„Hass macht blind. Google-Hass macht blöd.“
Das schrieb ich im Sommer mal in anderem Zusammenhang, bezogen auf die „FAZ“. Doch dieser Satz gilt weiterhin und in weitaus größerem Kontext.
Seit Tagen geistert durch den rauschenden Blätterwald die Behauptung, das EU-Parlament wolle noch in dieser Woche eine Abstimmung über die Zerschlagung Googles einleiten. Allein: Das ist nicht wahr.
Den genauen Zusammenhang erläutert höchst lesenswert der Grünen-EU-Abgeordnete Michel Reimon in seinem Blog. Nachdem heute noch einmal das „Handelsblatt“ mit einer Abstimmungsmeldung nachlegte, fragte ich ihn über Twitter, was denn nun sei. Seine Antwort:
Update zur Google-Causa: Die KOMM wird morgen eine Wortmeldung zum Stand der Untersuchungen abgeben, das Parlament wird das kommentieren. /1
— Michel Reimon (@michelreimon) 25. November 2014
Für diese Wortmeldung des Parlaments gibt es seit gestern einen Vorschlag, das ist der ominöse „Antrag“. /2 — Michel Reimon (@michelreimon) 25. November 2014
So viele Details aber möchten deutsche Medien ihren Lesern nicht zumuten. Beispiel „Handelsblatt“:
Und in einem Kommentar behauptet das „Handelsblatt“ sogar, was schnell nachweislich falsch ist:
„Wer beispielsweise nach einem Hotel sucht, sieht auf der ersten Seite – über die kaum ein Nutzer hinauskommt – fast nur bezahlte Anzeigen und die Google-eigene Hotelsuche.“
Vielleicht hat der Autor ein anderes Internet als ich, aber mir werden entweder drei Anzeigen in der zentralen Spalte angezeigt oder zwei Anzeigen plus die Google-Hotelsuche. Über deren Platzierung zu debattieren halte ich für absolut gerechtfertigt – aber bitte auf intellektuell wenigstens durchschnittlichem Niveau.
Denn auch die weitere Behauptung des „Handelsblatts“ ist falsch:
„Reisevermittler wie auch Preisvergleichsportale haben es schwer, noch gefunden zu werden.“
Komisch. Nach den Anzeigen folgen bei mir in den Suchergebnissen für Hotels häufig Trivago, Escapio oder Tripadvisor. So schwer ist es anscheinend also nicht. Tatsächlich steht das „Handelsblatt“ mit diesen Zitaten einfach nur für ständig tradierte Unwahrheiten, die ohne Nachzudenken von vielen Medien – und eben auch Politikern – nachgekäut werden.
Doch wie geschrieben: Google-Hass schaltet das Hirn ab.
So auch beim Europäischen Parlament, dass sich wohlig dem Lobbyismus der Verlagskonzerne hingibt. Man muss sich einfach mal vor Augen halten, was passieren würde und müsste, bis es so etwas wie eine Zerschlagung geben würde. Nur einige Punkte:
– Die EU-Kommission müsste Google die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nachweisen. Der Begriff „Ausnutzung“ ist dabei sehr wichtig, denn ein Monopol oder Quasi-Monopol allein ist nicht strafwürdig (was gern vergessen wird).
– Das EU-Parlament kann kein Gesetz zur Zerschlagung Googles fordern, denn Google ist ein US-Unternehmen. Es könnte höchstens generell Suchleistungen im Web von anderen Diensten trennen. Dies träfe dann aber auch Yahoo. Oder Axel Springer: Denn der Medienkonzern hat ja eine Suchtochter namens Qwant. Selbst wenn ein solches Gesetz entstünde, könnte Google reagieren und einfach in Europa Dienste wie seine Shopping-Übersicht abschalten. Der wirtschaftliche Schaden wäre überschaubar.
– Eine andere Möglichkeit wäre, Google eine Ausnutzung seiner Marktposition im Bereich der Such-Anzeigen nachzuweisen. Doch die basieren auf einem Auktionsverfahren. Ob ein uneingeschränktes (Googles Auktionen haben Beschränkungen) Auktionsverfahren überhaupt zu einem Ausnutzen einer Monopolstellung führen kann, ist eine auch für Ökonomen schwer zu beantwortende Frage. Auch hier aber müsste Google so dumm sein, auf geforderte Korrekturen nicht einzugehen.
– Über all dem hängt natürlich noch eine Gefahr: Wie würden die USA reagieren? Selbst wenn es der EU gelänge eine Abtrennung von Google-Einheiten zu fordern, dürften wir von einer Situation ausgehen, die von Medien wohl als „Handelskrieg“ bezeichnet würde. Das in einer Zeit, da über ein Handelsabkommen mit den USA gesprochen wird? Wenig wahrscheinlich.
Und das sind ja nur die offensichtlichsten Haken der ganzen Sache.
Das sieht auch der geschätzte Roland Tichy so. In seinem Blog fasst er die Causa so zusammen:
„Klingt gut.
Klingt stark.
Ist Käse.“
Das ständige Lobbyieren der Verlagskonzerne lenkt gleichzeitig davon ab, dass Google – und sie selbst – ein echtes Problem haben.
Sein Name: Facebook.
Mark Zuckerberg dürfte sich derzeit ins Laptop lachen. Denn es wird kaum wahrgenommen, welche Position Facebook im digitalen Ökosystem übernommen hat und wie sehr es an Googles Einnahmen kratzt. Hier mal einige Beispiele:
1. Videos
Auch weiterhin darf Youtube sich als Quasi-Monopolist unter den Videoplattformen sehen. Nur: Mehr Videos werden inzwischen auf Facebook hochgeladen, wie Socialbakers jüngst bei einer Analyse von 180.000 Videos ermittelte:
Und sie entwickeln dort wesentlich mehr Reichweite, wenn Nutzer sich begeistern. Hier der Anteil am Sharing in der Socialbakers-Studie:
Erklären lässt sich dies vermutlich mit der Mechanik der Seiten. Bei Facebook ist das Verteilen von Videos erheblich einfacher als bei Youtube. Es gibt zwar viele Jüngere, die Youtube wie einen Fernsehersatz nutzen und über Abos und Empfehlungen Video auf Video konsumieren. Doch das Verteilen von Filmen in andere Social Networks hinein erfordert ein paar Klicks mehr, als es dem Prozess gut tut.
Dies zeigt sich auch an Reichweiten, die zumindest gefühlt auf Facebook deutlich nach oben schießen. Natürlich kann dies auch mit einer wenig geliebten Grundeinstellung zusammenhängen: Facebook startet Videos, tauchen sie im Newsfeed auf, automatisch. Doch so oder so: Derzeit steigen die Reichweiten.
Dies dürfte Youtube schon sehr bald im Bereich der Werbeeinnahmen spüren. Schalten derzeit noch viele Marken Facebook-Werbung auf ihre Youtube-Videos, dürfte sich das Stück für Stück verschieben. Und Facebook-Werbung auf Facebook-Videos steigert deren Reichweite. Dass die Reichweite durch Werbung nach oben gedrückt wurde, erfährt der neutrale Beobachter jedoch nicht. Deshalb glauben ja auch so viele Markenverantwortliche, Werbevideos wie der „Epic Split“ von Volvo sei „viral gegangen“. Tatsächlich wurden etliche Millionen Euro investiert. Da diese Erkenntnis aber noch nicht gereift ist, werden mehr Werbegelder Richtung Facebook fließen, die bisher Youtube gehörten.
2. Online-Werbung
Facebook-Werbung funktioniert richtig gut, wenn man sich die Mühe macht, sie detailliert zu zielen. Ein Beispiel dafür ist auch eine Studie von Salesforce ergab zum Beispiel, dass diese Werbeform gut geeignet ist, um Newsletter-Abonnenten zu gewinnen:
Natürlich werden Facebook-Ads niemals Suchanzeigen und Display-Werbung vollständig ersetzen. Aber der Anteil an Facebook-Anzeigen am gesamten digitalen Werbemarkt wird steigen.
3. Mobile
Was wurde in den vergangenen Jahren nicht geklagt, dass Werbebanner auf dem Handy nicht funktionierten und deshalb nicht genug Geld erzeugten, um eigene mobile Dienste zu finanzieren.
Facebook dürfe das anders sehen. Praktisch das vollständige Einnahmenwachstum des Unternehmens stammt aus dem Mobile-Bereich, wie eine eindrucksvolle Grafik von Business Insider zeigt. Und auch diese Zahl wird weiter steigen, denn natürlich erkennen Werbetreibende, wie sehr der Anteil der Besucher auf ihren Seiten mit mobilen Endgeräten gestiegen ist. Wo also sollten sie mobile Werbung schalten? Es gibt kaum Werbeplattformen, die mit Facebook mithalten können.
4. Social Logins
So richtig beachtet in Deutschland kaum jemand jene Option, über seinen Social-Web-Account Mitglied eines Dienstes zu werden. Doch sie baut psychische Hürden ab und vermittelt Sicherheit. Und ich behaupte: Dies ist sogar ein Gewinn an Datensicherheit, weil Facebook bessere Sicherheitsmaßnahmen hat als Startups oder Medienkonzerne.
Diesen Markt machen Facebook und Google unter sich aus. Eine Studie von Janrain sieht derzeit Facebook bei 46% Marktanteil und Google bei 34%.
Diese Zahlen sehen jedoch bei Medienunternehmen deutlich anders aus:
Wenn derzeit also der Google-Hass tobt, freut dies Facebook. Denn eher unbeachtet baut das Unternehmen seine wirtschaftliche Position aus, weil sich der Fokus der Regulierungsbehörden – getrieben durch Medien und Politiker – auf Google richtet.
Mehr noch: Eine strenge Regulierung Googles würde Facebook fördern. Statt den Wettbewerb also zu öffnen, würde er beschnitten. Das ist nun einmal so in Märkten, die noch nicht ausreichend entwickelt sind. In sie sollte man nicht eingreifen, sondern sehr behutsam beobachten, was passiert und nur dirigierend eingreifen.
Doch so viel Zurückhaltung darf man derzeit weder bei Medien noch bei Politikern erwarten. Google-Hass macht eben nicht nur blind – sondern auch blöd.
Kommentare
Christof Kerkmann 26. November 2014 um 16:46
Lieber Herr Knüwer,
mein Kommentar enthielt tatsächlich einen Fehler: Auf der ersten SEITE sind sehr wohl mehr generische Suchergebnisse zu sehen, wie Sie richtig anmerken. Ich habe den Text transparent berichtigt – danke für den Hinweis.
An der Stichhaltigkeit meiner Argumentation ändert sich aber nichts. Auf den ersten BLICK sind tatsächlich nur wenige Ergebnisse zu finden, für die die Seitenbetreiber nicht bezahlt haben (so sollte es im Text stehen). Studien zeigen, dass der überwiegende Teil der Nutzer auf einen der ersten drei bis fünf Links klickt. Was darunter steht, nimmt nur noch ein Bruchteil wahr.
Warum Sie ausgerechnet diesen Kommentar als Beispiel für Google-Hass heranziehen, ist mir allerdings schleierhaft. Ich halte die Forderungen einer Aufspaltung ja für Populismus.
Christof Kerkmann, Handelsblatt
Thomas Knüwer 26. November 2014 um 18:27
Lieber Herr Kerkmann,
danke für die Antwort. Ihr Kommentar war ja nur die Ergänzung zum nachrichtlichen Stück. Und natürlich mussten sie darunter leiden, dass es in dieser Kombination einfach gut passte.
Allerdings: Wenn Sie die Forderung für Populismus halten: Warum berichtet Ihr Haus dann in genau diese Richtung mit er Übernahme einer schlecht geschriebenen Reuters-Meldung?
Keine Zerschlagung von Google | Tichys Einblick 26. November 2014 um 18:26
[…] Eine gute Darstellung auch bei Thomas Knüwer. […]
Protokoll vom 29. November 2014 « trackback.fritz.de 29. November 2014 um 16:15
[…] Sascha Lobo kritisiert. Thomas Knüwer sagt: Facebook lacht sich kaputt. […]