Einer der Höhepunkte des deutschen Fernsehschaffens war die Serie „Ein Herz und eine Seele“. Den meisten dürfte „Ekel Alfred“ ein Begriff sein, jener von Heinz Schubert genial gespielte Familiendespot mit Hang zu Weltverschwörungen. Egal, was zu jener Zeit passierte: Immer waren die „Kommunisten von der SPD“ schuld. Und damit sie Schuld sein konnten, entwarf Alfred Tetzlaff die bizarrsten Theorien über das Weltgeschehen.
Es gibt nun eine ganze Redaktion, die für mich Schritt für Schritt ein Alfred Tetzlaff der deutschen Medien wird: die „Süddeutsche Zeitung“. Es war gut, dass ich gestern ganztätig auf der Online-Messe OMD beschäftigt war. Ansonsten hätte ich vielleicht im Affekt böse Schimpfworte benutzt, hätte von „irrsinniger Blindheit“, „Demagogie“, „Faktenverdrehung“ oder „journalistischer Inkompetenz“ geschrieben.
Nun aber, mit einem Tag Abstand, blicke ich ein wenig ruhiger auf ein Stück aus der „Süddeutschen Zeitung“, das demonstriert, wie sehr sich diese Redaktion inzwischen der Aufgabe verschrieben hat, gegen das Internet zu kämpfen, vor allem gegen Google. Und sie verdreht die Fakten derart alfredtetzlaffig, dass Leser sich fragen müssen, für wie dumm die Redaktion sie wohl hält.
Diesmal geht es um jene skurrile Geschichte, die United Airlines einen bösen Kursabsturz bescherte. In Kurzform: Vor sechs Jahren stürzte der United-Kurs ab nachdem die Fluglinie gegen die Insolvenz kämpfte, darüber berichtete die Regionalzeitung „Florida Sun Sentinel“. Dieser Artikel poppte nun wieder auf ihrer Homepage auf – ohne Datum. Und von dort gelangte die Meldung zu Google News. Dort wieder bemerkte sie ein Mitarbeiter des auf Anleihen spezialisierten Analysedienstes Income Securities Advisors. Und er verschickte ohne weitere Recherche eine PR-Mitteilung über Bloomberg in der vor United-Aktien gewarnt wurde: „United Airlines: Files for Ch. 11, to cut costs by 20%“. Die Aktie bricht ein.
Anscheinend gibt es ein Datumsproblem bei Google News, wie der Suchmaschinenoptimierer Greywolf zeigt. Seine Fallbeispiele unterscheiden sich allerdings in einem wesentlichen Punkt: Der United-Artikel enthielt auf der Seite der „Sun Sentinel“ kein eigenes Datum.
Hier wären wir nun bei der „Süddeutschen Zeitung“. Denn eigentlich ist dies ja eine Geschichte, die dramatisch offen legt, wie nervös die Finanzmärkte sind und mit welch simplen Methoden Kurse zu beeinflussen sind – und wie inkompetent oft genug Analysten sind.
Längst aber sind die „SZ“-Kollegen in ihrem donquijotigen Kampf gegen das Web nicht mehr in der Lage, solche Stories herauszuarbeiten. Stattdessen ist natürlich Google der Böse – und das auf Fakt geh weg.
Der freie Journalist Thomas Schuler hat die Geschichte für die „SZ“ aufgeschrieben. Oder besser: verdreht.
Schuler schreibt:
„Es gibt ein neues Problem: Journalismus ohne Journalisten…
Das Besondere von Google News ist, dass der Dienst im Gegensatz zu anderen wie Yahoo News und Onlineausgaben von Zeitungen keine Journalisten beschäftigt, die die Nachrichten auswählen, den Wahrheitsgehalt prüfen und die Relevanz gewichten.“
Und das ist schlicht falsch. Google News ist kein Journalismus. Oder besser: Es ist genauso Journalismus wie ein Zeitungskiosk, dessen Besitzer entscheidet, wo er welche Blätter platziert. Wer dort die „Süddeutsche“ lesen möchte, muss sie kaufen. Und wer bei Google News einen Artikel lesen möchte, muss auf ihn klicken. Eine Google-News-Schlagzeile mit ihren dürren Zeilchen darunter kann aber genauso falsch verstanden werden, wie eine Zeitungsschlagzeile im Kiosk, der nicht die Lektüre des Artikels folgt.
Google News leitet also zu Journalismus mit Journalisten weiter. Und er setzt diesen mit weiterem Journalismus mit Journalisten in Verbindung.
Nun ließe ich als Journalist darüber philosophieren, wie halbdebil ein Analyst sein muss, wenn er sich nicht fragt, wieso Insolvenzgefahr bei einer der größten Fluglinien der USA allein von einer Lokalzeitung vermeldet wird. Und wie er allen Ernstes eine solche Meldung wie die seine allein auf Grundlage eines Artikels wirklich nicht sonderlich bedeutenden Zeitung verschicken kann.
Vielleicht aber hat Thomas Schuler dieses Google-News-Prinzip nicht verstanden, das Meldungen zu ähnlichen Themen sammelt. Er scheint ja auch nicht begriffen zu haben, dass Googles Grundprinzip auf Verlinkung beruht, nicht allein auf Klicks:
„Das Kriterium ist scheinbar sicher: Google präsentiert nur, was sich viele Menschen ansehen. Relevanz durch Masse.“
Und um den Irrsinn komplett zu machen, wirft er auch noch ein paar Sachen ein, die überhaupt nichts mit dem Thema zu tun haben, aber Google mal so richtig bös dastehen lassen sollen:
„Es ist nicht so, dass menschliche Arbeit bei Google nichts zählt. Im Gegenteil: Der Konzern beschäftigt Leute, die fast täglich neue Varianten des Logos zeichnen.“
Es geht noch platter. Zum Beispiel, ist ja Google an der Zeitungskrise schuld, nicht Verlagsmanager, die das Internet verschlafen haben:
„Dabei sehen Kritiker eine der Gefahren für den Journalismus bei Google. Der Konzern ziehe den Großteil der Werbegelder im Internet ab, produziere aber selbst keine Inhalte.“
Mit den gleichen Argumenten sind Plakatwände eine Gefahr für den Journalismus. Oder im TV laufende Hit-Serien und -Filme.
Geht’s noch schlimmer? Ja. Einfach mal dementierte Gerüchte aufkochen:
„Dessen ungeachtet setzen selbst Medienkritiker Hoffnungen auf Google: Seit die Unabhängigkeit der New York Times wieder und wieder durch Börsenspekulanten und Konkurrenten angegriffen wird, wird Google als möglicher Retter genannt: Wäre es nicht angebracht, dass die Stiftung von Google die Zeitung kauft und als gemeinnütziges Projekt weiter führt? Google ist angeblich nicht interessiert, Inhalte zu besitzen.“
So entsteht ein krudes Stück Halbwissen-Journalismus, obwohl das Thema höchst spannend ist. Aber geht es um das Internet, so tut die „Süddeutsche“ halt alles, um wie einst Alfred Tetzlaff den Gegner in ein schlechtes Licht zu rücken.
Alfred Tetzlaff, übrigens, zeichnete bei aller Komik auch eines aus: Er war eine Mitleid erregend traurige Figur.
Kommentare
Grumpy 18. September 2008 um 18:57
Bei allem gebührlichen Respekt – aus schweizerischer Sicht gibt es zwar das Recht des Sterbenden, \“den Prozess des Todes zu verstehen und auf alle Fragen ehrliche und vollständige Antworten zu bekommen\“.
Aber ist es nicht ein bißchen hart? Also nicht für Google, jetzt. 😉
Grumpy 18. September 2008 um 19:31
Huch? Gehört die Tabaklobby nun auch zu den Sterbenden, die noch nicht verstanden haben, wie das Netz funktioniert?
Was bitte ist denn das?
Robert 18. September 2008 um 19:47
huh! der germantobbacco-eintrag sollte beim don alfons auftauchen, der schreibt doch rechnungen für werbung auf seinem blog! 😀
Florian 18. September 2008 um 19:49
Hmm, das Original ist von Ende August. Wer zum sterben fast einen Monat braucht, ist vieleicht noch net ganz so weit.
Allerdings musste ja auch jemand die Umlaute entfernen…
Michael Schwarz 18. September 2008 um 19:50
\“Vor sechs Jahren stürzte eine United-Maschine ab…\“
In dem wieder hochgespülten Artikel ging es nicht um einen Flugzeugabsturz, sondern um die drohende Insolvenz von United-Airlines.
Google-Cache:
http://209.85.135.104/search?q=cache:BYAMxbVj7DAJ:www.sun-sentinel.com/technology/chi-0212100167dec10,0,4275703.story%3Fpage%3D1+%22ual+files+for+bankruptcy%22+sentinel&hl=en&ct=clnk&cd=2
PS: Netter Spam von germantobacco.com, sowas sieht man auch nicht so oft. ;O)
Thomas Knüwer 19. September 2008 um 9:26
Kleiner Hinweis: Dieser Artikel enthielt ein paar Fehler, die ich gestern noch rausnehmen wollte. Dann kamen Rotwein und Pasta dazwischen, so dass er erst heute morgen wieder online ging.
Die oben stehenden Kommentare beziehen sich auf eine Spam-Werbung, auf die ich ein einem weiteren Artikel noch eingehen werde.
Lukas 19. September 2008 um 11:33
Dieser Artikel enthält immer noch ein paar Fehler:
Es handelt sich um die Zeitungen \“Chicago Tribune\“ und \“South Florida Sun-Sentinel\“, wobei letztere in ihrem Online-Auftritt auch Texte des \“Tribune\“ (gleicher Konzern) hat.
Und soweit ich das verstanden habe, gab es bei United Airlines vor sechs Jahren keine \“Insolvenzgefahr\“, sondern eine richtige Insolvenz, aus der die Airline nach knallharten Umbrüchen erst seit zweieinhalb Jahren wieder raus ist.
\“Halbwissen-Journalismus\“ halt.
Thomas Knüwer 19. September 2008 um 12:27
Danke für die Hinweise. Wobei das mit der Insolvenz ein nicht ganz falsch ist. Die Chapter 11-Regel ist nicht mit der deutschen Insolvenz vergleichbar.
Lukas 19. September 2008 um 14:10
Deswegen ja \“soweit ich das verstanden habe\“.
sanddorn 20. September 2008 um 11:22
Journalismus ohne Journalisten – klingt vielversprechend *träum*
Patrick 20. September 2008 um 12:20
Ach, das Internetbashing-Bashing ist mittlerweile auch ziemlich abgegriffen.
Der Begriff \“Journalismus ohne Journalisten\“ ist IMHO gar nicht so falsch.
Google News nutzt Algorithmen zum Einordnen, Gewichten und Selektieren. Das IST journalistisch, auch wenn der Algorithmus selbstverständlich nur aggregiert und keine eigenen Inhalte schafft.
Dass ein SZ-Autor ein krudes Bild von Google hat…
Es ist doch viel interessanter, dass hier tatsächlich ein paar Web-Mechanismen dafür gesorgt haben, dass mal eben ein paar Milliarden an der Börse hätten vernichtet werden können.
DAS ist doch ein interessantes Phänomen. Nicht, dass ein SZ-Autor das bedenklich findet und etwas naive Vorstellungen von Google hat.
Das hier war doch mal ein journalistisches Blog, kein Holtzbrinck-\“We\’re so web-centric\“-Konkurrenzbashing. Da gabe es nun auch einige peinliche Projekte aus eigenem Hause für den hämischen Fingerzeig. 🙂
Weltenweiser 22. September 2008 um 8:13
Nur so nebenbei. Der Tagesspiegel hat in genau die gleiche Kerbe gehauen. aus dem Artikel kommt aber mehr raus, wo der Schmu herkommt:
http://www.tagesspiegel.de/medien-news/Google-News;art15532,2617560
sanja 25. September 2008 um 19:10
Der Tagesspiegel-Artikel ist allerdings im Gegensatz zu dem Machwerk der SZ faktisch richtig und objektiv einordnend. Hier wird übrigens auch nicht nur der Verlagsball gespielt, sondern offen auch auf die Vorteile von Google News eingegangen.