Vielleicht liegt es daran, dass ich sensibler geworden bin, vielleicht daran, dass ich länger nicht drüben war. Nach einer halben Woche New York habe ich leider das Gefühl, die USA haben sich zum Schlimmeren verändert. Im Foyer unseres Verlagshauses gibt es mehrere Zeitungsstapel zur freien Bedienung, unter anderem auch einen der mit uns verbandelten „Zeit“. Heute Mittag sah ich dort erst das Titelthema: Die Sehnsucht nach dem „guten Amerika“.
Im wie auch immer gearteten Amerika weilte ich ja nun die vergangenen Tag. Und wenn das Wort „schlecht“ irgendwie schwammig wirkt, so trifft es doch, irgendwie. Es gab mal eine Zeit, da war ich ein großer Freund der USA, einen Sommer lang habe ich in Berkeley, nahe San Francisco studiert, mehrere Urlaube gingen an die West- und Ostküste. Das letzte Mal aber war ich im Jahr 2000 drüben, zwei Mal war es je eine Woche New York.
Nun ist es nicht nur eine Frage des regierenden Präsidenten, wie sich ein Land gestaltet und wie es der Reisende empfindet. Es hat mich erschreckt, wie sich gewisse Klischees, die es immer schon gab, in der Resonanzhülle der Realität verstärken. Gleich mehrmals stand ich im Aufzug oder in der U-Bahn neben mittelalten Einheimischen, von denen der oder die eine berichtete, sie werde mit dem Partner heute ausnahmsweise mal ausgehen, in einen Film, oder so. Normalerweise blieben sie ja daheim und schauten fern. Oder die Sache mit den Wahlen.
Besonders erschreckend aber ist der nochmalige Niveauabfall der Medien. Der Strahl einzelner Leuchttürme wie der „New York Times“ geistert durch eine Sturmflut der Bedeutungslosigkeit. Heute würde sich Billy Joel in einem Anfall von „New York state of mind“ nicht mehr nach der „Daily News“ sehnen.
Und das Fernsehen… Ach, das Fernsehen. Jeden Abend läuft entweder CSI oder etwas, das fast ist wie CSI. Auch hier wieder ein paar Leuchttürme, doch das meiste ist von Werbung unterbrochene Nicht-Mitdenk-Ware. Oder Live-Sport natürlich.
Die Nachrichten sind noch lokaler als früher (doch, das geht), ein Stier, der offensichtlich von einem Schlachttransport ausgebüchst war und durch New Jersey lief, beschäftigte die lokalen TV-Sender zwei Tage – obwohl er nach wenigen Stunden gefangen war. Ironische Nachrichtensendungen wie die „Daily Show“ oder der „Colbert Report“ werden sogar als besonders hervorgehobene Nachrichtenquelle gelobt.
Es ist erschreckend, wie die Angst-Mechanismen, die Michael Moore in seinen Filmen vorführte munter funktionieren. Eines Morgens zeigte CBS Tipps, wie man sich gegen Verbrechen auf der Straße wehrt. Anmoderation: „Die Verbrechensrate in New York ist zwar in diesem Jahr gesunken. Aber trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass Sie Opfer werden…“
Und Fox, der Haus-Sender der Republikaner aus dem Reiche Rupert Murdoch, betreibt Propaganda, die so platt ist, dass sie einem Romanautor vom Lektor als unrealistisch um die Ohren gehauen würde. Als die Arbeitslosenrate auf 4,4 Prozent sank, berichtete Fox prompt, 95,6 Prozent aller Amerikaner hätten einen Job. Klingt eindrucksvoll – und treibt jeden VWL-Statistiker in die Weißglut.
Allein das Kino mag da nicht mitspielen, kritische Dokumentationen gibt es seit Moore nicht nur in Winzkinos. Gerade läuft ein Film über das Country-Trio Dixie Chicks an, das wegen Bush-kritischer Kommentare Probleme bekam, dann folgt ein Film der auf dem Sachbuch „Fast Food Nation“ beruht.
Ob das eine Wende einleitet? Vielleicht ist es ja nur mein leichter Jetlag, der mich fürchten lässt, das „gute Amerika“ ist verloren.
Kommentare
schaefchen 7. November 2006 um 20:20
Na hoffentlich lesen das hier nicht die ganzen deutschen Bushistenblogger. Die werden ihnen was erzählen …