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Mit dem Bürgerjournalismus ist es so wie mit Granatapfelbier. Der Herdentrieb ist in der endverbraucherorientierten Wirtschaft ein weit verbreitetes Führungsprinzip. Da bringt ein Vertreter einer Branche eine leicht zu kopierende Innovation auf den Markt – und alle kopieren sie. Nehmen wir nur einmal Bier. Da bringt eine Brauerei Radler in Flaschen raus und der Rest der Meute versucht sich ebenfalls in Bier-Limo-Mischvarianten.

Nach einiger Zeit aber merken die ersten, dass es nur bedingt hilfreich ist, wenn alle das gleiche fabrizieren. Dann versuchen diese Unternehmen eigene Varianten zu entwickeln und werden die Innovation nutzen, um dauerhaft Akzente zu setzen. Derzeit sind wir im Stadium etwas bizarrer Varianten (Granatapfel, ich sage nur Granatapfel!). Der nächste Schritt wird in der künstlichen Verknappung bestehen wie dem „Bier des Monats“. Und dann verwandelt sich die Herden-Innovation in ein Instrument, dem man sich auf verschiedene Arten zur Umsatzsteigerung bedient.

Bevor hier jetzt die Diskussionen über Granatapfel-Bier und seine Verträglichkeit mit deutschen Geschmacksgewohnheit ausbricht, schnell hinterhergeschoben: und genauso wird es mit dem Bürgerjournalismus laufen.

Derzeit befinden wir uns noch in der Herdenphase. Da befeuern die Boulevardblätter ihre Bürgerpaparazzi, während Lokalzeitungen ihre Leser schon gemeinschaftlich beim Bloggen auf ihrer Homepage wähnen. Beides sind Extremausprägungen einer Testphase.

Die Sache mit den Bildern wird sich auf Dauer erheblich beruhigen. Prominente, die versuchen ihre Ablichtung zu verhindern, Unprominente, denen es nicht anders geht, Fotografen von Bildern, die einfach als Leserfotos ausgegeben werden – sie alle werden klagen. Und mit jedem gewonnen Prozess klingt die Lust der Verlagsmanager auf Leserbilder ab. Ganz verschwinden wird das Phänomen nicht. Es wird viele Menschen geben, die Promis heimlich ablichten und das Bild entweder an Zeitungen oder an Bürger-Paparazzi-Agenturen verkaufen wollen. Doch die Lage wird sich beruhigen.

Damit ist dieser Markt einen Schritt weiter als der für Texte. Texte üben für Verlagsmanager eine besondere Faszination aus. Weil aus ihren Redaktionen jeden Tag Massen an Wörtern und Buchstaben fließen, glauben Sie, das deren Erstellung ja nicht so schwer sein könne, ja, dass doch eigentlich jeder zumindest ordentliche Texte schreiben könnte. Und das auch jeder das wolle. Na gut, fast jeder.

Und deshalb laden sie ihre Leser zum Schreiben. Viele wollen das sogar erstmal ausprobieren. Das Blöde ist nur: Nur wenige wollen das, was andere Leser schreiben, wiederum lesen.

Warum sollten sie auch? Allein das Nicht-Journalist-Sein der Hobby-Autoren reicht nicht, um einen Leseanreiz zu liefern. Das beweist Opinio, jenes inzwischen auf eine Seite zusammengeschrumpfte Bürgerschreiber-Projekt der „Rheinischen Post“. Es glaubte, für Zeitungsleser wäre interessant, was andere Zeitungsleser schreiben. Doch Zeitungsleser sind eben keine Community. Sie eint allein der Konsum des gleichen Produktes – das macht sie füreinander nicht interessant und eint sie auch nicht.

Aus einem ähnlichen Grund werden auch die Leser-Weblog-Plattformen einiger Lokalzeitungen nicht funktionieren. Denn die Autoren, die wirklich gut sind, werden sich mit den Möglichkeiten des Mediums beschäftigen – und werden feststellen, dass in der Regel anderenorts die technischen Fundamente besser sind. Dann sind die Anziehungspunkte weg und es bleibt ein Haufen Ich-probier-das-einfach-mal und Katzentagebücher-Blogs.

Das wäre für eine neutrale Plattform kein Problem. Eine Zeitung aber bringt einen anderen Anspruch mit. Nichts ist peinlicher für ein Unternehmen, als das Versprechen eines Spaßbades, das bei der Ankunft sich als Wüstenlandschaft darstellt.

Ist also alles nix mit Bürgerjournalismus? Nein. Im Gegenteil: Er wird uns erhalten bleiben, aber in anderer Form.

Zum Beispiel durch das Anwerben von Bloggern durch Verlage in Bereichen, bei denen sich das Abdecken durch einen Redakteur nicht rechnet – siehe Mikro-Lokalberichterstattung. Aber auch beim Gegenrecherchieren von Meldungen (wie jüngst in Sachen Reuters-Foto) durch Nicht-Journalisten oder der Kritik am Produkt Zeitung.

Und deshalb ist die aktuelle Stimmungsmache durch den Deutschen Journalisten-Verband auch fehl am Platz. Man muss kein Limo-Bier mögen. Aber es anderen verbieten zu wollen, wird nicht funktionieren.

Nachtrag: Unser Online-Chef Julius Endert macht mich gerade darauf aufmerksam, dass es bei HB.com auch eine Umfrage zu dem Thema gibt.


Kommentare


DonDahlmann 25. August 2006 um 16:53

Die „Limited Edition“ bzw. „Nur kurze Zeit“ Edition der merkwürdigen Biersorten nicht zu vergessen…

Bürgerjournalismus – an sich schon ein Wort, das ich nicht mag, weil es diese 20er Jahre Bürger vs. Kommunismus Mentalität in sich trägt. Ich finde den Versuch, Definitionen zu schaffen, bevor sich überhaupt etwas manifestiert hat, auch unschön. Wie sich Blogs und deren Berichterstattung in den nächsten Jahren entwickteln wird, und ob hinter den Blogs wirklich Bürger oder doch eher journalistisch engagierte Freiberufler stecken, bleibt auch noch abzuwarten.
Ich sehe allerdings sehr große Chancen für eine andere von Lokalberichterstattung. Zur Zeit darbt die auch deswegen rum, weil sie sich jahrelang nicht mehr um ihre eigentlichen Aufagbe, dem aufdecken von lokalen Skandalen, Miss- und Vetternwirtschaften gekümmert hat und stattdessen über Chorbesuche aus Russland oder Pfarrfeste berichtet hat. Kein Wunder, dass die Leser weglaufen. Wenn jetzt die meist hermetisch geschlossenen Lokalbüros sich der Konkurrenz durch andere Journalisten und Bürger stellen müssen, könnte da wirklich was passieren.

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lupe 28. August 2006 um 15:47

Zu DonDahlmanns Kommentar:

Von großem Übel ist die allsommerliche Festberichterstattung, die aber schnell die Seiten füllt. Hier einige Schlagzeilen aus der heutigen Grevesmühlener Ausgabe der Ostsee-Zeitung:

Sommerparty mit Festwiesenstimmung
Festumzug Höhepunkt der Feierlichkeiten in Wotenitz
Traditionelles Speckfest im Schulzenhaus gefeiert
Treffpunkt Lübecker kam wieder gut an
550 Besucher kamen zum Museumsfest

Allein schon das „Traditionelle“ und das „wieder“ lassen die Langeweile ausbrechen.

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