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In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jede Woche, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier.

Vielleicht hat Netzwert über kein Thema mehr geschrieben, als über B2B-Marktplätze. Denn ein Ziel unseres Extras war es gerade, die scheinbar grauen Bereiche des E-Business abzudecken – über bunte Startups für Endverbraucher schrieben andere ja schon genug. Im Februar 2002 nun fielen viele jener Plattformen in sich zusammen, allein in den USA hatten im Vorjahr 120 solcher Dienste Konkurs angemeldet. In Deutschland schrieben nur 9% der 309 in einer Berlecon-Datenbank gelisteten Anbieter schwarze Zahlen. 309 B2B-Marktplätze – das zeigt, welche Goldgräberstimmung manche Geschäftsideen damals entwickelten.

Einige der Marktplätze sind bis heute geblieben, aber meines Wissens nach ist keiner so groß geworden, wie viele hofften. Vor allem jene Plattformen erwiesen sich als nicht haltbar, die von Unternehmen betrieben wurde, die gleichzeitig auf den Märkten handelten. Wenn Konkurrenten versuchen, gemeinsame Sache zu machen, funktioniert das eben eher selten.

Das leuchtende Beispiel für solch einen Dienst war Covisint. Die Einkaufsplattform der Autoindustrie war Anfang 2002 eine der wenigen Alltagsbelustigungen der Startup-Szene. Wie dreckig es den Kleinfirmen auch ging, sie konnten immer sagen: Die Großen blamieren sich noch mehr. Allein die Suche nach einem Chef hatte Covisint 14 Monate gekostet: Keiner wollte zwischen den Stühlen der verfeindeten PKW-Konzerne sitzen. Schließlich übernahm Kevin English. Der hatte zwar keinerlei Autobranchen-Erfahrung, aber immerhin war er daran gescheitert, den Online-Arm der Credit Suisse First Boston nach vorn zu bringen und das Finanzportal TheStreet.com war unter seiner Führung gescheitert.

Gegenüber Netzwert-US-Korrespondentin Sigrun Schubert gab sich English recht bullig. Covisint habe die nötige Größe, die Unterstützung durch die Branche und eine globale Ausdehnung. Im vierten Quartal 2002 werde das Unternehmen einen positiven Cash-flow generieren, der Umsatz sich im Jahr verdoppeln. Und in einem Jahr, also im Frühjahr 2003, werde Covisint doppelt so groß sein und schwarze Zahlen schreiben.

Tja.

Anfang 2004 wurde das Unternehmen dann an Compuware und Freemarkets verkauft. Die größte Überraschung daran sei, schriebe die „Financial Times“, dass Covisint überhaupt noch existiere.

Eine dicke Exklusivmeldung hatte jene Netzwert-Ausgabe vom 25.2.02 auch zu bieten. In jener Woche sollte die Entscheidung fallen, ob die IT des Bundestages unter Windows oder Linux läuft. Zu jener Zeit begeisterte sich eine kleine, aber steigende Zahl von Verwaltungen für das freie System. Microsoft befürchtete eine Signalwirkung, sollte auch der Bundestag sich von seinen Fenstern verabschieden. Also kämpfte Microsoft mit allen Mitteln eines Konzerns – und siegte: Nur ein kleiner Teil der IT ging auf Linux. Netzwert vermeldete das als erster. Bemerkenswert: Eines der wichtigsten Argumenten gegen Linux war die Bedienbarkeit, vor allem das Fehlen von Copy + Paste – war irgendwie dann ja ein Ausblick auf die Ära Guttenberg war. Zwei Jahre später jedoch folgte doch der Wechsel: Der Bundestag zog um auf Linux.

Oft erscheint es, dass die Idee der öffentlichen Kritik an einer Dienstleistung und das neue Auswerten von vorhandenen Daten erst im Zuge des Social Web entstanden ist. Tatsächlich aber gab es solche Plattformen ja schon vor 10 Jahren. Zum Beispiel on Form der Neighbourhood Knowledge Los Angeles (NKLA). Das Projekt der Uni UCLA überwachte Vermieter und listete verkommene Immobilien auf:

„… werden nach und nach Daten und Fakten zu den rund 700.000 Mietobjekten in der Stadt gesammelt. Fakten, die etwas darüber aufklären, ob die Hausbesitzer mit Zahlungen der Eigentumssteuer in Rückstand sind oder gegen Bau-Auflagen verstoßen.“

Was ein Service für Mieter und Immobilienkäufer ist, diente gleichzeitig der Wissenschaft: Die UCLA skizzierte so Nachbarschaften und machte soziale Brennpunkte aus. Junge Mieter dagegen sollten spielerisch mithelfen: Mit einer Art elektronischer Schatzsuche sollten sie Immobilien verorten, die sie besonders interessant fanden. Dadurch sollten Stadtplaner Hinweise erhalten, was sich die junge Bevölkerung wünscht. Ob es das Projekt noch gibt? Fraglich. Die UCLA listet es zwar noch auf – die Homepage des NKLA scheint es aber nicht mehr zu geben.


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