Das neue Corporate Design der Lufthansa hat ein interessantes medienpsychologisches Phänomen hervorgerufen, für das ich – so es nicht schon einen Fachbegriff dafür gibt – die Vokabel „Vorauseilende Negativimagination“ copyrighten möchte.
Denn jenes Redesign scheint ja ganz fürchterlich in die Hose zu gehen. „Farbloser Kranich“ titelt die „Süddeutsche Zeitung“. „Kritiker vermissen im neuen Lufthansa-Logo das traditionelle Gelb. Konzernchef Carsten Spohr verteidigt die Neugestaltung – mit einer emotionalen Begründung„, leitet das „Handelsblatt“ seinen Artikel ein und suggeriert damit, dass es keinen rationalen Grund für das neue Aussehen geben kann.
Wir Menschen fokussieren uns auf Kritik. Das ist auch nur menschlich, denn Kritik ist bunter, interessanter, unterhaltsamer – und lustiger. Versuchen Sie, liebe Leserinnen und Leser, doch mal unterhaltsam zu loben und dabei ironische Spitzen zu vermeiden: Es wird Ihnen nur unter Mühen gelingen. Kritik ist auch oft länger als Lob, denn elendig lange Jubelarien wirken auf uns oft überzogen. Dadurch aber fallen negative Stimmen schon rein quantitativ eher ins Auge.
Außerdem leben wir in einer Welt, in der Kritik ja noch zu den höflicheren Meinungsäußerungen zu zählen scheint. Selbst Eliten, denen man vielleicht ein wenig mehr Zurückhaltung zugestehen möchte, giften sich an, poltern los, überbrüllen sich vor der Talkshowkamera. Oder die Diskussion rund um Hasskommentare im Social Web: Das die allerallerallerallerallerallerallermeisten Kommentare auf Plattformen wie Facebook oder Twitter, neutral, ja gar positiv bis flauschstürmig sind ist egal – uns berühren halt die negativen Äußerungen stärker.
Dass dem so ist, zeugt vom Guten im Homo Sapiens: Das gesittete Miteinander ist für uns der Alltag, die gesellschaftliche Erwartung, die Norm und über Normalitäten müssen wir nicht reden. Reden müssen wir dagegen über das Abnormale und gegen unseren ungeschriebenen Zivilisationskodex verstoßende. Weshalb es stärker in unsere Köpfe rückt.
Das könnte der Grund dafür sein, dass sehr viele Medienmenschen direkt anzunehmen scheinen, dass jede Art von Veränderung eine Negativreaktion auslöst, wie das Beispiel Lufthansa zeigt.
Das neue Design der Airline ist für viele Menschen eine bemerkenswerte Änderung, schließlich ist der Kranich eines der bekanntesten Logos Deutschlands. Noch dazu lässt die Lufthansa die markanteste Farbe ihres optischen Auftritts fast völlig verschwinden: das Gelb.
Es ist also verständlich, wenn der geschätzte Thomas Koch, der Doyen der deutschen Mediaagenturszene auf Facebook dies postet:
Worauf er sich beziehe, fragte ich ihn und er verwies mich auf einen Artikel in der „Rheinischen Post“. Der Vorspannt lautet so:
„Radikal ändert Lufthansa ihr Erscheinungsbild: Der gelbe Kreis verschwindet am Jet-Heck. Experten sind skeptisch. Derweil setzt der Konzern auf weitere Expansion, rechnet mit mehr Wettbewerb und hat viele Bewerber von Air Berlin.“
Nun ist es eine Frage, ob das so radikal ist, was die Lufthansa da tut. Etwas anderes ist es, ob die bewussten Experten wirklich so skeptisch sind. Befragt wurden nur drei, was ich für eine geringe Zahl halte. Dirk Krüssenberg, Präsident des Marketingclubs Düsseldorf (Disclosure: Ich bin Mitglied des Clubs) äußert Lob. Franz-Rudolf Esch, Markenprofessor an der Privathochschule EBS, sagt gar nichts über die Lufthansa, sondern äußert sich allgemein zu Designwechseln.
Und dann ist da noch Jürgen Kindervater, der Ex-Kommunikationschef der Deutschen Telekom. Er findet das Redesign der Lufthansa gräuselig. Ob er aber tatsächlich als Experte durchgeht, wenn er gleichzeitig behauptet: „Apple als einer der erfolgreichsten Markenartikler der Welt käme nie auf die Idee, das Apple-Logo zu ändern…“?
(Quelle: Think Marketing)
Und mal ehrlich: Als Autor eines solchen Artikels, könnte man schon mal kurz prüfen, ob das so richtig ist, was einem Interviewpartner erzählen. Einerseits steht man selbst nicht als Idiot da, andererseits lässt man seine „Experten“ nicht inkompetent aussehen.
Doch was blieb bei Thomas Koch hängen? Nicht Krüssenberg, nicht Esch, sondern der polternder Altvater.
Aber anderenorts, da wird es doch so richtig hageln, oder? Klar! „Horizont“ beispielsweise hat 10 Designexperten befragt. Ihre Urteile sind ätzend wir eine Chilischote auf der Netzhaut:
- „Souverän, plakativ, frisch.“
- „Musterbeispiel für eine behutsame und intelligente Modernisierung einer Traditionsmarke“
- „gelungene Weiterentwicklung und unterstreicht den Premium-Anspruch der Lufthansa“
(Übrigens erliegt „Horizont“ nicht der vorauseilenden Negativimagination – Glückwunsch!)
Verdammte Hacke, selbst auf Experten ist kein Verlass mehr. Weshalb die „Süddeutsche“ auch nur zwei befragte, also einen weniger als die „Rheinische Post“. Einer davon, Klaus-Dieter Koch von der Markenberatung Brand-Trust, ringt sich zur harschen Kritik durch, dass Blau als Leitfarbe es schwer mache, sich von anderen Marken abzusetzen.
Interessanter wird es beim Kommunikationsdesigner Achim Schaffrinna, der das lesenswerte Blog Design Tagebuch schreibt. Als zweiter, zitierter „SZ“-Experte wirkt er tatsächlich kritisch eingestellt: „Mit dem Gelb opfert die Lufthansa nicht nur eine Farbe, die für Wärme und Herzlichkeit steht, sondern auch ein identitätsstiftendes Merkmal.“
Allein: In seiner ausführlichen und detaillierten Analyse des neuen Lufthansa-Looks im Design Tagebuch klingt er ganz anders. Das Kritischste im Blog-Post ist noch dieser Satz: „Das neue Design des Leitwerks empfinde ich als gewöhnungsbedürftig. Das liegt natürlich daran, dass die bisherige Primärfarbe Gelb fehlt.“ Ansonsten tut Schaffrinna das, was Journalisten nicht wagen – er hält sich ein finales Urteil offen: „Ein Fazit zu ziehen, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwierig möglich. Dafür geben die wenigen Anwendungsbeispiele zu wenig her. Eine Tendenz, eine Richtung ist erkennbar.“
Nein, mit diesen Experten kann ein Journalist wirklich nicht mehr arbeiten. Weshalb mein alter Arbeitgeber „Handelsblatt“ die Kaste auch gleich links liegen lässt:
„Dass er sich nun allerdings auch noch wegen des Aussehens eines schnöden symbolisierten Kranichs rechtfertigen muss, das hätte sich der Lufthansa-Chef wohl kaum träumen lassen…
Doch das neue Design, in den letzten Tagen schon über soziale Medien oder auch im Bordmagazin vorgestellt, stößt auf durchaus geteiltes Echo… Mutlos sei der neue Entwurf, sagen die einen, die Farbe Blau einfach nur langweilig, fast alle Firmen würden auf diese Farbe setzen. Auch fehle das Gelb. Überflüssig sei das Ganze, sagen andere.“
„Eine“, „andere“, ominöse Rechtfertigungseinforderer – wer braucht schon Experten, wenn er seine Meinung mit erfundenen Kritikern unterlegen kann? Die Stimmen im Kopf sind noch immer die wohligsten Helfer beim Anfertigen eines Artikels, der vorgibt Journalismus zu sein. Irgendwo gibt’s auch irgendwen, der das ansatzweise so gesagt haben wird.
Gut, wenn man von der alten Schule kommt, verbietet es sich, Stimmen zu imaginieren. Mein ehemaliger „Handelsblatt“-Chefredakteur Bernd Ziesemer mag so nicht vorgehen. Weshalb er sich im Kommentar bei „Capital“ allein auf seine eigene Meinung beschränkt – denn wer bräuchte mehr als die gute, alte, durch keinerlei Experten beeinflusste eigene Meinung? Zurecht kritisiert er das Markenwirrwarr aus Eurowings, Germanwings, Lufthansa und dem ganzen dranhängenden Dschungel, den ich selbst unter Ryanhansa zusammenfasse. Und das Blau, das mag Ziesemer nicht, was OK ist, jeder hat halt seinen eigenen Geschmack.
Bemerkenswert aber ist diese Passage:
„Wenn das neue Design wenigstens auf einen Schlag käme und damit endlich wieder ein eindeutiges Erscheinungsbild, könnte man darüber vielleicht reden. Aber nach den Plänen des Konzerns soll es sieben Jahre dauern, meldete Spiegel-Online, bis alle Flugzeuge im neuen Kleid erstrahlen. Das ohnehin vorhandene Markenchaos verschlimmert sich also zunächst bevor es vielleicht irgendwann besser wird. Das ist Management by Irrsinn.“
Ist es das?
Warum dauert denn das so lange? Wer sich einfach mal anschaut, was die Lufthansa kommuniziert – und sie kommuniziert hoch professionell und verständlich erklärend (Hallo, liebe PR-Preise) –, der kann auch eine Erklärung finden:
Allein in einer 747 gibt es den Kranich 45.000 mal, von der Lackierung bis zum Becher.Könnte man nicht erwarten, dass ein Kolumnist für ein angesehenes Wirtschaftsmedium sich mal fragt, warum der Designwechsel so lange dauert? Übrigens habe ich diesen an sich ja interessanten Fakt auch sonst nirgends lesen können, außer im Design Tagebuch.
Vielleicht hätte Ziesemer eine andere Wortwahl getroffen, hätte er sich an seine Zeit als „Handelsblatt“-Chefredakteur erinnert: Auch dort gab es einen Markenrelaunch, bei dem es Jahre dauert, bis er quer über alle Kommunikationsmaßnahmen umgesetzt war. Design Tagebuchler Schaffrinna, also einer dieser Experten, von denen alle immer schreiben, sieht das jedenfalls eher sinnig, denn irrsinnig:
„Wenn man bedenkt, dass das Kranich-Markenzeichen allein an Bord einer 747 rund 45.000 mal vorhanden ist, kann man sich ausmalen, dass es Jahre wenn nicht Jahrzehnte dauern wird, bis das neue Design vollständig implementiert ist.“
So manifestiert sich am blau-weißen Kranich eine Deformation der Medienwelt. Sie erwartet immer und überall den Krawall, den Irrsinn, sie erwartet Hass und den Shitstorm, vielleicht will sie ihn gar. Und deshalb imaginiert sie ihn, deshalb legen sich Journalisten in einer Art und Weise Zitate und Stimmen zurecht, die als „manipulativ“ bezeichnet werden könnte.
Es ist eben eine vorauseilende Negativimagination in der scheinbaren Sicherheit, dass sich irgendwer immer findet, der etwas neues Scheiße findet. Doch dies ist mehr als eine psychische Verformung der Autoren. Ich fürchte: Ihre Berichterstattung prägt das Denken ihrer Leser, die deshalb die Welt negativer sehen, als sie ist – was zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führen würde.
Fotos: Lufthansa
Kommentare
Konstimaus 8. Februar 2018 um 21:50
Trotzdem fehlt das Gelb.
Stefan Scheider 9. Februar 2018 um 8:35
Klasse Beitrag! Und Klassiker: Das Neue wird meist erstmal bespuckt. Finde das Logo grandios.
Herr T. 9. Februar 2018 um 8:57
Ich hab nicht alle Texte dazu gelesen. Aber ich vermute, dass die Abkehr vom Gelb eine Reaktion auf Ryanair ist, die mit ihrer gelben Harfe auf blauem Grund stumpf das Erscheinungsbild der Lufthansa imitieren.
Jakob Montrasio 9. Februar 2018 um 11:30
Es ist ja mehr als nur eine Änderung des Logos, es geht ja schon in den Bereich des CI’s vor. Sich auf eine Farbe zu konzentrieren macht absolut Sinn, wenn man es edler wirken lassen will. Ich finde das neue Logo extrem gelungen und wesentlich wertiger als vorher.
Baron Münchhausen 9. Februar 2018 um 12:38
Unabhängig davon, dass es echt moderner und schicker Einheitsbrei ist, ist es eine Umweltverschmutzung in einem absolut unermesslichem Maßstab. Was für ein Scheiss. Alles, wirklich alles in sieben Jahren auszutauschen … so viel Müll. Und wer zahlt es? Der schicke Premiumkunde.
Een Lufthanseat 23. Februar 2018 um 12:00
Die Flieger werden eh alle 7 Jahre frisch lackiert, daher ergibt sich auch dieser Zeitraum. Ob neues Logo oder nicht.
teekay 9. Februar 2018 um 13:42
In dem Artikel kommen nur männliche Experten zu Wort, oder?
Ich sehe das aber etwas gelassener. Zunächst einmal finde ich es richtig, dass man PR-Sprech und Pressemitteilungen kritisch begegnet-was sich ein paar ein ueberbezahlte ‚Brand Consultants‘ ausgedacht haben interessiert mich ueberhaupt nicht. Und natuerlich interessiert es Otto oder Lena NormalverbraucherIn nicht, dass der Kranich nach Nivea aussieht: Preise, Sitzabstand,…ist wichtig, das blau eher nicht so. Und natuerlich verkauft sich Kritik leichter fuer leichten Soundbite-Journalismus, denn substantiell geht es ja um nichts: Niemand wird andere Anbieter wählen weil das gelb fehlt. Soll Lauthansa halt machen-aber Marketing-Kram immer kritisch fuer die heisse Luft nehmen die es ist!
nk 20. Februar 2018 um 17:32
„Niemand wird andere Anbieter wählen weil das gelb fehlt.“
Gewagte These! Bewusst vielleicht nicht, aber unterbewusst wirken Farben, Marken und dadurch erzeugte Emotionen durchaus.
Holger Kempke 20. Februar 2018 um 20:59
Danke für den sehr aufschlußreichen und vorurteilslosen Bericht. Habe heute die neue Lackierung zum ersten Male live gesehen und zwar im direkten Vergleich zur alten. Als alter Lufthanseat bin ich begeistert. Auch über Ihre detaillierte Recherche der „Expertenmeinungen“. Immer ein Genuss, hier vorbeizuschauen.
Tim 22. Februar 2018 um 9:46
Es ist auch nach Jahrzehnten empirischer Marketingforschung völlig unklar, in welchem Maß Logoänderungen den Unternehmenserfolg beeinflussen.
Insofern gilt: völlig wurscht, was irgendwer zu irgendeiner solchen Maßnahme sagt.
guy 8. März 2018 um 11:43
Sicher viel richtiges in diesem Kommentar. Aber trotzdem und einfacher : Wer’s farbig mag wird mit diesem neuen Design niemals glücklich. Die allererste Bemalung der LH (1960) war die Beste. Alles was danch kam war jedesmal eine Stufe schlechter (für die die’s farbig mögen)
Stefan 15. März 2018 um 9:47
Mir gefällt das Logo sehr gut – es entspricht dem Trend der Zeit. Im Artikel sieht man ja auch die Entwicklung des Apple Logos oder auch sehr plakativ – googelt mal wie das Hewlett Packard Logo aktuell aussieht. Reduziert auf 4 Striche, zweimal kurz, zweimal lang. Dagegen wirkt das Lufthansa Logo ja direkt überladen ^^
Martin Smith 13. April 2020 um 17:53
Absolute bullshit. Mercedes Benz, Coca Cola, Volkwagen, KLM….these brands never change. Never have to change. The previous Lufthansa logo was a far stronger, colourful and beautiful design. The same shit went down at British Airways some years ago. Different renditions of paintings on the tails of aircraft: it was a complete fuck-up. As this is too. ‚Leave well alone‘ — that simple old saying which obviously the Lufthansa management has never heard about. And on top of it all: what an utter waste of money to spend millions on fucking up perfectly beautiful aeroplanes!