form von Energie. Wer wenige Stunden vor solch einem Match die Stadt des Gastgebers durchquert, spürt es: ein Zittern, ein Vibrieren, Menschen mit Schals und Trikots, mal sind sie viel zu laut, mal angespannt leise.

Gehört man selbst zu den Anhängern, zehrt es im Inneren. Es ist das Gefühl, dass etwas Großes passieren wird. Man spricht im großen oder kleinen Kreis, vielleicht auch nur zu sich selbst, aber nur darüber, wie es gleich losgehen wird, nicht, wie es enden könnte.

Denn das Ende kann positiv sein, eine Euphorie erzeugen, von der man Tage, Wochen, gar Jahre, zehrt. Oder eine große Enttäuschung. So oder so, mag man es nicht thematisieren, nicht kaputtreden, nicht unken.

Dieses Gefühl der inneren Unruhe ist für mich das, was ich während der drei Tage auf der re:publica 2023 verspürte.

Einerseits war da die Sorge, besser: die Angst, vor den multiplen Krisen unserer Zeit: Ungleichheit, Umwelt, Technologiepessimismus. Andererseits aber Hoffnungsmacher und Erklärer und natürlich der Grundoptimismus der Konferenz selbst. Sicher schien nur: Die Dinge werden sich ändern und müssen sich ändern.

Würde ihre OrganisatorInnen und ihre BesucherInnen nicht daran glauben, dass diese Veränderung positiv wäre, die re:publica hätte nicht so lange Bestand – dies war ihre 17. Ausgabe.

Den vielleicht klügsten Satz der drei Tage sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck, genauer gesagt, stellte er die klügste Frage: „Wollen wir gemeinsam etwas erreichen oder uns Geschichten über das Scheitern erzählen?“

Die re:publicaner wollen etwas erreichen und deshalb erzählen sie sich Geschichten über das Gelingen und die Hoffnung. Zum Beispiel die über Scoring Girls, einer Organisation, die Mädchen in Deutschland und im Irak Selbstbewusstsein via Fußball vermitteln will. Oder das mit Standing Ovations bedachte Gespräch über Frauen im Iran von ARD-Korrespondentin Natalie Amiri und der Autorin Gilda Sahibi.

Teil dieses Grundoptimismus ist es auch, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die andere Haltungen vertreten, als die eigene (solange sie sich im demokratischen Konsens bewegen), zum Beispiel Finanzminister Christian Lindner. Der quittierte erst ganz am Ende Unmutsäußerungen, als er seine spürbare Konzentration fahren ließ und im Wahlkampfmodus unbedingt verkünden wollte, was mit ihm nicht zu machen sei.

Es ist auch diese generelle Fairness, die Auftritte von Spitzenpolitikern nicht mehr zur re:publica-Anomalie macht, sondern zur Normalität. Dass aber Abteilungsleiter von Wirtschafts- und Finanzministerium heute Grundlagenvorträge zum Thema Wirtschaft halten, das wäre vor wenigen Jahren noch schwer vorstellbar gewesen.

Was für ein Unterschied zu dem, was bei der OMR in Hamburg passierte (bei der ich nicht war, aber die apokalyptischen Erzählungen sind ja Legion). Hier ernsthafte Inhalte, da Spaßauftritte; hier Inklusion, da sexistische Sprüche; hier ein breites Spektrum, da salesgetriebenes Onlinemarketing. Die re:publica ist Deutschlands wichtigste, weil einflussreichste Digitalkonferenz und das mit Abstand.

Beigetragen zu dieser gefühlten Energie hat die Pandemie. Im vergangenen Jahr fand die re:publica ebenfalls schon körperlich statt, doch viele der regelmäßigen BesucherInnen fehlten, es war ein irgendwie gedämpftes Konferieren.

In diesem Jahr war da ein großes Herzen und Umarmen, Energie schillerte in der Luft.

Das lag sicher auch am Oberthema „Cash“. Während die re:publica sich in der Vergangenheit gern gefühlige und weit definierbare Oberthemen gab („Anyway the wind blows“ im vergangenen Jahr), war „Cash“ eben ziemlich klar auf den Punkt. Und weil in der Community der Konferenz Anti-Kapitalisten ebenso zu finden sind wie Unternehmer, kam ein Programm dabei heraus, das so spannend war, wie vielleicht keines zuvor in der 17-jährigen Geschichte.

Und doch fehlte eines: Konfrontation.

So sprach die schwerreiche Erbin Marlene Engelhorn, die sich für eine starke Umverteilung einsetzt, direkt vor Lindner. Natürlich bekommt man die beiden nicht auf eine Bühne (und das dürfte eher am Minister liegen), doch fehlten zu oft unmittelbare Kontrapunkte. Hier sollte die re:publica versuchen entweder unterschiedliche Meinungen miteinander zu paaren oder zumindest weitaus mehr Zeit für Fragen aus dem Publikum einzuplanen. Ein Beispiel: ARD-Intendant Kai Gniffke stellte sich eine Stunde lang Fragen der BesucherInnen – das wäre grandios auf der großen Bühne gewesen. So aber gingen der ARD an ihrem Stand die Kopfhörer aus.

Die mangelnde Debatte war leider zu oft auch den ModeratorInnen geschuldet, denn manchmal waren sie zu sehr auf der Seite der Vortragenden oder Interviewten, zu oft verfielen sie in einen Talkshowmoderator-Modus.

Letzteres betraf vor allem JournalistInnen. Ständig versuchten sie erst pseudolustige Einleitungen zu setzen, um dann Gotcha-Momente zu erzeugen. Wer fragt „Wie enttäuschend ist es…“ nimmt eben die Option aus, dass etwas nicht enttäuschend sein könnte. Gern bauten sie comicartige Szenen auf, wie das die Moderatorin eines Panels mit Youtube-Deutschlandchef Andreas Briese tat. Wer Fragen stellt wie „Aber beim Digital Services Act knallten bei Ihnen doch die Champagner-Korken“ hat entweder eine sehr naive Sicht auf die Welt oder kein Interesse an einem ernsthaften Gespräch – er/sie will „Anne Will“ spielen.

Unser Food-Podcast Völlerei & Leberschmerz auf der Bühne der rper: Lee Greene, Brlo-Mitgründerin Katharina Kurz, Carmen Hillebrand (v.l.),

War aber eine Session zu wenig Gewinn bringend, so gab es angesichts von 26 Bühnen genügend Wechselmöglichkeiten – theoretisch. Denn die Arena stieß an ihre Grenzen, sehr viele Programmpunkte waren sehr, sehr voll.

Deshalb halte ich es für die richtige Entscheidung des Teams, im kommenden Jahr in die Station zurückzukehren. Die hat leider weder Strand, Spree oder Schwimmbad, ist aber eben die bessere Lösung, um eine Konferenz abzuhalten.

In diesem Jahr aber war die Arena schon ein guter Ort. Denn angesichts all jener Energie war es auch mal gut, in einem Liegestuhl beim Sonnenuntergang oder der Synchronschwimm-Show (was für eine geile Idee) mal ein paar Minuten aus dem vibrierenden Umfeld herauszunehmen.


Kommentare


Tim 13. Juni 2023 um 12:12

"Den vielleicht klügsten Satz der drei Tage sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck, genauer gesagt, stellte er die klügste Frage: „Wollen wir gemeinsam etwas erreichen oder uns Geschichten über das Scheitern erzählen?“"

Das ist keine kluge Frage, sondern der beliebteste Politik-Nebenwerfer unserer Zeit. Bei einem gegebenen Ziel muss die wichtigste Frage immer lauten: *Wie* erreichen wir am besten das Ziel?

Aber diese Frage wird in der Politik nicht (mehr) oft gestellt. Statt dessen wollen immer mehr Politiker den Macher geben. Sie tun so, als wären es schon prima, irgend etwas zu tun, zu machen, zu erreichen. Nope.

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