Senior Consultant Alexandras luxusgütererfahrene Nase spürt den Hauch schon, als die Besucherin im Mental Tower das Foyer betrat. Eine Molekularkombination, die so süß, so ungewohnt, so lockend ist, wie nur selten ein Duft der sich nach oben arbeitet, auf die Etage, in der die kleine PR-Agentur am Rande der Stadt arbeitet. Schwarzen Trüffel erschnuppert Alexandra, Ylang, Vanille, Sandelholz, dazu Bergamotte und schwarze Johannisbeere. Es gibt keinen Zweifel: Soeben hat eine Frau das Gebäude betreten, die sich ?Black Orchid? von Tom Ford leisten kann, das Fläschchen zu 500 Euro. Zwei kaum erträgliche Minuten später spürt Alexandra den Duftgehalt in der Luft höher werden, die Tür in das Großraumbüro der kleinen PR-Agentur öffnet sich einen Ausdruck aus seiner Hund eine Frau betritt den Raum. Alle blicke wenden sich ihr zu, denn Chanel-Kostüme und Kelly-Bags sieht man hier selten. Black Orchid wabert durch den Raum.
?Wo finde ich ihren Chief Executive Officer??, fragt die Tom-Ford-Beduftete und betont den englischen Titel so elegant, als sei Oxford ihr zweiter Vorname. Bevor Polia, die bulgarische Sekretärin auch nur ein Wort herausbekommt, stürzt schon der Chef durch den Großraum. ?Gräfin Müritz! Welche Freude!?
Kaum sind die beiden im Büro des Chefs verschwunden feuert der Kaffeeküchenfunk auf vollen Touren. Senior Consultant Sabine und Junior Consultant Tanjaanja sind sich einig: Das muss eine neue Klientin sein. Und sie wird sehnsüchtig erwartet. Denn der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt geht es nicht gut. Der Aufschwung geht an ihr vorbei. Sogar von Stellenabbau ist die Rede.
Der Unruhepegel steigt unter den Mitarbeitern, als der Chef eine Stunde später eine Zusammenkunft im gläsernen Konferenzraum der Agentur einberuft.
?Ich bin nicht zufrieden. Niemand hier darf zufrieden sein?, beginnt er. ?Ich sehe eine mangelnde Identifikation der Mitarbeiter mit unserem Unternehmen. Dies hier ist die teuerste und langsamste Mannschaft in der Branche. Es fehlt an Spirit. An Begeisterung. Das muss sich ändern. Deshalb werden wir noch vor Weihnachten in ein Boot Camp fahren. Mit dieser bezaubernden Dame: Constanzia Gräfin Müritz zu Hellenberg. Sie wird Euch auf Vordermann bringen!?
Die kleine PR-Agentur ist geschockt. ?Ähm, wie und wann und wo soll denn das stattfinden??, fragt Senior Consultant Lars.
?Sie werden sich am kommenden Wochenende in Hofbieber-Fohlenweide einfinden?, sagt die Gräfin mit leider aber strenger Stimme: ?Dort gibt es ein ganz reizendes Tagungshotel. Ganz still, ganz abgeschieden.?
Ein paar Tage später stehen die Mitarbeiter verwundert vor dem kleinen Hotel. Reizend geht anders. ?Shit, nicht mal Handy-Empfang?, schimpft Managing Partner Marcel, den der Chef ebenfalls nicht eingeweiht hatte.
Nach dem Bezug der Zimmer geht es los. Zum Joggen. Durch das bergige Gelände treiben der Cousin der Gräfin, Jakob, und zwei breitschultrige Kollegen namens Michael und Stephan die Mannschaft zwei Stunden lang. Zusammenbrüche einzelner Angestellter ? Sabine knickt schon nach einer halben Stunde ein ? werden mit kaltem Wasser und leichter Handgreiflichkeit behoben.
Kurz vor dem Hotel steht die Gräfin am Wegesrand: ?Wer als letzter ankommt, macht die erste Einzelsession mit mir?, kündigt sie an und mobilisiert einiges an Kräften. Wohl auch, weil es niemand gelüstet nach einer Einzelsession mit der nun Reitkleidung tragenden Coachin.
?Setzt sie die Gerte etwa ein??, keucht Tanjaanja zu Praktikantin Julia.
?Trau ich alles zu?, hechelt es zurück.
Wenige Meter vor dem Ziel wird es knapp. Alexandra, lange Zeit gut im Rennen lässt nach, Sabine, wieder zu Kräften gekommen, zieht an ihr vorbei, dann Lars. Doch Alexandras kurzer Tritt zur Seite zieht im sein linkes Bein weg, er stolpert, fällt, bleibt liegen.
Als er aufblickt, sieht er die Gräfin über sich stehen. ?Lecker?, sagt sie zischend. Julias entsetztes ?LAAAAARRSSSS NEEEEEINNN!? ist das letzte, was er hört, bevor ihn Michael und Stephan in ein kleines Häuschen neben dem Hotel schleppen.
Den ganzen Tag über bleibt Lars verschwunden. Die anderen Mitarbeiter werden mit ungewöhnlichen Methoden mit Spirit vollgepumpt. Zum Beispiel sitzen sie mit verbundenen Augen da und bekommen Kopfhörer übergestülpt, aus denen überlaute Werbejingles ertönen. Immer wenn der Jingle eines Kunden ertönte sollen sie Lächeln und eine Beckerfaust machen. Erklingt der eines Kunden-Konkurrenten sollen sie zu einem Hebel am Stuhl greifen. Der versetzt ihnen zwar einen kleinen Stromschock, dafür wird der Jingle sofort gestoppt.
Am nächsten Morgen ist auch Lars wieder da. Blass. Mit rot geränderten Augen. Julia schaut ihn entsetzt an: ?Was haben sie mit Dir gemacht? Bist Du OK??
Lars legt den Kopf leicht schief, lächelt sie an: ?Ja, natürlich. Ich bin doch jetzt Miss Swiffer.?
?Du bist was??
?Miss Swiffer. Ich darf ein Weblog schreiben für Procter & Gamble Österreich. Und da bin ich die moderne und lustige Hausfrau Miss Swiffer. Ist das nicht schön. AU! Da tuts noch weh!?
Aus Versehen hatte Julia ihre Hand auf Lars Brust gelegt. Nun knöpft sie ihm das Hemd auf ? und stößt auf wunde Stellen wie von kleinen Schlangenbissen. ?Was ist das??, fragt sie den Tränen nahe.
?Ach, das war so ein Anschluss für den Strom. Damit habe ich Bloggen gelernt. Immer wen ich unartig war und nicht fröhlich, dann hat es einfach ein wenig weh getan. Aber ich habe das ja auch verdient. Sieh mal, wie schön ich jetzt schreibe…? Lars zieht einen Ausdruck aus seiner Hemdentasche:
?Hallo Mädls,
uiuiui ? ich bin aufgeregt. Das erste Mal trage ich mich in so etwas ein, geht aber eigentlich eh ganz einfach. Typisch! So ist das doch immer mit neuen Dingen?man zögert einfach viel zu lange, sie aus zu probieren anstatt sich einfach d?rauf los zu stürzen.
Ich weiß nicht, aber heute ist irgendwie alles blöd. Aufstehen schwierig, wieder einmal ?gar nix zum Anziehen? gehabt, das doofe Handy bimmelt gleich in der Früh, das Duschgel geht aus (schon wie-eder einkaufen!), Stau, Wolken und so weiter. Dafür hab ich?s dann aber doch irgendwie geschafft, halbwegs früh aus der Agentur wegzukommen und jetzt sitze ich endlich da ? zu Hause, alleine, Handy auf lautlos, Ingwer-Tee und noch den ganzen Abend vor mir. Herrlich, Festtagsstimmung!?
In diesem Moment betreten Stephan und Michael den Raum. ?Du? sagt Michael und deutet auf Alexandra. ?Mitkommen.? Jede Gegenwehr ist zwecklos, die beiden zerren die Senior Consultant vom Frühstückstisch, nach wenigen Schritten schon sackt sie bewusstlos zusammen.
Sie erwacht in einem kargen Raum, vor ihr die Gräfin. ?Na dann wollen wir mal sehen, ob wir unsere kleine arrogante Dame auf Kurs bringen?, giftet die Adlige.
Doch Alexandra kann gegenhalten. ?Ich hab recherchiert und ein paar Leute gefragt. Sie sind gar nicht adlig, sie sind nur angeheiratet. Eigentlich heißen Sie Kornelia Bauer und kommen aus Ottmarsbocholt-Kattenvenne.?
Einen Moment stutzt die Gräfin, dann findet sie ihre Contenance wieder. ?Richtig, Mädchen. Aber das Wissen hilft Dir wenig. Jakob!?, ruft sie. Der Cousin betritt den Raum. Mitte 40, dunkelblonde kurze Haare, raue Stimme. ?Hast Du Dich nie gefragt, warum er einen amerikanischen Akzent hat??, fragt die Trainerin.
Natürlich war Alexandra der aufgefallen. Aber bei dem ganzen Management-Kauderwelsch der PR-Branche ? wen wundert da eine Akzentverschiebung?
?Den hat er sich in Los Angeles zugelegt?, erklärt die Reitstiefel-Coachin. ?Er hat mit einem Drehbuchautor eine Serie geschrieben. Vielleicht kennst Du ,24???
Natürlich kennt Alexandra die Serie. Hat sie auf DVD häufig mit Lars geschaut, als die beiden noch zusammen waren. Bei den Folterszenen hat sie immer die Augen geschlossen und die Ohren mit den Händen verdeckt.
?Er ist das Vorbild für Jack Bauer ? weil er in Sachen, ich will nicht sagen Folter, nennen wir es ungewollte Willensbeeinflussung, so tolle Tricks drauf hat.?
?NEEEEEEIENNNNNNNNN!? schreit Alexandra. Doch niemand hört sie.
In der folgenden Woche ist alles ganz anders in der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt. Weihnachtlich und ruhig. Jeder arbeitet an seinen Projekten, es gibt keinen Kaffeeküchenklatsch mehr und keine zynischen Bemerkungen über Kunden.
Vor allem Alexandra sprüht vor Energie. Für den Kunden Apple hat sie eine wunderschöne Weihnachtsaussendung vorbereitet: Christbaumkugeln mit Logo.
Und für den Kunden Deichmann hat sie eine wunderschöne Weihnachtsaussendung vorbereitet: Christbaumkugeln mit Logo.
Nur ihr Kopf, der tut manchmal so merkwürdig weh.
(Mit bestem Dank an Tanja Kewes, Markus Pirchner und Axel Postinett)
Weitere Abenteuer der kleinen PR-Agentur am Rande der Stadt:
Kurz vor Mitternacht
Koffeein-Schock
Mai-Ausflug
Frühlingsgefühle
Wahlkampf
Marcelinho
Arbeitsverweigerungskampf
High-Society
Verzweiflungstat
Frisches Blut
Niederschlag
Weibliche Waffen
Imagewandel
Vroni
Lingua franca
Angie
Dumm gelaufen
Neue Republik
PC-Maus
Gedanken eines Chefs
Rooobiiiiiieee
Daviiiiiiiid
Geliebte „Bunte“
Sich einfach zulassen
Ein fröhlich‘ Lied
Backenfutter
Kaiserslautern
Have yourself a merry little christ-mas
DFB
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Kollerkommunikation
Die Zahl des Monats
Job-TV 24
Valentinstag
Sepp Blatter
Neue Sanftmut
Street Credibility
Nike
James Bond
Rolling Stones
Eröffnungsspiel
Paris Hilton
Bunte Pillen
Sigmar Gabriel
Gastautorin
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