Es war ein großer Abend für Corentin Raux (im Bild links) und Bastien Cazenave. Am Vorabend der Digitalkonferenz Le Web in Paris verkündete Facebook sein Spiel des Jahres, mit dem das beliebteste Spiel auf der Plattform des Social Networks ausgezeichnet wird.
In diesem Jahr geht der Titel nach Frankreich – an Pretty Simple Games, das Startup, das Raux und Cazenave vor drei Jahren gründete. Nach zwei anderen Spielen startete im Januar diesen Jahres das Krimi-Spiel „Criminal Case„, das nicht in bunten Fantasy-Welten spielt, sondern eher wirkt wie ein Agatha-Christie-Comic. Die ungewöhnliche Optik sorgt für ungewöhnliche Nutzer: Frauen über 40 sind die Hauptspielergruppe.
Julien Codorniou, bei Facebook Europa für Spiele zuständig, zeigte sich über seine Landsleute begeistert: „Pretty Simple dürfte das am schnellsten wachsende Startup sein, das Frankreich bisher hervorgebracht hat“, sagte er am Montag Abend beim Empfang in den Räumen von Facebook France: „Und bedenken Sie: Pretty Simple bedient 100 Millionen Nutzer mit nur 50 Mitarbeitern. Da wird das Thema Profitabilität spannend.“ Und dabei ist noch Luft nach oben: Denn bisher gibt es Criminal Case noch nicht als Handy-Spiel. Das wird sich bald ändern: Im ersten Quartal 2014 soll es eine iOS-Version geben, später im Jahr folgt die Android-Variante.
Direkt nach der offiziellen Verkündung sprach das IntMag mit Raux und Cazenave.
Glückwunsch zum Spiel des Jahres. Was bedeutet der Preis für Sie?
Raux: Wir haben das Spiel im Januar online gebracht und dies ist das Sahnehäubchen für uns und unser Team. Als wir starteten, hatten wir sehr viel Angst, dass es nicht angenommen würde, denn wir haben fast das gesamte Kapital der Firma in dieses Spiel gesteckt. Wir haben fest daran geglaubt, dass die Leute ein Krimispiel lieben werden – aber sicher waren wir uns nicht. Innerhalb dieser Monate ist es nun gewachsen auf 10 Millionen Nutzer täglich. Insgesamt wurde es bisher von 100 Millionen Menschen gespielt.
Cazenave: Facebook traf seine Entscheidung auf Basis verschiedener Messgrößen. Es gab eine, wie man uns sagte, die den Ausschlag für uns gab und das war die Bewertung der Nutzer. Wir waren selbst begeistert, wie sehr die Menschen sich für unser Spiel begeisterten und sogar ihre Profilfotos änderten in Charaktere aus dem Spiel. Wir wussten aber nicht, wie sehr die Menschen das Spiel lieben.
Was unterscheidet Criminal Case von anderen Spielen auf Facebook?
Raux: Die meisten Spiele werden ein eine Fantasiewelt gesetzt. Wir wollten uns mit einem reiferen Setting bewusst davon absetzen.
Sind es denn auch reifere Spieler, die sich für Ihr Produkt begeistern?
Cazenave: Genau so ist es. Der typische Nutzer ist weiblich, 40 bis 42 Jahre alt und lebt in den USA oder England – wir haben mit der englischen Version begonnen. Und es sind eher untypische Spielerinnen.
Raux: Wir sehen praktisch die gleiche Nutzerschaft wie bei TV-Krimis.
Sie sind ein französisches Startup. Ist dieses Spiel typisch europäisch?
Raux: Das glaube ich nicht. Wir sind nur einfach große Freunde von TV-Shows und von Casual Games. Das ist einfach unsere Kultur als Spiel-Designer. Criminal Case hätte auch in den USA entstehen können.
Wie ist es denn um die französische Gründerszene bestellt. Ist Paris eine Startup-Metropole?
Raux: Mehr und mehr. Wir sehen immer mehr erfolgreiche Startups aus Frankreich, zum Beispiel Deezer, Daily Motion oder Meetic. Es gibt uns und unsere Freunde von Blablacar. Wir glauben, dass Erfolg weiteren Erfolg antreibt: Paris bringt immer bessere Startups hervor. So entsteht für uns alle ein sehr positives Umfeld.
In London, Dublin oder Berlin gibt es gewisse Viertel, in denen sich Startups ballen. Gibt es das in Paris?
Raux: Bisher noch nicht. Daran sollten wir arbeiten.
Cazenave: Doch, doch, ein wenig gibt es das. Vor ein paar Jahren fing es in Sentier an, jetzt immer mehr um L’Opéra und St. Lazare.
Raux: OK, stimmt, das nördliche Zentrum, da ballt es sich doch.
Cazenave: Google ist auch dort. Facebook ist hier (in Wagram, d. Red.) gar nicht so gut angesiedelt, ehrlich gesagt.
Wie hart ist es, in Frankreich an Programmierer zu kommen?
Raux: Einfache Antwort – so hart, wie überall auf der Welt. Die Leute wissen, wie gut sie sind und alle wollen die guten Leute haben. Es kann lang dauern, bis man die richtigen Leute gefunden hat. Aber das ist OK, das ist Teil des Jobs wenn man ein Startup gründet. Aber bau eine gute Firma auf, dann wird sie Leute anziehen.
Cazenave: Es ist schwieriger, gute Programmierer zu bekommen als Millionen Nutzer für ein Spiel. Aber wir rekrutieren Leute aus der ganzen Welt. Wir haben Portugiesen, ein paar Engländer, Amerikaner, eine Irin. Wir designen unsere Spiel zuerst in Englisch, von den Texten bis zur Dokumentation, dann werden sie übersetzt. Deshalb ist auch unser Arbeitsumfeld englisch. Wenn nur Franzosen im Raum sind, sprechen wir Französisch. Aber sobald nur einer im Raum ist, der nicht flüssig Französisch spricht, wechselt jeder ins Englische. Wir sind international. Und mehr und mehr führen wir Bewerbungsgespräche mit Leuten aus Indien, Russland, Syrien und Chile.
Raux: Wir müssen definitiv mehr Chilenen haben. Sie arbeiten sehr, sehr hart und haben dort sehr gute Internetzugänge. Chile ist die Zukunft.
Kommen wir noch einmal auf Pretty Simple zurück. Für Spielehersteller stellt sich immer die Frage: Liegt der Fokus auf einem zweiten Spiel oder dem Melken des Mega-Erfolgs wie Rovio dies mit Angry Birds macht. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Raux: Wir arbeiten hart an einem zweiten und dritten Spiel, sozusagen. Denn Criminal Case war das dritte Spiel im Rahmen der Firma und insgesamt unser fünftes Spiel. Die ersten beiden entstanden bei einem anderen Unternehmen. Unser erstes Spiel bei Pretty Simple hieß „My Shops“ und hat insgesamt 10 Millionen Spieler. Damit haben wir Brutto sieben Millionen Euro umgesetzt. Aber Criminal Case ist mehr als zehnmal so groß in Sachen Spieler und Einnahmen. Wir haben also kein Musterrezept für gute Spiele – aber wir haben unsere Erfolge.
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