Zum fünften Mal fuhr ich in diesem Jahr zur SXSW, der größten Digitalkonferenz der Welt, nach Austin. Und in jedem Jahr gibt es für mich einen South-by-Moment: eine Erkenntnis oder Innovation, die mich länger umtreibt, die das Geschäft bei kpunktnull entweder graduell verändert oder uns in einem Gefühl bestätigt.
Diese Erkenntnis gab es auch diesmal und sie zog sich über mehrere Diskussionen: Es geht um Millennial-Marketing.
Eigentlich handelt es sich bei Millennials um eine Generation und die wird in Deutschland gern als jung verklärt. Tatsächlich aber sind dies die 18- bis 35-Jährigen, am unteren Ende also schon Studenten oder fertig Ausgebildete, im oberen Ende operierende Ärzte und Eltern.
Nun beobachte ich vieles von dem, was Millennials als Wertehaltung und Verhalten zugeschrieben wird, bei Menschen meines Alters und sogar bei Älteren. Stimmt die Generationendefinition also noch?
South-by-Erkenntnis: Nope.
Es hat sich tatsächlich etwas verändert.
Die kommunikationsstarke Millennial-Generation hat die Altersklassen über und unter ihr von ihrer Lebenseinstellung überzeugt – maßgeblich via Social Media. Motto: Weil die Tochter Musik über Spotify hört, tut es die Mutter. Das sagte in Austin unter anderem Lucie Greene, die Leiterin des weltweiten Innovationslabors von J. Walter Thompson: „Bei uns gibt es den Begriff Millennial-Generation nicht mehr – wir sprechen nur noch von Millennial-Verhalten.“ So sieht es auch Philippe von Borries, der deutsche Mit-Gründer der Frauen-Site Refinery29 (Ist in Deutschland schon aufgefallen, dass diese Seite von einem Kölner mit gestartet wurde? Mir war das neu): „Millennial ist eine Geisteshaltung.“
Millennial als Wertehaltung
Das ändert viel, denn Millennials fordern eine Ansprache, die sich deutlich von dem unterscheidet, was wir derzeit in Deutschland an Marketingkommunikation sehen. Für von Borries zeigt sich die Besonderheit in drei Punkten:
- Individualität
- globale Vernetzung untereinander verbunden mit dem Gefühl der Gemeinsamkeit
- Sinnsuche und Wunsch, Teil etwas Größeren zu sein
Diese drei Merkmale sind auch noch miteinander verknüpft. So ist die Auswahl der Gemeinschaften, der man sich anschließt, auch Ausdruck der Individualität. Die Folge sind Nischen-Communities: „Nischen sind nicht klein“, sagte von Borries, „sie sind ein Riesengeschäft durch ihre weltweite Vernetzung“. Als Beispiel nannte er die Bronies: Männer, die auf „My Little Pony“ stehen. Ich musste an das Marketing für den Film „Zoomania“ denken: Disney arbeitete kommunikativ dafür in die Szene der Furries – Menschen, die Cartoon-Tier-Kostüme tragen (durchaus mit erotischer Unternote).
Wer Communities egal welcher Couleur ansprechen will, „muss sie sehr gut verstehen“, sagte in Austin Ben Mand, Marketingchef des Babynahrungsherstellers Plum Organics. So produzierte sein Unternehmen einen Spot mit unschönen Seiten des Elternseins: Überforderung, Schnüffeln an Windeln, bockige Kinder.
„Wir erkannten in Tiefeninterviews, dass die heile Welt junger Familien in der Werbung viele frische Eltern zutiefst verunsichert.“ Und so nutzte Plum den Spot als Türöffner, lieferte dann über Content Marketing-Maßnahmen informative Inhalte und versorgte die so gewonnene Community schließlich mit Rabattcoupons: „Keine Marketingmaßnahme in unserer Geschichte war effizienter.“
Ein anderes Beispiel für diese Art von Kommunikation liefert in den USA derzeit Snapchat: Der Dienst leistet sich Großflächenplakate, die nur von den eigenen Nutzern verstanden werden können.
Solche Gemeinschaften, von frustrierten Eltern über Anwender eines Dienstes bis zu Furries, werden sich immer schneller bilden und verändern. 80% der Millennials sagen, dass sie in ihrem Freundeskreis die ersten sein wollen, die auf einen Trend stoßen, ergab eine Studie von J. Walter Thompson. Diese Entdeckerfreude – gepaart mit globaler Vernetzung – sorgt dafür, dass neue Entwicklungen viel schneller im Mainstream landen als früher. Beispiel: Innerhalb kürzester Zeit wurde Südkorea zum wichtigsten Taktgeber bei Beauty-Trends.
Und dann ist da noch eine Sache mit den Millennials: Sie erwarten von Marken, dass diese gesellschaftlich Stellung beziehen und sich konform mit der Wertevorstellung ihrer Kunden verhalten – und dabei auch auf Gewinn verzichten.
Generation Z: die neue romantische Bewegung
Diese Entwicklung sieht auch Max Levchin, als Mitgründer von Paypal einer der Einflussreichen im Silicon Valley: „Maximaler Profit sorgt nicht für die beste Leistung aus Sicht des Kunden. Aber wenn man als erster in einem Markt das Richtige tut, nimmt man Mitbewerbern im Zeitalter von Social Media Marktanteile ab.“ Er selbst will das mit seinem Ratenkauf-Startup Affirm, das „Verbraucher nicht über den Tisch zieht“.
All dies mündet in emotionalerer Kommunikation. Die Zeit schreiender Werbung mit Kauf-mich-du-Sau-Charakter scheint dem Ende entgegen zu gehen. Das sah auch Judy Bassaly so, die Leiterin Marketing & Events der Luxusmarke Valentino: „Millennials sind gut ausgebildet und anspruchsvoll. Nur 6% halten Werbung für eine glaubwürdige Quelle im Kaufprozess, aber 90% achten darauf, was ihre Bezugsgruppe kauft.“ Somit dürften Instrumente wie plattes Re-Targeting oder ständiges Pochen auf billige Preise immer mehr an Bedeutung verlieren.
Eine weitere Emotionalisierung dürfte in einigen Jahren anstehen. Denn die Generation Z, die heutigen Teenager, ticken noch einmal gefühlsbetonter. Deshalb beschwor der deutsche Autor Tim Leberecht in Austin gar eine neue „Romantische Bewegung“ herauf. Die Werte der Generation Z seien sehr deckungsähnlich wie die jener Romantiker des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Setzten sie sich durch, würde sich die Welt der Marken künftig in zwei Ebenen teilen: einerseits in algorithmische Marken – wie Amazon – und jene, die eine Leistung mit Gefühlen paaren wie Airbnb.
Wenn die Marketers in Austin Recht behalten, steht das deutsche Marketing vor einer gewaltigen Herausforderung. Denn Emotionen, Gemeinsamkeit, Kundenverständnis oder die Bereitschaft zu gesellschaftlichen Statements – all dies ist im Marketing hierzulande eher in homöopathischen Dosen zu entdecken.
Dies ist ein Beitrag aus einer Reihe zu meinen Eindrücken von der SXSW2016. Alle Beiträge finden Sie unter diesem Link.
Kommentare
andreas 24. März 2016 um 20:09
Seit ich dieses Video hier unten gesehen habe, muss ich immer lachen, wenn ich etwas über Millenials, Generation X usw. lese:
„Millennials Don’t Exist! Adam Conover at Deep Shift“
https://youtu.be/-HFwok9SlQQ
Ich glaube, Adam Conover hat Recht mit allem, was er da sagt.
Gunnar Sohn 31. März 2016 um 13:39
Welche Konsequenzen hat das eigentlich für die Marktforschung?