Zweimal hatte ich Hoffnung für Angela Merkel. Das erste Mal war jener Tag im Oktober 2000, da ich sie kennenlernte. Sie war noch nicht Kanzlerin, sondern CDU-Chefin und auf Einladung von Handelsblatt Netzwert diskutierten sie und der damalige Wirtschaftsminister Werner Müller mit Startup-Gründern.
Man kann nicht behaupten, dass Merkel sonderlich kompetent wirkte – aber interessiert. Und kurz darauf erschien in der „FAZ“ ein Gastbeitrag, der viele Forderungen der Gründer beinhaltete, zum Beispiel eine gesetzliche Regelung Venture-Capital-Finanzierung. Auf ein solches Fundament warten wir noch heute in Deutschland – während die meisten anderen westlichen Nationen sie längst haben.
Der andere Moment des Merkel-Erblühens war jenes Videointerview mit Katharina Borchert (das leider wohl nicht mehr online zu sehen ist). Da war eine ganz andere Merkel vor der Kamera als die, die uns mit ihren staubigen Video-Podcasts ins Koma langweilt.
Zweimal erhält sie sie also einen Anstoß von außen und kommt ins Rollen. Doch lange hält das nicht vor. Bremst sie jemand? Oder war dies Schauspielerei für den Augenblick? Wirklich beantworten können das wohl nur Menschen, die näher an ihr dran sind.
Zu konstatieren ist jedoch: Die Regierung unter Angela Merkel arbeitet mit aller Härte daran, Deutschland aus dem digitalen Zeitalter herauszuhalten. Nicht nur, dass sie keinerlei Versuch unternimmt, die digitale Wirtschaft und die bürgerliche Freiheit im Web zu unterstützen – nein, sie marschiert in die genau entgegengesetzte Richtung, bejubelt von Telekom- und Verlags- und Musikindustrie-Lobbyisten.
Fortschritte sind nicht einmal in homöopathischen Mengen erkennbar. Die neueste Unglaublichkeit kommt von Siegfried Kauder. Bei einem parlamentarischen Abend der Verwertungsgesellschaft GVL kündigte er laut Netzpolitik an, innerhalb von acht Wochen einen Gesetzesentwurf einzubringen, der bei Urheberrechtsverstößen die Online-Zugangsanbieter zwingen würde, als Helfer der Polizei zu fungieren. Und dies dürfte eine Vorstufe für das Sperren des Online-Zugangs bei Wiederholung. Statt also an einem fortschrittlichen Urheberrecht zu arbeiten will Kauder Menschen von der Nervenbahn der Gesellschaft ausschließen.
Mehr noch – Kauder würde damit den Koalitionsvertrag brechen.
Denn dort heißt es auf Seite 104: „Wir werden keine Initiativen für gesetzliche Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen ergreifen.“ Ein CDU-Bundestagsmitglied sieht auf seiner Facebook-Seite (geschlossen, deshalb Name hier nicht genannt) einen Teil seiner Fraktion nach dem Wahlerfolg der Piraten in Berlin auf Haudrauf-Kurs in Sachen Internet im Glauben, dies begeistere die Kernwählerschaft.
Aber dies ist ja nicht die einzige rückwärtsgewandte Aktion der Christdemokraten. In einem Arbeitspapier der Innenpolitiker, das Netzpolitik in die Hände geriet heißt es: „Eine anonyme Teilhabe am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess ist abzulehnen.”
Ach ja? Wird die CDU nun jene Parteispender verraten, die einst Helmut Kohl Bimbes in die Tasche steckten? Schließlich ist auch die finanzielle Unterstützung Teil der politischen Meinungsbildung. Ach nein, damit ist ganz anderes gemeint: Geheime Wahlen möchte die CDU abschaffen.
Natürlich ist das nicht so. Nur es zeigt, wie unfassbar inkompetent die handelnden Personen sind. Dass sie nicht wissen, was sie da schreiben oder reden.
Und vergessen wir nicht das Thema Netzneutralität. Hier hat sich die Partei eine besonders krude Legende zusammenfabuliert. Sie sei für Netzneutralität, heißt es. Und dass diese nicht in Gefahr sei. Wenn man dann auf die Telekom und deren Drosselung verschiedener Dienste hinweist, wird behauptet, das sei doch kein Problem: Man könne doch mehr Geld zahlen und alles sei in Ordnung. Ja, genau. Der Verstoß gegen die Netzneutralität ist für die CDU Netzneutralität. Außerdem gebe es einen funktionierenden Markt, heißt es. Im Telekom-Bereich. Offensichtlich surfen CDU-Abgeordnete nie im Ausland (OK ,das ist jetzt natürlich irgendwie keine Überraschung) – oder die Telekom-Konzerne offerieren vielleicht spezielle Abgeordnetentarife.
Es gab ja sogar eine Chance, etwas für das digitale Deutschland zu tun: das Konjunkturprogramm gegen die Wirtschaftskrise. Statt massiv in den Infrastrukturausbau zu investieren und junge Technologieunternehmen zu fördern, floss der überwältigende Teil der Milliarden in den Bau von Straßen und Gebäuden – ein beliebtes Mittel seit… ups, jetzt hätte ich hier fast einen Drittes-Reich-Vergleich gemacht.
In der vergangenen Woche fand in Köln eine sehr gut besetzte und gut organisierte Startup-Konferenz namens Advance statt (Disclosure: Ich war Moderator der Advance und erhielt dafür ein Honorar). Auf einem der ersten Podien fragte ich, in wie weit Startups von der Wirtschaftskrise betroffen sind. Antwort: Praktisch gar nicht und wenn, dann eher im positiven Sinn. Denn je niedriger die Zinsen, desto attraktiver sind Risikokapital-Investments. Und die Kunden kommen ohnehin (was auch die Verbreitung teils kostenpflichtiger Dienste aus dem Ausland wie Dropbox zeigt).
Nicht wegen sondern trotz der aktuellen Regierung ist Berlin zu einem der spannendsten Standorte für Startups geworden. Was tut die Regierung für diese Gründer? Exakt nichts. Dabei sind viele von ihnen keine Zwei-Mann-Buden sondern veritable Mittelständler. Einst war die CDU eine Partei der Mittelständler. Heute wendet sie sich von den innovativsten Vertretern dieser Wirtschaftskaste ab.
Das soll nun wirklich nicht heißen, dass SPD, FDP oder Grüne mehr Hoffnung bieten würden. Sie alle haben Einzelkämpfer für das Digitale, die auf verlorenen Posten stehen. Und wer glaubt, diese erhielten durch den Wahlerfolg der Piraten nun Unterstützung sollte sich nicht zu früh freuen. Der analoge Hallraum aus klassischen Medien und Politik autosuggestiert sich die Behauptung ins Hirn, ein Großteil der Deutschen schere sich nicht um das Internet – weshalb Wählerstimmen (und um die geht es ja, nicht um Krimskrams wie Arbeitsplätze, Innovation oder den Wirtschaftsstandort) mit Internet-Drohgebärden zu holen seien.
Es ist traurig – und Hoffnung auf Besserung habe ich keine.
Nachtrag vom 30.9.11: Ist es Arroganz? Doppelmoral? Eine absurde Form von Inkompetenz? Womöglich von allem etwas. Denn jener Jurist und Lobby-Vorkämpfer Siegfried Kauder ist selbst ein Raubkopierer. Für seine Homepage verwendete er Fotos, deren Nutzungsrechte er nicht hatte. Und wirft dann Urheber- und Nutzungsrechte durcheinander. Man ist geneigt ihn für eine Fleisch gewordene Satirefigur zu halten – wenn er nicht tatsächlich in der CDU Amt und Würden hätte. Es ist alles so traurig.
Kommentare
André 27. September 2011 um 8:04
„eine gesetzliche Regelung Venture-Capital-Finanzierung“ — was fehlt denn dazwischen? Für? Mit? Gegen?
Dominik 27. September 2011 um 8:10
@André: Frag da mal die Steuerbeamten. Ich investiere nicht hauptberuflich in Startups mit kleineren Summen. Erklär mal dem Steuerbeamten, wie er das verrechnen soll – unfassbar.
Heinz Koch 27. September 2011 um 8:27
Als ich die Merkel zum ersten Male live erlebte, 1992, da ging es in einer Wahlveranstaltung in der Viandrina (Uni Frankfurt / Oder) um Grundrechte, Grundgesetz und solchen Kram – da zitiere ich leicht abgewandelt aus obigen blogpost: „Man kann nicht behaupten, dass Merkel sonderlich kompetent wirkte – aber nicht mal interessiert.“
Tom 27. September 2011 um 8:35
Ja, das ist nichts Neues.
Das Schönste immer wieder: die studierte Jugend soll die Wirtschaft retten indem sie StartUps gründet. Ja, wovon denn? Du kommst von der Uni und bist erstmal pleite. Du musst einen Job annehmen um deine Schulden abzutragen. Vom Amt gibt’s bei Softwareunternehmen sowieso keinen Heller. Schon gar nicht wenn du sagst, du bräuchtest 50.000 Euro. Hättest du 500.000 oder 5 Mio. gesagt hätte man da vielleicht was machen können. Und nach den Schwarzen sollen Studiengebühren das Problem lösen? Das ist der Student ja noch pleitererer als er es bisher jemals war!
Wie teuer das wird sieht man an Kanada: 50.000 Euro Bildungskredit sind so die Regel.
Hab da mal als Familienvater 3 Kinder – dann verkaufst du am besten gleich dein Haus!
Innovationsförderung? Ein einziger Klüngel. Da wissen die Beamten doch schon wer die Kohle kriegt bevor es überhaupt ausgeschrieben ist. Unterstützung neuer Technologien in der Autoindustrie – sicher: solange dabei keine Software im Spiel ist. Das verstehen die Beamten nämlich nicht. Darauf ist man nicht geschult. Also gibt es auch keine Förderung.
Schon mal einen Förderantrag geschrieben? Allein den Antrag zu schreiben verursacht 10-20.000 Euro an Personalkosten. Unsere Firma hat nach der 5. geforderten Änderung des Antrags aufgegeben, weil die Kosten drohten die beantragte Summe ad absurdum zu führen. Sind ja nicht nur zu bezahlende Gehälter, sondern man hätte in der Zeit sonst Kundenaufträge bearbeitet.
teekay 27. September 2011 um 14:46
Es gibt ja bei den Simpsons die schoene Einrichtung des ‚Freidenker-Alarms‘ der dann ausgeloest wird, wenn Lisa kritische Fragen in der Schule stellt. Das etablierte Parteiensystem hat natuerlich Angst vor den Lisa Simpson-Existenzgruenderinnen in Berlin ;). Ich bin mir sicher: Parteien und der ganz Krams koennen bei ‚2.0‘ nur verlieren und deshalb ist es in ihrem persoenlichen Eigeninteresse sich da zurueckzuhalten oder sogar ‚gegenzusteuern‘. Ein paar Jobs und ein bisschen Steuereinahmen sind zu verschmerzen. ‚Im Netz‘ (stark vereinfacht natuerlich) sind offene, kritische, innovationsfreudige Menschen-und da sollen die auch besser bleiben. Mit 1-2 richtigen Webseiten kann ich die Regierungspropaganda zerlegen. Und im Netz sind auch die gefrusteten Kommentarschreiber-die sollen da auch besser bleiben sonst gibt’s am Ende noch Stunk auf Berliner Strassen. Wuerde ich eine politische Karriere anstreben, wuerde ich immer auf die 90%+ schielen die nicht die Piraten waehlen. Mit der Unsicherheit laesst sich politisches Kapital schlagen, das hoeher ist als Steuereinnahmen aus Start-Ups.
Frederic Schneider 28. September 2011 um 13:38
Sehr geehrter Herr Knüwer,
ich weise Sie darauf hin, dass es in einer Partei eine Fülle an Meinungen gibt. Die Gesamtmeinung bildet sich in den entsprechenden Gremien wie Bundesparteitag oder Bundestagsfraktion. Punktuell zum Vorstoß von Siegfried Kauder hat 1. PGF Altmaier klar gemacht, dass die Position von MdB Kauder eine Einzelmeinung ist: „Kauder-Strikes geht gar nicht: Wer Bücher klaut ist kriminell, aber man nimmt ihm nicht die Lesebrille weg. Bin 100% bei CDU-Netzis u KoaV“ & „Heute mit Sigi Kauder geredet. Er weiß dass sein Vorschlag rein persönlich ist und nicht CDU/CSU-Position.“ Ebenso gibt es eine Positionierung der Jungen Union Deutschlands, die derjenigen von Herrn Siegfried Kauder widerspricht. Ich bitte Sie, dies in Ihrer Berichterstattung zu berücksichtigen und kein Zerrbild zu zeichnen.
Viele Grüße,
Frederic Schneider
Tom 29. September 2011 um 9:51
Sehr geehrter Herr Schneider,
und Sie weise ich darauf hin, dass die Partei erst anfing diese Ansichten offiziell zu vertreten nachdem Sie durch öffentlichen Druck und öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema dazu gezwungen hat.
Was Altmaier angeht so ist seine Meinung ebenso die eines Einzelnen wie die eines Herrn Kauder. Er ist ihm gegenüber nicht weisungsberechtigt. Und auch seine Kritik an Kauder hätte es ohne öffentliche Berichterstattung sicher nicht gegeben.
Gerade die Junge Union sind ja nun ein Wein, den man mit Vorsicht genießen sollte. Ist die JU in der Vergangenheit nicht selbst ein steter Quell fragwürdigen Verhaltens gewesen, so dass im Vergleich dazu selbst Kauder fast wie ein Waisenknabe erscheint?
Übrigens ein sehr schönes Zitat: „ich weise Sie darauf hin, dass es in einer Partei eine Fülle an Meinungen gibt. Die Gesamtmeinung bildet sich in den entsprechenden Gremien wie Bundesparteitag oder Bundestagsfraktion.“
Das kenne ich doch irgendwo her: es gab eine Partei, in der Partei eine Fülle von Meinungen und die Gesamtmeinung hat sich in den Gremien herausgebildet. Ein „demokratischer Meinungsbildungsprozess“, richtig? Deshalb nannten wir es ja auch „Deutsche Demokratische (!) Republik“. Da konnte jeder in die Politik eintreten, mitreden und sich wählen lassen. Genauso demokratisch wie die CDU.
Nein – die Herrschaften bei den Konservativen begreifen nicht wo das Problem wirklich liegt. Sie reden von „Freiheit“ wo sie von „Freiheiten“ reden sollten und in Wahrheit auch sagen müssten, dass man sie in der Union und in Deutschland eben doch nicht alle hat.
Sie glauben: ein Parteiensystem, in dem am Ende nur 2 sehr ähnliche „Gesamtmeinungen“ zur Wahl stehen, die wahlweise auch mal groß koalieren und von denen man weiß, dass man sowieso keiner Seite im Wahlkampf ein Wort glauben darf, wäre Demokratie.
Es ist aber nunmal ein Unterschied ob man wählen darf, oder ob man eine Wahl hat.
Deswegen scheitern diese „lupenreinen“ Demokraten. Zwar weiß ich nicht was das hier sein soll was ihr da abzieht, aber ich weiß zumindest was es nicht ist: Demos kratia, eine Herrschaft des Volkes. Denn das Volk kann wählen wie es will. Am Ende bekommt es einen anderen Köter aus dem selben Zwinger. Es mag sich vielleicht die Fellfarbe aussuchen und ob es eine Promenadenmischung, ein Zwergterrier oder eine Bulldogge sein darf, aber der Bürger weiß stets im Voraus wem das Mistvieh am Ende in die Waden beißt.
Und wie ich als Bürger mich fühle, ob es mir gut geht oder schlecht, das entscheidet doch sowieso nicht so ein Paragraphenesel in Berlin, sondern die Banken und die Wirtschaftsbosse in diesem Land. Der Boss sagt wie lange ich heute arbeiten muss, ob ich Urlaub kriege, wie weit ich fahren darf oder ob ich auf Rufweite bleiben muss, ob und welches Gehalt ich bekomme, ob und in welchem Umfang ich an privaten Aktivitäten teilnehmen darf, ob ich meine Kinder von der KiTa abholen darf, ob ich ein Gewerbe führen darf und falls ja welches und wie oft. Er hat ein Recht alle meine Erfindungen zu behalten, auch meine privaten wenn sie ihm gefallen. Ich muss ihm alle meine Veröffentlichungen und Vorträge zur Zensur einreichen und muss von einer Veröffentlichung Abstand nehmen, wenn er es verlangt.
Ja – ich bin ein freier Mensch. Aber meine Freiheit endet stets dort, wo mein Monatsbudget aufhört und das Kapital der Leute anfängt, die meine Bosse sind. Eben jene Leute, welche die Freiheit haben der „Regierung“ zu sagen: „Wenn ihr das macht, streichen wir 20.000 Arbeitsplätze!“
Und da wundern sich Politiker tatsächlich, dass so wenig Leute zur Wahl gehen?
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