In der Serie “Netzwert Reloaded” verfolge ich jeden Montag, was das Team von Handelsblatt Netzwert vor exakt 10 Jahren über das digitale Geschäft schrieb. Mehr dazu hier. Alle Netzwert-Reloaded Folgen finden Sie hier. Weil ich zwei Wochen lang schlampig war folgen ausnahmsweise zwei Ausgaben hintereinander.
5400 Ameisen der Dotcom-Armee. Gefeuert. Allein im September 2000. Garden.com entließ 40% seiner Mitarbeiter, der Medizin-Dienst WebMD schüttete 1100 Leute auf die Straße.
Es brannte in Dotcom-Land, davon handelte unsere Netzwert-Titelgeschichte am 9.10.2000. Unsere New-York-Korrespondentin Siri Schubert lieferte uns Brand-Beobachtungen. Zum Beispiel von Ben Wolf. Er fühlte sich sicher – denn er hatte Aktienoptionen. Ein Leben im Wohlstand schien gesichert. Dann aber feuerte ihn erst der Online-Händler Value.com und dann die B2B-Plattform E-Marketplaces. Und die Optionen? Wertlos.
Schubert schrieb:
„Das neue Credo der Geldgeber: Profit. Und wer in nächster Zeit keine Gewinne vorweisen kann, fällt bei den Investoren schnell in Ungnade.“
In der gleichen Netzwert-Ausgabe beschrieb die freie Journalistin Silke Tittel ein damit zusammenhängendes Phänomen von der Westküste: Zum ersten Mal verließen mehr Menschen das Silicon Valley, als hinzogen. Es war einfach zu teuer geworden für all jene, die nicht in der Dotcom-Welt arbeiteten – oder von ihr verstoßen worden waren.
Doch noch war der Tiefpunkt nicht erreicht.
Andersen Consulting behauptete in einer Studie: „Wer heute seinen Job verliert, hat zum Wochenende einen neuen“ – die Kündigungswelle sei nur eine „statistische Auffälligkeit. Und Deutschland? Da war es noch gar nicht richtig losgegangen.
Weshalb sich auch Heinrich von Pierer noch als Speerspitze verstand. Erst im Laufe des Jahres 2000 war ein Computer auf seinem Schreibtisch gelandet, vorher hatte er sich E-Mails von der Sekretärin ausdrucken lassen. Nun sollte Siemens.com zum „Markenzeichen“ werden, innerhalb weniger Jahre sollten 25% des Konzernumsatzes online erzielt werden. Caspar Busse, damals „Handelsblatt“-Korrespondent in München und heute bei der „Süddeutschen Zeitung“ schrieb:
„Das Problem dabei ist nur: Viele Siemens-Produkte, etwa ein ICE oder ein Gasturbinen-Kraftwerk, eignen sich gar nicht für den Web-Verkauf. Wichtiger als der Absatz über das Internet ist deshalb die Automatisierung der internen Geschäftsabläufe sowie die Abwicklung des Einkaufs über das Netz.
Von Pierer will am morgigen Dienstag seine neue ,E-Strategie‘ der Öffentlichkeit präsentieren. Und die werde ,in ihrer Radikalität überraschen‘, kündigte ein Konzernsprecher viel versprechend an. Und dann wird sich der Siemens-Chef auch noch einem Online-Chat im Internet stellen. Für den frisch gebackenen Computer-Fan von Pierer ist auch das eine Premiere.“
In dieser Netzwert-Ausgabe erschien aber auch eine der schönsten Bebilderungen in der kurzen Geschichte der Beilage. Die Geschichte „Der lange Marsch zum gelben E“ handelte von der E-Business-Strategie der Deutschen Post. Ein kostenloser E-Mail-Dienst gehörte dazu, aus dem nie etwas wurde, und die digitale Signatur – faktisch der Vorläufer des heutigen E-Post-Briefes. Martin Raab, Zentralbereichsleiter E-Business, traf eine Vorhersage, die, nun ja, aus heutiger Sicht, mutig erscheint: E-Mails würden den klassischen Brief ebenso wenig verdrängen wie das Fax. Das Netzwert-Team quittierte dies mit einem durchaus als Kommentar zu verstehenden Bild von Fiete Nissen, dem Postboten der norfriesischen Halligen:
Am kommenden Montag in Netzwert Reloaded: Kranke Dotcom-Millionäre – das Sudden Wealth Syndrom.
Kommentare
Mario 14. Oktober 2010 um 11:43
Du schreibst: „Ein kostenloser E-Mail-Dienst gehörte dazu, aus dem nie etwas wurde“. Das ist so nicht richtig. Im Sommer 2000 stellte die Post mit ePost.de einen kostenlosen E-Mail-Dienst vor und versprach ihren Kunden eine E-Mail-Adresse mit „lebenslanger Gültigkeit“. Dieses Versprechen orientierte sich offenbar an der durchschnittlichen Lebenspanne eines Meerschweinchens, denn schon im Februar 2005 war Schluss damit. Siehe: http://www.pcwelt.de/news/Epost-de-Mail-Dienst-wird-eingestellt-291470.html
DAMerrick 15. Oktober 2010 um 20:51
@Mario
Auch wenn dir das nicht bewusst ist, aber Minimale Nutzerzahlen, maximaler Verlust und langes Sterben, schneller Tod ist das Gleiche wie „aus dem nie etwas wurde“.
Etwas was schnell oder langsam & qualvoll wieder verschwindet kann man nicht als Erfolg bezeichnen. Und als reif auch nicht.