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Ein Chef gibt keine Fehler zu. Erst recht nicht der Chef der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Doch sein Team wusste, wann selbst ihm klar wurde, dass es ein Problem, pardon: eine Herausforderung, gab. Dann zieht sich der Chef in sein Büro zurück und wird er angesprochen entgrummelt sich aus seinem Mund eine nur partikulär erkennbare Sprache. Doch in den wenigen Worten schwingt ein Grollen als bewerbe er sich um die Hauptrolle in „Thor II“. Was natürlich angesichts seiner Leibesfülle eine absurde Vorstellung wäre.

Auch heute sitzt er in seinem Büro, abgeschirmt von seiner bulgarischen Sekretärin Polia. „Schäääf is nicht zu sprächen.“ Keine Chance. Denn es ist klar: Den Etat der Ergo-Versicherungen hat die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt verloren.

Dabei hatte alles so gut begonnen. „Incentive-Reisen. Dickes Ding. Weil gut abzurechnen. Erst recht in Osteuropa.“ So hatte der Chef den Auftrag damals angepriesen. Senior Consultant Sabine hatte das Management in der Agentur übernommen. Widerwillig. „Ich bin doch kein Reisebüro“, hatte sie gemeckert und im Vertrauen zu Junior Consultant Tanja-Anja gesagt: „Das ist alles so komisch. Der Chef schreibt vor, was ich buchen soll. Vom Hotel bis zum Limousinenservice. Und wenn ich was billigeres habe, kümmert ihn das nicht.“

„Na ja, aber macht doch mit Marcel immer eine Testreise“, hatte die Freundin erklärt. Der Managing Partner war in das Großprojekt ebenfalls involviert.

„Macht das die Sache besser“, hatte Sabine geseufzt. „Hast Du mal gesehen, was der für windige Gestalten neuerdings empfängt?“

Diesem Argument konnte sich auch Tanja-Anja nicht verschließen. Die breitschultrigen Herren mit Sonnenbrillen, Maßanzügen und osteuropäischem Akzent kamen immer in kleinen Gruppen in die kleine PR-Agentur. Ein oder zwei verschwanden in Marcels Büro, zwei postierten sich vor der Tür.

Spätestens aber seit dem vergangenen Winter war klar: Die Sache stank. Damals hatten Senior Consultant Lars im Budapester Turtelurlaub mit Praktikantin Julia Marcel und den Chef auf der Straße gesehen. Unbemerkt folgten sie ihnen zu einem Spa, davor ein Schild, dessen Aufschrift Lars Iphone-App mit „Geschlossene Gesellschaft“ übersetzte.

Julias Bericht taten manche in der kleinen PR-Agentur als übertrieben ab: „Da hielt dann eine Hummer-Strecht-Limo vor dem Eingang. Da waren 20 Mädels drin, alle im engen Schlauchkleid und mit hohen Hacken. Und jede, wirklich jede, war operativ nachbearbeitet. Soviel Silikon gibt’s nicht mal in nem schlechten Porno…“

„Also zu meiner Zeit hat Lars noch gute Pornos geguckt“, giftete Senior Consultant Alexandra, die den erneuten Wechsel von Lars zu Julia noch immer nicht verknust hatte.

Julia ging darüber hinweg: „Das waren Nutten! Hundert pro!“

Sabine wurde blass: „Aber den Event hab ich doch organisiert…“

Die Mitarbeiter schwiegen. Puff-Parties? Und die kleine PR-Agentur als willfähriger Dienstleister? Ein grausamer Gedanke. Dummerweise aber der richtige.

Einige Monate später grummelt der Chef in seinem Büro und Marcel verkündet im gläsernen Konferenzraum die traurige Wahrheit: Die Ergo-Versicherung hatte tatsächlich solche Partys abgehalten – und die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt hatte sie organisiert. Und das war nun aufgeflogen. „Scheiß Spießer“, fluchte Marcel. „Dabei gab es in der Geschichte der Versicherung kein Motivationsinstrument, das besser gewirkt hätte. Die wollten doch alle wiederkommen. Ihr müsstet nur mal die Umsatzsteigerung der Partygäste im Folgejahr sehen. Hammer.“

Doch es kam noch schlimmer. Die „Bild“ hatte Bilder von Ergo-Vertretern. Eindeutig transportierten diese ein weißes Pulver in ihre Nasen. Und nun war voller Einsatz gefragt. Denn Sex war das eine – aber Drogen das geht nicht.

Also ist voller Einsatz gefragt. Ein Alibi muss her, das die Bilder erklärt. Erste Idee: Es handelt sich um Mehl. Und das musste schnupfen, wer beim Pokern verloren hat. Testlauf also mit Praktikantin Julia. Doch das weiße Pulver verklebt erst ihre Nase und sorgt dann für einen akuten Brechanfall.

„Shit“, murmelt Marcel.

Nächster Versuch: Ahoi-Brausepulver. Sabines lauter Schrei will nicht enden, als sich das Prickeln in stechende Schmerzen verwandelt, die ihre Nasenschleimhäute attackieren.

„Fuck“, murmelt Marcel.

Vielleicht Salz? Lars als ganzer Mann wagt es. „Verdammt, das tut weh…“, flüstert er. „Unerträglich?“, fragt Marcel. „Neee, jetzt… jetzt… geht schon wieder.“

„Salt it is“, ruft Marcel erleichtert. Und so steht schon bald darauf die offizielle Pressemitteilung der Ergo:

„Zur Darstellung in der heutigen BILD-Zeitung mit dem Titel „Hier kokst der Kollege von Herrn Kaiser“:

Die Berichterstattung in der heutigen Ausgabe der BILD-Zeitung, wonach Handelsvertreter der Hamburg-Mannheimer auf sog. Top 5 Reisen Kokain konsumiert hätten, ist unwahr. Die von der BILD-Zeitung veröffentlichten Fotos zeigen ein Trinkspiel mit Salz, Tequila und Zitronensaft. Dazu gehört das Einschnupfen von Salz durch die Nase. Bei den Handlungen der Akteure auf den von der BILD-Zeitung veröffentlichten Fotos handelt es sich nicht um den Konsum von Kokain. Der ERGO liegen dazu inzwischen auch eidesstattliche Versicherungen von auf den Lichtbildern abgebildeten Personen vor.“

Doch beim letzten Korrekturlesen wird der Managing Partner gestört. „Was ist los, verdammt?“, brüllt er Sabine an, die gerade sein Büro betritt.

„Wir müssen jetzt doch mit Tanja-Anja zum Krankenhaus…“

„Why?“

„Der Zement geht nicht wieder aus ihrer Nase raus…“

Alle Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt finden Sie hier.


Kommentare


Malte 24. Mai 2011 um 17:19

Zu meiner Studentenzeit war Tequila Stuntman mit Salz durch die Nase und Zitronensaft ins Auge, für mich ist das schlüssig 🙂

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Patrick 24. Mai 2011 um 17:37

Ein Bild in der Bild und die Öffentlichkeit hat sich ihr Bild gebildet…
Das erscheint mir eher ein Fall aus der Kategorie „wie werden mediale Wahrheiten geschaffen?“
Sorry, aber Salz erscheint mir hier in der Tat plausibler, jedenfalls hab ich noch nie davon gehört, dass jemand Koks mit Zitrone und Tequila runterspült. Salz vor dem Tequila schnupfen ist hingegen ein ziemlich verbreiteter Sauf-Gag.

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Armin 24. Mai 2011 um 19:19

Oder auf Englisch „Tequila Suicide“, wie man mit wenigen Sekunden googlen finden kann.

PS: Deine Kollegen vom Bildblog scheinen auch eher der PR-Agentur zu glauben. Und den Salzstreuer im Bild der Bild gesehen zu haben.

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Tim K. 24. Mai 2011 um 21:15

Ich muss nach Ansicht der Bilder auch sagen, dass sieht mir sehr nach „Tequila Suicide“ (in Münster auch Action Tequila genannt) aus. Zitronen und Tequila stehen bereit, auf dem dritten Bild sieht man den Salzstreuer.
Das es das wirklich gibt bescheinigt eine Youtube-Suche nach Tequila Suicide. Gerade bei der Quelle Bild sollte man die kritische Brille NIE absetzen.

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Julius 24. Mai 2011 um 21:20

http://is.gd/cW5JWR Würden sie bei diesem jungen Herren eine Versicherung abschließen? 😉 Also ich finde ja Gratifikationsreisen in den Puff viel schlimmer als den Gedanken, daß die Führungsetage evtl. kokst. Aber ich bin auch weder Richter noch die Bild noch Kunde bei einer bestimmten Versicherungsgruppe.

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SvenR 25. Mai 2011 um 17:12

Ich finde beides eklig.

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Patrick 1. Juni 2011 um 9:30

Ein später Nachtrag: Nachdem ich das (bei Bild.de gelöschte) Video davon gesehen habe, muss ich meinen früheren Kommentar korrigieren. Anders als auf den Bildern sieht es im Video tatsächlich eher nicht wie ein Vodka-Trinkspiel aus.

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