Skip to main content

Alle Journalistinnen und Journalisten der Republik, zumindest die fest angestellten, sollten sich die Zertrümmerung des einst so stolzen Verlagshauses Gruner + Jahr durch den Bertelsmann-Konzern anschauen. Und sie sollten sich selbstkritisch fragen, warum es so weit gekommen ist.

Nun weiß ich ja: Selbstkritik ist nicht mal in hauchgroßer Portionierung eine Kompetenz in der medialen Branche. Dieses Blog existiert seit 18 Jahren und ich begann recht früh, mich mit der Zukunftsfähigkeit und den Problemen des Journalismus und seiner kaufmännischen Verlängerungen auseinanderzusetzen. Die mangelnde Wandlungsfähigkeit von Medienhäusern im Angesicht einer epochalen Herausforderung durch die Digitalisierung war der Grund, warum ich 2009 beim „Handelsblatt“ gegangen bin.

Damit bin ich Teil einer Gruppe von (Ex-)Journalisten, die sich öffentlich kritisch mit der Branche beschäftigt haben. Dafür gab es keinen Diskurs, sondern Lächerlichmachen, Wegnegieren und Beschimpfungen.

Mein Lieblingsbeispiel: Ich wurde einst von der Einladungsliste des DLD gestrichen, der Hauskonferenz von Hubert Burda. Dies passierte, als 2009 Burda selbst nach einem Vortrag das Mikro ergriff und klagte, dass er im Internet nur noch „lousy pennies“ verdiene. Ich war, so ich mich recht entsinne, der nächste Fragestelle und sagte, dass viele lausige Pennies verdammt viel Geld seien und warum Verlage es nicht mal probierten, wenigstens diese lousy pennies in die Bilanz zu holen – das war Majestätsbeleidigung, die zur Nicht-mehr-weiter-Einladung führte.

Als noch alles schön und gut war: Gerd Bucerius, Richard Gruner und John Jahr im Jahr 1968.
Von Jochen Blume / Stern / Gruner + Jahr, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=52179042

Doch diese Beschäftigung mit G+J wird nötig sein: Denn was sich in Hamburg und Gütersloh abspielt, ist nur die Einstimmung für eine weitgehende und brachiale Umgestaltung der Medienlandschaft mit dem großen Verlierer Qualitätsjournalismus.

Und, nein, und, klar: Das ist eine Katastrophe für die demokratische Gesellschaft.

Schuld ist nicht das Internet

Aber: Schuld ist nicht das Internet, Schuld sind nicht die Leserinnen und Leser, Zuschauerinnen und Zuschauer, Zuhörerinnen und Zuhörer – Schuld sind Verlagsmanagerinnen und Verlagsmanager und zu gleichen Teilen Journalistinnen und Journalisten.

Es war seit langer Zeit absehbar, dass Gruner + Jahr nicht fit war für das aktuelle Jahrtausend. Der Verlag war einer derjenigen, an die ich dachte, als ich vor 15 Jahren schrieb:

„Stirbt damit der Journalismus? Nein. Aber er wird zur Billigware. Die großen Medienhäuser werden ihre Angebote zusammenlegen und runterschrumpfen bis sie ein Niveau erreicht haben, das sich noch irgendwie über Werbung finanzieren lässt.“

Das tat mir weh, weil ich in meiner Zeit als Journalist nur zwei Traumjobs hatte. Chefredakteur einer deutschen „Wired“ oder Chefredakteur des „Stern“. Weiterhin glaube ich, dass der „Stern“ noch bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts alle Chancen gehabt hätte, als Printprodukt zu überleben. Denn in seiner historischen DNA stecken drei Elemente, die eine Zeitschrift auch derzeit noch am Überleben halten können, mehr noch – sie könnte florieren: große, faszinierende Fotos; gut recherchierte, lange Geschichten; eine überraschende Themenauswahl.

Natürlich war alles drei schon mit den Kürzungsmaßnahmen nach dem Fall der New Economy immer kleiner geworden, doch steckte es noch in den Köpfen der älteren Leserinnen und Leser – also im Markenbild.

Doch selbst diese drei Element helfen nichts, ohne digitale Präsenzen. Und der „Stern“ kam nur für eine kurze Zeit irgendwie im Internet an, damals versuchte die geschätzte Anita Zielina etwas zu ändern. Zu keinem Zeitpunkt hat das Magazin eine digitale Relevanz entwickelt – weder mit dem, was es tat, noch mit dem, worüber es berichtete.

Damit ist es nicht allein im Haus Gruner + Jahr. Abgesehen von vielleicht der „11 Freunde“ und in Abstrichen der „Brigitte“, Kochrezepten sei Dank, kann ich keine digitale Relevanz ausmachen. Das heißt nicht, dass alles, was dort veröffentlicht wird schlecht ist (Die „Capital“ ist für mich noch das beste wirtschaftsjournalistische Medium in Deutschland). Und das heißt auch nicht, dass etliche Digitalabos verkauft würden.

Doch geht es eben nicht nur darum, vorhandene Kunden zu binden, sondern auch darum, neue zu gewinnen. Im medialen Raum der 20er Jahre geht das aber nur, wenn man Gesprächsanlässe bietet und sein Unternehmen professionell führt.

Wie unprofessionell aber Verlage geführt werden, erlebte ich, als ich den anderen Traumjob bekam: Chefredakteur der deutschen „Wired“. Es war die frustrierendste Erfahrung meines Lebens und das lag nicht am großartigen Redaktionsteam, sondern an einer Geschäftsführung, die nach der erste Testausgabe, die mehr digitale Resonanz erlebte als jede Zeitschriftengründung in Deutschland zuvor und danach, nicht mal 500€ pro Monat aufbringen wollte, um bis zur zweiten „Testausgabe“ die Social Media-Accounts am Leben zu halten.

Heute berät der verantwortliche Geschäftsführer andere Verlage, was nicht nur ein Treppenwitz ist, sondern auch eines der größten Probleme dieser Industrie zeigt: Sie findet sich selbst derartig geil, das Veränderungen praktisch unmöglich sind.

Auch hier ist Gruner + Jahr ein exzellentes Beispiel. Acht Jahre wurde Julia Jäkel als Vorstandschefin medial bejubelt, jeden Tag fragte ich mich: warum? Sie hat verwaltet, was da war. Aber ansonsten? Ihr Vorgänger Bernd Buchholz haute wenigstens – verzeihen Sie mir die sexistische Formulierung, aber sie passt halt so gut – seinen Schwanz auf den Tisch und brüllte: ICH HAB DEN LÄNGSTEN! Denn er brachte 2009 an einem Tag gleich drei Magazine für Männer auf den Markt, ich habe das damals „Testosteron-Day“ getauft (Teil 1, Teil 2, Teil 3). Zwei dieser Magazine existieren noch, nämlich „Beef“ und „Business Punk“.

Doch eine digitale Relevanz? Nö. Das gilt natürlich auch für die „Financial Times Deutschland“, die zwar viel Geld  verbrannt hat und auch viele Liebhaber hatte, bei der aber dieses Internet lieblos nebenher abgespult wurde. Ein halbes Jahr vor ihrem Aus hatte ich bereits darauf gewettet, dass es so kommen würde, so vorhersehbar war es. Als es so weit war, erinnerte ich mich an die Vorstellungsgepräche vor dem Start, die im verstaubten Luxushotel „Breidenbacher Hof“ in Düsseldorf stattfanden und schrieb

„An der Düsseldorfer Kö steht heute wieder ein „Breidenbacher Hof“. Ein Neubau, betrieben von einer exklusiven Hotelkette, das Ambiente, nun ja, eher den ästhetischen Vorlieben einer osteuropäischen und arabischen Klientel zugeneigt. Mit dem alten Haus hat dies nur noch den Namen gemein.

So wird es auch den Medienmarken ergehen. Wenn sie den digitalen Wandel überleben wollen, müssen sie abreißen und neubauen. Doch wer hat dazu die Kraft, den Willen und das Geld?“

Dieses Selbstreferenzen hier im Artikel wirken sehr egomanisch, sorry dafür. Aber sie sollen zeigen, wie absehbar all dies war und ist.

Über die Jahre hinweg war ich Teil einer Gruppe von um den Journalismus Besorgten, die versuchten, dies zu diskutieren. Doch was zurückkam waren im schlimmeren Fall Beleidigungen, im besseren Floskeln wie „Wie sollen wir denn Geld verdienen?“.

Ich war ob dieser Wiederholungen so müde, dass ich 2013 meine Argumentation unter dem Titel „Weil der Verlag sich ändern muss“ dazu aufschrieb und sie 2019 aktualisierte. 

2017 ergänzte ich das aus journalistischer Sicht mit „Weil die Redaktion sich ändern muss“. Denn bei allem Mitgefühl für jene, die nun durch den Bertelsmann-Kahlschlag ihre Jobs verlieren: Natürlich tragen die Redakteurinnen und Redakteure eine Mitschuld am Niedergang.

Die Schuld der Redaktionen

Denn welche von ihnen sind im digitalen Raum auffällig geworden? Wer hat experimentiert? Wer hat mitdiskutiert? Nur ein Beispiel: Der aktuelle „Vorsitzende der Chefredaktion“ (seriously?) des „Stern“ ist Doktor – so viel Zeit muss sein – Gregor Peter Schmitz. Er hat einen Twitter-Account und ein LinkedIn-Profil. Dort teilt er zahlreiche Inhalte seines Mediums, was natürlich legitim ist, und er liked auch manches. Aber diskutieren? No communication, please, we’re Vorsitzender der Chefredaktion.

Möglicherweise hält er sich sogar für digital, so wie der scheidende Chefredakteur der „Wirtschaftswoche“, Beat Balzli. Der tönt bei „Satzzeichen“, dem Podcast der Hans-Seidel-Stiftung, was für ein digitaler Babbo er ist – dabei ist mehr als kräftiges Durchliken auch unter seiner Würde.

Dieses überbordende Selbstbewusstsein wird durch die filterblasigkeit der Branche verstärkt. Man glaubt wirklich, irre digital zu sein – weil die anderen ja auch auf so niedrigem Niveau unterwegs sind. Beispiel: Carsten Voß, Chefredakteur der „Westfälischen Nachrichten“ aus Münster, zugehörig dem Aschendorff-Verlag, einem der rückständigsten Häuser, die ich kenn.

Als er Anfang 2022 ernannt wurde, kritisierte ich diese Rückständigkeit und er reagierte auf Twitter:

Eine faire Chance. Yup, sei gegeben. Geändert hat sich digital in diesem Jahr nichts sichtbares. Obwohl, solche Anzeigen habe ich früher nicht gesehen:

Auf Twitter hat Voß zum letzten Mal im Dezember etwas geschrieben und wie digital Aschendorff denkt – und wie unbedeutend der Verlag geworden ist – zeigt der Wikipedia-Eintrag: Auch dort ist der Chefredakteurswechsel nicht vermerkt.

Kleiner Fun Fact: Im Fuß gibt es bei WN.de eine Netiquette in der es heißt, dass Kommentare registrierter Nutzer sofort freigeschaltet würden – nur kann ich keine Kommentarfunktion ausmachen. Wann hat das letzte Mal jemand bewusst auf diesen Web-Auftritt geschaut?

Und wenn schon die Chefetage Digitalität nicht vorlebt, entsteht sie auch nicht in der Etappe. Erst recht nicht, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Angst um ihren Job haben. Wohl auch deshalb verweigern sich praktisch alle deutschen Redaktion der Kommunikation mit ihren Leserinnen und Lesern. Und wenn, dann nur in engen Fenstern. Balzli lobt zum Beispiel Livestreams mit Abonnenten, wo diese zum vorgegebenen Thema Fragen stellen dürften – so bleibt journalist halt schön geschützt.

Und was im Social Web passiert? Dort lässt der „Stern“ die Meute laufen. Und mal abgesehen vom vollkommen irrelevanten Thema: Man darf die Redaktion auch durchbeleidigen, ohne dass sie sich dafür interessiert, wie dieser Facebook-Post zeigt:

Und so geht das quer durch die Medienlandschaft: Community Management ist die Ausnahme, stattdessen lässt man den Mob wüten. Redaktionen, die so was zulassen, sind wie Clubbesitzer, die jeden reinlassen und sich dann wundern, dass ihr Mobiliar und ihr Ruf durch Schlägereien ramponiet wird.

Vielleicht ist meine Meinung da ja Blödsinn, genau wie meine oben verlinkten Artikel. Nur: Es gab wenig Gegenargumentation. Die Reaktion von Verlagsangehörigen auf diese Stücke teilte sich in jene auf, sie pauschal abtaten und jene, die behaupteten, es gehe der Branche doch wunderbar, man müsse nichts ändern.

All diese Referenzen mache ich um zu zeigen, dass es absehbar war, was nun bei Gruner + Jahr passierte. Und es ist ebenso absehbar, dass dies nur der Anfang einer branchenweiten Bereinigung sein wird.

Denn kaum eine klassische Medienmarke in Deutschland ist zeitgemäß aufgestellt. Nicht mal im Detail: Denn welche Redaktion verlinkt schon nach außen?

„Das Loyalitäts- und Wachstumsproblem der Qualitätspresse im Netz ist größer als dies im öffentlichen Bewusstsein der Fall ist. Während die Nutzung des Internets weiter steil wächst und zunehmend neue Massen- Nischenanbieter prosperieren, vermögen viele Zeitungswebsites nicht in vergleichbaren Maße mitzuwachsen. Sie stehen wie altbackene Warenhäuser oder etwas fettig riechende Kantinen in einem sich rasant entwickelnden Umfeld. Sie haben damit ein Qualitätsproblem nicht nur in den Augen ihrer professionellen Kritiker, sondern vor allem auch in den Augen ihrer Nutzer.“

Das schrieb nicht ich, sondern der viel zu früh verstorbene Medienberater Robin Meyer-Lucht in einem Artikel für Perlentaucher – im Jahr 2008.

Deshalb bei allem Mitgefühl für jene, die ihren Job bei G+J verlieren und bei aller Trauer um tollen Medienmarken: Geschäftsführung und Redaktionen tragen gleichermaßen die Schuld dafür. Und sie erleben nur das, was sich bald auch woanders abspielen wird.

Natürlich ließe sich das noch immer stoppen. Doch dafür wären immense Anstrengungen quer über die Branche und über die Redaktionen nötig. Meine Hoffnung, dass dies passiert, wenn gleichzeitig nicht mal aufeinander verlinkt wird, ist gering.

Wenn also die nächste Abbaurende kommt, die nächsten Einsparungen, die nächsten Zusammenlegungen, sagen Sie nicht, es würde sie überraschen und Sie hätten nichts gewusst.

All dies ist seit über 15 Jahren vorhersehbar.


Kommentare


Ulf Maan 9. Februar 2023 um 15:33

ein Problem der Printpresse ganz unabhängig von allem Digitalen:
Zeitungen und Zeitschriften für die Massesind sehr teuer geworden
5,50 Euro für die Wundertüte Stern pro Woche ist im Monat mehr als für Netflix und Amazon Prime zusammen
selbst Bild und Bams zusammen kosten monatlich über 40 Euro, die normale Bild bereits 1,20 Euro pro Tag
es gibt ganze Bevölkerungsgruppen, die sich das nicht mehr leisten können

Antworten

Alexander L. 9. Februar 2023 um 17:01

Wie wenig die Branche in der digitalen Welt angekommen ist, zeigt sich mir als Branchenfremden auch darin, dass es ihr an absoluter Phantasie fehlt, wie denn ein attraktives Bezahlangebot aussehen könnte und keine Experimente zulässt – es gibt nur a) kostenlos, aber mit Werbung überfrachtet und b) Abo. Und irgendwie ist klar, dass man mit a) wahrscheinlich nur "lousy pennies" verdienen kann und b) insgeheim davon ausgeht, dass das eigene Angebot so überzeugend ist, dass die Leute gerne bereit sind, dafür Geld auszugeben, weil sie ohnehin keine Alternativen brauchen. Jetzt kann das vielleicht bei Magazinen wie Spiegel, ZEIT oder GEO oder auch großen überregionalen Tageszeitungen auch tatsächlich verfangen, die von einer starken Marke leben und einem ein sehr breites Spektrum auf ihren Seiten anbieten können, weil damit die Chance hoch ist, dass die Schnittmenge zwischen "Interessier mich" und "Steht da drin" bei einer möglichst großen Anzahl von Leuten getroffen wird. Aber wieso diese Ansätze auch von Nischenmagazinen und Lokalzeitungen verfolgt werden, erschließt sich mir überhaupt nicht. Wie oft lande ich bei irgeneinem Hintertupfinger Tagesanzeiger, weil ich beim Googeln oder auf Wikipedia auf einen Artikel gestoßen bin, der mir zu einem Special-Interest-Thema Hintergründe liefern könnte, wie sie eben nur der Lokaljournalismus produzieren kann, für den das Große im Kleinen liegt – und wie oft bin ich dann wohl tatsächlich gewillt, auf der aufpoppenden Paywall begeistert ein Jahresabo abzuschließen, um eben diesen einen Artikel lesen zu können? Das Angebot, den (und nur diesen) Artikel gegen ein paar Cent lesen zu dürfen? Oder gar ein Angebot, bei dem ich zwar ein Abo abschließen müsste, aber dafür den Zugang zu vielleicht 20+ verschiedenen Regionalzeitungen bekomme, die sich für ihre Onlinevermarktung zusammengeschlossen habe? Fehlanzeige – wenn ich die Chuzpe habe, den Hintertupfinger Tagesanzeiger für nicht bedeutend genug zu halten, um ein Jahresabo abzuschließen, dann soll ich es halt bleiben lassen. Erscheint ja vielleicht auch sinnvoll, wenn man nur die paar Tausend potenziellen Leser in Hintertupfingen im Auge hat – aber verkennt halt total die Möglichkeiten, von potenziell Millionen Zufallslesern ein paar "lousy pennies" pro Jahr zusätzlich zu generieren. Klar, die alleine werden natürlich auch nicht den Hintertupfinger Tagesanzeiger retten können – aber es zeigt, dass offenbar gar nicht entlang der Leitlinie "Welche Einkommenquellen bietet uns das Internet?" gedacht wird, sondern alleine entlang der Leitlinie "Wir können wir unsere bisherigen Einkommensquellen ins Internet übertragen?"

Antworten

Steffen Voß 10. Februar 2023 um 8:39

Ich stimme mit Vielem überein, von was ich einschätzen kann. Das grottige Community Management hat mich immer gewundert – auch wie wenig Artikel dieser Medien Teil des Internets sind, wenn sie nicht verlinken usw.

Aber das Problem ist global. Sind alle Journalist:innen und alle Verlagsleute weltweit Idioten? Warum hat man nirgens ein Geschäftsmodell gefunden, dass es ermöglicht in der ganzen Breite Journalismus zu finanzieren? Müssen wir uns da vielleicht auch als Gesellschaft Gedanken machen?

Antworten

Thomas Knüwer 10. Februar 2023 um 11:11

Leider ist es so, dass aus Verlagen praktisch nichts kommt. Im Ausland dagegen gibt es ja Ideen und sei es nur das tumbe Aufkaufen kleiner Emporkömmlinge, wie die New York Times das bei Kara Swisher oder The Athletic betrieben hat. Es gibt auch keinerlei Bereitschaft, neue Produkte vernünftig auszustatten. Was dabei konsequent ignoriert wird: Wenn etwas von einer großen Medienmarke kommt, muss es eine höhere Qualität haben, als das, was von einem Einzeljournalisten aus dem Boden gestampft wird – Zahlungsbereitschaft ist eben immer eine Frage der Erwartung und der wahrgenommenen Qualität. Dem könnten Medienhäuser begegnen, wenn sie ihre Autoren zu Personenmarken aufbauen würden. Das aber passiert nicht aus der Angst, dass diese Autor*innen kündigen könnten.

Antworten

Calvero 10. Februar 2023 um 11:50

Ein Denkfehler ist zu glauben, es gäbe eine Art Naturgesetz, dass jedes analoge Produkt/Angebot nur konsequent digital gehen müsste und damit auch Erfolg haben wird. So wie nicht jeder Gemüsehändler einen Online-Shop braucht, muss nicht jedes gedruckte Magazin sich im Internet aufstellen. Nehmen wir als Beispiel die "GEO Epoche". Das Heft kostet 12 Euro und wird von sicher nicht billigen Journalisten geschrieben. Ein Geschäftsmodell, das vielen einen Platz auf dem gelobten "Sonnendeck" eingebracht hat.

Was würden wir machen, wenn wir Besitzer dieses Heftes wären? Schön die Vertriebserlöse einsammeln und vererben? Oder zig weitere Redakteure, Grafiker und Webentwickler einstellen, die ein Online-Geschichtsportal betreiben, Geschichts-Podcasts produzieren und die Print-Redakteure für YT-Videos filmen? Und auf Smartphones soll das auch alles noch top aussehen. Oder gar eine tolle App? Und nach einigen Monaten wundern wir uns, dass wir nicht schubkarrenweise Geld über den Hof einfahren? Klar, ich kann die Printredakteure zwingen, den halben Tag Social Media-Content zu produzieren und zur "Digitalmarke" zu werden. Aber mal im Ernst, gäbe es eine blödere und geldverbrennendere Idee? Wir reden hier von "Print-Redakteuren"!

Wo steht geschrieben, dass die Menschheit ein stern-Newsportal braucht? Ja, der stern ist eine gute alte Wochenmagazin-Marke, aber im Web braucht ihn niemand, die berühmte Wundertüte ist das Internet schon selbst. Eltern gibt es jetzt nur noch online. Achje, das wird sicher eine Cashcow mit hochwertigsten Content!

Das ist heute "normaler" Onlinejournalismus: https://www.wn.de/muensterland/kreis-borken/gronau/zehn-kilo-marihuana-im-taxi-2704234

Ohne Adblocker lebensgefährlich, meterweise taboola Feed angepappt, dümmstes Symbolbild, dpa-Polizeimeldung 1:1 reingekippt. Himmel, käme doch stattdessen der ChatGPT! Wer bei einem solchem Unternehmen arbeitet und sich "Journalist" nennt, kann sich eigentlich nur den ganzen Tag schämen.

Antworten

Diddo Ramm 10. Februar 2023 um 11:51

Wow Thomas Knüwer. So war, gerne würde ich ihnen drei Fragen stellen wollen und drei Antworten dazu erhalten. Wäre das möglich? LG Diddo Ramm

Antworten

Thomas Knüwer 10. Februar 2023 um 13:16

Sehr gern.

Antworten

Tim 10. Februar 2023 um 15:13

Es ist nicht nur ein Versagen der Verlage. Leider hat auch die Medienpolitik 25 Jahre geschlafen und tut es auch heute noch. Angenommen, wir würden die GEZ-Gebühr öffnen – Medienanbieter können sich in einem öffentlich-rechtlichen Pool anmelden und Beitragszahler können entscheiden, welche Anbieter ihre GEZ-Gelder erhalten. Was hätten wir heute für eine lebendige öffentlich-rechtliche Medienszene! Doch statt dessen haben wir Molochanstalten, die Mediathek-Konsolidierung für Innovation halten und inzwischen gar überlegen, jahrzehntealte alte US-Plattformen nachzubauen.

Ich glaube, weder Bürger noch Politik haben verstanden, wie wichtig dynamische Medien für die Gesellschaft sind.

Antworten

Calvero 10. Februar 2023 um 15:40

Frage wäre, wer länger geschlafen hat: Die "Medienpolitik" oder alle, die immer noch von der GEZ reden:-)

Aber zu Ihrer grandiosen Idee: ich wäre echt gespannt, für welche "Qualitätsmedien" sich Ihre Beitragszahler entscheiden würden. "Medienanbieter" ist ja ein sehr dehnbarer Begriff…

Antworten

Tim 10. Februar 2023 um 16:42

GEZ: Ist mir vollkommen egal. Alter Wein in neuen Schläuchen.

Ich hätte übrigens überhaupt nichts dagegen, den Begriff "Medienanbieter" weit auszulegen und auch Einzelkämpfer wie Tilo Jung oder Redaktionsbüros wie Übermedien darunter zu fassen. Welche Anbieter sich in so einem Pool zur Auswahl stellen lassen können, wäre letztlich eine politisch-gesellschaftliche Entscheidung.

Antworten

Thomas 12. Februar 2023 um 8:34

„Das tat mir weh, weil ich in meiner Zeit als Journalist nur zwei Traumjobs hatte. Chefredakteur einer deutschen „Wired“ oder Chefredakteur des Stern. “ – das klingt als seien Sie irgendwann mal Chefredakteur vom Stern gewesen.

Antworten

Thomas Knüwer 13. Februar 2023 um 10:46

@Thomas: Finden Sie? Nicht jeder Traum erfüllt sich ja. Dickes Sorry, wenn das missverständlich sein sollte.

Antworten

Corsa 13. Februar 2023 um 14:41

Ist es.

Antworten

Walter König 21. Februar 2023 um 13:29

Meine Schwester hat vor ca. 1 1/2 Jahren den STERN abonniert, zu diesem Zeitpunkt hatte die junge Chefredakteurin eine – für die Generation 50+ – passable und abwechslungsreiche Zeitschrift. Dann kam der Krieg in der Ukraine und die Übernahme von RTL. ( Nein, ich will da keinen Zusammenhang konstruieren )
Natürlich klar, daß der Krieg in der Ukraine Thema ist. Meinetwegen auch jede Woche. Aber die Artikel sind – ausgerechnet im STERN – völlig unkritisch gegenüber NATO/Bundeswehr. Jeder Euro für die Bundeswehr ist gut investiert. Schaue ich mir dieses Beschaffungswesen in Koblenz an, dann stimmt dies nicht.
Meine Schwester ist jedenfalls entsetzt, der STERN ähnelt einem Bundeswehr Magazin.
Dazu wird praktisch genau mit der Übernahme von RTL für dessen Programm ständig die Werbetrommel gerührt. Verstehen könnte ich dies noch für STERN TV,
aber muß es ein Titelthema sein, wenn der ehemalige Verteidigungsmnister mit frisiertem Doktortitel die Co-Moderation bei einer RTL Sendung üernimmt ?
Ein Interview mit Dieter Bohlen ? Irgendwelche "Deutsch-Rapper" ? ( Heute im STERN, noch diese Woche auf RTL ).
Wir fragen uns welche Zielgruppe dies ansprechen soll ? Wer sich solche Dokus oder den "Superstar" ansieht, der wird jetzt nicht begeistert zum STERN greifen.
Und wer dies bisher tat, wird es bald nicht mehr tun.
Also wenn der Kurs so weitergeht, wird die Auflage weiter sinken. Meine Schwester hat heute ihr Abo gekündigt.
Und das Internet ist daran ganz bestimmt nicht schuld.

Antworten

Du hast eine Frage oder eine Meinung zum Artikel? Teile sie mit uns!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*
*