Das vergangenen Wochenende war für mich ein emotionales. Der SC Preußen Münster, Verein meines Herzens, steigt in die drittel Liga auf. Das stand schon seit Wochen fest, so dass unser letztes Heimspiel gegen Rot-Weiß Ahlen zur ausverkauften Party wurde.
Doch dann kam etwas, womit niemand rechnete: ein Ted-Lasso-Moment im wahren Leben.
Wer die letzten Jahre in einem streamingbefreiten Ferienhaus auf den hinteren Lofoten verbracht hat: „Ted Lasso“ ist die warmherzigste Serie der vergangenen Jahre, die sich um einen American-Football-Trainer dreht, der einen englischen Fußballclub trotz fehlender Fachkompetenz zum Positiven verändert.
Tja, das ist halt Fernsehen, denkt man. Doch ein Fußballclub kann solche Momente erschaffen, wenn er will. Und genauso können das Unternehmen – wenn sie wollen.
Was also ist passiert?
Vor dem Anpfiff des Preußen-Spiels wurden, wie es Tradition ist, die scheidenden Spieler verabschiedet, darunter Dennis Daube. Daube war die Star-Verpflichtung der Münsteraner nach dem Abstieg in die Regionalliga vor drei Jahren. Er kam mit 149 Zweitligaspielen für St. Pauli und Union Berlin und war eine Größe in seiner ersten Saison bei den Preußen. Doch im September 2021 riss er sich das Kreuzband, seit einigen Wochen ist klar: Er wird nie mehr spielen.
Am Eingang zum VIP-Bereich sah ein Bekannter Daube vor dem Spiel, in normaler Kleidung holte er sich sein Ticket und ein Einlassbändchen ab. Bei der Verabschiedung stand er in ebendieser Optik parat zum Foto mit Blumenstrauß – alles so, wie es nun mal sein muss.
Ebenfalls gehen wird Nicolai Remberg: 22 Jahre alt, seit 7 Jahren in Münster, nun auf dem Sprung zu Holstein Kiel in die zweite Liga. Das nimmt ihm niemand übel, er hat sich immer zerrissen. Und seit dem vergangenen Jahr hat man das Gefühl, dass die zweite Liga auch nur eine Durchgangsstation für ihn sein könnte.
Er stand auf dem Platz und wie es sich gehört, wurde er ausgewechselt um sich eine Standing Ovation abzuholen – alles so wie es sein muss, es war die 87. Spielminute. Doch mit einem Mal wurde es rund um den Spielertunnel merkwürdig unruhig. Wer regelmäßig in einem Stadion zu Gast ist, entwickelt ein Gefühl für die Geräusche und die Atmosphäre, man ahnt, wenn etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Und da war etwas, was nicht normal war.
Denn er stand an der Seitenlinie: Dennis Daube. Im Trikot. Mit Stollenschuhen. Bereit zur Einwechslung – für Nicolai Remberg.
Das Stadion ging steil, die Mannschaft erstarrte teilweise und rannte dann auf Daube zu. Remberg wird in den Kreis mit aufgenommen und verlässt unter Tränen das Feld – einer der emotionalsten Momente, die ich je in einem Stadion erlebt habe.
Hier zum Nachgucken:
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Nun ist Emotion natürlich Teil des Kerngeschäftes beim Fußball. Doch glaube ich, davon können auch Marken sehr viel lernen. Denn hinter diesem Moment steckt noch einiges mehr. Und auch das Marketing hätte ja so gern Emotionen und versucht über Gefühle zu verkaufen. Allein: Oft genug wird es dann wahnsinnig künstlich, gestelzt und eben – unemotional.
Schauen wir uns das Ganze also mal detaillierter an:
Gefilmte Emotionen brauchen Geheimhaltung
Nicht nur das Publikum ahnte nichts von den letzten Daube-Minuten. Selbst die Spieler wussten nichts davon. Die Presse? Auch nicht. Überhaupt waren nur ganz, ganz wenige eingeweiht. „Eine Handvoll“ schreibt die unabhängige Preußen-Seite 100ProzentmeinSCP über die „Geheimaktion Dennis Daube!“.
Selbst auf den papierenen Mannschaftsbögen fehlte Daubes Name in Absprache mit Verband und Schiedsrichter, nur digital wurde er gemeldet. Dadurch tauchte er nicht in den Mannschaftsaufstellungen auf, die an anwesende Journalisten und an Online-Dienste gehen.
Wer echte Emotionen filmen will, muss sich viele Gedanken darum machen, dass die gefilmten Personen nichts ahnen. Selbst der leiseste Verdacht kann alles ruinieren, wie schon „Verstehen Sie Spaß?“ lehrt: In den Hochzeiten der Show ahnten Prominente, dass sie Opfer der „versteckten Kamera“ werden könnten und nahmen jede Merkwürdigkeit, die ihnen passierte als inszeniert wahr.
Diese Geheimhaltung ist eine schwere Disziplin. Nur ein Beispiel: Würde eine begehrenswerte Marke á la Porsche eine Drehgenehmigung im öffentlichen Raum beantragen, könnte es passieren, dass allein der Markenname reicht, um das Ansinnen über gesprächsfreudige Beamte der Kommune nach außen dringen zu lassen.
Emotionen lassen sich nicht vortäuschen
Viele Marketeers hätten gerne echte Emotionen von echten Menschen – aber sie sollen so ausfallen, wie gewünscht. Das geht, aber eben nur mit Schauspielern. Und um diese Gefühle wirklich zu kreieren, braucht man richtig gute Schauspieler. Die sind zum einen teuer, zum anderen eben Schauspieler, weshalb sich Marken besser nicht erwischen lassen sollten beim Versuch, sie als Menschen von der Straße zu verkaufen.
Ohnehin klappt das ja aber selten. Denn Schauspieler sehen meist aus wie Schauspieler, einfach ein wenig zu schön, um wahr zu sein.
Ein gutes Beispiel dafür ist das jüngst veröffentlichte Spargel-Video von Aldi. Natürlich ist das satirisch gemeint. Doch hätte man es ja auch so inszenieren können, dass nur die Inhalte satirisch wirken, alles andere aber real. So aber sind die auftretenden Charaktere komplett künstlich:
Nicht weniger unemotional ist die Form der Nostalgie-Doku, die das Privat-TV etabliert hat. Da werden dann Menschen vor eine Greenscreen gesetzt, man zeigt ihnen Videos und sie sollen sich daran ergötzen – echte Emotion kommt selten dabei rum, das Setting ist einfach zu künstlich.
Emotionen brauchen Kontext
Die meisten Menschen weinen um den Tod ihrer Großmutter mehr als um den eines entfernteren Verwandten. Schüler und ihre Eltern lachen besonders über den Lehrer-Comedian Herr Schröder, ich kenne zwei Lehrer die ihn dagegen „gar nicht witzig“ finden.
Diese Kontexte müssen bei der Planung mitgedacht werden. Dass Daubes überraschendes Auftauchen Emotionen auslöst, war klar. Durch die Kombination mit Nicolai Remberg aber wurde es in einem Stadion mit rund 12.000 Preußen-Fans zur Gefühlsbombe.
Fehlt dieser Kontext, muss manchmal der Schnitt helfen. Das erlebten wir bei kpunktnull in einem Projekt, das wir für Opel entwarfen. 2014 enthielt die neue Version des Corsa jede Menge elektronische Goodies. Wir stellten Erlkönig-Corsas vor ein Düsseldorfer Einkaufszentrum und baten zur Probefahrt. Erst am Ende lösten wir auf, dass es Opel waren.
Doch die Marke war weder verhasst, noch geliebt genug um exorbitante Reaktionen auszulösen. Die Gefühle waren echt und überrascht genug, um die Botschaft rüberzubringen, dass die meisten Menschen damals nicht gedacht hätten, dass ein kleiner Opel Funktionen wie automatisches Einparken liefern kann – ein gutes Video ist es trotzdem geworden:
Je näher also die zu Emotionalisierenden dem Objekt der Emotion stehen, desto besser das Ergebnis.
Emotion braucht Storytelling-Erfahrung
Das Instagram-Video des SC Preußen wirkt einerseits authentisch, andererseits aber professionell. Dafür gibt es einen Grund: Die Medienabteilung des Vereins. Vier Personen umfasst sie, der „Unerfahrenste“ ist seit 8 Jahren dabei.
Nicht nur das. Der Verein war extrem früh im Social Web dabei, war zum Beispiel einer der ersten Profi-Clubs auf StudiVZ. Diese Mischung aus erfahrenem Personal und Digitalkompetenz zahlt sich dann aus, wenn es zu solch einem Moment kommt. Denn: Auch die Aufnahmen aus dem Tunnel sind nur mit wenigen Minuten Vorlaufzeit geplant worden, wie mir Kommunikationschef Marcel Weskamp sagte. (Weshalb ich diesen Absatz hier umgeschrieben habe).
So geht Social Media Management im Jahr 2023. Aber ich bin da natürlich nicht neutral.
NUR DER SCP!
Keine Kommentare vorhanden