Irgendwann am späten Nachmittag des zweiten Tages war der Gedanke da, einfach so: „Vielleicht ist da ja meine letzte SXSW-Reise, zumindest mal für ein Jahr.“
Einerseits waren die Vorträge, denen ich beiwohnte, zu weiten Teilen enttäuschend, andererseits hat Austin innerhalb eines Jahres dermaßen an Charme verloren, dass „schockierend“ als Beschreibung erlaubt sein muss.
Die SXSW ist ein Konferenz-Moloch mit – je nach Rechnung – 70.000 oder 300.000 Besuchern. Sie beinhaltet einen Digital-, einen Musik- sowie einen Film- und TV-Bereich. Dazu kommen Subkonferenzen zu Themen wie Ernährung, Profisport oder E-Health sowie Dutzende von Firmen- und Länderhäusern, in denen ebenfalls Programm stattfindet.
Einschub: Weltweit stellen Konferenz- und Messeveranstalter ihre Besucherrechnung um auf tägliche Besucher. Die Zahlen steigen also erheblich, lassen aber weniger Schlüsse auf die Wirtschaftlichkeit der Veranstaltungen zu.
Zum 10. Mal war ich in Austin. Und jedes Mal war ich mit mindestens einer Erkenntnis zurückgekehrt, die unser Geschäft bei kpunktnull signifikant justierte. Aber alles hat halt seine Zeit und the times, they are a-changing.
Liegt es daran, dass unsere Airbnb-WG zum achten Mal das gleiche Haus bewohnte und unsere Synapsen deshalb irgendwo auf der Quantenebene miteinander verwoben sind? Jedenfalls war ich nicht der einzige aus unserem Sechserteam, dem genau in jenen Stunden diese Option im Kopf aufploppte.
Am nächsten Morgen war dieser Anflug vorbei. Denn wo sollte man sonst hin? Keiner von uns konnte einen Ort benennen, an dem es möglich ist, sich über ein so breites Spektrum an Themen so konzentriert (und auch so freudvoll) zu informieren. Hinzu kommt die offene Bereitschaft der Teilnehmer, sich kennenzulernen. Und auch wenn „Spaß“ eine in Deutschland verachtete Kategorie ist: Wenn man drei bis fünf Sessions am Tag über fünf Tage konzentriert besucht, braucht der Kopf zwischendurch auch einen Platz zum Umparken.
Dabei war die SXSW 2023 für mich noch bunter als ihre Vorgänger. Einer meiner Twitter-Follower ärgerte sich sogar darüber und fragte, wofür die Konferenz noch stehen soll. Die Antwort dürfte lauten: Genau für das. Für den Glauben, dass Ideen entstehen, wenn Menschen aus der ganzen Welt zusammenkommen um über den eigenen Fachhorizont hinaus zu blicken.
Mein Themenspektrum reichte diesmal von Geoengineering über KI & Empathie bis zur Lage der Gastronomie. Zur SXSW gehört aber auch die geistige Überfrachtung, der man mit spontanen Entscheidungen begegnen muss. So stand ich am vierten Tag schon vor dem Saal, in dem es um nachhaltige Lieferketten gehen sollte, beschloss, etwas Leichteres zu brauchen – und wechselte zu einer Session über das Marketingkonzept der neuen Fußball-Franchise in St. Louis.
Und es gibt die Möglichkeit, Menschen zu sehen, deren inhaltliche Beiträge überschaubar sind – aber man möchte sich ihnen einmalnahe fühlen. So zum Beispiel William „Captain Kirk Denny Craine“ Shatner, Held meiner Kindheit.
Tappsig kommt er auf die Bühne, inzwischen 91 Jahre alt. Doch schon bei der zweiten oder dritten Frage des Kamingesprächs springt er auf, erzählt aus seiner Karriere, bezieht den Gebärdendolmetscher mit ein in die Show, endet mit der Schilderung seines Raumflugs mit Jeff Bezos Blue Origin und einem emotionalen Appell, sich um den Klimawandel zu kümmern – ein Moment fürs Leben:
Wer gar regelmäßig zur SXSW kommt, erlebt Zukunft im Werdungsprozess. Nehmen wir nur das Thema Künstliche Intelligenz. Was im Jahr 2023 fast schockartig die Massenmedien erreicht, deutete sich im Austin Convention Center seit Jahren an.
Bei der SXSW 2017 war KI mein Trend Nummer eins. Ich nahm als Beweis dafür einen Chatbot im Bereich Finanzen und ein Intel-Programm im Bereich Gesundheit. Und ich schrieb:
„Die Geschwindigkeit des Fortschritts in diesem Feld ist derart hoch, dass die SXSW mit einem Mal reihenweise futuristisch wurde. Immer wieder kamen sehr weit gehende Szenarien hoch, von Robotergesetzen bis zur Frage wie emotional die Beziehung zu unseren persönlichen AI-Assistenten wird.“
Diese Mischung gibt es so eben nur in Austin. Und sie lohnt eben auch den nicht unerheblichen Reiseaufwand und kann auch nicht durch Videos oder Livestreams ersetzt werden.
Weshalb es auch eine stetig wachsende, deutsche South-By-Gemeinde gibt. Die deutsche Repräsentanz in Gestalt eines Hauses und eines Standes im Messebereich ist dabei ein steter Quell der Unzufriedenheit, die langsam in Wut umschlägt. Schon vor 10 Jahren machte ich mich über den unbeholfenen Auftritt lustig, seitdem ist exakt gar nichts besser geworden. Nun könnte man ja sagen, Deutschland lässt es ganz mit der Präsenz in Austin. So aber schaden die Verantwortlichen dem Ansehen Deutschlands eher. Schön war in Austin zu hören, dass ein großes Bundesland im kommenden Jahr ausscheren könnte und sein eigenes Programm aufziehen will – auch das kann nicht im Sinne des Standortes sein.
Wie es anders gehen könnte, zeigte die von German Innovation gegründete Initiative Innovationbridge.eu. Sie hatte sich in der nicht üppig bemessenen Hotelbar „Wax Myrtle“ eingemietet und bot so über fünf Tage eine stetige Anlaufstelle für ein internationales Publikum – und das in coolem Ambiente. Zwar konnte sich niemand den Namen „Wax Myrtle“ merken, doch war dies, das eigentliche deutsche Haus der SXSW 2023 – Hut ab, Innovationbridge.
Wie vielfältig die SXSW ist, zeigt sich auch in der Berichterstattung. Denn regelmäßig scheitern angereiste JournalistInnen daran, „die“ Trends des Jahres auszumachen: Bei einer Konferenz, die an jedem Tag eine dreistellige Zahl von Veranstaltungen bietet, bräuchte es ganzes Team, um dominierende Themen auszumachen. So schrieb „Die Zeit“ diesmal: „Auch 2023 bestimmt generative KI bei Weitem nicht das Programm der Konferenz. Das ist auch in diesem Jahr am ehesten von Virtual Reality und dem Metaverse geprägt…“
Diese Einordnung verwunderte nicht nur mich, sondern auch den Rest unserer Airbnb-WG. Denn, wie geschrieben, es war meine 10. SXSW und noch nie zuvor empfand ich ein Thema so dominant wie in diesem Jahr die Debatten um Künstliche Intelligenz. Doch SXSW ist eben, was man daraus macht – man sollte nur nicht annehmen, dass die eigenen Eindrücke stellvertretend für das stehen können, was ansonsten so passiert. Allein: Diese Herangehensweise steht halt im Widerspruch zum klickfokussierten Journalismus, der so gerne vorgibt, Wissen über absolut alles zu haben.
Auffällig war auch in diesem Jahr, dass zwar eine fortschrittsoptimistische Stimmung herrscht, aber die Redner nicht auf Teufel komm raus etwas zum nächsten, heißen Scheiß verklären. Dies fiel schon im vergangenen Jahr auf, als Cryptowährungen und das Metaverse-Visionen belächelt, ja sogar belacht wurden.
Hier also meine kleinen rein subjektiven Notizen von der SXSW 2023:
Künstliche Intelligenz
Wie geschrieben: sehr dominant. Deshalb gibt es unter diesem Link einen eigenen Blog-Post. Weshalb auch die folgenden Beobachtungen vergleichsweise piselig erscheinen mögen.
Unsicherheit
Die SXSW war schon immer ein Ort der etwas reflektierteren Diskussionen. In diesem Jahr war überall eine größere Unsicherheit darüber durchzuhören, wie schon die mittelfristige Zukunft aussehen könnte. Die Futurologin Amy Webb verglich die Lage mit jenen Magic Eye-Bildern der 90er, bei denen aus einem Gewusel an Farben ein 3D-Bild wurde, wenn der Betrachter bewusst begann, zu schielen. „Die Signale vermischen sich wie nie zuvor“, sagte sie, und: „Betrachtet man die Welt in 2D wirkt alles wie ein Chaos. Wir müssen uns konzentrieren, um die Muster zu erkennen.“
Duopolisierung der Entertainmentwelt
Auch im Unterhaltungsbereich wird der Mittelbau immer schwächer: Egal ob bei Filmen, Fernsehen oder Musik – der Markt teilt sich auf in Superstars und kleine Nischen. Das zeigt sich auch daran, dass die Bedeutung der Kataloge, also alten Materials, steigt, wie Rob Jones vom Marktforscher Luminate zeigte.
Betrug der Anteil neuer Musik, definiert als „In den vergangenen 18 Monaten erschienen“ 2019 noch 36% an allen Musikstreams, lag er 2022 nur noch bei 25%. Ältere Stars befeuern diese Entwicklung mit Streaming-Events, die das Interesse an ihrer Musik wieder heben. Deshalb auch sei der Verkauf der kompletten Musikrechte eines einzelnen Stars ein lukratives Geschäft. Im Gegenzug hatten 24 Prozent aller neuen Songs auf Spotify nicht einen einzigen Abruf.
Ählich geht es bei Filmen zu. Hier dominieren Superhelden-Filme die Kinocharts, weil kein anderes Genre derart treue Anhänger besitzt.
Cathie Woods
Fast unbemerkt hielt Cathie Woods in Austin Hof. Sie ist die Lenkerin von Ark Invest, einem Fondsanbieter, der vom Aktienboom zu Beginn der Pandemie immens profitierte – und seitdem rund drei Viertel seines Werts verlor. Politisch gesehen ist sie auf einer Linie mit unterdurchschnittlich demokratiefreundlichen Personen wie Peter Thiel oder Donald Trump, ihre Fondspositionierung ist definitiv das Vorbild für Frank Thelen.
Sie live zu erleben ist ein Gänsehaut-Moment, aber kein positiver. Denn sie ist keine Rampensau oder Lautsprecherin. Vor ihrem Auftritt wirkt sie fast verschüchtert, im Gespräch dann sehr zurückhaltend. Und genau das macht sie aus meiner Sicht so gefährlich. Denn wenn sie Verschwörungstheorien verbreitet, wirkt das viel glaubwürdiger, als wenn es ein Schreihals tut. So ist der Fall der Cryptowährungskurse für sei ein gezielter Angriff der alten Geld-Welt, die ihre Macht nicht teilen mag. Und bei Credit Suisse war für sie ganz klar: Die Bank wird verstaatlicht werden.
Nachhaltigkeit
Elektrischer Wohnwagen
Wer einen Wohnwagen zieht, verbraucht Energie – logisch. Dies ist im Bereich des mobilen Reisens natürlich herausfordernd, denn in der Wildnis, erst recht den Weiten ihrer amerikanischen Version, ist die Versorgung mit E-Ladesäulen überschaubar.
Mehrere Wohnwagenhersteller arbeiten an Anhängern mit Akkus und Antriebssträngen. Auf der SXSW präsentierte ein Startup seine Variante, das von zwei ehemaligen Tesla-Mitarbeitern gegründete Lightship.
Bemerkenswert ist dabei auch die Optik: Das Lightship wirkt luftig und hell. Statt Schränken gibt es Stangen, an denen variabel halbsteife Taschen mit Klettverschlüssen befestigt werden können. Und zur Erhöhung der Aerodynamik wird beim Transport die Dachhöhe reduziert.
All das hat allerdings auch einen saftigen Preis: Die Version ohne Antriebsstrang kostet rund 50.000$, die mit sogar 125.000.
Retro-Feeling
Auch bei der SXSW zeigt sich, dass physische Produkte nicht tot sind, sondern einen hohen emotionalen Wert haben können. Die verrückteste Statistik dazu lieferte Medienforscher Rob Jones von Luminate: 50% der Käufer von Vinyl-LP in den USA im vergangenen Jahr besitzen keinen Plattenspieler.
Auch die Anmutung von nicht-digitalem ist weiter gefragt. So kostet die aus fester Pappe gefertigte Digitalkamera von Paper Shoot 110$:
Gut besucht war außerdem eine Verkaufsmesse von Grafikern, die Cover und Tourplakate entwerfen, in Austin diese Motive aber auch auf T-Shirts und anderen Artikeln offerierten. All das zeigt: Der Zauber des Kohlenstoffs hält an, es braucht nur die richtigen Ideen, ihn zu nutzen.
Drogen
Eine bemerkenswerte Zahl von Panels beschäftigte sich mit den Wirkungen wie der Vermarktung psychedelischer Wirkmittel. Cannabis ist in Texas zwar noch nicht freigegeben, bewusstseinsverändernde Pilzprodukte aber schon, weshalb sie an jeder zweiten Ecke verkauft werden. Diese immense Begeisterung Amerikas für Drogen – in New York wurden gefühlt zwei Drittel aller Hot Dog-Stände durch Cannabis-Wagen ersetzt – wäre nochmal eine separate Betrachtung wert.
Pilze als Kaffezusatz
Und wo wir schon bei Pilzen sind. Bemerkenswert war auch die Präsenz von Chaga. In Deutschland nennt man diesen Pilz eigentlich Schiefer Schillerporling und angeblich ist er in Osteuropa in der Naturheilmedizin bekannt. Als pulverige Beimischung zu Kaffee und Saft dichten ihm Unternehmen wie Renude nun Wundersames an: Die sportliche Ausdauer soll steigen, er soll Anti-Aging-Wirkung haben, das Hautbild verbessern, die Darmtätigkeit fördern, die Denkfähigkeit steigern, die Immunität erhöhen, Stress mildern und die Welt von Hunger befrei… ach, das dann doch nicht.
Auch in Deutschland gibt es etliche Food-Startups, die Chaga anbieten. Was mich aber überraschte war die Allgegenwärtigkeit in praktisch jedem Coffee Shop (außer Starbucks) und Smoothie-Laden. Sprich: Die US-Anbieter haben zumindest in Austin den Vertrieb auf die Kette bekommen.
Coldraw
Sie sind ein Investor im Bereich Food? Sie haben liquide Mittel? Dann habe ich etwas für sie. Im Messebereich präsentierte sich Coldraw aus Japan. Das Team hat ein Cold-Brew-System entwickelt, bei dem der Kaffee (oder Tee) nicht stundenlang durchtröpfelt, sondern dank Vakuum in nur 10 Minuten fertig ist.
Das Ergebnis hat mich umgehauen. Der Cold-Brew-Kaffee war exzellent, der Tee sogar eine eigene Liga. Ein grüner Tee aus dem Coldraw war fast schon eher eine deftige Suppe, denn ein klassischer Tee. Käme Coldraw auf den Markt – derzeit gibt es noch keine serienreife Version –, die gehobene Gastronomie würde sich um das Gerät prügeln.
Gentrifzierung auf Speed
Leider hat Austin innerhalb eines Jahres massiv an Charme verloren. Etliche Bars auf der Partystraße 6th Street standen leer, die Rainey Street, einst eine Ansammlung hutzeliger Holzhäuschen besteht zur Hälfte aus Hochbauten, Obdachlosigkeit ist ein einem Maß präsent, wie ich es noch nie in einem Land der westlichen Welt erlebt habe.
„Austin macht die Entwicklung von San Francisco durch, nur viel schneller“, sagte der geschätzte Multimedia-Journalist Richard Gutjahr. Leider ist dies sehr wahr. Die Stadt wächst weiter in einem irrwitzigen Tempo und das bedeutet dann eben auch, dass sich im kommenden Jahr noch einmal Erhebliches verändert haben wird.
Ist das ein Grund, nicht hinzufahren?
Nein. Die SXSW bleibt derzeit unersetzlich.
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