Das Konzept der Erfolgsserie „Prison Break“ ist nicht neu, zieht aber immer noch: Da tut sich ein Haufen übler Jungs zusammen und kommt weiter, weil jeder individuelle Fähigkeiten hat, die sich ergänzen. Solche Ergänzungen gibt es auch im realen Leben. Da machen ein paar Leute gemeinsame Sache und schaffen in der Gruppe mehr, als sie es allein könnten. Nur dieses „mehr“ muss eben nicht positiv sein – auch das Schlimme kann sich potenzieren. Zum Beispiel, wenn Werber mit dem Glauben, sie hätten Ahnung von viralem Marketing, sich zusammentun mit der FDP Hamburg. Weihnachten verbrachte ich dieses Jahr in Hamburg. Schön und kalt war es. Beim Einkauf für das Heiligabend-Mahl machten wir uns gemeinschaftlich lustig über die Wahlplakate der örtlichen FDP.
Der darauf abgebildete Kandidat Hinnerk Fock hat nicht nur einen aus Sicht eines Westfalen lustigen Namen, er ist auch noch so unglücklich fotografiert, dass wir fürchteten, kleine Kinder würden sich an die Beine ihrer Mütter klammern und losweinen: „Mama, Mama, ich hab Angst vor dem Onkel mit der Fliege!“
Wieder einmal fragt sich das gemeine Wahlvolkmitglied: An welchen Zeitpunkt kann irgendjemand von leidlicher Intelligenz geglaubt haben, dieses Motiv verleite dazu, dem Herrn so weit zu vertrauen, dass er die Stimmabgabe wert ist?
Nun tummelt sich die FDP Hamburg schwer multimedial. Ihre Homepage ist ein gelber Überschwall an schreienden Schlagzeilen, er liefert einen Podcast, der sich „Stimme der Freiheit“ nennt (was mich spontan an die Redefreiheit-Kampagne eines Billig-Mobilfunkers erinnert) und gewzungen locker von einem Gunter-Gabriel-Imitat moderiert wird. Und, klar, es gibt auch Videos.
Wer aber so gnadenlos langweilige Bewegbilder hervorbringt, der wundert sich dann über geringe Abrufzahlen. In solch einem Moment springt meist ein Werber aus dem Busch und brüllt: „VIRALES MARKETING!“.
Der Volksvertreter hat den Begriff schon mal gehört. Irgendwo. Und dass das wichtig sei. Irgendwie. Also darf der Werber machen – und setzt das Ding vor die Wand.
In diesem Fall war jener Buschspringer die Agentur Oysterbay, deren Name mich überlegen lässt, ob ich weiterhin Austern liebe. Sie produzierte (oder ließ produzieren oder übernahm nur) ein Video, das so unerträglich schlecht ist, dass virale Verbreitung durchaus möglich schien. Bitte schauen Sie selbst:
Dumm nur: Virale Verbreitung braucht halt ihre Zeit. Weshalb das Filmchen für den Hamburger Wahlkampf zu spät kam. So sah sich die Bucht der faulen Austern genötigt, pseudonymisierte E-Mails an Blogger zu verschicken, die einen dümmlichen Hinweis auf das Filmchen mit Sky Dumont enthielt. Dieses Vorgehen beweist zum einen das mangelhafte Wissen der Werber über die Grundlagen des viralen Marketing, zum anderen ebenso große Kenntnisdefizite über die Blogosphäre.
Eine dieser Mails erreichte Hanno Zulla. Und er tat, was Netz-Nutzer viel häufiger in solchen Fällen tun sollten – er setzte das Lieblingsmittel der Gegenseite ein: Juristen. Das hatte die FDP gar nicht so gern.
Zulla schreibt:
„Vor einigen Tagen erhielt ich auf meinem Mobiltelefon überraschend einen Anruf von einem prominenten FDP-Mitglied, der auch Anwalt ist: “Wenn Sie auf diese Abmahnung bestehen wollen, werden wir das sportlich sehen. Dann feuern wir zurück. Das wird sehr teuer für Sie.”“
Tja, teuer. Teuer wird das eher für die FDP (deren Anwälte die Abmahnung akzeptierten). Denn sie macht sich unwählbar. Wer Mitglieder hat, die solche Plakate verbrechen, die glauben so billig Menschen, die aktiv ihre Meinungsfreiheit ausüben, manipulieren zu können, und wer schließlich droht – der hat nicht die nötige Reife für öffentliche Ämter.
Und er bekommt, was er verdient: Dumont und Hinnerk Fock mutieren zu Witzfiguren:
(Dieser Artikel wurde um einen Fehler korrigiert.)
Nachtrag vom 25.2.08: Die FDP hat das Parodie-Video bei Youtube anscheinend entfernen lassen. Ja, so ist das halt mit der Viralität. Für die braucht man Mumm. Etwas, was die FDP Hamburg anscheinend nicht auszeichnet – waschen, aber nicht nass machen, mit solch einer Haltung wären die alten Hamburger Kaufleute kaum nach oben gekommen.
Kommentare
ethone 20. Februar 2008 um 12:57
Das Antwortvideo ist genau die richtige Reaktion auf so einen Krams. Und auch wenn\’s schon zu spät für große Auswirkungen ist, vielleicht wird der Wunsch der ursprünglichen Urheber ja erfüllt und das (veränderte) Video erfährt diesen tollen buzz-dings mit dem Virenzeugs.
Ich würds ihnen ja wünschen. Als \“Belohnung\“.
Onyro 20. Februar 2008 um 13:25
Die Webseite von Oysterbay ist auch ganz prima gelungen. Einem Besucher erstmal erklären was man alles braucht um in der \“Oysterbay zu tauchen\“ um dann das nächste verkleinerte Fenster zu öffenen ist ja so Web 2.0, kein Wunder dass man da am \“Viralen Marketing\“ noch üben muss. Und für die rechtzeitige Registrierung bzw. den Abkauf der .com Adresse war anscheinend auch kein Geld mehr da. Das hat man ja alles an Sky DuMont für einen dämlich getarnten Werbespot überwiesen (den ich eigentlich sehr schätze, aber was tut man nicht alles wenn man die Rentenversicherung schon frühzeitig verkaufen muste).
Onyro 20. Februar 2008 um 13:50
Und wer wissen will was die Hamburger FDP Volksvertreter dann so für tolle Geschichten aus dem Politikeralltag erzählen (hier allerdings ein Hinterbänkler-Bundestagsabgeordneter) sollten sich mal dieses Spiegel Online Video ansehen: Herr Müller-Lüdenscheid*hust*Sönksen versucht ein Interview zum Skateboarding im Bundestag aufzuzeichnen. So was taugt ansatzweise für Virales Marketing.
http://www.spiegel.de/video/video-14096.html
Rainersacht 20. Februar 2008 um 18:02
Sky DuMont ist FDP-Mitglied – persönlich vom Gu-ido aufgenommen.
Ricci 21. Februar 2008 um 14:22
Das ist eine gelungene Realsatire, nicht mehr und nicht weniger.
Wer hat sich von uns allen noch nie mit seiner eigenen Dummheit konfrontiert hat, der könnte doch mal vortreten?
Wir leiden vielleicht auch alle unter ständigem Perfektionszwang.
Jens 22. Februar 2008 um 22:43
Manueller Trackback:
http://www.pottblog.de/2008/02/22/die-fehlende-internet-kompetenz-der-cdu-in-hamburg/
Onyro 26. Februar 2008 um 12:17
Und das Video hat offensichtlich im Ergebnis auch nichts gebracht (oder eher geschadet): Die FDP blieb unter 5%. In diesem Fall: Gut so.