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Eines kann man Post-Chef Klaus Zumwinkel ja nicht vorwerfen: dass er mit dem Öko-Strom schwimmen würde. Als Journalist über die Gratis-Zeitungs-Pläne der Deutschen Post zu schreiben, ist eher eine undankbare Sache. Denn natürlich gerät man leicht in den Verdacht, nur pro domo zu schreiben, schließlich könnten die Produkte des eigenen Hauses ja durch eben diese Gratiszeitung bedroht werden.

Darüber sorgen sich die Verlage derzeit ganz gewaltig. Weshalb es auch jene Anzeigenkampagne mit Klaus Zumwinkel als Foto-Modell gab. Und auf die wieder die Post mit Anzeigenentzug für Springer reagierte.

Beide Seiten zeigten sich in diesem Streit als nicht sattelfelt in ihren moralischen Vorstellungen. Die Anzeigen waren geschmacklos, Zumwinkels (oder glaubt jemand wirklich die Geschichte vom Werbeleiter, der ohne Absprache mit dem Chef die Anzeigen storniert) Reaktion egomanisch. Schließlich dienen Anzeigen dem Wohl des Unternehmens, nicht dem des Konzernchefs.

Nun also eine Gratiszeitung. Die gibt es, so die Meinung vieler, deshalb nicht, weil sich in Deutschland ein Verlagskartell gebildet hat, dass jeden Versuch einer Gratiszeitung mit eigenen Gratiszeitungen kontern würde. Folge: Marktverstopfung, nicht genug Anzeigen für alle, Überdruss beim Leser.

Ich glaube, so einfach ist das nicht. Es gibt noch andere Gründe, warum Gratisblätter es hier schwieriger haben. Da wäre zum Beispiel die Struktur des Landes. Deutschland ist, so mich mein Eindruck nicht stört, das einzige Land, das sein Wirtschafts-, Finanz- und Politikzentrum nicht in ein, oder maximal zwei Städten vereinigt. Das hat andere Stadtstrukturen zur Folge. So sind die Pendlerströme völlig andere – und Pendler sind nun mal Nummer-eins-Zielgruppe für Gratiszeitungen. Beispiel London: Hier fließt alles sauber von außen nach innen. Beispiel Berlin: Kreuz und quer geht es. Zu diesen Strömen gibt es auch Karten, leider entdecke ich sie nicht im Netz (kann jemand helfen?).

Und dann das Auto, der Deutschen liebster Fetisch. Wer selber fährt, der liest keine Gratiszeitung, selbst wenn sie ihm im Stau durchs Fenster gereicht wird. Oder wenn er doch liest, fährt er vermutlich nicht mehr lange bei voller Gesundheit.

Schließlich die Konstruktion des öffentlichen Nahverkehrs. In unterirdischen U-Bahnstationen lassen sich wunderbar Verteilstellen positionieren (so die Nahverkehrsbetriebe mitspielen). Vieles in Deutschland – gefühlt mehr als in anderen Ländern – spielt sich überirdisch und so bei Wind und Wetter und Vandalismus ab. Und durch die Straßen wehende Zeitungsseiten erfreuen weder Verkehrsbetriebe, noch Stadtreinigung noch verlegerische Imageschützer.

Die Post aber denkt anders. Sie will die Hausfrauen erreichen. Und die müssen die Zeitung nicht direkt am Morgen bekommen, da ist auch elf oder zwölf OK und vorher kommt der Postbote ja eher selten.

Diese Variante beherbergt aber auch ein großes Problem: die Umwelt. Schon jetzt demonstriert die Deutsche Post, dass ihr diese ganze Sache mit der Erderwärmung und so völlig am Tower vorbei geht. Ständig werden deutsche Briefkästen verstopft mit jener Schweinebauchwerbung in Plastikhülle. Die liegt zumindest in meiner Nachbarschaft tagelang ungeöffnet herum, bis sich ein Nachbar erbarmt und sie kollektiv wegwirft. Ich frage mich, ob die Werbekunden wirklich glauben, jemand öffne dieses Zeug.

Und nun die Gratiszeitung. Vermutlich wieder in überdimensionierten Massen in deutsche Briefkästen gestopft. Sollte es so eine Art Umweltsünder-des-Jahres-Titel geben: der Post wird er damit sicher sein.


Kommentare


Nils 18. Oktober 2007 um 9:41

das einfachste mittel könnte sein: die plastikverschweißten medien einfach direkt in den nächsten briefkasten werfen. nur: auch dazu braucht es ein kollektiv, das groß genug ist, die gelbe post zu ärgern …

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Martin Zellerhoff 18. Oktober 2007 um 9:44

Ich öffne dieses Zeug jede Woche und freue mich darüber jede Woche.

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marcus 18. Oktober 2007 um 10:08

Die Post-Werbepacken wären ja noch ganz brauchbar, könnte man aus dem Papier anständige Papierflieger machen. Da waren die Edeka-Flyer früher (read: Mitte / Ende der 80er) aus dem bunten festen Papier deutlich besser. Zumindest wenn meine Kindheitserinnerungen mich da nicht täuschen 😉

Bei mir im Haus werden diese Sendungen auch gesammelt dem Papierrecycling zugeführt, seitdem fast alle Hausbewohner \“Keine Werbung, keine Gratiszeitungen\“ Aufkleber an den Briefkästen haben wird der Kram von den Zustellern auf den Treppenstufen abgelegt…

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Jochen Hoff 18. Oktober 2007 um 10:11

Es ist pro domo geschrieben. Pro Domo für eine Medienbranche, die solange andere für tot erklärt hat, bis sie die Inschrift auf dem Grabstein vorgelesen bekam. \“Printmedien in alter Form\“ stand dort.

Es ist eine geeignete Strategie den eigenen Tod nicht anzuerkennen. Sowas nennt man geistige Insolvenzverschleppung.

Der Trick mit der Umwelt ist übrigens gut. Würde das Handelsblatt auf die Wirtschaftswoche verzichten, was es bald sowieso tun muss, würde das auch helfen.

Eine Gratiszeitung stände übrigen bei den Hausfrauen im Kampf gegen die bunten Blätter und könnte da viel Papier sparen, ebenso bei den wöchentlichen Werbesendungen in Plastehüllen.

Nein, das geht gar nicht gegen Springer. Das ist die konsequente Fortsetzung des Direktmarketings. Es geht um ein Anzeigenblatt und nicht um eine Zeitung.

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case 18. Oktober 2007 um 10:13

Ist das nicht die Argumentation der Bildzeitung, also eines Konkurrenten der Post? Und ist der Handelsblatt-Verlag nicht auch bei einem privaten Post-Konkurrenten engagiert?

Dasselbe Argument liesse sich auch gegen jeden Pizza-Flyer und jede Schweinebauchanzeige des örtlichen Supermarktes anwenden.

Und wenn ich mich an den \“Zeitungskrieg\“ in Köln richtig erinnere, hat das mit der Gratis-Zeitung gut geklappt. Bis die etablierten Verlage ihre Felle davonschwimmen sahen und eigene Gratis-Blätter auf den Markt warfen.

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Jörg Friedrich 18. Oktober 2007 um 10:55

Ich glaube nicht, dass sich das Handelsblatt wegen Gratiszeitungen Sorgen machen muss. Die Konkurrenz für das Handelsblatt, genauso wie für die FAZ u.ä., ist nicht aus großformatigem Papier. In so fern kann ein Handelsblatt-Journalist auch über Gratiszeitungen schreiben, er sollte es sogar, und erst recht in Blogs. Denn die Blogs sind die Gratiszeitungen des Internet.

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hadamsky 18. Oktober 2007 um 11:20

Schöne Karten mit dicken Pfeilen zu Pendlerströmen innerhalb Berlins kann ich auf die Schnelle auch nicht finden, aber das hier ist recht informativ:

– Eine Matrix, aus der hervorgeht, dass über 80 Prozent der Beschäftigten in Berlin Binnenpendler sind, findet sich im IAB-Forschungsbericht Nr. 4, 2006 in den Tabellen 4.3 und 4.4: http://preview.tinyurl.com/29esuu

– Eine Karte mit Zahlen zu Ein- und Aussteigern in Berliner ÖV-Zellen gibt es in einer Frequenzanalyse (IVU, April 2004) auf Seite 18:
http://preview.tinyurl.com/27rhm6

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Detlef Borchers 18. Oktober 2007 um 11:22

\“Schweinebauchwerbung in Plastikhülle\“ ts, ts. Wer auf dem Lande wohnt, kennt das doch: die überregionalen Morgenzeitungen, die mit dem Lokalblatt-Zusteller kommen, sind allesamt eingeschweißt, z.B. das Handelsblatt, die SZ und die FAZ. Nur die Zeitungen, die mit dem Postvertrieb (bei uns zwischen 13 und 14 Uhr, da kochen die Hausfrauen und Hausmänner) kommen, sind unverpackt.

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Manu 18. Oktober 2007 um 11:30

Ich find diese \“Schweinebauchwerbung\“ sehr praktisch und les sie jede Woche. Früher kamen die ganzen Werbeblätter immer einzeln und über die Woche verstreut, das war wesentlich nerviger. Außerdem ist eine Mini-Fernsehzeitung dabei.

Nicht immer alles schlecht reden, es gibt auch andere Meinungen.

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Thomas Knüwer 18. Oktober 2007 um 12:35

@Detlef Borchers: Das ist interessant und für mich neu. Ich komm ja auch vom Land und da kommt zumindest das HB nicht in Plastik. Bei anderen Zeitungen habe ich das bisher auch noch nicht erlebt. Und natürlich halte ich das ebenfalls für unsinnig.

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The Stig 18. Oktober 2007 um 12:59

@case: Wenn ich mich an den \“Zeitungskrieg\“ in Köln richtig erinnere, hat es vor allen Dingen geklappt, die Stadtreinigung beschäftigt zu halten. Unmengen von gelesenen und ungelesenen Gratiszeitungen rund um die überirdischen U-Bahn-Haltestellen.

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Augenweide 18. Oktober 2007 um 13:12

Hier gibt\’s auch noch was zu Pendlerströmen in Berlin…
http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/verkehr_in_zahlen/de/strukturdaten/index.shtml

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Erwin 18. Oktober 2007 um 13:52

Die Plastikhülle rund um die Samstagswerbesendung der Post finde ich auch unmöglich, aber ansonsten ist das schon praktisch, Prospekte gebündelt zu bekommen. Wir gucken da durchaus (kurz) durch.

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Claus the mouse 18. Oktober 2007 um 15:05

Bei uns steht der von der Kommune zur Verfügung gestellte Papiercontainer genau hinter dem Briefkasten.
Obgleich die Recycler sagen, dass die mit diesen Plastikhüllen fertig werden findet trotzdem eine Mülltrennung vor dem Containerwurf statt.
Man könnte allerdings auch zur Vereinfachung den Container VOR den Briefkasten stellen. Ob der Postbote so freundlich wäre?

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Detlef Borchers 18. Oktober 2007 um 15:12

@Thomas Knüwer: Ich habe mal bei den Westfälischen Nachrichten angerufen. Das ist das Lokalblatt hier, kommt ohne Plastik. Der Zusteller bekommt alle \“Fremdblätter\“ seines Bezirks eingeschweißt im Packen. Den muss er aufreißen und verteilen. Wenn ich die Blätter eingeschweißt bekomme, heißt das, dass ich der einzige im Zustellbezirk bin, der diese Blätter liest. So sieht es aus im nördlichen Münsterland.

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strappato 18. Oktober 2007 um 15:18

Eine Lösung gibt es, die ich praktiziere: Postfach. Sendungen wie \“an alle Haushalte\“ oder \“an Haushalte mit Tagespost\“ werden nicht on Postfächer gesteckt.

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Lukas 18. Oktober 2007 um 16:37

Wie kommt das eigentlich, dass ausgerechnet die ganzen Ex-Staatsbetriebe und Quasi-Monopolisten von größenwahnsinnigen, eiskalten Egomanen geführt werden? Oder sind alle Wirtschaftsbosse so drauf und man achtet in der echten Privatwirtschaft nur nicht so drauf?

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MarkS 18. Oktober 2007 um 17:42

Ach ja, die Umwelt! Wohl so ziemlich das lahmste Argument, das sich gegen die Gratiszeitung fnden lässt. Wenn Ihnen das wirklich wichtig wäre, würden Sie bei Radio oder TV arbeiten.

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Case 18. Oktober 2007 um 17:50

@Detlev Borchers: ja in Brochterbeck liest man sonst nur die Veröffentlichungen der Landwirtschaftskammer..da gilt ein Handelsblatt-Abonnent schon als suspekt…:-))

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Case 18. Oktober 2007 um 17:52

@the Stig: Ja, dass stimmt. Allerdings war das zu der Zeit, als Dumont Köln mit Gratiszeitungen nur so zukleisterte, damit die Konkurrenz aus Norwegen bloß kein Bein an Deck bekommt.

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niels | zeineku.de 18. Oktober 2007 um 20:00

Lukas: Ich glaube tatsächlich, man achtet bei den Staatsbetrieben eher drauf. Was \“unsere Bahn\“ so treibt, berührt die Menschen offenbar stärker als das, was irgendein Dienstleistungskonzern anstellt. Zumwinkel war vorher bei McKinsey und Quelle, Mehdorn bekanntlich bei Airbus und Heidelberger.

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Detlef Borchers 18. Oktober 2007 um 21:09

@Case: Ich sollte mal vor Jahren in der Schule eines Sohnes in Ibbenbüren über den Beruf des Journalisten sprechen und fragte in die Runde, was für Verlage und Zeitschriften so bekannt sind. Der Landwirtschaftliche Verlag in Münster wurde recht häufig genannt.

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Armin 18. Oktober 2007 um 21:56

Also an der London und in anderen Laendern ist das alles anders als in Deutschland Theorie habe ich so meine argen Zweifel.

Waehrend Grossbritannien zugestandenermassen sehr Londonzentrisch ist (insbesondere was die Politik angeht) gibt es auch hier genuegend andere grosse Zentren die das ganze mit Deutschland vergleichbar machen (Birmingham, Manchester, Liverpool, Newcastle, Glasgow, Edinburgh um mal ein paar zu nennen).

Wirtschaftliche Konzentration in London zaehlt nur noch eingeschraenkt, insbesondere bei den Banken (RBS ist aber z.B in Edinburgh). Die ganzen IT und Telekom Firmen z.B. sind alle im M4 Korridor ausserhalb von London (Oracle, Microsoft, Verizon in Reading, Vodafone in Newbury, Intel in Swindon).

Wenn man sich den Grossraum London (den ich hier mal sehr grosszuegig auslege) ansieht geht da auch genug Verkehr nach aussen. Da geht z.B. so einiges aus den Londoner Vororten in Richtung Reading, koennen mir einige meiner Kollegen jeden morgen von erzaehlen (ich komme von der anderen Richtung, die auch nicht viel besser ist).

Das Underground Argument zaehlt auch nur teilweise. Ein grosser Teil des Verkehrs ist mit den Vorortzuegen, und die sind ganz normal ueberirdisch.

Wenn\’s nicht anders noch langsamer waere wuerden die meisten auch lieber nicht mit den Zuegen fahren, dreckig, ueberfuellt und lahm. Wer kann faehrt Auto.

Und das Auto steht in seiner Bedeutung der in Deutschland nicht viel nach. Beispiele: Alle 6 Monate gibt es hier eine neue Anfangsziffer bei den Kennzeichen. Wer was auf sich haelt hat ein Auto mit der neuen Ziffer. Die Autohaendler sehen alle sechs Monate einen \“Spike\“ in den Verkaufszahlen. Oder Autowaschen. Darf man hier noch auf der Strasse (oder es wird nur nicht ueberwacht). Jedes Wochenende sieht man die Leute hier putzen und wienern damit die Karre auch ja schoen glaenzt.

Nein, grosse Unterschiede kann ich da zu Deutschland nicht erkennen.

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Case 18. Oktober 2007 um 22:39

@Detlev Borchers: Ich bin 12 Jahre in Ibbenbüren zur Schule gegangen. Zugegeben,in der Oberstufe war ich als damaliger Zeit-Leser nicht mehr der Einzige…:-)Aber der landwirtschaftliche Verlag hat ja auch durchaus seine Existenzberechtigung….

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Matthias Schrade 19. Oktober 2007 um 20:28

@Case: Ibbenbüren? Von welcher (pleite gegangenen) Neuer-Markt-Bude kenne ich den Namen doch gleich? War glaub ich irgendeiner dieser frühen Telekom-Konkurrenten….

@Thomas: also ich find diese \“eingeschweißte Schweinebauchwerbung\“ praktisch – jetzt hab ich endlich ne minimalistische kostenlose Fernsehzeitung (mehr als das brauch ich nicht, n-tv, Bloomberg & Co. haben ja eh kein *Programm* im eigentlich Sinn). Ach ja, und der Rest landet natürlich – ergänzt um die Fernsehzeitschrift der Vorwoche – ungelesen und unausgepackt im Müll 😉

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