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Authentizität ist die bekiffte Schwippschwägerin der Kundenzufriedenheit.

Einen Text soll man immer mit einem guten ersten Satz beginnen und deshalb beginnt dieser so:

Authentizität ist die bekiffte Schwippschwägerin der Kundenzufriedenheit.

Und wenn Sie aus der Lektüre des Folgenden nur eines mitnehmen, dann bitte dies:

Authentizität ist die bekiffte Schwippschwägerin der Kundenzufriedenheit. 

Deshalb auch ist „Wir müssen authentisch sein“ einer der problematischsten Forderungen, die im Marketing derzeit kursieren.

Auch wir bei kpunktnull hören sie oft und versuchen dann Kontext zu schaffen.

Klar: Gerade junge VerbraucherInnen geben bei Umfragen ständig an, dass sie dies von Marken erfordern – Authentizität. Hier ein Beispiel aus der Generation Z-Studie von House of Yass (die es hier zum kostenlosen Download gibt).

Das liegt auch daran, dass die Selbstdarstellung von Menschen im Social Web sich verändert hat, wie der Kulturtheoretiker und Digitalpsychologe Matt Klein in seinem Newsletter analysiert:

„When Instagram came onto the scene, mindless novelty preceded overthinking captions and the number of times we could post in a week. Now, we photo dump… but still meticulously. You can strip the filters, but you can’t purge the posturing.“

Die Folge dieser Veränderung war zunächst Finstagram: Vor allem Teenagern legten sich Fake Accounts auf Instagram zu, die nur ihre engsten Freunde einsehen konnte. Finstagram gibt es seit ungefähr 2019, genauso wie die App BeReal. Und die erlebt derzeit sprunghaftes Wachstum. BeReal löst per Push eine Stoppuhr aus – der Nutzer hat dann zwei Minuten Zeit, ein Foto zu posten. Somit soll der ungestellte, ungeschminkte Moment festgehalten werden.

Aufgrund solcher Studien und Entwicklungen such Marken nach Instrumenten, die diese Authentizität liefern sollen. Erste Option: Influencer-Marketing.

Diese Suche nach dem, was authentisch sein soll, läuftm nicht nur bei Marken und Unternehmen, die es auf eine junge Zielgruppe abgesehen haben.

Dies, zum Beispiel, soll „authentische Naturverbundenheit“ im Weinmarketing zeigen:

Dies hier hält Lacoste für „authentisch„:

Und hier adressiert die Deutsche Bahn ganz „authentisch“ Bedürfnisse der Kunden:

Wenn Sie jetzt sagen: Nichts davon ist authentisch und Sie begründen dies damit, dass nirgends irgendwer irgendwie so ist, wie auf diesen Bildern, außer vor den Kameras von Werbe-Fotografen und -Filmern, so haben Sie Recht in der Begründung aber Unrecht mit Ihrem Urteil.

Das Problem mit der Authentizität ist, dass dieses Wort auf’s Brutalste fehlverwendet wird, weshalb einfach schlechte Werbung entsteht.

Denn was ist denn Authentizität? Ziehen wir Wikipedia zu Rate:

„Authentizität bezeichnet eine kritische Qualität von Wahrnehmungsinhalten (Gegenständen oder Menschen, Ereignissen oder menschlichem Handeln), die den Gegensatz von Schein und Sein als Möglichkeit zu Täuschung und Fälschung voraussetzt. Als authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte der Wahrnehmung, unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden.“

Und weiter bezogen auf das Marketing:

„Innerhalb der strategischen Markenführung wird Marken-Authentizität als „Wahrhaftigkeit des proklamierten Markennutzenversprechens“ definiert. Als wahrhaftig wird das Nutzenversprechen von den Nachfragern wahrgenommen, wenn sie den Eindruck haben, dass sich die Marke nach außen hin nicht anders darstellt, als sie ist.“

Und genau deshalb gilt:

Authentizität ist die bekiffte Schwippschwägerin der Kundenzufriedenheit.

Kundenzufriedenheit ist die Differenz aus erwarteter und wahrgenommener Produkt- oder Serviceleistung. Wenn ich also wenig erwarte kann ich schneller glücklich sein und umgekehrt. Somit verändert sich die Frage, was Qualität ist, mit der Zielgruppe.

Nicht anders ist es mit der Authentizität. Wie authentisch eine Marke (oder eine Person) ist, ergibt sich aus der Differenz von Erwartung und Wahrnehmung. Postet sich Sarah Jessica Parker ungeschminkt in schlampiger Kleidung, entsteht im Hinterkopf sofort der Gedanke: „Das macht die nur, um sich das Image einer normalen Person zu geben.“ Spazierte Kristiano Ronaldo ohne Haargel und mit C&A-Kleidung an uns vorbei, würden wir wahrscheinlich annehmen, er würde so versuchen, sich der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu entziehen. Sprich: Beide wären unauthentisch.

Kevin Kühnert formulierte dies jüngst in einem Interview mit der „Rheinischen Post“ sehr schön in Bezug auf Olaf Scholz:

Olaf Scholz ist Olaf Scholz. Er ist mit seiner hanseatischen Nüchternheit eine Marke. Ich kann Heino nicht die Sonnenbrille wegnehmen und Udo Lindenberg nicht den Hut… Wenn Olaf Scholz anfangen würde, wie Robert Habeck zu reden, würden alle denken, es sei Karneval. Jeder hat seinen eigenen Stil.“

Und Marken?  Denen geht es genauso.

Zur Erläuterung dieser These ist ein Ausflug in die Geschichte der Marken nötig.

Eine Marke ist die Summe aller Eigenschaften eines Produktes, mit denen es sich von Mitbewerbern unterscheidet. Doch die Arten der Unterschiede haben sich im Laufe der Jahrzehnte verändert.

Einst waren Marken ein Ausweis einer verlässlichen Qualität zu Zeiten, da Produktionsmethoden noch nicht gut genug waren, um eine durchgängige Qualität zu garantieren. Ab den 50er Jahren wurden Marken immer stärker emotional aufgeladen. Ein schönes Beispiel ist der Knorr-TV-Spot von Franz Beckenbauer: noch immer hat er das rationale Versprechen der Nahrhaftigkeit für eine Generation, die den Hunger des Krieges noch im Kopf hatte. Doch gleichzeitig wurde eine emotionale Bindung geschaffen: Wer Knorr löffelte, sollte sich fühlen wie der Kaiser.

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Spätestens mit den 80ern nahmen die emotionalen Elemente überhand. Werbung wurde so unterhaltsam und emotional, dass die Zusammenstellung der besten Spots des Werbefilmfestivals in Cannes, die „Cannes-Rolle“ Kinos füllte.

Heute sind Marken Teil einer subtilen (OK, manchmal nicht ganz so subtilen) Kodifizierung des Alltags. Kleidung, Eis-Tee, Autos, Handys, Hotels – jede Marke kann dazu genutzt werden, eine Haltung auszustrahlen, wird sie gekauft under genutzt.

Manchmal geht es dabei nur um einen kleinen Kreis der Eingeweihten. Produkte von Vetements wirken banal. Doch für um die Marke Wissende signalisieren zum Beispiel die DHL-Produkte von Vetements: Der Träger dieses Teils hat irrwitzig viel Geld ausgegeben um ein Understatement-Produkt zu tragen, das ihn für Unwissende zum Teil der Arbeiterklasse macht, von der er sich damit ironisch distanziert.

Manchmal geht es sogar nur um uns selbst. „Sich etwas gönnen“ geht aus der Definition heraus nur mit Produkten, denen man einen Wert oberhalb des Alltäglichen zugesteht.

Das heißt nicht, dass jede Verwendung einer Marke eine solche Kodifizierung darstellt. Aber praktisch jeder Mensch umgibt sich mit solchen Codes, egal war er oder sie tut. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, schrieb der Kommunikationsforscher Paul Watzlawick einst und auf Marken trifft dies im 21. Jahrhundert voll zu. Selbst wer bewusst antikapitalistisch unterwegs ist, wird sich Kleidung suchen, die genau das symbolisiert – und zack: kodifizierte Kommunikation. Wer Doc Martens trägt, sendet einen Code. Wer einen Dacia fährt, sendet einen Code. Und wer Mastodon verwendet ebenso.

Letztlich also sind Marken Mythen und Märchen, die wir uns und unserem wissenden Umfeld erzählen. Und Marken haben im vergangenen halben Jahrhundert immense Summen ausgegeben, um eine emotionale Welt aus diesen Mythen und Märchen um sich herum zu schaffen

Genau das ist ihre Authentizität.

Wenn eine hochglänzende Marke nun also „rough“ (gern gewählte Vokabel in diesem Zusammenhang) im Social Web kommunizieren will ist es das Gegenteil von dem, was als authentisch empfunden wird.

Weshalb das Wort „authentisch“ nur eine Buzzword-Bullshit-Vokabel ist, die Agenturen in Pitches und Präsentationen ihren Klienten hinwerfen und die von Fachmedien der Marketingbranche brav wiedergekäut wird.

Kein Markenverantwortlicher aber würde eine Optik akzeptieren, die so aussieht, als handele es sich um den Inhalte von Denise Normalkonsumentin. Die Folge sind Kampagnen und eine Kommunikation, die ein bisschen weniger werblich daher kommen soll – und genau deshalb ihre Ziele verfehlt.

Hier das Beispiel Wrigley’s:

Schein-authentische Personen, die fotografiert werden wie Models. Um es in der Sprache Twitters zu sagen: „Welche Welt soll das abbilden?“ Natürlich hat Wrigley’s einen Vorteil: Vermutlich kann niemand außerhalb des Unternehmens sage, wofür die Marke steht, weshalb sich die Frage der Authentizität auch gar nicht stellt. Denn Wrigleys heißt jetzt Wrigley’s Extra – und auch das dürfte für kaum jemand für irgendwas stehen außer für Kaugummi.

Diese Sucht nach einer angeblichen Authentizität führt dann auch zu so grundfalschen Idee wie der von Ogilvy Großbritannien: Die Agentur will nicht mehr mit InfluencerInnen zusammenarbeiten, die ihre Bilder verschönern durch Filter oder andere Techniken.

Rahul Titis, „Head of Influence“ der Agentur, demonstriert dann auch beim Branchenmagazin „The Drum“, dass er die Idee der Authentizität nicht durchdrungen hat: Influencer Marketing „sollte die authentische Seite des Marketings sein, aber jetzt wirft es inszenierte Inhalte raus, die schädlich sind für jeden, der in Social Media schaut“.

Influencer Marketing sollte „die authentische Seite sein“? Wer hat das behauptet? Die InfluencerInnen selbst wohl eher nicht – denn die haben sich ja schon immer inszeniert. Mehr noch: Erst die Möglichkeit, sich via Instagram-Filter vom schnöden Alltag abzukoppeln führte ja erst zum Boom des Influencer Marketings.

Und: Inszenierte Inhalte sind schädlich? Also das, was Ogilvy seit Jahrzehnten macht? Wow – so viel Ehrlichkeit zeigen Werber selten. Vielleicht ist es die Selbsterkenntnis, dass Werbung im digitalen Zeitalter so schlecht und nervig geworden ist, dass die Zielgruppen sie zu hassen begonnen haben.

(Einschub: Jene Wrigley’s – pardon: Wrigley’s EXTRA – Kampagne stammt von Ogilvy Deutschland.)

Influencer Marketing funktioniert weil Markenbotschaften und Produkte eingebettet werden in die Welt von Menschen, die andere Menschen aus welchen Gründen auch immer interessant finden. Die wenigsten Influencer werden groß, weil sie „authentisch“ sind, sondern weil sie eine Welt erschaffen – sie werden zur Marke.

Wenn sich eine Influencerin zum Beispiel immer geschminkt und auch geschönt durch Filter zeigt, ist es diese Welt, die ihre FollowerInnen angezogen hat. Und nun will die Marke, dass sie unauthentisch kommunizieren, weil die Marke fordert? Kein/e InfluencerInn sollte auf dieses Ansinnen eingehen.

Denn:

Authentizität ist die bekiffte Schwippschwägerin der Kundenzufriedenheit.

Und Authentizität ist wichtig. Denn wenn ein Freund uns in einer für ihn ungewöhnlichen Tonalität einen Rat geben möchte, merken wir auf. Warum redet der so? Wir wären irritiert, wahrscheinlich würden wir nachfragen, ob es bei seinem Rat einen Haken gibt.

Marken, die von der Tonalität abweichen, für die sie bekannt sind, kommunizieren unauthentisch – weshalb ihre Botschaft Irritationen und Zweifel wecken dürfte.

Deshalb führt das Streben nach einer solchen, scheinbaren Authentizität, die eine Marke so alltäglich darstellen soll wie die Menschen, die um uns herum sind, in die Irre.

Das sagt auch die Marketing-Wissenschaft. In dem lesenswerten Artikel „Does it pay to be real“  rechnet das deutsche Forscherteam aus Maren Becker (ESCP Berlin), Nico Wiegand (Freie Universität Amsterdam) und Werner J. Reinartz (Uni Köln) im „Journal of Marketing“ mit dem Authentizitäts-Mythos ab.

So gebe es nur anekdotische Hinweise darauf, dass „authentischere“ Werbungin Gestalt eines Auf-Augenhöhe-Auftritts mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern sich überhaupt auszahle – trotzdem werde dies immer kolportiert.

Gerade bei Versuchen, Marken in der Lebenswirklichkeit der Menschen zu platzieren gebe es wenig Hinweise darauf, dass sich damit etwas gewinnen lasse. Sinnvoller sei es, die Zielgruppe zu unterhalten und/oder sie in eine Traumwelt zu entführen.

Genauso ist es: Marken brauchen Mythen und Märchen und nur im Bereich des Service die Augenhöhe mit ihren Käuferinnen und Käufern. Die Forderung sollte also nicht lauten: „Wir müssen authentischer kommunizieren“, sondern: „Wir müssen mythischer erzählen.“

Denn – und jetzt alle:

Authentizität ist die bekiffte Schwippschwägerin der Kundenzufriedenheit.


Kommentare


Uwe Wolff 28. Mai 2022 um 12:34

Danke, Herr Knüwer. Erstklassige Analayse. Trifft genau auf den Punkt. Frage mich gerade, wie eine von Werbern gepriesene „Authentizität“ bei Landminenherstellern aussehen könnte.

Antworten

Frank70 5. Juli 2022 um 15:39

„Authentizität“ bei Landminenherstellern–> kleine Idee gefällig? –> Gerne:
linke Seite: Abbildung einer idyllischen Landschaft mit dem Schriftzug: "Alles was Ihr Feind wahrnimmt!"
rechte Seite: Abbildung der Mine mit dem Schriftzug: "Alles was Ihr Feind nicht wahrnimmt, bis es für ihn zu spät ist!"

Antworten

Frank70 5. Juli 2022 um 15:30

So einfach ist es dann halt doch nicht:
Authentizität hat durchaus Potential, nur eben nicht in Form einer dumpfen Simplifizierung und der Suche nach einem Pauschalrezept. Schlechte Werbung die hier scheitert beweist nicht, dass das Prinzip grundsätzlich nur ein Mythos ist. Wie erfolgreich Authentizität bedient werden kann und welches Risiko man dabei eingeht, hängt auch sehr stark vom Bereich ab. Beispiel: Alles was mit körperlicher Attraktivität zu tun hat, kann mit Authentizität nur sehr schwer verbessernd adressiert werden. Trotzdem ist dies nicht unmöglich. Kleines Beispiel gefällig? Gerne: Der aktuellen Nivea Hautbalsam Kampagne mit "normalen" Models scheint genau dies gelungen zu sein (Nein, ich kann hier keine Studie anführen, sondern mich nur auf die Einschätzung eines Bekannten stützen, der in dem Bereich Profi und für mich absolut glaubwürdig ist. An dieser Stelle von mir 20 € in die Hören-Sagen-Kasse!). Einfacher sieht es da im Bereich Nah-Tourismus aus, aber eben auch nicht als Selbstläufer. Gerade hier gibt es gescheiterte Beispiele en masse.
Summa summarum:
Authentizität ist eben NICHT die bekiffte Schwippschwägerin der Kundenzufriedenheit, sondern eher der 4-fache Rittberger des Werbeeiskunstlaufs: Wer den Sprung wagen will, muss wissen was er/sie (Ich hasse diese Genderei!) tut und kann trotzdem auf die Schauze fallen. Gelingt der Sprung, gibt es bei der Jury (–> Kunden) volle Punktzahl.

Antworten

Frank70 5. Juli 2022 um 16:06

@Thomas Knüwer: Da sind von Ihnen jetzt aber 20 € in die Geschlechterdiskriminierungskasse fällig:

"Authentizität ist die bekiffte Schwippschwägerin der Kundenzufriedenheit." Das geht überhaupt nicht! Von Ihnen hätte ich da zumindest ein "Authentizität ist der bekiffte Schwippschwager / die bekiffte Schwippschwägerin der Kundenzufriedenheit." erwartet. Ich bin maßlos enttäuscht und fühle mich geschlechtsdiskriminiert!

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