Wissen Sie, weshalb Deutschland in Sachen Internetgeschwindigkeit so zurückhängt?
Weil wir nicht genug Bauarbeiter haben.
Und wie lange wird es noch dauern, bis wir einen vollständigen Glasfaserausbau in Deutschland haben werden?
20 Jahre.
Kein Sorge, nicht ich bin durchgedreht und behaupte das. Vielmehr sind dies Aussagen von einem, bei dem man Kompetenz vermuten müsste: Bernd Rohleder, CEO des Digitalbranchenverbandes Bitkom.
Am vergangenen Freitag saß ich mit ihm an einem virtuellen Tisch. Der Deutschlandfunk Kultur hatte eingeladen zu einer Debatte über die Digitalstandort Deutschland im Rahmen seiner Sendung „Wortwechsel“. Ebenfalls mit dabei waren Konstantin von Notz, MdB und Netzpolitiker bei den Grünen und Anke Domscheit-Berg, die als parteilose Netzaktivistin über die Linken in den Bundestag gewählt wurde. Ich glaube, es war insgesamt eine gute Debatte, zumindest eine bessere als das meiste, was so in TV-Talkshows passiert.
Dummerweise hatten die drei anderen Teilnehmer einen Vorteil: ihr Tisch war nicht virtuell, sondern kohlenstoffig – sie saßen in Berlin, ich war aus Köln zugeschaltet. Das war insofern schwierig, als das ein Dazwischengrätschen immer unhöflich wirkt, denn sowohl der Weggegrätschte wie die Moderatorin sehen das Tackling ja nicht kommen. Deshalb konnte ich auch nur bei einer der beiden offensichtlichen Falschheiten richtig kontra geben. Beide Unkorrektheiten verraten aber aus meiner Sicht einiges darüber, warum wir uns in Sachen Digitalstandort seit 20 Jahren im Kreis drehen.
1. Autonomes Fahren braucht keine Daten
Es war Konstantin von Notz, der den beliebtesten Mythos in Sachen Neue Mobilität hervorkramte (und hier hinderte mich die Situation daran, ihm zu sagen, dass er Bullshit redet). Er behauptete: Wir brauchen flächendeckenden Empfang der nächsten Mobilfunkgeneration um autonomes Fahren zu ermöglichen.
Ich bin sicher, dass autonomes Fahren kommt, ich freue mich darauf, wenn es endlich möglich sein wird. Und doch darf eines nie passieren: Niemals darf ein Auto zugelassen werden, dass ohne Datenverbindung nicht autonom fahren kann. Ich bin mir auch sicher, dass dies nicht passieren wird. Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man gar kein Technikexperte sein. Es reicht sich zu fragen, ob es sinnvoll ist, ein solches Auto zuzulassen, dass von einer Sekunde auf die andere seine Autonomiefähigkeit verliert, wenn es in ein Funkloch fährt oder der zuständige Mobilfunkanbieter Schluckauf bekommt.
Selbstverständlich wird keine Aufsichtsbehörde ein solches Auto zulassen – und das muss sie auch gar nicht. Autonomes Fahren benötigt keine Daten und wird sie nie benötigen. Es reichen Kameras, Sensoren und Rechenkapazität. All das ist heute schon da, nun muss noch an der Software gefeilt werden.
Daten machen das autonome Fahren natürlich angenehmer. Denn Echtzeit-Verkehr könnte die Reise mit einem autonom fahrenden Auto angenehmer machen, wüsste es doch zuvor, wann es wegen eines Staus die Geschwindigkeit senken müsste. Ohne Daten wird die Bremsung ein wenig zackiger, aber keineswegs riskant, schließlich würde solch ein PKW immer den Sicherheitsabstand einhalten.
Sprich, lieber Herr von Notz, was sie da erzählt haben, ist Unfug – aber Sie sind nicht der einzige, der diesen in dem Punkt von sich gibt.
2. Glasfaserausbau scheitert an Bauarbeitern
Damit unterscheidet sich das Märchen vom autonomen Datenauto von der bizarr anmutenden Argumentation von Bernd Rohleder. Ganz gelassen erklärte er zunächst, dass der Glasfaserausbau noch so 20 Jahre brauchen könnte. Ich erklärte, dass wir in dem Fall den Wirtschaftsstandort Deutschland auch direkt zuklappen könnten.
Das sei halt nicht so einfach, meinte der Bitkom-Chef. Denn es gebe halt nur eine gewisse Zahl von Bautrupps und die seien ausgebucht.
Ja, Sie lesen das richtig. Der Glasfaserausbau in Deutschland scheitert – am Bauarbeitermangel. Die müssten erst ausgebildet werden, warf Rohleder ein. Wie lange die Ausbildung dauert? Ja, das wisse er jetzt auch nicht. Schon das ist erstaunlich, denn einerseits ist das ja irgendwie sein Fachgebiet und andererseits sollte sein Verband doch vielleicht dafür eintreten mehr Bauarbeiterkapazitäten zu schaffen. „Fachkräftemangel!“, warf Rohleder ein und stellte damit Glasfaserleger auf eine Stufe mit Programmierern und Ingenieuren.
Nun habe ich ja die besten Follower der Welt und André Bellingrodt hat mal nachgehört:
Nach Recherche festgestellt das man in 4 Tagen Schulung das LWL Spleißen und Messen erlernen kann. Warum erzählt @brohleder von Jahren?
— André Bellingrodt (@ABellingrodt) 10. Oktober 2017
Hier kann man so eine Schulung zusammen stellen :https://t.co/bxsqs7aGqt
— André Bellingrodt (@ABellingrodt) 11. Oktober 2017
Eine Fortbildung, die ein paar Tage dauert, verhindert, dass Deutschland Glasfaserkabel bekommt? Und anscheinend gilt der freie Zuzug von Arbeitskräften in der EU für dieses Feld auch nicht. Ich halte es für eine Beleidigung unserer Intelligenz, dass Bernd Rohleder so etwas von sich gibt.
Natürlich muss dazu eines wissen. Der Bitkom ist kein Verband der digitalen Wirtschaft mehr. Er ist vor allem ein PR-Instrument der Telekommunikationskonzerne. Deren Interessen liegen teils entgegengesetzt zu denen der anderen zahlenmäßig stärkeren Mitglieder. Beispiel: Die Netzneutralität zu kippen ist Vorteilhaft für die Telekom-Konzeren – und nachteilig für so ziemlich jedes andere Mitglied. Und genauso ist es ja gerade die Deutsche Telekom, die den Glasfaserausbau bremst. Sie will ihre Kupferkabel per Vectoring ausbauen. Somit sind nur rund 50 Mbit/Sekunde möglich, aber der Ausbau ist billiger. Vor allem aber benötigt Vectoring eine zentrale Steuerung (die natürlich Deutsche Telekom heißt). Das Ergebnis sind dann unfassbare Situationen wie die Senkung der maximal möglichen Datengeschwindigkeit mitten in Düsseldorf, was die Telekom dann „Anschluss der Zukunft“ nennt. Oder natürlich der Glaube, Deutschland sei wahnsinnig gut LTE-versorgt, wenn unabhängige Daten etwas ganz anderes sagen.
Irgendwann übermittelte ich in der Diskussion Bernd Rohleder dann mein Gefühl, mit dem Pressesprecher der Deutschen Telekom zu debattieren.
Beide Falschaussagen zeigen aber sehr schön, was in der Diskussion um die bedeutendste Technologie unserer Zeit in Deutschland falsch läuft. Selbst durchaus kompetente Menschen wie Konstantin von Notz lassen sich Bären aufbinden und tragen diese dann stolz durch die Gegend. Und Bärenaufbinder wie Bernd Rohleder sind über die Jahre hinweg so selbstbewusst geworden, dass sie mit dem größten Mist kaum widersprochen durchkommen.
Die vollständige Sendung können Sie unter diesem Link nachhören.
Kommentare
Jo 28. Oktober 2017 um 12:46
„Bauarbeitermangel“ ist eine Frage der adäquaten Bezahlung. Aktuell hat keine Baufirma Kapazität für hartverhandelte Aufträge von Konzernen mit viel Bürokratie und komplizierten Entscheidungsprozessen.
Von aussen gesehen ist der Netzausbau evtl. komplex, allerdings für Fachleute nix Außergewöhnliches.
Einmal muss das bestehende Netz einschließlich den bereits vorhandenen Leerrohren genau bekannt sein, was nicht immer der Fall ist. Zweitens wird es notwendig sein, das aktuelle Netz, also Kabel inkl. Leerrohre zu erweitern, das sind klassische Arbeiten mit Straße/Gehweg/Acker/Grünstreifen aufbuddeln, Rohre+Kabel rein, Schließen, Straßenbelag/Pflaster/Grün reparieren. Dritter technischer Akt ist das Aufspleißen der LWL-Kabel in den Verteilern, inkl. Durchmessen. Für letzteres war es mal so, dass die Spezialisten rar und daher nur mit Wartezeiten zu kriegen waren, dies ist jedoch meines Wissens nichtmehr der Fall.
Falls man wirklich ein Glasfasernetz ausbauen wöllte, müsste man die entsprechenden Arbeiten für potentielle Auftragnehmer lukrativ gestalten, der Markt würde sofort reagieren und die entsprechende Kapazität bereitstellen.
Die Bauindustrie funktioniert ausserdem seit Jahren mit Arbeitnehmern aus Osteuropa, diese Quellen sind noch lange nicht ausgeschöpft.