Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in dieser Woche auf IT-Tour. Einerseits wird sie die Cebit besuchen, andererseits wird es einen abendlichen Empfang mit Menschen aus der Internet-Industrie geben. In ihrer – wie immer von kaum auszhaltender Langeweile geprägten – Videobotschaft behauptet sie, sie wolle Startups in Deutschland fördern.
Leider kann ich bei jenem Empfang nicht dabei sein. Gäbe es eine Fragerunde, so hätte ich mir kaum verkneifen können in einer mir gern zugeschriebenen Offenheit die Frage zu stellen:
„Liebe Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel, bei allem Respekt für Sie, Ihre Arbeit und ihre Person – aber, wollen Sie uns verarschen?“
(Foto: Bundesregierung/Bergmann)
Denn gerade erst hat der Bundestag unter Führung der Merkel-Regierung bewiesen, dass er mit der digitalen Branche nichts zu schaffen haben möchte, mehr noch: Er will sie am liebsten abschaffen. In der Woche, da Angela Merkel auf Werbetour in Digitalien ist, listen Startups in Deutschland auf, was sie alles nun streichen, um dem Wahnsinn Leistungsschutzrecht irgendwie zu genügen.
Es sind vor allem Nachrichtenkuratoren, die betroffen sind. Jene Anbieter also, die das größte Problem in der Kulturtechnik Internet beheben wollen: die sinnvolle Auswahl von Informationen. Der Beseitigung genau dieses Mankos verweigern sich ja zum Beispiel die deutschen Medienunternehmen, worauf Meedia in der Besprechung der iPad-App des „Handelsblatts“ hinweist.
Das Leistungsschutzrecht aber ist mehr als nur ein verfehltes Gesetz einer innovationsfeindlichen Regierung. Es legt vielmehr ein weiter gehendes Manko offen: Der Bundestag besteht aus Maschinenstürmern.
Weiterhin gilt, dass es in Deutschland bisher nicht eine netzpolitische bedeutende Rede im Bundestag gegeben hat. Auch spielt digitale Technologie keine sonderliche Rolle in den Programmen der im Parlament vertretenen Parteien, von Worthülsen einmal abgesehen. Es ist noch die Linke, die hier am weitesten nach vorne denkt.Wenn ich so etwas schrieb, liefen die Anhänger von CDU, CSU, FDP, Grünen und der SPD auf und behaupteten, dem sei nicht so. Es gebe doch tolle Netzpolitiker in allen Reihen. Immer wieder fielen Namen wie Konstantin von Notz, Lars Klingbeil, Doro Bär oder Thomas Jarzombek. Die hätten Ahnung und würden ihre Parteien in die richtige Richtung bringen.
Die Abstimmung über das Leistungsschutzrecht hat gezeigt, was dieser kleine Kreis von Digital-Kundigen für die jeweiligen Parteien darstellt: Hofnarren ohne jeden Einfluss.
Das Gesetz konnten sie wohl nicht verhindern – zu sehr zitterten die meisten Abgeordneten vor schlechter Presse im Wahljahr. Doch schafften sie es ja nicht einmal, die führenden Personen der Opposition zu dem Verhalten zu bringen, das bei den allermeisten anderen Gesetzen Alltag ist: Nicht-Regierung stimmt gegen Regierung.
Carta hat die Top-Leute aufgelistet, die nicht abgestimmt haben: Sigmar Gabriel, Andrea Nahles,Wolfgang Thierse, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Jürgen Trittin, Claudia Roth Katrin Göring-Eckardt, Sahra Wagenknecht, Ulrich Maurer, Stefan Liebich und Katja Kipping.
Zufall? Natürlich nicht. Wolfgang Michal schreibt eher zurückhaltend:
„Es fehlten sozusagen die Parteivorsitzenden. Also jene Wahlkämpfer, die eine gute (Springer-)Presse brauchen. Könnte man denken. Aber ein solcher Gedanke wäre viel zu simpel. Zu verschwörungstheoretisch! Obwohl es eine “Verschwörung” ganz offensichtlich gegeben hat. Sagen wir: eine kleine Verabredung.“
Nicht einmal dafür reicht der Einfluss der Netz-Narren, dass sie ihre Granden dazu bringen sich so zu verhalten, wie diese sich sonst verhalten. Wie sollte das auch passieren, wenn sich ein Thomas Jarzombek im Zusammenspiel mit der CDU-Digital-Gruppierung C-Netz über Monate um ein klares Nein zum Leistungsschutz herumdrückt und sich bei der Abstimmung – im Gegensatz zu Peter Tauber und Dorothee Bär – enthält?
Dahinter steckt mehr als nur die Lobbyhörigkeit gegenüber der Medienindustrie. Tatsächlich ist die deutsche Politik in ihrer Gesamtheit technophob. Wer sich fortschrittsfreundlich präsentiert muss in diesem Klima mit Polit-Karriere-Rückschlägen rechnen. Im Herbst 2011 schrieb ich für die Premierenausgabe der deutschen „Wired“:
„Die Angst der Eliten (vor dem Internet) passt nicht zum Wirtschaftsstandort D. Der ist nicht allein durch den Bau von Autos und Maschinen groß geworden – sondern durch die Vernetzung mit anderen Ländern. Nur so konnte Deutschland zur Exportnation und „Made in Germany“ zum Qualitätssymbol werden. Nun leben wir im Zeitalter der ultimativen Vernetzung – aber Deutschland will sich und seine Bürger isolieren.
Hans Rosling, schwedischer Gesundheits-Okonom, Regierungsberater und einer der wichtigsten Zukunftsdenker der Welt, regt das auf. Was in Deutschland passiert, ist für ihn das „verantwortungslose Verhalten einer ängstlichen Gesellschaft“: „Es ist mir unbegreiflich, dass die Deutschen zum gegenwärtigen Zeitpunkt über Kernenergie und einen Bahnhof diskutieren. Deutschland ist die Werkstatt der Welt. Wer soll die Hardware für ein neues Zeitalter entwerfen, wenn nicht die Deutschen?“
Tatsächlich hat das Land wenig zum digitalen Zeitalter beizutragen. Mehr noch: Es blamiert sich. Beispiel: digitaler Polizeifunk. „Wir wünschen ihn uns, absolut, dringend, er ist überfällig“ sagt Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei. Es klingt verzweifelt. Der analoge Funk konnte 2009 sogar von einem Spielzeug abgehört werden, das der „Micky Maus“ beilag, Viele Polizisten nutzen deshalb notgedrungen private Handys. Seit 17 Jahren plant Deutschland die sichere Funktechnik, die in anderen Ländern längst eingeführt wurde.
Milliarden wurden in das Projekt gesteckt, die technische Führung hat seit 2010 die – französische – Alcatel-Lucent. Nun soll es 2014 flächendecken so weit sein. Dann wird auch die Funk-Verwaltungsbehörde mehr zu tun bekommen. Sie gibt es schon seit 2007 – mit 150 Bediensteten. Die Zahl der Projekte, die ähnlich verlaufen sind, ist Legion. Theseus sollte einst mit öffentlichen Mitteln eine Suchmaschine erdenken – heute schenkt das Projekt Unternehmen überzogene Summen, damit sie Technologien entwickeln, die sie ohnehin entwickeln würden. Die digitale Lohnsteuerkarte ist gescheitert, der elektronische Personalausweis problemlos zu hacken. Das Verkehrsleitsysem Ruhrpilot hat laut „Welt“ 34 Millionen Euro gekostet – aber kaum brauchbare Informationen geliefert.
Wann immer in Deutschland Technik ins Spiel kommt, ist die Peinlichkeit nicht weit. Gibt es einen öffentlichen Aufschrei angesichts der Geldverbrennungsanlagen? Nein. Das ist ja was mit Technik, damit mag man sich nicht abplagen. Und man würde anecken, eben als Nerd oder Freak tituliert werden. So ist es kein Wunder, dass im Jahr 2011 noch kein einziger deutscher Politiker mit einer bedeutenden Rede zur Netzpolitik auffällig geworden ist…“
Was danach kam? Der Berliner Großflughafen, bei dem Politiker zwar in den Aufsichtsrat drängten aber sich nicht um Technik kümmern mochten. Und die Hamburger Elbphilharmonie. Das Desaster namens Meldegesetz. Stuttgart21.
Sie alle haben eines gemeinsam: In sämtlichen Fällen mochten sie Politiker nicht mit Technik und deren Folgen auseinandersetzen. Kürzlich, vor der Abstimmung zum Leistungsschutzrecht tweetete die stellvertretende CSU-Generalsekretärin mir zu:
@tknuewer Es wird besser. Bestimmt.
— Dorothee Bär (@DoroBaer) 25. Februar 2013
Man darf das naiv nennen. Wenn man ein Freund höflicher Untertreibung ist.
Kommentare
Andre 4. März 2013 um 20:42
Also Frau „bis hin zu Urheberrechtsverletzungen“ traue ich nicht. Warum wohl?
Linke, Bundestag, Strategie, Schirrmacher | Post von Horn 5. März 2013 um 1:46
[…] auf, was sie alles nun streichen, um dem Wahnsinn Leistungsschutzrecht irgendwie zu genügen. Aus: Indiskretion Ehrensache d. Strategie ist keine Einbahnstraße Als “Königsdisziplin” der Strategie wird oft das […]
zollverein 5. März 2013 um 12:45
Das alles kann man so nicht sagen. Deutschland ist nicht klassisch technikfeindlich – das gut eingeführte und für den Export gewinnbringende Auto wird nicht einmal mehr von den Grünen bekämpft. Das Problem besteht da, wo Deutschland ohnehin den Anschluss verloren hat: Biotechnologie, IT (wenn man von SAP mal absieht). Und das sind seltsamerweise auch die Felder, auf denen das klassisch Christlich-Sozial-Grüne sich angegriffen fühlt (…nicht mit der Schöpfung spielen, keine zu starke Individualisierung…). Und weil in Deutschland kein inländischer Konzern irgendetwas mit Biotechnologie oder Internet verdient, gibt es auch keine professionelle, bezahlte Lobbyarbeit.
Also worüber wundern wir uns? Dem Angstbürger und dem grüne Juste-Milleu geht es doch auch ohne S21, BER, Elbphilharmonie und Theseus ganz passabel…
Wolfgang Ksoll 5. März 2013 um 14:55
Es ist leider so, wie in dem Artikel beschrieben. Unser Bundestag kommt mit dem Internet nicht zurecht. Wie schon in den 1990er hat man eine Enquete gegründet, um den Diskurs im Parlament abzuwürgen.
Seit 1997 wird aktiv daran gearbeitet, dass die Deutschen (anders als andere Nationen), das Internet nicht im Verkehr mit dem Staat nutzen können. Erst hieß es qualifizierte Signatur, die mit Gesundheitskarte 2006 und mit Jobcard (Elena) 2010 kommen sollte, dann stürzte man sich unter Technikbruch (RFID statt elektronischer Kontakte, also wieder neue Lesegeräte) auf Personalausweis mit eID. Dann kam noch eine geschlossene nationale E-Mail-Lösung, die als Schriftformersatz nicht mit einem E-Mail-Client genutzt werden kann, die nur deutsch national definiert ist und bei der die Gebühren für das Äquivalent eines eingeschriebene Briefes mit Rückschein (aber ohne Strafrechtsschutz der Urkundenfälschung) teurer sind, als die Papierversion. Das Interesse des Parlamentes (inkl. sogenannter Netzpolitiker) zeigte sich letzte Woche bei der Debatte im Deutschen Bundestag über das E-Government-Gesetz in der ersten Lesung: 24 Sekunden mitten in der Nacht ohne Aussprache. Klarer kann man nicht unterstreichen, was Thomas Knüwer hier sagt.)
Das es auch anders geht, zeigen unsere Nachbarn: in der Schweiz ist selbstverständlich die Veränderung einer Mail eine Urkundenfälschung. In England reicht für die Rechtsverbindlichkeit einer E-Mail eine einfache Signatur (Zeichenkette oder eingescannte Unterschrift) nach EU-Dienstleistungsrichtlinie (die Umsetzung des Artikels 8 der EU-DLR wird bei uns durch Bund, Länder und Gemeinden boykottiert: der Friseur aus Lissabon kann eben nicht einfach seine Gewerbe hier anmelden sondern muss erst hierher kommen, um sich eine qual. Signatur nach §3 VwVfG besorgen, damit er online arbeiten kann. Schön ist auch, wenn man beklagt, dass der @elawporf eben nicht bei der @dorobaer wegen Art. 8 in den Arm gefallen ist, dass man dann noch auf Twitter mit einer verfehlten Appeasementpolitik von @Rastadler angemacht wird, ob man ihn überhaupt kenne).
Schilda war ein Zuckerlecken gegen diesen aktiven, europafeindlichen Boykott. Sonntags Gauck für Europa, mo-sa Merkel mit aller Kraft und Grundgesetzänderung für IT-Planungsrat für nationale Isolation im Internet). In Holland kann man die Geschäfte mit der Kommune landesweit über User und Passwort regeln wie bei Amazon auch. In England kümmert sich das Cabinet Office um E-Government, in Deutschland ist es beim Innenminister, wo man nie weiß, ob die nun IT-Sicherheit wollen oder rechtswidrige Trojaner wie im BKA verteilen.
Wir sind dabei, im Internet unsere Fähigkeiten verrotten zu lassen. Das Zugangserschwerungsgesetz und ACTA wurden nicht durch Einsicht unseres Bundestages einfach zurückgeholt, sondern mussten auf der Straße in einer APO bekämpft werden. Das kann nicht so weiter gehen, dass die Bürger auf der Straße für ihre Zukunft kämpfen müssen und in der Mitte des Parlamentes Vorratsdatenspeicherung, Verkauf der zwangsweise erhobenen Meldedaten an Werbetreibende diskutiert werden. Und Datenschutzbeauftragte auf ihren Feldzügen gegen US-Firmen wie Google und Facebook , SWIFT, Fluggastdatenabkommen, Bundestrojaner (von Datenschützern zu geheimer Kommandosache (VS-NfD) erklärt) und die Evaluation der Terrorgesetzgebung von Schily verhindert wird, die schlimmer als der in antiamerikanischen Kreisen besungen Patriot Act sind.
Gegenüber dem Bürger ist es eine Frechheit vom Parlament, wie beim Leistungsschutzrecht zu sagen: „Was ich genau meine mit dem Gesetz, weiß ich nicht. Das werden Gerichte Dir aber dann sagen.“ Oder wie beim WLAN und der Störerhaftung, dass man im Bundestag auf die BR-Initiative hin sagt: „Ich habe keinen Bock dazu, Gesetze zu machen. Lass mal die Exekutive einen Vorschlag machen“.
Über den Mist bei Open Data will ich mich nicht auch noch aufregen.
Hier wird unsere Demokratie in der Mitte des Parlamentes entkernt. Das kann so nicht weitergehen. Wir können nicht für jeden Mist auf die Straße gehen. Nach über 50 Jahren glücklichen Lebens in Deutschland und über 25 Jahren im Internet kam mir erstmals in diesem Jahr der Gedanke an eine Auswanderung. Ekelhaft.
Ronny 5. März 2013 um 15:30
Maschinenstürmer trifft es. Aber vielleicht fällt dies bei unserer Regierung auch unter das Thema Artenschutz, wenn man versucht sterbende Riesen vor dem Aussterben zu schützen.
Die digitale Evolution wird darauf keine Rücksicht nehmen. Und wenn wir uns so weiter entwickeln, könnten wir in ein paar Jahren doch noch davon partizipieren. Dann wären wir das analoge Nordkorea von Europa, ein riesiges Museum einer vergangenen Ära.
Bundestag der Maschinenstürmer 7. März 2013 um 12:34
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Deutschland – Abschied vom Technologiestandort 22. März 2013 um 12:03
[…] Glaube von CSU-MdB und Vize-Generalsekretärin Dorothee Bär, dass die deutsche Netzpolitik “besser” […]
Sie glauben, Politiker wollen Ihre Daten schützen? Sie Naivling. 15. April 2013 um 10:28
[…] dieses Thema Bestandsdatenauskunft ist signifikant für jenen Bundestag der Maschinenstürmer, der den Technologiestandort Deutschland zu Schanden reitet. Richard Gutjahr hat ein langes, höchst […]
Es wird nicht besser – es wird schlimmer: ein Rant zum Technologiestandort Deutschland 4. Dezember 2014 um 18:25
[…] Denn die Baer Doro, die ist eine furchtbar sympathische Frau – und eine schrecklich leichtgläubige. Im März vergangenen Jahres schrieb ich über den Bundestag der Maschinenstürmer und dessen Einknicken vor der Verlagskonzern-Lobby im Zusammenhang mit dem Leistungsschutzrecht. […]