Wir Journalisten machen häufig einen Fehler. Wir glauben, unsere Umwelt, unser Wissen, unser Lebensstil sei deckungsgleich mit weiten Teilen der Restbevölkerung. Doch so ist es nicht. Sie lässt mich nicht los, jene grausame Radio-Sendung zum Thema Weblogs vom vergangenen Freitag (und, nein, Weischenberg hat noch nicht reagiert). „Tagesspiegel“-Kollegin Tissy Bruns hat beim Kollegen Niggemeier reagiert. Doch leider manifestiert sich eben jene Befürchtung, die ich während des Hörens schon hatte: Die Dame war nicht gewillt, sich auf die Diskussion vorzubereiten – doch ihr Grundwissen reichte nicht, um sinnvolle Beiträge zu liefern. Und jenes Schamgefühlt über die Granden unseres Berufsstandes, von dem Niggemeier schreibt – das habe ich auch empfunden.
Hier Brunsche Auszüge:
„Ist Ihnen nicht bewusst, dass ,Blogs?‘ in strenger Definition keineswegs landläufig bekannt sind? Die meisten Leute verstehen darunter immer noch, dass es sich um Schreiber im Internet handelt; im Verhältnis zu Zeitungen eben alle, die sich Online zu Zeitungsinhalten äußern…
Ich staune, dass die mediale Avantgarde so empfindlich ist, dass sie nicht einmal 45 Minuten kritische Debatte über sich selbst aushält, dafür aber umso kräftiger austeilt. Ob das ein Gewinn für den Journalismus ist, wenn ausgeteilt wird wie im Boxverein, es beim Einstecken aber zugeht wie im Mädchenpensionat ? Da glaube ich doch lieber an die Blogger, die wirklich in die öffentliche Debatte eingreifen und empfehle, nur zum Beispiel, den Artikel über die rumänischen Blogger in der FAZ vom 28. Mai 2007.„
Es ist ein leichtes für uns Journalisten, anzunehmen, der Leser sei dumm. Er wisse nicht was Blogs sind (weshalb gerne von „eine Art Internet-Tagebuch“ gefaselt wird), was Podcasts sind oder Wikipedia. Doch ist das wirklich so? Gelegentlich werde ich geladen zu Podien und Diskussionen mit Berufskommunikatoren und Wirtschaftsvertretern. Und dabei sind Fortschritte zu bemerken: Das Wissen über die grundlegenden Internet-Begriffe steigt.
Bemerkenswert ist aber der Umgang der deutschen Medienvertreter mit diesen Themen. Da werden rumänische Blogger gelobt – doch in Deutschland gibt es nur Dreck und Müll. Und überhaupt: Der deutsche Leser, der kennt das ja alles nicht mit dem Internet. Sind wir Deutschen so viel dümmer als die Briten? Die BBC jedenfalls erklärt das alles nicht mehr, auch nicht der „Guardian“ oder die „Times“. Der Engländer/Waliser/Schotte/Ire also ist erheblich Internet-gebildeter als der Deutsche?
Das ist Blödsinn. Es sind die deutschen Journalisten, denen das Wissen fehlt. Ansonsten hätte einer der Diskutanten die schlicht und ergreifend falschen Zahlen von Weischenberg in der Deutschlandfunk-Sendung korrigiert. Das höhnische Lachen im Hintergrund, als Weischenberg die Zahlen verkündete wäre anders ausgefallen. Und vielleicht hätte Bruns auch nicht so verschwurbelt behauptet, die Entscheidungsfindung in der Politik zöge sich „in immer dunklere Hinterzimmer“ zurück, gäbe es auch noch Bürgerjournalisten. Allein über diese Bemerkung ließe sich stundenlang philosophieren.
Dahinter steckt vor allem eines: Innovationsfeindlichkeit. Wir Journalisten predigen zwar das lebenslange Lernen in unseren Artikel – doch wir selbst nehmen uns gerne davon aus.
Wären wir Besitzer einer Autowerkstatt, sagen wir mal eines Mercedes-Ablegers und käme ein Kunde mit dem neuesten Modell zur Inspektion, dann dürfte er wieder abfahren. Wir würden ihm sagen: „Also, ne, lieber Mann, dafür bräuchte ich so nen neues Analyseprogramm. Das müsste ich ja alles lernen. Das können Sie mir echt nicht zumuten.“
Kommentare
marcel weiss 30. Mai 2007 um 11:34
Dass Frau Bruns unter Anderem den zum xten Mal gemachten Fehler mit den Leserzahlen als \“ kritische Debatte\“ deklariert, das ist schon erstaunlich.
Ich würde mich ja darüber aufregen, wenn ich es nicht längst leid wäre. Das Ansehen der deutschen Journalisten fällt und fällt und fällt.
Ich meine, wie lang geht dieses Trauerspiel denn schon? Kann man wirklich so lernresistent sein?
Jens Grochtdreis 30. Mai 2007 um 11:35
Ich denke, Sie haben gut analysiert.
Doch es sind nicht die Journalisten allein, auf die das paßt. Es paßt auch prima auf Lehrer und Uni-Dozenten, von denen viele glauben, damals in der Ausbildung die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und sich nicht weiterbilden zu müssen.
Und bei meinen Webentwickler-Kollegen entdecke ich diesen Habitus übrigens auch oft, denn ansonsten ließe sich ein so grottenschlechter Code, wie der der gerade relaunchten Süddeutschen und der Netzeitung nicht begründen. Also: Faulheit und Ignoranz sind berufsübergreifend. Es ist deshalb umso wichtiger, daß es kritische Stimmen gibt, die diese Mißstände anprangern.
Christian 30. Mai 2007 um 12:11
Frau Bruns hätte recht, wenn sie unvorbereitet in das Thema Blogs gestürzt worden wäre. Da gebe ich ihr Recht: Nicht jeder Deutsche kennt den Unterschied zwischen Blogs, Foren und Co.
Aber sie war in einer Talkrunde, in der es um dieses Thema ging. Und da ist genau dieser Unterschied von entscheidender Bedeutung. Und wenn die Hörer den Unterschied nicht kennen, dann muss ich ihn halt erklären. Wenn Galileo über Käse berichtet, kann Mozzarelle und Feta auch nicht synonym behandelt werden – nur weil der Zuschauer den Unterschied vielleicht nicht im Detail kennt. Genau andersherum wird ein Schuh draus: Der Zuschauer schaut zu, weil er den Unterschied lernen will. Und der Hörer des Medienquartetts will, falls er ihn nicht kennt, den Unterschied zwischen verschiedenen Online-Formaten kennenlernen. Das kann er aber nur, wenn der Journalist sich vorher informiert hat.
Zum Post von gestern: Wenigstens gibt es noch einen Münsterländer, auf den man selbstbewusst verweisen kann – wenn man nicht gerade ebendieser ist. Pech für Sie, Herr Knüwer.
Gruß, Christian
Alex 30. Mai 2007 um 13:14
>Da glaube ich doch lieber an die Blogger, die wirklich in die öffentliche Debatte eingreifen und empfehle, nur zum Beispiel, den Artikel über die rumänischen Blogger in der FAZ vom 28. Mai 2007.
Eine derartige Aussage kann nur von jemandem stammen, der keinen blassen Schimmer von der rumänischen Presselandschaft hat. Die rumänischen Publisher (sei es \“gestandene\“ Publikationen oder Blogs) berichten sei jeher subjektiv, wenn nicht gar parteiisch. Jeder Publisher hat dort seinen Darling, sei es eine Person, Partei, oder Organisation.
Würde die deutsche Presse SO berichten, würde man sie hierzulande (virtuell) steinigen. Nicht einmal sog. Motzblogs kommen an die Bissigkeit und Voreingenommenheit der rumänischen Presse heran…
Wenn die Sache als besonders lobenswertes, demokratisches Engagement gesehen wird, zeugt es nur von sträflicher Ahnungslosigkeit und Unkenntnis der Szene. Beste Grüße an Karl-Peter Schwarz, als Osteuropakorrespondent müsste er es auch besser wissen…;-)
Spritkopf 30. Mai 2007 um 13:32
Den Hauptvorwurf, den ich Frau Bruns mache, ist nicht das Wissen (bzw. Nichtwissen), welches sie über Blogs hat, sondern diese unpräzise und wenig zielgerichtete Denke. Sie schwafelte frei daher, ohne sich überhaupt mit dem Diskussionsgegenstand näher zu beschäftigen, verballerte so Sendeminute um Sendeminute.
Am übelsten fand ich jedoch die Wortbeiträge des Herrn Bissinger. Der war exakt das Musterbeispiel für die von Herrn Knüwer genannte Innovationsfeindlichkeit und Lernresistenz. Wenn so die Wortführer im deutschen Journalismus aussehen, dann muß einem angst und bange werden.
Jochen Reinecke 30. Mai 2007 um 13:57
Ich habe für die FAS mal ein recht komplexes Rätsel entworfen. Interessanterweise beschwerte sich bei mir brieflich ein Journalist, der auch stolz die DJV-Mitgliedschaft im Briefkopf führte, darüber, dass mein Rätsel unlösbar schwer sei, es sei ja nur noch mithilfe des Internet lösbar. Und er habe nun mal keinen Internetanschluss.
Warum darf so jemand im DJV Mitglied sein?
Ach so, weil er Beiträge zahlt.
marcel weiss 30. Mai 2007 um 14:41
Und weil er keine Internetseite hat wegen derer ihm die Mitgliedschaft verwehrt werden könnte.
Stefan 30. Mai 2007 um 15:29
>>Ich meine, wie lang geht dieses Trauerspiel denn schon?
Die Frage ist doch eher: Wie lange soll dieses Trauerspiel noch andauern?
Wie lange noch dürfen mehr oder weniger Ahnungslose (sog. Jounalisten) jeden Tag die Welt erklären, die sie selbst nicht, oder nur teilweise, verstanden haben …
Das grösste Trauerspiel findet sich in den Lokalzeitungen, von einigen Ausnahmen abgesehen.
Spritkopf 30. Mai 2007 um 22:19
@Solon
Ich mag diese Hinterzimmer nicht in Bausch und Bogen verurteilen. In Großbritannien gibt es die sogenannten Off-the-record-Antworten. Ein Journalist erhält eine Antwort auf eine Frage, darf diese aber entweder gar nicht oder nur ohne Quellenangabe zitieren. Das ist ein Gentlemen\’s Agreement, welches dazu beitragen kann, daß gesetzeswidrige Vorgänge innerhalb der Regierung oder einer Partei enttarnt werden können, indem ein Regierungs- oder Parteimitglied anonym zum Whistleblower wird.
Es hängt ganz davon ab, wie das Instrument der Hinterzimmer genutzt wird. Beim Zapp-Beitrag sind in der Hinsicht leider einige Fragen offengeblieben. Stattdessen klang ein bißchen die beleidigte Eitelkeit eines Fernsehjournalisten durch, der nicht Mitglied einer solchen Runde werden durfte.
Vielleicht hätte er mal einen Kollegen aus dem eigenen Sender fragen sollen, der Mitglied ist. Daß ausgerechnet von der ARD bzw. NDR niemand in diesen Zirkeln verkehrt, ist schließlich schwer vorstellbar. Hätte aber vermutlich nicht allzugut ausgesehen, wenn ausgerechnet ein NDR-Kollege ihn hätte auflaufen lassen – weswegen es mich auch nicht wundert, daß nur Journalistenkollegen der Konkurrenz im Beitrag erwähnt werden.
Weil der Journalist sich ändern muss 18. Januar 2013 um 16:30
[…] wir Journalisten nicht weiter. Die Welt hat sich geändert – und wir uns nicht genügend mit. An anderer Stelle habe ich schon einmal geschrieben: Wären wir Besitzer einer Autowerkstatt und käme ein neues Modell auf unseren Hof gerollt zur […]