Hach, schön. Diese Villa in Iserlohn, 570 Quadratmeter, schlappe 1,85 Millionen. Gut, man muss diesen 80er-Jahre-Stil mögen, der mich an überlebte Golf-Hotels im Schwarzwald erinnert – aber jeder so, wie er mag.
Zu sehen gibt es das Objekt beim deutschen Auftritt des „Wall Street Journal“ in der Rubrik „Haus der Woche“. 15 Bilder umfasst die Klickstrecke, sie zeigen ein menschen- und für meinen Geschmack auch geschmackloses Anwesen im Sauerland. Dieses „Haus der Woche“ wird sogar noch mit warmen Worten auf Twitter beworben:
Mal abgesehen vom Geschmack ist die Vorstellung schöner Häuser nichts Neues. Überall im Internet finden wir Design- und Einrichtungsseiten, die sich berauschen an Traumimmobilien nahe französischer Strände, karibischer Klippen oder asiatischer Urwälder. Das deutsche „Wall Street Journal“ aber beschränkt sich auf ein Anwesen in Iserlohn – warum?
Die Antwort der Frage findet sich vielleicht unterhalb des Fotos. Dessen Lieferant heißt Engel & Völkers, Deutschlands bekanntester Makler in Sachen Edel-Immobilien. Engel & Völkers lieferte auch die Fotos für Klickstrecke zur Makumu-Lounge in Südafrika, die Villa an der Costa del Sol, Münchens höchste Wohnung, die Villa auf Mallorca und so weiter, und so weiter. Wenn ich das richtig sehe, wurden 10 Kunden der Makler bisher so vorgestellt, absurderweise wurden eine Reihe in das Ressort „Energie“ gebucht. Nicht weniger lustig: Der jüngste Artikel trägt einen Schlüssel vor sich hin, was eigentlich bedeutet, er wäre Paid Content (tatsächlich lässt er sich aber auch unangemeldet erreichen – vielleicht also liegt ein Fehler vor).
Auf Nachfrage hieß es gerade beim WSJ.de, es sei kein Geld dafür geflossen. Der Makler liefert die Bilder, die Redaktion bekommt die Klicks. Und ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, ob mir ein Geldfluss nicht lieber wäre. Dann wäre dies einfach versteckte Werbung, die natürlich nach deutschem Recht nicht statthaft ist.
So aber sehen wir die Traurigkeit des deutschen Online-Journalismus bei der Arbeit. PR-Material wird einfach übernommen – Hauptsache, es klickt. Damit bewegt sich WSJ.de auf dem gleichen Niveau wie Handelsblatt.com, das jüngst munter PR-Texte der Gothaer Versicherung fast unverändert übernahm (und dies sogar als Kooperation herausstrunzte).
Journalistisches Ehrgefühl? Qualitätsjournalismus? Der Wille zur Information der Leser? Über solche Begriffe lohnt es sich nicht zu diskutieren, solange deutsche Nachrichtenseiten sich zum verlängerten Arm der Unternehmenskommunikation machen.
Nachtrag vom 26.10: In den Kommentaren weist Günni auf einen weiteren Fall hin. Der Online-Auftritt der „Rheinischen Post“ übernimmt PR-Texte der Arag – und macht dies nicht mal kenntlich. Den Link finden Sie unten.
Kommentare
Ralf Drescher 25. Oktober 2012 um 14:08
Okay Thomas, Du hast Deinen Punkt gemacht. Aber ist das nicht ein bisschen zu platt? Es geht um EINEN Artikel in der Woche. Und der reicht für Dich aus, um die ganze Qualität unseres journalistischen Angebots in Frage zu stellen? Um einen kompletten Abgesang auf den deutschen Online-Journalismus zu singen? Ich weiß ja nicht…
Thomas Knüwer 25. Oktober 2012 um 14:30
Habe ich den kompletten Inhalt kritisiert? Nein. Aber es ist doch wohl vollkommen egal, wieviele Artikel pro Woche (!) PR sind. Einer ist schon zuviel. Nun haben wir 10 bei Euch, eine Klickstrecke beim Handelsblatt und ganz nebenbei eine Reihe anderer Beispiele wie die San-Pellegrino-Restaurantliste (http://gotorio.squarespace.com/start/2011/5/8/san-pellegrinos-restaurant-liste-wie-deutsche-journalisten-p.html). Alles aber sicher nur Einzelfälle, die einmal pro Woche auftauchen.
Zono [Mobile] 22. November 2012 um 8:16
Lieber Ralf – nur eine Frage:
Passiert das „aus Versehen“ ein Mal die Woche oder wird es besser bezahlt?
Ich denke es ist einfach nicht nötig!
Grüße aus Rheine
Hans
egghat 25. Oktober 2012 um 16:38
Die Auto-„Artikel“ im Kicker sind auch „suspekt“ …
http://www.kicker.de/news/auto/neuheiten/startseite/576701/artikel_r-wie-roarrrr.html#omrss_news_aktuell
Ich weiss nicht, ob man die online normal erreicht, oder ob man die nur über den RSS-Feed „ausgespielt“ bekommt. „Qualitäts-Content“ im engeren Sinne ist das auf jeden Fall nicht …
Horst 25. Oktober 2012 um 16:40
Der moderne Online-Journalismus hat immer noch zu viele Kosten. Zu viele unproduktive Menschen sind in den Verlagen durchzufüttern und viel wird noch auf Papier zur Kontrolle ausgedruckt (im übertragenen Sinne). Das rächt sich jetzt.
Da man auf hohe Gehälter und tolle Arbeitsplätze wert legt, muss man ‚Geld machen‘, um all das zu bezahlen.
Qualität war mal.
Aktuelles 26. Oktober 2012 — neunetz.com 26. Oktober 2012 um 5:16
[…] Onlinejournalismus – der Liebling der PR […]
Günni 26. Oktober 2012 um 12:59
Dann schau mal hier: http://www.rp-online.de/wirtschaft/ratgeber/vom-laub-kehren-und-pilze-sammeln-1.3040837. Die RP übernimmt wörtlich ARAG und das anders als beim Handelsblatt nicht gekennzeichnet.
stefanolix 26. Oktober 2012 um 19:18
Eine Frage an die Experten: Es gibt redaktionelle Beilagen, Verlagsbeilagen und Verlagssonderveröffentlichungen. Soweit ich weiß, gelten für redaktionelle Beilagen die selben Regeln, die auch für die eigentliche Zeitung gelten.
In Verlagssonderveröffentlichungen können dagegen durch Interessengruppen oder Unternehmen »unterstützte« Texte veröffentlicht werden. Auch als Bildquelle ist oft »PR« vermerkt. Verlagssonderveröffentlichungen müssen kenntlich gemacht werden. In der Praxis sind es oft PR-Texte, die ähnlich wie die eigentliche Zeitung gesetzt werden.
Meine Frage: Welche von beiden Regeln gilt, wenn in der Zeitung explizit eine »Verlagsbeilage« liegt? Ist eine Verlagsbeilage eher dem redaktionellen Teil zuzuordnen oder eher den Verlagssonderveröffentlichungen?
Manche Verlagsbeilagen tragen einen Vermerk wie z. B.: Unterstützt durch den Interessenverband X. Ist diese Kennzeichnung Pflicht?
Too much information – Papierkorb – Lesezeichen vom 26. Oktober 2012 26. Oktober 2012 um 22:30
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