Das Internet bietet eine immense Möglichkeit, sich bekanntzumachen. Es braucht nicht viel Geld dazu. Wer eine gute Idee hat, kann sie mit wenig Einsatz verwirklichen und wenn sie die Menschen begeistert, dann wird es ein Erfolg.
Nehmen wir nur einmal den Videocast Diggnation, dessen Aufzeichnung ich kürzlich in London verfolgte.. Oder die wunderbare Frau Schnutinger, die durch ihre Internet-Präsenz zur Cartoon-Buch-Autorin und bezahlten Video-Casterin wurde.. Jüngst, auf dem Zukunftskongress Picnic, diskutierten gleich eine Reihe von Plattformen auf dem Podium, über die Menschen mit Talent ihre Werke verbreiten können.. Beispiel Sellaband: Wer würde glauben, dass innerhalb eines Jahres 25 unbekannte Bands jeweils 50.000 Dollar zusammenbekommen könnten, um ihr erstes Album zu produzieren?
Im Internet geht viel. Man braucht allerdings Kreativität. Womit wir einen Moment innehalten für eine Branche, die per Pressemitteilung die eigene Kapitulation vor der neuen Zeit verbreitet: die Zeitschriften-Verleger. Ich frage mich, ob Hubert Burda wohl gelegentlich auch terrorisiert wird von Call-Center-Anrufern, die ihm freudig mitteilen, er habe doch kürzlich an einem Gewinnspiel teilgenommen. Da habe er zwar nicht gewonnen, aber er bekomme ein Wochenende in Spanien, wenn er ein Abo für „Focus“ oder „Bunte“ abschließt. Vielleicht ja. Vielleicht aber ist bei der Tochter seines Konzerns, die als Adresshändler fungiert, die Nummer des Häuptlings außen vor.
Ist sie das nicht, könnte es für die Einsicht sorgen, dass die Idee, Verbraucher mit unerwünschten Anrufen und Postkarten zu belästigen und dies damit zu erklären, sie hätten irgendwann an ominösen Verlosungen teilgenommen, nicht so richtig gut und nett ist.
Allein: Es scheint für die Zeitschriftenbranche die einzige Möglichkeit zu sein, überhaupt noch Abos zu verkaufen. In einer Pressemitteilung demonstriert der Branchenverband VDZ sein tiefe Trostlosigkeit. Er fordert, den Adresshandel ja nicht zu verbieten. Geschäftsführer Wolfgang Fürstner:
„Die persönliche schriftliche Ansprache potenzieller Leser ist eine essenzielle Säule der Pressefreiheit in marktwirtschaftlichen Demokratien. Wenn es den Zeitschriften weitgehend unmöglich gemacht wird, den an den jeweiligen Themen wie Erziehung, Auto etc. interessierten Leserkreis gezielt anzuschreiben, bedeutet das das Ende einer der wichtigsten Formen des Vertriebs für das Kulturgut Presse.“
Mein Herz umklammert sich in Trauer ob solcher Aussagen. Wenn der einzige Ausweg einer Branche der ist, die Verbraucher mit unerwünschter – und die irrwitzig hohen Streuverluste demonstrieren die Unerwünschtheit – Werbung zu behageln, dann stellt sich die Frage nach ihrer Zukunftsfähigkeit.
Natürlich halten sich die Verlage an den Datenschutz, behauptet der VDZ. Nur: Der Zusammenhang zwischen steigender Werbepost aus Verlagen und dem vorher liegenden Abschluss eines Abos legt den Verdacht nah, dass das Kleingedruckte der Abo-Verträge verdammt klein gedruckt ist.
Nun könnte ich die VDZ-Jammerei verstehen, hätten die Verlage wenigstens versucht, im Internet die Kommunikation mit ihren Kunden aufzunehmen. Doch genau das tun sie ja nicht. Wer potenzielle Käufer für sein Produkt begeister will, muss mehr tun, als online-journalistisch (zur Qualität des Online-Journalismus lesen Sie bitte aktuell bei Herrn Niggemeier) tätig zu werden.
Zeitschriften sind Marken. Und Marken müssen lernen, zu kommunizieren. Es gibt in fast allen Social Networks Fan-Foren von Medienprodukten. Fast nie aber sind sie ins Leben gerufen worden von Verlagen. Häufig wissen die Verlage nicht mal, dass es diese Gruppen gibt. Hier sind die Kunden, hier ließe sich kommunizieren. Das würde dann vielleicht auch den einen oder anderen Tausender für ergebnislos dahin mäandernde Fokusgruppen sparen.
Das gleiche betrifft die Ansprache von Noch-Nicht-Kunden in bestimmten Themengebieten. Wo sponsert denn ein Verlag mal ein Diskussionsforum? Wo ist die Redaktion aktiv, um interessante Themen zu verbreiten, sich bekanntzumachen?
All das braucht Kreativität und Flexibilität. Es ist erheblich mühsamer als das plumpe Versenden von Massenpost. Aber es wird auf Dauer der einzig gangbare Weg für Marken sein – auch für Verlagsmarken.
Deshalb ist dem VDZ genau das zu wünschen, was er verhindern will: das Verbot des Adresshandels. Not erzeugt noch immer das höchste Maß an Kreativität.
Kommentare
Stefan 22. Oktober 2008 um 11:51
Das Internet ist sicherlich ein gutes Kommunikationsmedium. Allerdings findet man viele Zielgruppen nicht oder nur sehr bedingt im Internet. Eine \“Focus-Fan-Gruppe\“ auf Facebook bietet sicherlich die Möglichkeit mit einem Teil der Zielgruppe zu kommunizieren, sicherlich aber nur einem sehr kleinen.
Das Internet hat den Weg mit Sicherheit schon in viele, viele Winkel des alltäglichen Lebens gefunden, jedoch noch lange nicht in alle Winkel. Auch können viele Zielpersonen über das Internet einfach noch nicht erreicht werden, die durch herkömmliche Mailings nicht erreicht werden können.
ralf schwartz, mediaclinique 22. Oktober 2008 um 12:04
Ich versteh die Verlage auch nicht mehr. Die müssen doch merken, daß es so nicht weitergeht. In 2 Jahren brauchen die auch einen Bailout-Plan.
Auf der einen Seite diese Abo-Drückmaschine, auf der anderen Seite die Clickgier und schlechte Qualität – daß keiner auf die Idee kommt, daß es da Zusammenhänge gibt!?
Alle wurschteln nur weiter vor sich hin, statt den Gordischen Knoten endlich zu durchtrennen.
> siehe auch (zu den Abos): \“Wie verzweifelt muß Gruner & Jahr sein!?\“, 25.09.2008
\“Wenn selbst G&J den Hanseatischen Kaufmann über Bord wirft, dann weiß man, da ist was faul im Staate. Die Abo-See wird rauer. Jetzt bieten sie über eine trickreiche Anmache 7 Hotelnächte für den Abschluß eines 37-Euro-Abos. Enttäuschend.\“, etc.
http://ralfschwartz.typepad.com/mc/2008/09/gruner-jahr.html
mark793 22. Oktober 2008 um 13:29
Auf der einen Seite diese Abo-Drückmaschine, auf der anderen Seite die Clickgier und schlechte Qualität – daß keiner auf die Idee kommt, daß es da Zusammenhänge gibt!?
Vermutlich schon. Nur welche? Da lese ich grad bei der sehr von mir geschätzten Anke Gröner das hier:
Vielleicht ist das ein Werberproblem, aber ich nehme beide Publikationen (Print und Online) als eins wahr. Und wenn die Onlineausgabe grottig ist, habe ich ein Problem damit, die Printausgabe noch ernst zu nehmen. Ich habe mein SZ-Abo gekündigt, weil ich sueddeutsche.de unter aller Würde finde. Und ich weiß nicht, warum eine so gute Zeitung wie die SZ es nicht schafft, ein entsprechendes Onlineangebot hinzukriegen.
Äh, da komm ich jetzt nicht mehr so ganz mit. Vielleicht liegts ja daran, dass ich kein Werber bin, aber ich nehme eine Zeitung, für die ich bezahle, und ein Online-Angebot, das ich ohne Entgelt anklicke, nicht als eins wahr. Und eigentlich finde ich es fast ein bisschen idiotisch, den Verlagsteil, der ein gutes Produkt macht, für den Müll des Schwesterprodukts zu betrafen. Hey, vielleicht ist die Zeitung ja nur so gut, weil die Süddeutschen nicht unnötig viel Geld mit ihrem Internet-Auftritt verlochen? Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur eins: Dass BMW auch einen lächerlichen Kabinenroller im Sortiment hat, trübt meine Freude am Fahren im Darkmobil ehrlich gesagt nicht im geringsten.
Lucy 22. Oktober 2008 um 14:20
Mir scheint für Zeitschriftenverlage gilt halt die einfache Rechnung: Abonnementenzahlen generieren Werbeeinnahmen im Blatt, alles andere ist uninteressant.
Wie in Deutschland diesem Denken alles untergeordnet wird, sieht man sehr schön an der deutschen Webseite des Burda Modemagazins http://burdafashion.com. Da gibt es zwar Foren, Blogs, nicht sehr ansprechend, aber immerhin. Sie sind aber nur das Drumherum für den eigentlichen Zweck: Auch um die Vorschau für das kommende Heft ansehen zu dürfen, also letztlich die Werbung für das Produkt, das Burda verkaufen will, muss man sich anmelden – mit vollem Namen, Adresse, Telefon und sogar Geburtsdatum. Keinerlei Datenschutzhinweise. Herr Burda denkt vermutlich, dass er so mit wenig Aufwand seine Adressdatenbank füllt, um noch mehr Werbemüll zielgruppengerecht versenden zu können. Auf den Gedanken, dass jeder, der noch ganz bei Trost ist, dort falsche Daten angibt, sind die Burdas offenbar noch nicht gekommen.
Erstaunlicherweise gibt es eine englischsprachige Burda-Webseite, die in den USA erstellt wird http://burdastyle.com, um die sich in recht kurzer Zeit tatsächlich eine Community gebildet hat. Zur Anmeldung (und dem größtenteils kostenlosen Herunterladen von Schnittmustern) genügt eine Emailadresse. Wenn man den Newsletter abbestellt, wird man tatsächlich nie wieder kontaktiert, weder von Burda noch von anderen. Warum das so – Stichwort Leserbindung – in Deutschland nicht auch gemacht wird, will mir nicht in den Kopf.
DJ Sebi aka Freak@Work 22. Oktober 2008 um 14:32
Es stimmt schon das man den Online Markt ausweiten sollte ! Ich z.B. lese nicht eine zeitung ich mach das alles Online weil ich während der arbeit nich einfach die Zeitung aufschlagen kann und mich da gemütlich hinsetzen! Schnell mal online gehn und nebeher lesen .. ok Die meisten \“Online Zeitungen\“ sind zwar schlecht aufgezogen etc aber ich finde es reicht vollkommen ich will ja kein multimedia portal habn sondern einfach nur Nachrichten lesen!
ralf schwartz, mediaclinique 22. Oktober 2008 um 14:48
@Lucy: Das muß man bei Burda so sehen: Hubert hat sich die 9Live-Telephon-Dame Christiane Hansen-zu Salm-Kofler eingekauft, die Ordnung in seinen Online-Laden bringen soll – und das macht sie jetzt mit der ihr eigenen Gründlichkeit. Frischer Wind und neue Besen sind immer gut. Sonst geht es ja auch nicht voran. Wenn sie sich nur nicht in der falschen Wade verbeißen.
Für einen guten Click muß man schon mal über manche Leiche steigen.
Horst 22. Oktober 2008 um 15:27
Puhh, da wirft einer aus dem Glashaus mit Steinen. Vielleicht sollte der autor mal in seiner eigenen Verlagseitung nachfragen, wie und mit welchen Adressen aus welchen Quellen da Abomarketing gemacht wird…
Maik 23. Oktober 2008 um 3:14
Solange es Leute gibt, die diesen Schund (was anderes ist es nicht, was z. B. am Telefon angeboten wird) kaufen, wird es auch Firmen geben, die diese Form des \“Marketings\“ als Allheilmittel ansehen.
Da ist ein Umdenken des Verbrauchers gefragt. Nur wer macht das einer einsamen Rentnerin klar…
Patrick 23. Oktober 2008 um 12:45
Als ob Datenakquise und Zielgruppenmarketing nicht gerade im Internet schein bar DAS Geschäftskonzept wäre.
Oder warum hat Holtzbrinck eine \“mittlere, zweistellige Millionensumme\“ für StudiVZ gezahlt?
Gratis-Zeitungsanzeigen für alle! 8. Februar 2011 um 19:18
[…] Mit diesem forderten die Verleger einst den Erhalt des Listenprivilegs. Ohne die Weitergabe von Adresse, so ihr unfassbares Argument, könnten sie nicht überleben. Und sie bekamen, was sie wollten. […]
Die Zeitung – Ihrer unfreundlicher Werbe-Zumüller 2. März 2011 um 16:58
[…] Wer dann wieder einmal die unerwünschte Post von “Handelsblatt”, “FTD” oder “Welt” ungeöffnet entsorgt, der darf sich (so er dumm genug ist) immerhin einer Tätigkeit erfreuen, die die Demokratie schützt – behauptete schon mal VDZ-Mann Fürstner in einem Anfall von Größenwahn: […]
Bundesregierung fördert den Adressdatenhandel 8. Juli 2012 um 14:39
[…] nicht überlebensfähig. Glauben Sie nicht? Knüwersche Übertreibung? Nö, ein Zitat. Genau dies behauptet damals der Verband der deutschen Zeitschriftenverleger VDZ. Nun geht es dabei einerseits um die Möglichkeit, Ex- und aktuelle Abonnenten mit nervigen […]
“Financial Times Deutschland” – Chronik eines absehbares Ableben 22. November 2012 um 10:22
[…] Ja, Adressdatenhandel. Ohne den können Verlage laut eigener Aussage ja nicht überleben. […]
Deutschlands Datenhändler schlagen wieder zu 10. Dezember 2012 um 16:28
[…] Dies ist erlaubt, da Verlage sich per Lobbyismus das Listenprivileg erkämpft haben. Es geht ihnen ja so schlecht, dass sie ohne diesen Adressdatenhandel gar nicht überleben können. Das sage nicht ich, das sagte Wolfgang Fürstner vom Zeitschriften-Verlegerverband VDZ. […]
Kinder, Tiere, Datenhändler 25. Februar 2013 um 12:36
[…] größten Datenhändler, ein Thema, das in den vergangenen fünf Jahren immer mal wieder hier in der Indiskretion auftauchte. Doch außerhalb des Kreises der sehr Medieninteressierten ist dieses Faktum nur wenig […]
Zeitungskrise: Breaking 6. August 2013 um 17:33
[…] dass Verlage mit Adressen ihrer Leser Geld machen. Vielleicht bleibt die Erwähnung aus, weil die Mitglieder des Verbandes, zu dem auch der Spiegel Verlag gehört, laut eigener Aussage ohne die … der Journalismus reicht dafür laut eigener Aussage […]
Lieber Mathias Döpfner (oder: Warum wir den Axel Springer Verlag fürchten müssen) 16. April 2014 um 14:30
[…] ist. Und der Teil einer Branche ist, deren Zeitschriftenpart laut Aussage des eigenen Verbandes nur durch den Verkauf und die Ausnutzung von Adressdaten überlebensfähig ist. Mehr noch: Ihr eigener Konzern sammelt Bewegungsdaten. Glauben Sie nicht? Schon mal was von […]