Die Wahrnehmung von Personen und Institutionen durch die Öffentlichkeit verläuft oft Sinus-kurvigen Popularitätsschwankungen, die entstehen durch Medienberichte und Äußerungen prominenter Menschen.
Heute finden sich gleich zwei Beispiele dafür, dass bei einem solchen Wellen-Verlauf eine Änderung des Verhaltens dringend nötig ist, um nicht abzustürzen. Diese beiden Fälle haben erst einmal nichts miteinander zu tun: einerseits die Bundesregierung, andererseits die Zeitungsverlage.
Die beiden Fälle haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun außer eines falschen Vorgehens ihrer handelnden Köpfe. Was denkt sich einer wie wie Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, in dem Moment, da er so etwas sagt? Gar nichts? Denkt er gar nichts, wenn er mit der ARD-Tagesschau spricht? Oder bricht sich in ihm eine Gutsherrenmentalität Bahn, die mit einer freien, bürgerlichen Demokratie kaum vereinbar scheint?
Jedenfalls hat zu Guttenberg den Erfolg der Online-Petition gegen jene Internet-Sperren, die angeblich gegen Kinderpornographie helfen sollen, so kommentiert:
„Das macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben. Das ist nun wirklich eines der wichtigsten Vorhaben in vielerlei Hinsicht.“
Und auch in Ursula von der Leyens Haus scheint die Ablehnung zehntausender Bürger eher Ekel und Wut zu erzeugen, denn demokratische Gefühle.
Solch eine Haltung muss man sich leisten können. Man kann sie sich leisten, so lange die Popularitätskurve nach oben geht. Doch das ändert sich im konkreten Fall derzeit. Denn so mancher Journalist hat die Nase nun voll von der PR-Maschine von der Leyen. Mit einem Mal verschiebt sich die Berichterstattung Stück für Stück. Die „Süddeutsche Zeitung“ war die erste, die kritisch über jene Web-Sperren schrieb. Nun folgen in diesen Tagen viele andere. Zum Beispiel Zeit.de:
„…derzeit sieht es nicht so aus, als seien viele Politiker bereit, Stimmen aus dem Internet als das zu begreifen, was sie sind: Meinungen ihrer Wähler.
Dabei geht es nicht darum, dass die Parteien im Bundestag der Meinung der Mehrheit folgen sollen. So ist unsere Demokratie nicht aufgebaut. Sie soll jedoch einen Ausgleich finden zwischen den verschiedenen Interessen, soll den besten Weg suchen. Kritik einfach wegzuwischen, sie als unsinnig abzutun und die Kritiker zu beschimpfen, können die Autoren des Grundgesetzes nicht gemeint haben, als sie unser parlamentarisches Regierungssystem schufen.
Übrigens: Inzwischen haben die Petition mehr als 66.000 Menschen mit vollem Namen unterzeichnet. 66.000 potenzielle Wähler, die noch hoffen, dass sich die Politik für ihre Meinung interessiert.“
Oder der „Tagesspiegel“ (sogar in Gestalt seines Chefredakteurs Lorenz Maroldt):
„Unter dieser Regierung wird der Staat zur Moralinstanz – er maßt sich an, darüber zu richten, was gut ist und schlecht. Damit aber löst der Staat kein Problem. Er wird selber zu einem.“
Oder die „Frankfurter Rundschau“:„Zigtausende paranoide Bürger listet der Bundestag derzeit im Internet auf, und stündlich werden es mehr. So jedenfalls muss man die Union verstehen, wenn sie behauptet, nur Verschwörungstheoretiker würden in dem geplanten Gesetz zur Sperrung von Kinderporno-Seiten den Einstieg in die Zensur des Internets sehen.“
Mit dem Einstieg der Medien ist die Wende in der Popularitätswahrnehmung von der Leyens, vielleicht gar der ganzen CDU, erreicht. Das wird Folgen haben. Im für die Familienministerin günstigsten Fall wird das Thema Internetsperre erstmal von der Agenda genommen. Im ungünstigsten Fall wird von der Leyen selbst als Beton an den Füßen des Wahlkampfes identifiziert – und abgeworfen.
Ironischerweise sind es gerade die Medien, die diese Wende einleiten. Denn sie selbst könnten bald jene Achterbahnfahrt der Popularität erleben. Mit viel Geheul warnen gerade Tageszeitungen derzeit vor ihrem eigenen Untergang. Zeitungen seien doch so wichtig, jammern sie, und haben natürlich nicht Unrecht, zumindest was den Journalismus und seine Rolle für die Gesellschaft betrifft.
Doch ist die Vehemenz mit der sie selbst beteuern, auf dem rechten Weg zu sein, von solcher Penetranz und Selbstkritiklosigkeit, dass der Rückschlag nur eine Frage der Zeit sein wird. Ein erstes Anzeichen ist es, wenn ein renommierter Medienforscher wie Otfried Jarren von der Uni Zürich in den Ring steigt. Bei Carta schreibt er:
„Ausgerechnet die Presse aber hat sich gegen eine breite Debatte über ihre Zukunft versperrt: Nur Wenige durften etwas zur Verlags- und Journalismusentwicklung sagen, und zwar in den eigenen Publikationen. Hier gibt es eine eigentümliche heimliche Koalition zwischen Journalisten und ihren Verlegern: Sie jammern über die ach so schlimmen Verhältnisse. Sie lassen aber andere nicht oder nur selten über sich sprechen. Die Presse verbot sich die Debatte in eigener Sache. Erst jetzt – in der Krise – wird mit der Debatte begonnen.“
Doch beginnt sie tatsächlich? Gut, ein paar Selbstkritiker gibt es, wie Matthias Wulff von der „Welt am Sonntag“. Doch die Flut von Veröffentlichungen zum Tag des Urheberrechts, das kommunikative Vorbereiten eines aus demokratischer Sicht irrwitzigen Leistungsschutzrechtes für Verleger – all das wirkt ein paar Minuten. Und bald schon werden die Bürger, Menschen, Medienkunden sich selbst ihr Bild gemacht haben. Und dann wird es den Verlegern mit ihren Kunden gehen, wie Ursula von der Leyen mit den Wählern: Sie werden sich kopfschüttelnd abwenden.
Kommentare
Marc B. 11. Mai 2009 um 18:07
Das – oder besser wir – sind genau die Multiplikatoren im Netz, deren Engagement die großen Parteien im Obama-Wahlkampf so bewundert haben.
Was passiert eigentlich in den Köpfen von Frau von der Leyen oder Herrn Guttenberg, wenn sie exakt diese Zielgruppe in dieser brüsken Form vor den Kopf stoßen. Sie verderben gerade einer kompletten Generation technisch kompetenter Menschen das Bild von Demokratie und politischem Engagement.
Muss nicht langsam der CDU-Wahlkampfmanager Profalla die Reißleine ziehen oder hat er Wähler unter 40 schon abgeschrieben?
Fabian 11. Mai 2009 um 18:15
@Marc B.
Nach Michael Spreng zu urteilen, ist Pofalla selbst das Problem.
http://www.sprengsatz.de/
rml 11. Mai 2009 um 22:20
Herrlicher Text. Hätte mehr Kommentare verdient. Vielleicht aber auch ein gutes Zeichen.
gruss,
robin
lupe 12. Mai 2009 um 11:19
Die Zeit irrt hier:
\“… 66.000 potenzielle Wähler, die noch hoffen, dass sich die Politik für ihre Meinung interessiert.\“
Das ist Kammschererei. Ich habe die Petition unterschrieben und bin bekennender Nichtwähler. Es ist unwahrscheinlich, dass ich jemals wählen gehe.
Die Menschen, die Deutschen, die Wähler; dieses Über-Einen-Kamm-Scheren hat unfassbare Ausmaße angenommen, und ist auch in den letzten Sätzen des Blogeintrages vorhanden. Ich mahne zur Vorsicht!
Günter Fiedrich 12. Mai 2009 um 12:42
Natürlich brauchen wir mehr Staat, um über \“schlecht\“ zu entscheiden, wie z.B. gegen die Kinderpornografie, aber auch gegen solche Artikel wie diesen hier, in welchen unter dem Vorwand der Demokratie der schlechten Sache letztlich Vorschub geleistet wird.
Hans 12. Mai 2009 um 13:52
Diese Aussagen sind KEIN Versehen. Die Journalisten und Politiker sind doch nicht dumm. Die wollen Sachverhalte in ein anderes Licht zerren und nehmen es in Kauf eine Wählerminderheit auf eine bestimmte Art und Weise darzustellen um bei der Wählermehrheit zu punkten.
Das ausgerechnet bei diesem Thema der Schuß nach hinten losgehen kann, damit haben sie wohl nicht gerechnet. Die Bürger der BRD sind anscheinend noch nicht so dumm, wie sie die Politikerkaste gerne haben will (z.B. asoziale Selektion durch Studiengebühren)
Media Addicted 12. Mai 2009 um 13:56
Herr Friedrich,
Ihnen scheint -wie bisher leider auch allen Politikern- jedwedes technische Know-How zu fehlen, um beurteilen zu können, zu was die geplanten Maßnahmen führen würden.
Sie liegen also nicht nur mit Ihrer Aussage falsch, sondern sind nicht in der Lage, in diesem speziellen Fall überhaupt \“gut\“ von \“schlecht\“ zu unterscheiden.
MfG.
Thomas Knüwer 12. Mai 2009 um 14:05
@Günter Fiedrich: Dagegen verwehre ich mich. Die beschlossene Internet-Filterung hilft so sehr im Kampf gegen Kinderpornographie wie ein Verbot, auf Straßen zu gucken gegen Auffahrunfälle helfen würde. Gleichzeitig verstößt sie gegen rechtsstaatliche Grundsätze.
Aber gerne freue ich mich auf mehr Argumente von Ihrer Seite.
Sebastian Keil 12. Mai 2009 um 16:40
Stimmen aus dem Internet, das hört sich für Politiker und die meisten Journalisten leider immer noch an wie Stimmen aus dem Ghetto, oder aus dem Keller.
Ich befürchte das Brett ist noch viel dicker als angenommen.
Hans Kolpak 12. Mai 2009 um 17:27
Sehr geehrter Herr Knüwer,
Ihr Blogbeitrag verdient Beachtung über den Tag hinaus. Ich behaupte sogar: In einigen Jahren noch wird er lesenswert sein!
Doch was geschieht, wenn der Fauxpas des Karl-Theodor zu Guttenberg zwar aufgezeichnet, aber nicht ausgestrahlt wird, weil seine Äußerung einfach nur peinlich ist?
Das Wahrnehmen von Interessen, das Ausüben von Macht ist nicht an die Popularität von prominenten Personen gebunden. Sie sind alle austauschbar. Gemessen an der Erfahrung und an der Qualifikation, die eine Position erfordert, kann unserem Volk mehr Gutes getan werden, als populistisch agierende Marionetten erahnen. Doch die Puppenspieler wollen es so. Dabei gibt es genug freiberufliche Fachkräfte, die politische Ghostwriter beraten können, damit die Kommunikation mit dem Wahlvolk optimiert verläuft. Schauspieler jedenfalls eignen sich besser für die Politik als Gutsherren.
Oliver Knittel: \“Der als Projekt Management Professional zertifizierte Projektmanager schafft Vertrauen beim Kunden und ist mit den aktuellen Projektmanagementmethoden bestens vertraut. Nach außen dient die Zertifizierung als Qualitätssignal am Markt. Innerhalb von Projekten ist sie ein Garant für die qualifizierte Unterstützung von Projektmitarbeitern, die an den Projekterfolgen maßgeblich beteiligt sind.\“ Was für Unternehmen gilt, gilt erst recht für den Staat. Wir sind der Staat.
Mich erstaunt immer wieder die Fähigkeit von Journalisten, im Großen und Ganzen dem Mainstream zu folgen und Agenturmeldungen unreflektiert zu übernehmen, aber im Einzelfall einen Versuchsballon aufsteigen zu lassen, um zu sehen, ob daraus ein Trend erwächst. Sie liefern selbst ein wunderbares Beispiel.
Ist es nicht auch Opportunismus der schreibenden Zunft, wenn das Internetvolk Öffentlichkeit erzeugt und Journalisten diesen Bürgern hinterherlaufen, um sich fahneschwenkend vor den Protestierenden zu positionieren? Denn nur so läßt sich die öffentliche Meinung wieder in den Griff kriegen. Der Verschleiß an populären Personen und der Zenit ihrer Popularität ist nur ein Nebenschauplatz im Orchestergraben. Die eigentliche Handlung einer Operette findet immer auf der Bühne statt – inklusive Souffleur oder Souffleuse.
Hans Kolpak
stk 12. Mai 2009 um 19:38
Wenn ich ehrlich bin, ist es fuer mich eigentlich zweitrangig, ob die Medienwelt fuer oder gegen Sache XY ist, egal welcher Meinung ich selbst bin. Redakteure moegen einzelne Argumente verschiedentlich gewichten, das ist ihr gutes Recht, ebenso eine eigene Meinung zu haben.
Was mich in diesem Zusammenhang aber zornig macht, sind diejenigen Medien, die den Standpunkt zu waehlen scheinen, mit dem sie bei der durchschnittlichen Leserschaft am meisten punkten koennen und bekanntermassen falsche Meldungen zur Untermauerung ihrer Ansichten verwenden.
So geschehen aktuell in meinem Heimatblatt in Sachen Zensursula. An sich nicht schlimm. Man kann ja darauf hinweisen, dass hier ungeprueft widerlegbare Zahlen kolportiert wurden. Was mich _dann_ aber noch viel zorniger macht ist, daraufhin nur einen substanzlosen Standardtext zur Antwort zu bekommen, ohne auf die angesprochenen Kritikpunkte auch nur annaehernd einzugehen. Auch auf erneute Rueckfrage — keine Antwort. (siehe http://stefan.bloggt.es/2009/04/es-gibt-journalisten-die-fuer-zensur-sind/)
Und da fragt man sich ernsthaft, warum der Journalismus in der Krise scheint?
Thomas 12. Mai 2009 um 21:56
@lupe:
Deswegen schreibt zeit.de ja auch von \“potenziellen\“ Wählern. Denn das sind Sie – ob Sie wollen, oder nicht.
Markus 12. Mai 2009 um 23:40
@ Marc B: \“Muss nicht langsam der CDU-Wahlkampfmanager Profalla die Reißleine ziehen oder hat er Wähler unter 40 schon abgeschrieben?\“
Meiner Meinung nach ja, auch wenn ich es nicht unbedingt am Alter festmachen würde, wie netzaffin jemand ist, sondern eher vom Charakter, Beruf und Bildungsstand.
Fakt ist zumindest, dass bei der letzen Bundestagswahl der Anteil der CDU Wähler mit dem Alter zunahm:
http://stat.tagesschau.de/wahlarchiv/wid246/umfragealter0.shtml
Daher war die Regierung bei der Sicherung der Renten auch ganz schnell, mit Internetthemen kann man dort nämlich kaum Stimmen holen.
@lupe: Nichtwähler zu sein, ist eine Möglichkeit mit der Politik umzugehen – meiner Meinung nach aber die falsche. Wie haben sich denn die Amerikaner letztes Jahr bei der Wahl verhalten ? Alle nicht mehr wählen gegangen, weil sie die Regierung blöd fanden ? Nein – im Gegenteil – sie haben eine neue gewählt, der sie neues Vertrauen schenken konnten.
Dieses Jahr haben auch wir in Deutschland die Chance das zu tun. Gefällt die Politik der Regierung nicht, wählt man eine neue und schafft nicht das Regieren ab !
Vielleicht magst du bei den großen Volksparteien keine finden, die du unterstützenswert findest – dann schau dich doch mal bei den Kleinparteien um. Die haben zwar keine realistische Chance, die 5% zu packen, aber schon genug Wählerstimmen für die Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung wären ein Erfolg für uns.
Falls du auch hier keine unterstützenswerten Parteien findest: Engagiere dich selbst in der Politik und bring deine Ideen und Wünsche ein !
Ben 13. Mai 2009 um 12:00
@MArkus,
Zustimmung. Zudem glaube ich, dass die großen Parteien sehr genau wahrnehmen, welche der sehr kleinen Parteien Stimmengewinne verzeichnen, d.h. welche Interessen manche Wähler nicht bei den großen Pareien vertreten sehen.
Wer nicht wählen geht, zeigt ja auch, dass er kein Problem damit hätte egal, ob nun NPD, LINKE oder FDP den / die KanzlerIn stellen.
Vor nichts haben Politiker so viel Angst, wie nicht wieder gewählt zu werden. Schreibt Eure Bundestagsgabgeordneten wegen einer Meinung bei Abgeordnetenwatch.de an und gebt an, die Anfrage unter 20 Freunden per Mail verteilt zu haben. Die Reaktion kommt garantiert. So funktioniert Demokatie. Wer sie nicht will wandere bitte nach Somalia aus – dort hat er keinen Staat und natürlich auch keine Demokratie.