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In Mulfingen-Hollenbach geht manches gemächlicher. Auf halber Strecke zwischen Heilbronn und Würzburg ist das Leben ein ruhiger Fluss, die Ortschronik listet als letztes bedeutendes Ereignis den Umbau der Dreschhalle zum Dorfgemeinschaftshaus. Das war 1998.

Vielleicht ist auch heute noch die Welt in Ordnung in Hollenbach. Herauszufinden ist das nicht, der Sportartikelhersteller Jako schweigt. Er sagt nichts zu dem Sturm, der ihn seit Dienstag umtost. Nichts zu den 24 Stunden, die das Unternehmen zum Lehrstück machen, wie Firmen im digitalen Zeitalter nicht kommunizieren sollten. Nichts zu seiner nachhaltigen Imageschädigung.

Die Geschichte beginnt am 15. April. Da veröffentlicht das Sport-Blog Trainer Baade eine böse Kritik am neuen Logo von Jako. Das Wort „Scheiße“ fällt und der Vergleich mit Discount-Lebensmittelhändlern. Rund 400 Menschen lesen den Artikel. Vielleicht sind es auch 505, dann wäre es so viele, wie Mulfingen-Hollenbach Einwohner zählt.

Dazu muss man wissen, dass Jako eher nicht zur bel étage der Fußball-Trikot-Hersteller gehört. 1989 wurde das Familienunternehmen gegründet von Rudi Sprügel. Der stürmte einst eine Saison lang für die Kickers Würzburg in der Zweiten Liga. 18 Spiele, kein Tor.

Erfolgreicher ist er mit Jako. Als die großen Hersteller wie Adidas für kleine Clubs immer teurer wurden, wird Sprügel zum Preisbrecher. Nicht überall sind seine Produkte beliebt. Als „komische Pflaume“ bezeichnete Werder-Bremen-Torhüter Tim Wiese einmal den Jako-Ball. Das bremst den Hersteller nicht: 2008 setzte Jako 63,5 Mio. Euro um, 19 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Jahresüberschuss lag bei 1,4 Mio. Euro. 80 Prozent der Fertigung erledigt ein Joint-Venture-Partner in China.

Sechs Wochen nach jenem Blog-Eintrag verkünden die Anwälte Jakos, die Neckarsulmer Kanzlei Horn & Kollegen, das Unternehmen sei geschädigt worden. Sie schicken dem Autoren Frank Baade eine Unterlassungserklärung und eine Kostennote über 1085 Euro. Baade will keinen Ärger. Sein Anwalt verhandelt, am Ende zahlt er 400 Euro und unterschreibt die Erklärung. Im August ein neues Schreiben: Der automatisierte Nachrichtenaggregator Newstin hat einen kleinen Auszug des Blog-Eintrags noch gespeichert. Nun soll Baade 5 100 Euro zahlen – plus Anwaltskosten.

Als Kai Pahl, Autor des viel gelesenen Sportblogs „Alles außer Sport“, davon erfährt, platzt ihm der Kragen. Er schreibt einen Artikel unter der Schlagzeile: „Wie Jako anderen Leuten das letzte Trikot auszieht“. Es ist Dienstag, früher Morgen.

Was folgt, heißt „Streisand-Effekt“. Einst zog Barbara Streisand vor Gericht, um ein Luftbild ihres Strandhauses entfernen zu lassen – der Prozess sorgte für so viel Wirbel, dass ihre Adresse erst richtig publik wurde.

Einen halben Tag später ist Jako die neue Streisand. Über 80 Einträge in anderen Blogs, über 600 Nachrichten über Twitter beschäftigen sich ebenfalls mit dem Fall.

Stunde um Stunde schlagen am Dienstag die digitalen Wellen höher. Eine sechsstellige Zahl von Menschen dürfte an diesem Tag vom Streit erfahren. Noch am Nachmittag findet die Sache Niederschlag im Wikipedia-Eintrag der Jako AG.

Auch die Fans von Eintracht Frankfurt bekommen die Sache mit – dort ist Jako seit Jahren Ausstatter. Im Fan-Forum laufen über 120 Kommentare zum Thema auf, dann wird die Diskussion so heiß, dass keine neuen Einträge mehr erlaubt werden. Und die Eintracht-Fan-Seite Blog G schreibt: „Vielleicht denkt der Kunde daran, wenn er beim nächsten Mal im Shop vor der Entscheidung steht, 70 Euro für ein Trikot der Eintracht mit dem Logo der Firma Jako auszugeben.“

Aus einem Image wird ein Umsatzproblem. Vor allem über Twitter finden fragt mancher offen, ob ein Kaufboykott den vermeintlichen Bösen in die Knie zwingen kann, desgleichen meckern viele in Fußball-Fanforen über die Qualität der Produkte.

Und Jako? Schweigt. Man befinde sich in Verhandlungen mit Baade, richtet die zuständige Marketing-Frau aus – eine Presseabteilung existiert nicht: „Wir geben derzeit keine weiteren Informationen heraus.“ Und: „Vielen Dank für ihr Interesse.“

Frank Baade dagegen verrät: Die zweite Forderung über 5 100 Euro hat Jako schon fallen lassen. Auch die erste könne man vergessen, wenn Baade einen Blog-Artikel veröffentliche, in dem er dem Unternehmen ein freundliches Verhalten bescheinige. „Aber das stimmt einfach nicht“, sagt Baade: „Die sind nur eingeknickt, weil es eine Öffentlichkeit gibt.“ Nun wartet er ab.

Nicht einmal 24 Stunden brauchte der Trikothersteller, um zum Fallbeispiel für Öffentlichkeitsarbeit im digitalen Zeitalter zu werden. Hätte Jakos Anwältin – die Mediation als Kompetenzen angibt – einfach mal angerufen vor der Abmahnung, all das wäre nicht passiert, findet Björn Ognibeni, freier Berater in Sachen Social Media. Er sieht für Jako nur eine Chance: „Ein ordentliches mea culpa und die Sache könnte durch sein.“ Nur: Weil Jako so lange gewartet hat, wird diese Entschuldigung immer schwerer: „Sie muss in allen Blogs und Foren erfolgen, bei denen die Sache ein Thema war. Die aufzuspüren und sich bei Foren anzumelden – das ist eine Menge Arbeit.“ Eines dagegen wird wohl gar nicht möglich sein: „Es ist fraglich, ob es gelingt, den Google-Eintrag reinzuwaschen.“

Gestern Nachmittag bezogen sich vier der ersten zehn Google-Treffer beim Suchwort „Jako“ auf die Affaire – und sie klettern kontinuierlich nach oben. Gestern erreichte die Geschichte Medien wie Spiegel Online. Und irgendwann, das dürfte sicher sein, wird auch in Mulfingen-Hollenbach erkannt, was da passiert ist.


Kommentare


Ralf Bohle/Schwalbe mahnt Toms Bike Corner ab 6. Mai 2010 um 10:42

[…] Solche Fälle sind nicht neu. Gern erinnern wir uns an das Versagen des Sportartikelherstellers Jako im Kampf gegen das Sportblog …. […]

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