Was ein Unternehmen von seinen Kunden hält, zeigt sich häufig daran, wie es diese anspricht. Der Media Markt hält seine Abnehmer offensichtlich für sehr laute Menschen mit plattem Humor – deshalb Mario Barth. Das „Adlon“ sieht sich gebucht von älteren Menschen mit klassischen Manieren – entsprechend verhält sich das Personal.
Die „Süddeutsche Zeitung“, könnte man angesichts ihres journalistischen Anspruchs meinen, hält ihre Leser für intelligent, liberal und einigermaßen weltoffen. Nun erreichte mich ein Schreiben dieses Hauses. Und nach dessen Lektüre muss ich zu einer anderen Auffassung kommen. Die „Süddeutsche Zeitung“ hält ihre Leser einfach für – dumm. Und schummelt außerdem auf bemerkenswerte Weise bei der Erfassung der Auflage.
Es kommt schon etwas merkwürdig daher, was die „Süddeutsche“ mir offeriert. Zum einen, dass sie überhaupt etwas von mir will. Ich war nie Abonnent, weder des Hauptblattes noch irgendeines anderen Objektes der Verlagsgruppe. Man hat also meine Adresse bei einem Adresshändler eingekauft. Oder selbst irgendwo erhascht, Verlage sind ja die größten Datenhändler der Republik.
„440 Euro Vergütung für Teilnahme an der SZ Marktstudie“, schreit es mir entgegen – das erinnert an Media Markt. Weiter heißt es:
„Sehr geehrter Herr Knüwer,
unsere Gesellschaft ist in ständiger Veränderung. Neue Werte gewinnen an Bedeutung, die Ansprüche wachsen und gleichzeitig gilt es, neue Herausforderungen zu meistern. Auch die Süddeutsche Zeitung geht neue Wege und wird sich noch dichter am Leser orientieren. Deshalb ist uns die Meinung von politisch und kulturell interessierten Menschen besonders wichtig. Und das Beste: Ihre Teilnahme vergüten wir mit 400 Euro.
Wir möchten Sie einladen, heute an der Marktstudie der Süddeutschen Zeitung teilzunehmen.“
Doch in Fett steht das da. Was aber wir eine bezahlte Marktforschung aussieht hat einen Haken: Erstmal zahlt der Teilnehmer. Ein Abo, nämlich. Zu den 08/15-Konditionen der „SZ“. Zwei Jahre lang. Macht 993,60 Euro außerhalb Bayerns. Nachdem die dann überwiesen sind, zahlt die Süddeutsche Ende 2011 400 wieder zurück. Aber nur wenn alle drei Monate ein Fragebogen ausgefüllt wurde. Die erste Ausgabe ist beigelegt und ausgesuchter Plattheit.
Fassen wir also mal schlicht zusammen: Hier geht es um Abo-Werbung. Und der Abo-Preis wird zu 40 Prozent subventioniert unter dem Deckmäntelchen der Marktforschung, vielleicht gar in der Hoffnung, der Leser vergisst die Umfragen zu beantworten – und erhält dann keine 400 Euro. Warum so verschwurbelt? Vielleicht weil die Auflagenprüfer der IVW ein Problem mit so stark gesenkten Abo-Preisen haben könnten.
Dort, bei der IVW, heißt es auf meine Frage hin: „Es kann nicht sein, dass ein Verlag seine Abos selbst bezahlt.“ Nur gibt es da dieses IVW-Problem: Wenn ein Besteller zahlt, was er in diesem Fall tut, interessiert die IVW es nicht, erhält er andere Subventionen. „Die Diskussion ist aber noch nicht am Ende“, sagt der IVW-Experte. Als ich den Namen der „Süddeutschen“ fallen lasse, meint er: „Die kennen sich natürlich sehr gut aus bei der Auflagenzählung“ – da sei dann nichts ungesetzliches im Spiel.
Wahrscheinlich ist dem so. Die „SZ“ trickst ganz einfach hart am Rande des Erlaubten mit ihrer Auflage herum. Man darf es als Zeichen der Verzweiflung werten. Und als symptomatisch für das, was das Blatt von seinen Lesern hält.
Kommentare
Matthias Sch. 1. Dezember 2009 um 14:28
Hochinteressant, das.
Ich vermute mal fast, dass die SZ die 400 Ocken sogar selbst dann einfach erstattet, wenn man die Fragebögen NICHT ausfüllt – schließlich lohnt sich das auch bei faktisch 40% Rabatt trotzdem. Und die paar Fragebögen, die doch freiwillig zurückkommen, sind dann quasi das kostenlose Sahnehäubchen obendrauf.
Vielleicht nutzen sie das Nicht-Ausfüllen dann in zwei Jahren ja auch irgendwie, um die Verlängerung zu ergaunern. So würde ich’s an ihrer Stelle jedenfalls tun, wenn ich meine ethischen Ansprüche irgendwann doch mal abzulegen schaffe.
Volker Meise 1. Dezember 2009 um 14:29
Lieber Thomas,
deine Aufregung kann ich in diesem Fall nicht nachvollziehen. Für mich ist das nur eine neue Variante des Wie-locke-ich-neue-Abonnenten-an-Spiels. Statt der 440 Euro (bemerkenswert ist übrigens die krumme Zahl) gibt es sonst iPods, Koffersets oder Navis – oder auch Bargeld. Das machen irgendwie alle, es wird auch anscheinend von der IVW toleriert und kümmert sonst eigentlich keinen. Oder?
Viele Grüße
Volker
Angelika Knop 1. Dezember 2009 um 14:51
Nicht die Süddeutsche Zeitung hält ihre Leser für dumm – sondern ihre Vertriebsabteilung tut das. Und die können sich die Redakteure ja bekanntlich nicht aussuchen….
Hugo E. Martin 1. Dezember 2009 um 14:53
@tknuewer, dass ist eine alte Masche. Ich habe das schon einmal 2005 beschrieben und wenn man das heute noch praktiziert, muss es wohl genug Doofe geben, die sich auf diese Weise ködern lassen.
Die Süddeutsche Zeitung geht neue Wege
http://hemartin.blogspot.com/2005/03/die-sddeutsche-zeitung-geht-neue-wege.html
theObserver 1. Dezember 2009 um 15:14
Ich bin Student, an meiner Uni (außerhalb Bayerns) stehen sehr oft Vertriebler der SZ und promoten die zwei Gratiswochen-Abos. Dabei ergab sich vor ner Woche folgender Dialog:
„Wollen Sie zwei Wochen kostenlos lesen?“ – „Ich abonniere schon zwei Tageszeitungen, eins davon kommt sogar aus der gleichen Gruppe. Nein.“ – „Macht doch nichts, ein weiteres kostet doch nichts“ – „Ich hatte schon ein Gratisabo dieses Jahr“ – „Macht doch nichts, sie dürfen zwei Mal im Jahr kostenlos testen. Wir müssen die Auflage hoch halten!“.
HarryHIII 1. Dezember 2009 um 15:27
1. Wer oder Was ist die IVW?
2.
Zitat: „Als ich den Namen der “Süddeutschen” fallen lasse, meint er: “Die kennen sich natürlich sehr gut aus bei der Auflagenzählung” – da sei dann nichts ungesetzliches im Spiel.“
Mich lässt so etwas an den „Fall Schneider“ und Ähnliches denken: Die Großen lässt man laufen (das Dominanzgebaren muss nur geschickt eingesetzt werden); die kleinen Blätter würden in einem vergleichbaren Fall direkt, sehr genau und beharrlich überprüft.
robin 1. Dezember 2009 um 15:32
Tja, und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Sitten verrohen, weil es leider echt ernst steht um die Auflagen.
Ich lese gerade eine andere Qualitätszeitung für drei Monate zu 40 Prozent des offizielle verkündeten Abopreises.
Print wankt.
Dierk 1. Dezember 2009 um 15:42
Nun interessiert sich der normale Leser der SZ oder irgendeines anderen Blattes natürlich nicht für die Höhe der Auflage, sondern die Qualität der Artikel, als Recherche und Schreibe. Die Abozahlen sind nur für die werbetreibende Wirtschaft wichtig. Und die sollte eigentlich wissen, dass diese Zahlen scham- und hemmungslos aufgeblasen wurden. Diese Blowjobs sind vermutlich einer der Gründe, weswegen nicht mehr so viel Umsatz durch Anzeigenschaltung generiert wird.
Netzjournalist.com 1. Dezember 2009 um 16:02
Vielleicht bin ich zu abgestumpft, aber das kann mich eigentlich nicht mehr beeindrucken. Das ist doch gängige Praxis im gesamten Printgeschäft: Verlage bezahlen knapp ein Jahresabo als Prämie, Verlage verteilen einen nicht geringen Anteil ihrer Auflage kostenlos in Flugzeugen und auf Messen (alles in der IVW zu lesen), Verlage versuchen, mit „nur bei uns, nur für Sie, nur heute“-Angeboten, neue Leser zu gewinnen (siehe das Angebot der Süddeutschen), Verlage versuchen, mit Hilfe von Umfragen Probe- und Kurz-Abos zu verkaufen. So lange die Werbetreibenden das akzeptieren, funktioniert’s. Interessant ist dabei viel eher, mal zu schauen, welche Verlage solche Dumping-Spielchen nicht mitmachen…
bingfan 1. Dezember 2009 um 16:12
Die SZ arbeitet nicht nur hier hart an der Grenze. Es fällt auf, dass jedesmal, wenn Beilagen verkauft sind, tausende Exemplare kostenlos verteilt werden (eigene Beobachtung). Es quellen dann auch die Papierkörbe über von den Beilagen, die gleich entsorgt werden. Ob das die Beilagen-Kunden wissen, die pro „verbreitetem Exemplar“ zahlen ?
Die gehen doch davon aus, dass die Zeitung zuhause gelesen wird und die Beilagen entsprechend genutzt werden als Orientierungshilfe.
Zeitungen, die „unterwegs“ kostenlos verteilt werden haben nicht den gleichen Wert wie bezahlte Abonnements.
MediaGirl 1. Dezember 2009 um 16:57
So kann man es natürlich auch machen.
Diese Aufdeckung ist eine schöne Ergänzung zu dem aktuellen Zeit-Dossier mit dem Titel “ Deutschland entblättert“.
Herzlichst,
MediaGirl
Anne Malter 1. Dezember 2009 um 18:59
Ich denke für die Vertriebsabteilung kann kein Redakteur was.
Ich bin generell gegen Abos.
Ich kaufe die SZ so oft wie möglich – Qualitätsjournalismus wird immer kämpfen müssen.
Sammler 1. Dezember 2009 um 20:03
Das ist jetzt nicht wirklich neu. Diese Form der Werbung betreiben beinahe alle großen Tageszeitungen seit einiger Zeit. Nicht dass das gut wäre, aber offenbar fällt den Vertrieblern nichts besseres ein. Das würde mich nicht wundern. Das sitzen meist eh nur Kleingeister. Es gibt intelligentere Methoden.
Viel interessanter sind die realen Betrugsfälle bei den Auflagenarten. Da wird mehr als „getrickst“. Und die IVW-Prüfung ist der absolute Witz. Das ist überhaupt keine Prüfung. Selbst die Arbeiter in der Druckerei wissen vom Betrug. Der ein oder andere Drucker, der in Deutschland in diesen Monaten seine Kündigung behält, wäre sicherlich bereit, darüber zu reden.
René Schmöl 1. Dezember 2009 um 21:34
Wenn das Abo-Geschäft in den Verlagen nicht mehr läuft, dann wird nach Auswegen gesucht. Völlig normal. Aber solche Briefe sind keine Lösung. Wer trickst, der hat ein Problem. Diese Methode der SZ ist weder kreativ noch originell oder neu. Unter der SZ-Flagge solchen Müll unter die Leute zu bringen ist erschütternd. Jeder SZ-Redakteur wird sich dafür schämen. Schließlich unterscheiden Leser nicht in einzelne Verlagsabteilungen. Es heißt immer: „die SZ“, sprich die Redaktion. Dabei kann es so einfach sein: Anstatt ehrlich zu sein und den Menschen mal die Wahrheit zu sagen, versteckt man sich einfach unter dem Deckmantel der „Umfrage“. Okay, einige Leser werden damit geködert. In der SZ können die neu gewonnenen Leser dann aber mit Interesse lesen, dass solche Verlagsmethoden zum Bereich „Dummfang“ gehören und das Unternehmensimage schädigen.
satyasingh 1. Dezember 2009 um 22:57
Aber jetzt mal ehrlich:
In der Zeitung (auch in der SZ) steht doch nur, was gestern passiert ist. Mich interessiert das nicht, weil ich es längst weiß.
Für mich haben die Papierzeitungen keinen Wert mehr. Und ich habe viele Stunden meines Lebens mit der Lektüre der SZ verbracht.
Aber mir ist inzwischen egal, mit welchen Methoden der Verlag Abonnenten werben oder seine Auflage berechnen will.
mysterox 2. Dezember 2009 um 8:14
@hugo e. martin: stimmt.
ich glaube, es ist bereits über 10 jahre her, da kam die sz mit derselben masche auf uns zu. die süddeutsche ist also schon lange in diesem merkwürdigen geschäft…
Britta Stahl 2. Dezember 2009 um 9:23
Dachte, es ist vielleicht einfach nur eine Aktion, um die zurückgehenden Zahlen an Abonnementen aufzuhalten und die Auflage wenigstens zu stabilisieren. Aber wenn diese Praxis schon seit über 10 Jahren betrieben wird, kann es im Umkehrschluss nur heißen – es rechnet sich!
Ralph 2. Dezember 2009 um 9:24
Verstehe ich nicht – warum regen sich hier alle darueber auf, dass eine Zeitung marktwirtschaftlich gaengige Methoden anwendet? Den Werbekunden kann es doch egal sein, ob einer das Blatt gekauft hat oder im Flugzeug gratis liest.
Dirk 2. Dezember 2009 um 10:33
Hier ein ähnliches Beispiel von der WAZ:
„Machen Sie mit bei der großen Weihnachtsumfrage.! … Ihr großes Dankeschön-Paket für Teilnehmer:
* Sie lesen 6 Wochen die WAZ für nur 16,95 € mit über 50% Ersparnis!
Kein Risiko – die Belieferung endet automatisch.
*10-Euro-Gutschein von Tchibo oder Elch-Nussknacker als Geschenk!
* Ihr Gewinnchance auf einen 42“-LCD-Fernseher von Philips!
Nicht über 2 Jahre angelegt aber ebenfalls platte Fragen.
Siehe dazu auch: https://waz.jetztlesen.de/weihnachtsumfrage
Medienjunkie 4. Dezember 2009 um 19:39
Die „Rheinische Post“ wollte mir drei Monate lang den „Spiegel“, „Stern“ oder die „Hörzu“ kostenlos schicken, wenn ich so lange auch ihr Blatt abonniere. Da frage ich mich: Wie verzweifelt müssen Zeitungsverlage inzwischen sein? Wobei ich jetzt nicht weiß, ob der Verlag der RP für die Zeitschriften bezahlen muss oder ob die irgendeinen Gratis-Deal mit den Zeitschriftenverlagen haben. Vielleicht bekommt man ja umgekehrt auch drei Monate eine Lokalzeitung dazu, wenn man den „Spiegel“ abonniert?
Spritkopf 5. Dezember 2009 um 12:39
Naja, den allerbesten Eindruck machen solche Angebote in der Tat nicht. Aber solange man ihnen klar entnehmen kann, daß man ein Tageszeitungsabonnement abschließt, halte ich es nicht für anrüchig. Auch nicht gegenüber den Werbekunden, denn der Leser hat die Zeitung bezahlt, wenn auch stark rabattiert. Folglich wird er sie zumindest in Teilen lesen und nicht der direkten Beförderung vom Briefkasten ins Altpapier anheimfallen lassen, wie das den Gratisblättern oft passiert.
Viel interessanter ist für mich die Frage, wie lange die Werbetreibenden noch die von einigen Vorpostern angesprochenen sonstigen Vernebelungstaktiken rund um die Auflagezahlen mitmachen werden.
Ania 9. Dezember 2009 um 11:35
Es ist nichts Verwerfliches, dem Kunden ein Abo anzubieten und ihm dieses „schmackhaft“ zu machen …
Das Ärgerliche an diesen Briefen ist, dass die Argumenation verlogen ist: Tu etwas für mich (Fragebogen), dann schenke ich dir etwas.
Professionelle Texter müssen eigentlich wissen, dass sie damit viele Kunden verärgern …