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Manchmal begegnen uns Momente der Poesie dort, wo wir sie am wenigsten erwarten. Im Grauen, im Alltäglichen, an Orten, die wir nur mit eingeschränktem Bewusstsein wahrnehmen, weil sie uns so bekannt und uninspirierend scheinen.

Zum Beispiel der Stellenanzeigenrubrik des Medien-Branchendienstes „kress“.

Sie konfrontiert uns derzeit mit einer Gemme der Lyrik, einem Text, der die LeserInnen innehalten lässt, sie in Berührung bringt mit der tristen Realität ihrer Existenz und mit der Gewissheit ihrer eigenen Sterblichkeit.

So berührend ist dieser Text, der in Gänze unter diesem Link zu finden ist, dass ich ihm Raum geben möchte.

Ganz profan beginnt er mit einem Firmennamen der steht für die Kälte in unserer Welt. Doch schon in der zweiten Zeile kritisiert der Autor sublim den Grund für diese arktischen Gefühlszustände: Es ist der gesellschaftliche Wandel, das, was manche „Fortschritt“ oder „Diversität“ nennen.

Und deshalb mahnt die Betitelung dieser Stelle, dass wir es nicht zu weit treiben dürfen mit dem scheinbaren Voranschreiten. Denn egal, ob der spätere, glückliche Besitzer des Postens Dennis oder Denise heißen wird, wie immer auch die persönliche Identifikation dieser Person geartet sein mag – bei der Media Pioneer Publishing AG wird sie doch immer Redakteur sein.

Und auch wenn Mediendienste dieses so schöne Wort in einem Anflug von Genderwahn mit einem „in“ verunstalten, die Mitarbeiter (und natürlich verbietet sich hier jedwede Verweiblichung) stehe wie ein Mann hinter diesem Kurs.

So das hochgelobte Talent Franziska von Haaren, die es nach einem Volontariat und nur acht Monaten als Newsletter-Redakteur in die Chefredaktion geschafft hat. Sie nennt sich auf ihrem LinkedIn-Profil „Redaktionsleiter“ – eine schallende Ohrfeige für all jene die glauben, dass weibliche Emanzipation nur mit großem oder kleinem I im Wort möglich sei.

Wir dürfen gewiss sein: Chefredakteurin wird von Haaren niemals sein wollen.

Doch blicken wir weiter auf jenes Poem der Futuristik. Was also soll sie künftig tun, die Redakteur? Um dies zu erläutern, etabliert der Autor der Zeilen ein „lyrisches Du“, das im Folgenden dem Adressaten der Zeilen die Welt erklärt und ihm ganz sanft seine Stellung in der selbigen klarmacht.

Wir Menschen nehmen uns oft zu wichtig, und dies kritisiert der Autor mit aller Wucht. Denn jene „Daten, Statistiken, Reportings und Tabellen“ sollen nicht nur analysiert werden – sie sollen verarbeitet werden.

Die Analyse, das ist das Werk scharfgeschnittener Denker, die Verarbeitung aber ist das Werk der Zupackenden. Bemerken sie wie hier eine Brücke geschlagen wird, zwischen Geistesarbeitern an der Spitze und den Ameisen der Werktätigkeit, die jene „Daten, Statistiken, Reportings und Tabellen“ mit ihren eigenen Fingern kopieren und pasten?

Keinesfalls unterschätzt werden darf hier die Kritik an der modernen Medienwelt und all den Falschnachrichten, die uns aus der Bahn des gerechten Lebens werfen. Denn „Daten, Statistiken, Reportings und Tabellen“ könnten ja schnell als das Gleiche angesehen werden. Aber das sind sie nicht: Statistiken sind keine Daten, sie könnten manipuliert sein, Reportings sind es ja ohnehin und Tabellen sind keinesfalls in Kästchen gepresste Daten, sondern hinterfragenswerte Anordnungen von Zahlen und Buchstaben.

Doch schauen wir weiter:

So viel Kritik an der modernen Welt in einem so simpel erscheinenden Satz – eine Meisterleistung. Blicken wir zunächst auf das Ende des Satzes. Banken sind des Teufels, das wissen wir alle seit der Finanzkrise 2008. Und deshalb soll die Redakteur auch nichts mit diesen Instituten zu schaffen haben, sie wird mit Datenbasen arbeiten, nicht mit Datenbanken.

Doch diese Datenbasen sind eben kein Teil unserer lebendigen, menschlichen Kultur und dies macht der Autor klar durch ein kreativ eingefügtes Leerzeichen, das den Leser verharren lässt: ver schieden – nie wurde so elegant deutlich gemacht, wie tot die Welt der Daten doch ist.

Die Redakteur aber soll diese Welt beleben mit ihrem Geist, soll nicht Datenanalysen produzieren, sondern den Moment zur Reflexion nutzen, war klar gemacht wird, durch den Rhythmus brechenden Divis, oder wie profanere Seelen sagen würden: dem Gedankenstrich.

Zugegeben, das ist so hohe Kunst, dass mancher Leser an diesem Satz verzweifeln könnte, weshalb der Autor sich hier im Zwange sieht, eine Wiederholung mit anderen Worten anzufügen:

Der Mensch als Scanner, als Teil einer dehumanisierten Arbeitswelt, ein Bild wie aus „The Matrix“.  Der Homo Sapiens wird degradiert zu einer Maschine, die mit hellem Licht Zahlen und Buchstaben erfasst, doch nichts weiter damit anzufangen weiß, als sie zu verinnerlichen. Und dies soll er nicht im freien Willen seines Selbst tun, sondern mit einem System, das ihm in die Seele tätowiert wurde.

Diesem grauenhaften Szenario setzt der Autor nun Hoffnung in Gestalt anderer Menschen entgegen:.

Dem lyrischen Du wird hier eine paradiesische Zukunft vor Augen gehalten. Es ist Redakteur (m/w/d) UND Teil der Redaktion. Diese Vision muss wie eine aufgehende Sonne nach einer klirrend kalten Januar-Nacht für das lyrische Du wirken. Hier wird es Teil eines Größeren und darf doch selbständig Texte verfassen und nicht unter Anleitung wie Redakteure (m/w/d) in anderen Häusern.

Doch wer kommt in Frage um einzuziehen in dieses Elysium der Medienwelt?

Der Autor schreitet nun zur Kritik an der Welt der Wirtschaft als Exempel für Fehlentwicklungen der Gesellschaft indem er trennt zwischen Kennzahlen, Bilanzen und Unternehmensberichten – nur Laien glauben, dass es hier Überschneidungen gibt.

Seine Offenheit gegenüber einer Vielzahl von Charakteren, mit denen sich die Redakteur umgeben wird, ist die Betonung der Andersartigkeit der gewünschten Fähigkeiten im Vergleich mit den bereits gegebenen. Denn während bisher ja nachweislich kein fundierter Wirtschaftsjournalismus stattfindet beim elektronischen Brief von Gabor Steingart, wird die Redakteur nun verklärt zum Heilsbringer.

Die stilistische Poetik des Textes wird im Folgenden betont:

Fast im Stile des Hiphop wird das lyrische Du dazu aufgefordert, nicht näher definiertes „analytisches“ zu denken, also Gedanken zu denken und nicht den Unfug, den mancher sonst im Kopf hat. Wir stellen uns vor, wie Gabor Steingart diesen Text rezitiert, vielleicht im Stile eines Poetry Slams jedes „und“ untermalend mit einer schwungvollen, von oben nach unten weisenden Handgeste: „und“ BÄM „und“ BÄM „und“ BÄM – was für ein Wucht solch eine Stellenanzeige doch entwickeln kann, man wünschte sie sich als Podcast über das Netzwerk von The Pioneer distribuiert.

Dieses den Atem raubende Gefühl für Sprachrhythmus prägt auch die nächste Sentenz:

Das Komma setzt hier elegant den Sprachtakt ohne irrationalen Ansprüchen irgendwelcher Rechtschreib-Kommissionen Genüge tun zu wollen. Die Forderung, analytisches zu denken wird hier weiter abstrahiert durch Crossmedialität, die analytisch gedachten Gedanken sollen sich über verschiedene Medienformen ziehen, auch dies wieder ein Bezug auf die maschinelle Versklavung der humanen Spiritualität.

Wieder sehen wir Steingart als symbolischen Autor dieses Textes, wie er ihn vorträgt und immer verzweifelter wird auf der Suche nach dem Messias, der Eigenverantwortung bringt, Einsatzbereitschaft und vielleicht noch mehr, doch die Stimme bricht, die Hoffnungslosigkeit übermannt den Vortragenden.

Angesichts dieser Gemütslage, warum  sollte sich jemand für diesen Arbeitgeber entscheiden?

Das lyrische Du wird hier entführt auf eine Reise um die Welt, die doch zu sich selbst führt. Sein inneres Auge schwebt vorbei an den Pyramiden von Gizeh, den tiererfüllten Steppen der Kalahari, es erklimmt die Anhöhe vor Machu Picchu und umkreist die Halbinsel von Manhattan. In diese auserlesene Selektion von Lokalitäten reiht sich nun „ThePioneer One“ ein, das violett umflorte Flaggschiff der globalen Elite des Journalismus.

Beachtenswert auch hier die ironische Herangehensweise gegenüber gendergerechter Sprache. Während in Binnen-I ganz und gar indiskutabel ist, erlaubt man sich aber ganz klar ein Binnen-P. Hier wird klar: Es geht nicht um rechtschreiberische Kleinigkeiten, ThePioneer ist besorgt um die Emanzipation der Frau.

Doch, ach, wie groß wäre die Gefahr, dass unser abenteuerlustiger Bewerber nun den Halt in der Realität verliert? Dass er vergisst, welche Rolle der Journalismus in der Gesellschaft anheim fällt, nämlich eine dienende gegenüber dem Volke und der Demokratie.

Nein, das muss verhindert werden und unser Autor tut dies in fast subkutaner Herangehensweise:

Wir spüren, wie die Dynamik und die Gefühlswelt des Textes kippt. Es wird kälter in Berlin, eisiger.

Klar, das Lernen ist es, was uns Menschen von den Animalien unterscheidet. Doch ist das Lernen für unser lyrisches Du keine Option, keine Wahl, es muss lernen und es wird lernen, kein Zweifel wird daran gehegt. Immerhin: Es lernt von den Besten.

Zu denen zählt Gabor Steingart nicht, das macht die Abgrenzung deutlich. Denn von ihm, auch hier wird das lyrische Du aufs Brutalste geerdet, kann es nicht lernen – es darf ihn nur erleben. So wie das „Pioneer Allstar-Team“, das ebenfalls nicht zu den Stars der Branche gehört, aber natürlich zu den Stars an jenem so außergewöhnlichen Ort names „ThePioneer One“.

Auf jenem Schiff aber regieren – und so schließt sich langsam die Klammer zu Beginn dieses nicht hoch genug zu lobenden Textes – klassische Werte. Und deshalb wird den Damen sprachlich nicht der Vortritt gewährt, wie es neumodischen Untrieben nachgebende Rückgrat-Mollusken wie beispielsweise Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Groschenroman-Auteur Thomas Mann oder der angesichts dieser Schwächlichkeit verständlicherweise früh verstorbene Konrad Andenauer tun oder getan haben.

Nein, an Bord von „ThePionner One“ geht es noch zu, wie es sich gehört, weshalb Vortritt erhält, wer nicht nur X-Chromosomen in seinem Körper verwahrt, sondern auch Y sagen kann.

Die erfrischende Erdung des künftigen Personal hat damit aber noch nicht ihr Finale erreicht:

Dies ist der Moment der Revelation. Auch der Autor dieses Textes kann sich nicht wehren gegen die normative Kraft des Faktischen unserer Welt. Oben noch wurde die Objektifizierung des Menschen in der modernen Welt kritisiert, nun die Erkenntnis: Erwartet werden Cyborgs, jene Zwitter aus Fleisch und Kabeln. Die Technik im Menschen ist nicht Voraussetzung, sie ist Grundvoraussetzung.

Und diese Mensch-Maschine ringt mit sich, der Welt und den anderen Mensch-Maschinen, er steht im wettbewerblichen Kampf um die knappste Ressource unserer Zeit – Geld.

Die Hatz der Medienwelt verwehrt es auch ThePioneer, anders zu sein. Sozialer. Wärmer. Und so stürzt der Leser ab, muss realisieren, dass jenes versprochene Paradies doch nur ein Walhalla ist für die Entmenschlichung des Daseins.

Oder um es mit den Worten des großen Philosophen „Das Känguru“ zu sagen: Die Redakteur wird nur ein kleines Rädchen im Uhrwerk sein, das nicht weiß, wie spät es ist.

Ja, so poetisch können Stellananzeigen sein, werden sie von einem wahren Poeten verfasst.

Oder vom Schülerpraktikanten.

Foto: Biberbaer, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons


Kommentare


Nicht Gabor Steingart 26. Januar 2022 um 14:48

Kein Wort zu "Du hast Erfahrung und Kreativität… Du hast ein Studium…"? Schwingt in der oberflächlich wie banal wirkenden Setzung nicht, freud’sch, schon als Ankündigung das aufkommende Team-Feeling auf ThePioneer One mit?

Allerdings: kein Mensch ist eine Insel. Manhattan aber schon.

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Carmen 28. Januar 2022 um 8:11

Aufhören! Aufhören! Aufhören! Diese "Stellenanzeige" ist pures Augenkrebs an klaffenden blutenden Wunden.

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con2epa 4. Februar 2022 um 12:47

Den Anfang kann ich nicht nachvollziehen.
Wäre "Wirtschaftsredakteur:in" besser gewesen? Wirtschaftsredakteur/in, Wirtschaftsredaktox, oder gleich "1x Wirtschaftsredakteurende"?
Ich würde sagen, angesichts der Tatsache, dass es keine einheitlichen Vorgaben gibt und auch innerhalb der Community inklusiver Sprache keine Einigung besteht, ist "Berufsbezeichnung (m/w/d)" das Neutralste. Da kann sich jede Person wiederfinden, ohne dass DIE ZEIT sich über das ":in" beschwert, Funk über "redakteurende" oder die TAZ über "/in".

Nebenbei, wenn diese Kritik schon ohne weitere Erläuterung dasteht, muss die Frage erlaubt sein, wieso Sie sexistisch unterstellen, dass diese Anzeige von einer Person verfasst wurde, die sich dem männlichen Spektrum zuordnet? Könnte auch eine AutorIN oder eine SchülerpraktikantIN gewesen sein oder eine Person, die sich keinem dieser geschlechtlichen Zwänge unterwerfen möchte.

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Thomas Knüwer 6. Februar 2022 um 12:16

@con2epa: Ja, Wirtschaftredakteur*in wäre besser gewesen. Und warum nicht beide Versionen verwenden und ganz revolutionär, also im Sinn des Freiherren Knigge, die weibliche als erste nennen?

Mit Ihrem zweiten Einwurf haben Sie vollkommen recht und ich hatte gehofft, dass jemand in den Kommentaren darauf anspringt. Das Nicht-Gendern war meinerseits so beabsichtigt. Denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass eine Autorin, diese Anzeige so nicht verfasst hätte. Als Minimum hätte sie sich dem gesellschaftlichen Konsens gebeugt, bei die weibliche Version voranzustellen und nicht mehrfach nach hinten.

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