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Immer wieder verwundert mich, dass intelligente Menschen aus der Verlags- und Journalismuswelt Mythen kolportieren, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken.

Zum Beispiel behaupteten Zeitungsvertreter wie Mathias Döpfner über Jahre hinweg, gedruckte Medien sollten sich keine Sorgen machen wegen dieses ganzen Digitalzeugs: Das Riepl’sche Gesetz besage, dass noch kein Medium ein anderes abgelöst habe. Dass dies weder ein Gesetz ist, noch von Herrn Riepl so geschrieben wurde, hinterfragte niemand.

In diesem Jahr ist häufiger im Gespräch mit Verlagsvertretern von einem „historischen Fehler“ die Rede, ja mancher nutzt gar das Wort „Erbsünde“. Denn tatsächlich machen die Verlage je ernster mit dem Bereich Paid Content und behaupten, nun sei die Zeit des frei verfügbaren, oder besser mit Zeit des Lesers bezahltem, Journalismus beendet. Na gut, das mit dem Paid Content kündigen Verlage seit über 16 (!) Jahren an, da darf langsam was passieren.

Jene Erbsünde soll in den Anfangstagen des World Wide Web passiert sein. Damals hätten sich Verlage, so der Mythos, entschieden, ihre Inhalte „zu verschenken“. Wäre das nicht passiert, hätten sie damals direkt Geld verlangt, dann, behaupten die Propheten des Paid, ginge es Verlagen heute besser und die Menschheit würde so für journalistische Inhalte zahlen, wie sie es einst in der Ära der Zeitungen getan hat.

Nur: Das ist – leicht widerlegbar – falsch.

Zunächst einmal hat es ja schon Ende der 90er genügend Bezahl-Versuche von Verlagen gegeben. Sie sind alle gescheitert. Im Nachhinein betrachtet zum Beispiel, weil es keine brauchbaren Bezahlmöglichkeiten gab. Hinzu kommt aber die grundsätzliche Veränderung durch Onlinejournalismus: Die Beschränkung auf spezifische Nachrichtenangebote ist nicht mehr zeitgemäß, da ich mir mein eigene Auswahl zusammenstellen kann.

Mario Sixtus fasste dies jüngst sehr kompakt in einem Tweet zusammen:

Warum Paid Content für die aktuellen, journalistischen Inhalte nach meiner Meinung wirtschaftlich nicht aufgeht, habe ich in den vergangenen 14 Jahre in diesem Blog etliche Male aufgeschrieben, zuletzt 2017 unter dem Titel „Paid Content-Träume, leicht einen sitzen und ein paar Medienkonferenztermine“.

Was aber wäre gewesen, wenn die Verlage tatsächlich zwischen 1998 und 2002 die Werke ihrer in diesen Jahren enstehenden und wachsenden Redaktionen hinter eine Bezahlschranke gesteckt hätten? Das zeigt sich in dieser Woche an einer völlig unbedeutenden Meldung. In Hamburg stritten sich zwei Dreijährige um ein Dreirad – woraufhin die Mutter des einen Kindes via 110 die Polizei rief. Die Beamten schlichteten den Streit dann.

Eine Kuriosität aus Winterhude, eigentlich nicht mehr als eine einspaltige Meldung unter „Vermischtes“ in einem gedruckten Objekt. Urheber der Meldung ist folgerichtig das „Hamburger Abendblatt“. Bei dem dürfen ein paar Artikel gratis goutiert werden, nach Verbrauch dieser Schwelle sieht es so aus: Was nun? Wird die Menschheit nicht erfahren vom faszinierenden Disput um das Dreirad? Doch, doch, natürlich.

Egal ob Web.de, InFranken oder Spiegel Online: Die Witzigkeit aus Winterhude zieht weite Kreise bei Angeboten, die keine Bezahlschranke installiert haben. Und dabei ist der von Verlegern so heftig angefeindete öffentlich-rechtliche Sender NDR nur ein Anbieter von vielen. Übrigens: Bemerkenswert ist, dass viele Verlagsangebote auch weiterhin nicht auf die Urmeldung verlinken – dieses Analogverhalten glaubt ich weitestgehend getilgt.

Hätten die großen Redaktionen also vor 15 Jahren Paywalls errichtet, sähe der mediale Alltag tatsächlich anders aus. Denn dann wären neue Angebote entstanden, die über die Berichte berichtet hätten – man nennt das Pressefreiheit. Die hätten einerseits Werbeeinnahmen abgesogen andererseits Abos unattraktiv gemacht.

Hätten die Verlage trotzdem weiter auf Onlineabos gesetzt, wäre ihr Niedergang erheblich schneller verlaufen, als er es ohnehin tut. Vielleicht wären dann nach 2010 noch mehr Angebote von uns gegangen als dies in der Realität geschah.

Und deshalb sollten Verlagsvertreter aufhören, von einer Erbsünde zu reden und von einer verpassten Chance, Paid Content in den Markt zu drücken. Diese Chance bestand niemals.


Kommentare


Axel Wieczorek 7. Dezember 2018 um 21:42

Ob Dreirad-Drama oder Hammer-Story: die exklusive Nachricht hat ihren Wert verloren. Früher hast du eine aufwendig recherchierte Geschichte über Tage als einziges Medium weitergedreht, heute bedient sich die Konkurrenz bei Dir kostenlos – auch HINTER der Bezahlschranke. Aktuelles Beispiel: Die Spiegel-Titelgeschichte über Boris Becker gibt es bei BILD ratzfatz als kostenloses Summary ("Wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet…")

Das heißt: Die Reichweite von News war noch nie größer als heute, nur Geld verdienen kann man damit irgendwie nicht mehr so richtig. Such is life!

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Thomas Knüwer 10. Dezember 2018 um 9:50

@Axel Wieczorek: Die Behauptung, Journalismus sei im Netz nicht refinanzierbar ist ein Mythos – aber kein wahrer.<a href="https://www.indiskretionehrensache.de/2012/11/wie-verlage-im-internet-geld-verdienen-iii/" rel="noopener" target="_blank"> Dazu mehr unter diesem Link.</a>

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Lesenswerte Links – Kalenderwoche 50 in 2018 – Ein Ostwestfale im Rheinland 17. Dezember 2018 um 6:29

[…] Das Dreirad von Winterhude und der Mythos von der Paid Content-Erbsünde von Thomas. […]

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