Am Ende seines lesenswerten Buchs „Public Parts“ schreibt Jeff Jarvis über darüber, dass die Internet-Vielnutzer an Werten und Regeln arbeiten sollten, bevor es Gesetzgeber tun:
„I am convinced that wie must have debates around the notion of principles. In the course of that, some truths will become self-evident. We will come to examine what matters to us and what we must protect. We will expose different views, priorities and needs. Most important, we will have an expression of some principles to point to win how awful institutions try to control our neck and diminish our publicness, power and freedom.“
Diese Debatte darüber, was im Netz geachtet und was geächtet werden sollte, befindet sich noch immer in einem sehr, sehr frühen Stadium. Das zeigt uns heute die Debatte rund um den gesperrten Twitter-Account von Guy Adams, dem Los-Angeles-Korrespondenten der britischen Zeitung „Independent“.
Auslöser war sein Ärger über NBC. Der US-Sender hatte zwar versprochen, die Olympischen Spiele in London würden die digitalsten aller Zeiten – aber das bezog sich dann eher nicht auf seine Berichterstattung. Denn selbst wichtige Ereignisse wie die Eröffnungsfeier oder den Schwimmrennen zwischen den Amerikanern Lochte und Phelps überträgt NBC nur zeitversetzt. Das sorgte für reichlich Ärger bei den US-Sportfans, zahlreiche in meiner Twitter-Timeline wechselten über VPN-Dienstleister zu ausländischen Sendern. Recht schnell wurde das Schlagwort #nbcfail zum Trending Topic bei Twitter.
Wie sehr sich der Sender selbst verzettelte zeigt, dass die Gold-Medaille von Schwimmerin Missy Franklin in einem Trailer gezeigt wurde – bevor das Rennen zu sehen war:
In dieser Zeit verfasste Adams mehrere verärgerte Nachrichten – das ist ihm nicht vorzuwerfen. Unter anderem schrieb er: „The man responsible for NBC pretending the Olympics haven’t started yet is Gary Zenkel. Tell him what * think!“ Zenkel ist der Präsident von NBC Olympics und somit der Projektleiter der Übertragungen. Dieser Ausbruch wäre einfach nur einer der vielen emotionalen Äußerungen auf Twitter – wenn Adams nicht auch die E-Mail-Adresse Zenkels per Tweet veröffentlicht hätte.
Dies ist der Grund, warum Twitter seinen Account abgeschaltet hat. Darüber nun erhitzen sich viele. Selbst der von mir sehr geschätzte Dan Gilmor behauptet, diese E-Mail-Adresse sei frei verfügbar gewesen. Außerdem habe NBC eben auch ein bestimmtes System der E-Mail-Vergabe. Tatsächlich aber war es nicht ganz so leicht, die Adresse zu finden, wie die Experten von Search Engine Land detailliert zeigen.
Und selbst wenn dies alles so einfach war: Ist es trotzdem akzeptabel – oder gar unterstützenswert, wie viele Äußerungen scheinen lassen – eine solche Adresse zu veröffentlichen? Ich meine: nein. Wer dies tut muss sich darüber klar sein, dass der Betroffene erhebliche Folgen erleiden könnte. Massen von Spam- und Hass-Mails, zum Beispiel. Es wäre vollkommen in Ordnung, die E-Mail der NBC Zuschauerredaktion zu veröffentlichen (so es sie gibt). Aber es sollte zu jenem Ehrenkodex des Web gehören, persönliche E-Mail-Adressen nicht zu veröffentliche, erst Recht nicht in einem emotionalen Umfeld wie Twitter. Ich halte es für legitim auf Seiten zu verlinken, auf denen Personen ihre E-Mail-Adresse veröffentlicht haben – mehr jedoch nicht. Diese eine Seite kühlt dann eben den schlimmsten Ärger schon mal ein wenig ab.
Und sehe ich die Art, wie Guy Adams nun zum Märtyrer verklärt wird, sehr kritisch. Er hat etwas getan, was geächtet werden sollte. Doch wenn wir wollen, dass solche gesellschaftlichen Spielregeln allgemeingültig werden, so brauchen wir auch Plattformen, die klarer kommunizieren. Womit wir bei der Verantwortung von Twitter – genauso aber von Facebook, Youtube und all den anderen – wären. Weil diese Dienste personell so dünn aufgestellt sind beschränken sie sich auf dürre Standardkommunikation. Dies ist wirtschaftlich verständlich – aber mehr nicht. Die Lösung könnte auch in einem Ombudsmann-System liegen, mit dem strittige Fälle geklärt werden.
Twitter wird nicht untergehen, weil es solch eine Kommunikation nicht gibt. Aber wenn es nicht nur ein Alltagsinstrument sein will, sondern ein Dienst, den die Nutzer dauerhaft ins Herz schließen, dann muss da eben etwas kommen. Dazu würde dann auch gehören ein Zeichen zu setzen – und dann Wohwollen zu demonstrieren: Guy Adams Account wieder zu installieren wäre nun angebracht.
Nachtrag: Kaum hab ich das veröffentlicht, lese ich, dass Paypal-Deutschland-Kommunikator Dirk Hensen nun Kommunikationsschef von Twitter in Deutschland wird. Vielleicht übernimmt er das ombudsieren hier zu Lande ein wenig.
Nachtrag vom 1.8.12: Twitter erklärt sein Vorgehen – und reaktiviert den Account von Guy Adams.
Kommentare
famoserdom 31. Juli 2012 um 11:58
Ob es angeht, eine E-Mail-Adresse eines Dritten – wohlgemerkt nicht die persönliche! – zu veröffentlichen, scheint mir nicht der zentrale Punkt der Diskussion zu sein. Lesen Sie mal Guy Adams Stellungnahme an Twitter in seinem Beitrag hier: http://www.independent.co.uk/news/world/americas/nbcfail-nbc-blames-twitter-for-complaint-that-led-to-journalist-guy-adams-having-twitter-account-suspended-after-complaining-about-london-2012-olympics-coverage-7993753.html.
Wenn dem so ist, hat er die Richtlinien nicht verletzt und war die Sperrung willkürlich. Wenn man bedenkt, dass Twitter und NBC für die Olympischen Spiele eine kommerzielle Partnerschaft eingegangen sind, wirft das schon ein etwas schiefes Licht auf das Gebaren von Twitter. Mit möglichen schlimmen Konsequenzen: all das, wofür Twitter letztlich steht, wird mit dieser Aktion von innen untergraben.
SvenR 31. Juli 2012 um 14:16
Hm, das war seine dienstliche E-Mail-Adresse, die da veröffentlicht wurde, keine private oder persönliche. Ich finde das vollkommen unproblematisch. Wäre es in Deinen Augen auch falsch, die Postadresse von seinem Dienstsitz zu versenden?
Thomas Knüwer 31. Juli 2012 um 14:30
Das ist ein Unterschied. Denn ein Brief erfordert mehr Arbeit als eine E-Mail, kostet Porto und kann nicht automatisiert missbraucht werden. Sprich: Das zu erwartende Volumen an Post ist erheblich geringer.
Dirk Kirchberg 31. Juli 2012 um 15:15
Ich sehe es als völlig unproblematisch und rechtlich einwandfrei an, eine Unternehmens-E-Mail-Adresse zu veröffentlichen. Denn es geht um die Funktion des Mannes, nicht um seine Privatsphäre. Ob man die Adresse veröffentlichen „muss“, ist eine andere Frage. Und ich sehe es ähnlich wie Gillmor, dass nicht die Veröffentlichung der Adresse das Problem ist, sondern die Suspendierung des Kontos auf Druck von NBC.
SvenR 31. Juli 2012 um 15:16
Das sind allgemeine, richtige Aussagen. Das digitale Zeitalter eben. Meinst Du nicht, das NBC „automatisierten Missbrauch“ (Spam) identifizieren kann? Wirklich?
Ich halte es nach wie vor für legitim. Twitter macht hier so ziemlich alles falsch, was man nur falsch machen kann.
Twitter ist auch mal gut 31. Juli 2012 um 15:44
Irgendwo gabs eine Statistik das in Türkei 30% der Internet-User Twitter nutzen und in Uk 20%. D.h. deren IT-Abteilungen sind größer als hier wo das Firmen-Emailkonto vom Dax-Konzern und Ministerium einmal pro Woche abgefragt wird (um es mal übertrieben zu sagen).
Trotzdem veröffentlicht man keine nicht-öffentlichen Adressen. Das erinnert an die Sportlering mit den Stalker-Bildern. Er hat über-reagiert und sollte dazu stehen.
Nicht jedes Konto ist endlos groß und nicht jeder kann im Urlaub alle 10 Minuten 1000 Emails mit Größe 9.99 Megabyte vom Konto löschen damit wichtige Emails nicht verloren gehen nur weil irgendwer über-reagiert. Sogar die Briefpost ist bei vielen Aspekten besser als die Freemail-Anbieter.
Und mein ungenutztes google-Mail-Konto voller canadian-Pharmacy-Spam-Werbung. Soo toll ist google+mail also nicht wirklich.
Das Leute Ergebnisse nicht wissen wollen und Aufzeichnungen schauen, sollte klar sein. Auch sollte klar sein, das Werbekunden manche Sportarten profitabler an anderen Zeitpunkten ausgestrahlt sehen wollen bzw. der Sender die Ausstrahlungszeiten einnahmemäßig optimiert.
Man muss halt onlinebasierte Realtime-Sendungen und halt das lineare TV anbieten. Das ist doch ganz normale Technologie heutzutage. NBC hätte eine Olympia-App verkaufen können und die Kabel-TV-Kunden hätten weiter linear geschaut und vielleicht hätten Kabel-Provider 1-x Zusatzkanäle mit Realtime-Übertragung angeboten wie Internet-Abstimmungen es ergeben haben. Zeitungen, Zeitschriften, TV und Radio haben doch den Vorteil der Mischkalkulation durch Werbung und Bezahlkunden.
Guter Text darauf hinzuweisen das man sich höflich zu verhalten hat und nicht das Kennzeichen und GPS-Position vom Schiedsrichter-Auto per Twitter an alle Fußballfans im Stadion twittern sollte.
Ein Mob ist keine Demokratie. Ein direkter Mob direkt vorm Haus ist auch keine direkte Demokratie.
florian reisinger 31. Juli 2012 um 20:54
@Twitter ist auch mal gut
„D.h. deren IT-Abteilungen sind größer als hier wo das Firmen-Emailkonto vom Dax-Konzern und Ministerium einmal pro Woche abgefragt wird (um es mal übertrieben zu sagen).“
Du hast wirklich keine Ahnung…
Twitter ist auch mal gut2 1. August 2012 um 10:04
@florian Reisinger: Es gibt gelegentlich Statistiken über die Antwortgeschwindigkeit großer Firmen auf Emails. Oft nur Textbausteine (siehe Vodafone-Shitstorm aktuell) und auch nicht mit im Internet zu erwartender Geschwindigkeit.
Und das dienstliche Verwaltungs-Email-Konten bezüglich irgendeiner Krankheit oder Viren-Befall (Vogelgrippe ?) oder halt irgendwas anderem aktuell auf den Titelblätter stehendem Thema in Deutschland! (nicht irgendwo in Entwicklungsländern) am Wochenende nicht abgefragt wurden, ist inzwischen doch auch bekannt.
Wer als Kunde mal Support nötig hatte, hat was zu erzählen. Siehe die Sparte in der ct oder die Verbraucherschutzsendungen auf vielen dritten Programmen.
Das die bekannten offiziellen Konten möglicherweise massiv bespammt werden und man dieselbe Technologie also auch für die unbekannteren Accounts nutzt, hilft schwächeren Teilnehmern möglicherweise nicht.
Oder wenn die Adresse eigentlich intern ist (z.b. für Freiberufler) und man für 50 Cent pro SMS ins Ausland (oder irgendwann mal 11 Cent) bestimmte EMails weiterleiten lässt, weil sie wichtig sind oder man Verfügbarkeit unterschreiben musste, ist dann auch nicht lustig. Ich finde es folglich unhöflich, nicht-öffentliche Email-Adressen zu outen. Wenn man stattdessen bei der kostenlosen offiziellen Hotline (deren öffentliche Nummer man dann natürlich outen kann wie auch die zugehörigen „geheimen“ Ortsnetz-Nummern von 0805(oder was auch immer Geld kostet damit man mit seiner Festnetz-Flat dort anrufen kann)-Nummern u.ä. Diensten anruft und klar und deutlich in nicht zu schneller Sprache sein Anliegen vorträgt und sowas bei Twitter postet und sich somit besser zählbar macht als viele Demonstrationen ist sowas vielleicht auch wirksam.
Jürgen 1. August 2012 um 11:15
Solange es sich um eine dienstliche E-Mailadresse handelt, ist es aus meiner Sicht völlig in Ordnung, diese zu veröffentlichen.
Zum einen dürfte Hr. Zenker sein E-Mailpostfach nicht nur alleine bearbeiten, dafür wird er Sekretariatskräfte haben. Ähnlich ist es mit Briefen an Vorstände großer Unternehmen, diese werden auch vorab durchgesehen und in wichtig/unwichtig/dem Boss persönlich vorzulegen/Papierkorb eingeteilt.
Zum anderen, richtet man seine Beschwerde an eine NBC Zuschauerredaktion, was wird dabei rauskommen?
Wer ein Unternehmen leitet, darf ruhig auch direkt mit der Reaktion der Kundschaft konfrontiert werden.
Kotzbröchen Special: Olympiade 2012 | Kotzendes Einhorn 2. August 2012 um 11:01
[…] In den USA überträgt die NBC die olympischen Spiele so sehr zeitverzögert, dass man aus anderen Quellen schon die Gewinner weiß, während der Wettbewerb nopch läuft. Das regt viele auf. Auch einen Journalisten, der die E-Mail eines Verantwortlichen der NBC veröffentlichte. Twitter sperrte daraufhin den Account des Kritikers. Ist das berechtigt oder schon Zensur? Thomas Knüwer schreibt, dass sich Twitter vollkommen korrekt verhalten hat. […]
RCB 2. August 2012 um 17:28
Glücklicherweise sieht selbst Twitter das anders. Wenn so ein Anlass ausreichen soll, dass ein Anbieter einer Kommunikationsplattform *proaktiv* den Schalter umlegt, wenn nicht einmal ein Abmahnanwalt tätig werden muss, bevor der virtuelle Knebel anglegt wird, dann wäre die Plattform nutz- und bald auch Ihre wertvollsten Benutzer los.
florian reisinger 2. August 2012 um 21:10
@Twitter ist auch mal gut2#
„Es gibt gelegentlich Statistiken über die Antwortgeschwindigkeit großer Firmen auf Emails.“
Welche Statistiken? Und bitte keine Statistiken aus dem Jahr 2005-2009 oder Studien von Dienstleistern, die ihre Brötchen mit CRM-„Dienstleistungen“ verdienen…
Aber du hast dir ja in deinem ersten Kommentar nicht einmal die Mühe gemacht, zwischen Antwort-/Reaktionszeiten normaler Firmen-Emailkonten und dem Servicelevel von Kontakt/Presse/Hotline-Accounts zu differenzieren. So viel Polemik muss scheinbar sein.
Die NFL im Shitstorm 25. September 2012 um 15:27
[…] der Olympischen Spiele nahm das Unternehmen den Account eines Journalisten offline, der die direkte E-Mail eines NBC-Managers veröffentlicht hatte. Im Fall des Monday Night Games servierte Jon Erpenbach zwar nicht die E-Mail […]